Von Ulrike Herrmann
Jürgen Möllemann ist in den Tod gesprungen. Unwillkürlich erschreckt
es uns, wenn sich ein Mensch so zum Äußersten gedrängt fühlt. Aber, das
ist ein Teil der Wahrheit, der nicht verschwiegen werden darf: Dieser
Freitod wird viele auch beruhigen, nicht zuletzt in der Partei, deren
Diskussionen er so stark bestimmt hat. Plötzlich steht die Hoffnung im
Raum, dass mit dem Menschen Möllemann zugleich das Phänomen Möllemann
gestorben sein könnte.
Doch dieses Phänomen wird seinen Urheber überleben. Es wird Möllemanns
Vermächtnis sein, Deutschland vorgeführt zu haben, welches
Stimmpotenzial eine Kombination aus Poppolitik und Hasskampagnen
mobilisieren könnte. Möllemann selbst vermochte dieses Wählerreservoir
nur teilweise zu erschließen - er war zu spontan und irrational, um
seine eigene Strategie konsequent zu verfolgen. Völlig aussichtslos war
etwa der Einfall, mit einem antisemitischen Flugblatt auf Stimmenfang zu
gehen - die Erfahrung des Dritten Reiches dürfte verhindern, dass auf
diese Weise in Deutschland noch politischer Einfluss erkämpft werden
kann. Hier ließ sich der Politiker Möllemann vom Menschen und Lobbyisten
Möllemann leiten, der seit Jahrzehnten der Deutsch-Arabischen
Gesellschaft vorstand und darin kürzlich noch bestätigt wurde.
Doch ein "Enkel" Möllemanns könnte schon bald entdecken, dass die
Politik des Ressentiments Erfolg verspricht, wenn sie sich nur gegen die
richtigen Gruppen wendet: etwa gegen Ausländer und Flüchtlinge,
"Faulenzer" und "Asoziale". Bei unseren Nachbarn in Dänemark oder den
Niederlanden, aber auch in Italien oder Österreich lässt sich
besichtigen, wie ein moderner Rechtspopulismus Stimmen einsammeln kann.
Es ist so zynisch wie richtig: Für Deutschland war es ein Glücksfall,
dass Möllemann ausgerechnet den Antisemiten gab.
Perfekt für die politische Öffentlichkeitsarbeit war hingegen seine
Fallschirmspringerei. Sie führte ihn als einen entschlossenen Macho vor,
der sich in der Lebensgefahr bewährt. Solange wir nur auf die Person
Möllemann sehen, rührt uns an, dass er noch im Tod auf seine öffentliche
Wirkung bedacht war. Möllemann konnte sich offenbar noch nicht einmal in
seiner Extremsituation als Privatmensch verhalten. Für ihn gab es
zuletzt das "Ich" nur noch, wenn ein Spektakel garantiert war. Eine
solche Entfremdung von sich selbst erregt Mitleid.
Beim Phänomen Möllemann hingegen bleibt ein Grauen zurück - vor den
Perspektiven, die es eröffnet hat. Der Zerstörer Möllemann hat sich zwar
selbst zerstört - trotzdem hat er unsere Gesellschaft verändert.
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