OSZE Konferenz:
Täglich bis zu zwölf tätliche
Angriffe auf Juden
Unter Schirmherrschaft der OSZE
diskutieren in Wien 400 Delegierte erstmals zwei Tage über
Antisemitismus
Von Ralf Leonhard
"Wir betrachten diese große Vielfalt an
Glaubensrichtungen als eine unserer wichtigsten Errungenschaften", sagte
Rudolph Giuliani. New Yorks Exbürgermeister leitete die US-Delegation
bei der Konferenz über Antisemitismus, die am 19. und 20. Juni im Rahmen
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien
stattfand. Die OSZE bot das Forum für die erste internationale
Konferenz, die sich nur dem Antisemitismus und dessen neuen
Erscheinungsformen widmete.
Die 400 Delegierten aus allen 55 Mitgliedsländern waren sich
einig, dass es reichlich Anlässe für eine derartige Veranstaltung gebe:
Allein im vergangenen Frühling wurden in Frankreich täglich 8 bis 12
Angriffe auf Juden angezeigt und in nur zwei Wochen 14 Brandanschläge
auf Synagogen verübt. In Russland tauchten auf den Autobahnen Schilder
mit der Aufschrift "Tod den Juden" auf, die explodierten, wenn man sie
zu entfernen versuchte. Subtilere Ausbrüche von Judenhass sind täglich
in allen Staaten zu beobachten. So erzählte die Grüne Claudia Roth,
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung und Chefin der deutschen
Delegation, nach Jürgen W. Möllemanns antisemitischer Kampagne hätten
viele Menschen Angst gehabt, in die Synagoge zu gehen. Der Zentralrat
der Juden habe diskutiert, ob es richtig gewesen sei, nach Deutschland
zurückzugehen. Deshalb sei ein wichtiges Signal, dass der unlängst
verabschiedete Staatsvertrag mit dem Zentralrat ein klares Bekenntnis
zur aktiven Förderung jüdischen Lebens abgegeben habe.
Ein solches Zeichen stünde auch Österreich gut an, so Roth in
Anspielung auf die Weigerung der Wiener Bundesregierung, den erhöhten
Sicherheitsaufwand der jüdischen Gemeinde in Wien zu finanzieren. "Ich
will nicht bestreiten, dass es in Österreich Vorgänge gibt, die in
Zusammenhang mit dieser Konferenz zu kritisieren wären", meinte
Österreichs Delegationsleiter Ludwig Adamovich. Das verquere Verhältnis
der Regierung zur jüdischen Gemeinde wurde dadurch deutlich, dass keine
Juden in die offizielle Delegation aufgenommen wurden. Die Israelitische
Kultusgemeinde musste sich als NGO akkreditieren.
Einen Arbeitsschwerpunkte bildete der Antisemitismus im
Internet. Nazischrott und auch der Verkauf von NS-Devotionalien werden
vor allem über Web-Sites aus den USA nach Europa hereingetragen. Der
ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszweski plädierte für
konsequente Erziehung gegen den Antisemitismus. Die Veranstaltung ist
der Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Eine
Nachfolgekonferenz wurde für 2004 in Berlin einberufen.
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