Möllemann ist tot:
Karsli hat noch viel vor
Sein Förderer stürzte über ihn, die
FDP und die Grünen haben ihn verstoßen. Doch Jamal Karsli ist voller
Pläne
Von Judith Weber
Auf harte Fragen von Journalisten war Jamal Karsli
gefasst. Auf die seiner künftigen Parteifreunde nicht. "Ist die
religiöse Lüge vom auserwählten Volk der Juden möglicherweise schuld an
der israelischen Palästinapolitik?", will ein Rentner mit weißem Hemd
und randloser Brille wissen. "Was ist das für ein Judengott, der ein
solches Vorgehen in den besetzten Gebieten erlaubt?" Jamal Karsli
stottert. Zu "religiösen Fragen" will er sich nicht äußern. Er will auch
nicht mit möglichen Parteimitgliedern diskutieren. Karsli hat zur
Vorstellung seines Buchs eingeladen. Titel: "Der Fall Karsli - Eine
Antisemitismusdebatte". Die Parteigründung ist erst nächsten Sonntag
dran.
Der Ex-Grüne und Kurzzeit-Liberale erzählt auf 288 Seiten aus
seiner Sicht, wie er vor gut einem Jahr aus der FDP-Fraktion im
nordrhein-westfälischen Landtag austreten musste, kaum dass Landeschef
Jürgen Möllemann seine Aufnahme durchgeboxt hatte. Mit antisemitischen
Äußerungen hatte Karsli sich zuvor schon in der Grünen-Fraktion
unmöglich gemacht.
Nächsten Sonntag nun wird Karsli, wieder im Düsseldorfer
Radisson-Hotel, "Fakt" gründen. So populistisch und zupackend der
Parteiname klingt, erinnert er an den Slogan "Klartext!", mit dem
Karsli-Förderer Möllemann sein letztes Buch überschrieb. Dabei steht
Fakt einfach für "Frieden, Arbeit, Kultur und Transparenz", beteuert der
Parteigründer. Mit etwas Pech wird daraus eine Art Schill-Partei. Zwar
hat Karsli "tausende Zuschriften" von Interessierten bekommen, und "auch
die Grauen Panther haben eine Kooperation angeboten". Zur
Pressekonferenz sind jedoch nur Anhänger gekommen, die nichts von leisen
Tönen halten. Karsli ist freundlich, aber hilflos. "Darum ging es mir
nicht", versucht er den Fragen zu entkommen, "darüber äußere ich mich
nicht." Dabei geht der fraktionslose Abgeordnete selbst nicht zart mit
Worten um. Die Medien seine "gleichgeschaltet", schreibt er in seinem
Buch; die Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel und sein
Vize Michel Friedman, gehörten vor das Kriegsverbrechergericht in Den
Haag.
So schrille Vorwürfe tragen nicht dazu bei, dass Karsli ernst
genommen wird: Zur Pressekonferenz ist nur eine Hand voll Journalisten
gekommen. Die ersten vier Stuhlreihen bleiben leer; hinten kann man
unauffälliger gehen. Karsli fühlt sich von der Presse verfolgt.
Tatsächlich ist es schlimmer, es ergeht ihm wie Möllemann kurz vor dem
tödlichen Sprung: Die Medien beachten ihn kaum noch.
Karslis Buch ist keine Sammlung platter Vorwürfe. Karsli
definiert Begriffe wie in einer wissenschaftlichen Arbeit, trägt Fakten
zusammen, veröffentlicht Texte, darunter einen des Israeli Uri Avnery.
Doch dabei bleibt es nicht immer. Den Beweis, dass er kein Antisemit
ist, führt er mit einer ganz eigenen Logik: Er kann kein Antisemit sein,
weil es schlimmere gibt. Von einer "zionistischen Lobby" in den Medien
zu sprechen oder Israel mit den Nazis zu vergleichen - wenn solche Sätze
schon Antisemitismus sind, "verliert der Begriff seine Schärfe", findet
Karsli.
Seinem Buch hat er einen Nachruf auf Möllemann vorangestellt.
Dort bringt er gegen den "Hetzchor der Ankläger" die Bibel in Stellung:
"Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." Wie sein
Vorbild Möllemann fühlt Karsli sich stets missverstanden, stets falsch
interpretiert. "Es geht mir nicht ums Judentum. Ich habe viele jüdische
Freunde." Der Rentner im weißen Hemd hört interessiert zu. Ab Sonntag
wird seine Partei mit Jamal Karsli einen Sitz im Landtag von
Nordrhein-Westfalen haben.
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