Ein Interview der
Bremer Zeitung "Zett" (Maiausgabe) mit dem KONKRET-Herausgeber Hermann
L. Gremliza
Zett: Die Friedensbewegung erlebt momentan
eine in dieser Intensität unerwartete Renaissance. Millionen
demonstrieren weltweit gegen die Bombardierung des Irak durch die USA.
In Deutschland sind diesmal auch die bürgerliche Presse, Gewerkschaften
und die Kirche nahezu geschlossen mit dabei bzw. vorneweg. Wo aber war
besagte Friedensbewegung vor vier Jahren, als die Bundeswehr Jugoslawien
zu Klump gebombt hat?
Gremliza: Da haben die Bischöfe die deutschen
Waffen gesegnet. Denn der Krieg gegen Jugoslawien war im nationalen
Interesse. In ihm hat Deutschland sich zu einer gleichberechtigten
Weltmacht emanzipiert, die überall Krieg führen kann, wenn sie will,
sogar in Gegenden, in denen die Wehrmacht gewütet hat. Der Krieg im Irak
war nicht im deutschen Interesse, oder genauer: eine deutsche Teilnahme
daran war es nicht. Die arabischen Staaten und die Muslime überall
sollten sehen, daß Deutschland auf ihrer Seite ist. Es gab gute und
schlechte Gründe gegen diesen Krieg, in der deutschen Friedensbewegung
haben die miesesten dominiert:
Zett: Sie haben vor dem Krieg in KONKRET
geschrieben: "Im Vorfeld eines Krieges, an dem teilzunehmen seinen
Interessen zuwiderliefe, ist Deutschland eine einzige Friedensbewegung.
Wer anderes vorhat, als 'unserer Regierung', falls sie sich mit ihrer
Absage ein bißchen übernommen haben sollte, den Rücken zu stärken, wird
auf die Teilnahme an entsprechenden gymnastischen Übungen verzichten,
bei denen er schlechter Musik und antisemitischer Kontaminierung
ausgesetzt ist." Wo die schlechte Musik herkommt ist klar - von
Konstantin Wecker und von Pur. Was aber macht die deutsche
Friedensbewegung in Ihren Augen zu einer antisemitischen?
Gremliza: Keiner ihrer Sprecher hat je die
Judenpogrome thematisiert, die Saddam Hussein veranstaltet hat. Auf
keiner Kundgebung war von den Belohnungen die Rede, die Saddam Hussein
für Morde an Juden bezahlt. Und kaum ein Redner konnte sich verkneifen,
Israel als den eigentlichen Bösewicht des Nahen Ostens zu denunzieren,
obwohl Israel keinen Soldaten in diesen Krieg geschickt hat.
Zett: Ihre Position wird heftig kritisiert.
Robert Kurz schreibt in der "Jungen Welt": "Die Selbstverständlichkeit,
daß aus den kapitalistischen Widersprüchen heraus entstandene soziale
Bewegungen erst einmal von der >verkürzten Kapitalismuskritik< getragen
werden, wird [...] nicht Anlaß zur weitertreibenden theoretischen
Kritik, sondern zur schäumenden propagandistischen Denunziation. Die
antideutschen Bußprediger haben schon früher die ökologische Frage zum
faschistischen Gegenstand erklärt, nun wollen sie dasselbe mit der
sozialen Frage machen."
Gremliza: Robert Kurz ist kein großer Denker,
aber manchmal ein ganz anregender Journalist. Solange er sich und seine
Ressentiments unter Kontrolle hat, kann man ihn sogar in KONKRET
schreiben lassen. Aber wehe, wenn das Gefecht hitzig wird. Dann weiß er
nicht mehr, was er tut. Nicht er schreibt, sondern es schreibt aus ihm
heraus. "Die antideutschen Bußprediger" - das ist original
"Soldatenzeitung", das ist das pure nationalistische, und das heißt in
Deutschland immer auch: antisemitische, Ressentiment. Das macht den Kurz
nicht zum Nazi, aber es zeigt, wieviel große deutsche Vergangenheit in
ihm steckt. Und nicht nur in ihm. Psychische Formierungen und
Deformationen "vererben" sich, sagt Goethe, wie eine ew'ge Krankheit
fort, weshalb das Unbewußte der Deutschen noch heute stärker von den
Wilhelminischen Dorfschulen und der HJ geprägt ist als von den
Erlebnisse Anno 68. Bei den Besseren hält das Bewußtsein Wache, aber
wenn so einer in Rage kommt, ist er vor nichts mehr gefeit. Was es mit
der verkürzten Kapitalismuskritik von Bewegungen auf sich hat, kann man
übrigens sehr schön bei Otto Strasser nachlesen.
Zett: Die übriggebliebene Linke ist über den
Krieg im Irak in eine Streiterei hineingeraten, die noch um einiges
heftiger erscheint als während des Irak-Krieges 1991. KONKRET hatte sich
damals nicht eindeutig gegen einen Angriff der USA auf den Irak
ausgesprochen - es war zu lesen, daß eventuell ausnahmsweise und aus
falschen Gründen einmal das richtige getan werden würde -, was eine
große Zahl an Abo-Kündigungen zur Folge hatte. Mir scheint es so, als
fände sich seit September 2001 in Ihrer Zeitschrift eine größere
Bandbreite an widersprüchlichen Positionen als in der Zeit davor.
Gremliza: Es ist eine alte Erfahrung, daß
dramatische Ereignisse eine eh schon marginale Opposition zu hektischen
Reaktionen treibt. Nehmen Sie den Ungarn-Aufstand, den Prager Frühling,
die Wiedervereinigung: jeden dieser Fälle haben Leute aus der Linken als
Chance ergriffen, sich von einer armseligen Randexistenz zu
verabschieden. Das war nach dem Anschlag auf die Twin Towers und im
Irak-Krieg nicht anders. Mitunter werden solche Abschiedszeremonien auch
in Artikeln für KONKRET vorbereitet. Da man aber noch nicht weiß, wie es
bei dem einen oder andern endet, muß man das ein Weilchen ertragen.
Zett: Was sich in großen Teilen der linken Szene
breit gemacht hat, ist die Überzeugung, daß Ideologiekritik und eine
Analyse der ökonomischen Verhältnisse einander ausschließen. In welcher
Beziehung stehen Ihrer Auffassung nach der Erfolg von Al Qaida, Hamas
und anderer arabischer Terrorvereine zur kapitalistischen
Wirtschaftsordnung?
Gremliza: Es gibt zwei Extreme einer
degenerierten Kritik: die eine erklärt die islamischen Terroristen zu
irren Kriminellen, deren Taten mit dem sozioökonomischen Zustand der
Gesellschaften, aus denen sie kommen, nichts zu tun haben; die andern
machen aus ihnen Sozialrevolutionäre. Beides ist erkennbar Quatsch.
"Kein Blut für Öl" ist eine alte, auch braune Parole, die kritisiert
werden muß. Und doch hätte es keinen Irak-Krieg gegeben, wenn der Boden
des Landes statt Öl nur Sauerkraut hergäbe.
Zett: Eine Folge der angeblichen Unvereinbarkeit
von Ideologiekritik und materialistischer Analyse ist ein Tonfall, der
an finsterste K-Gruppen-Zeiten erinnert. Die Redaktion der Berliner
Vierteljahresschrift "Bahamas" hält die Bombardierung Bagdads für einen
zivilisatorischen Akt und beschuldigt jeden, der da nicht mitgehen
möchte, des Antisemitismus. Auf der anderen Seite steht, neben vielen
anderen, besagter Robert Kurz, der ob der verfahrenen Situation völlig
außer Rand und Band gerät und in der "Jungen Welt" folgendes schreibt:
"Was lange gärt, wird endlich Wut: Macht kaputt, was die radikale Linke
kaputt macht - denunziert die Denunzianten!" Was ist denn da los?
Gremliza: Ans Vaterland, ans teure, schließ dich
an - nicht zu eng, aber schließ dich an, sagt Tucholsky, und ich
fürchte, wie werden uns noch umsehen, welche extraradikalen
Krisen-Theoretiker demnächst ums Bundesverdienstkreuz anstehen. Das wäre
der schlimmste Fall. Auch das Gebalze, wer auf der Szene der kapitalste
Gockel ist, verdrießt. Aber es hat sich auch manches, was im Weg
herumstand, endgültig erledigt. Die "junge Welt", beispielsweise, hatte
ihr antisemitisches Coming out, die PDS ist in Liebe zum Vaterland
dahingeschmolzen. Das sind schon zwei, um die eine radikale Linke sich
keine Gedanken mehr zu machen braucht, und es werden noch einige mehr.
Das Interview führte Benjamin Moldenhauer.
benjamin_moldenhauer@hotmail.com