Marcello Brodsky verhüllte Nazidenkmal:
Der beste Mensch von Hannover
Von Reinhold Weismann-Kieser
Junge Welt, 21.06.2003
Zentrale Freizeitattraktion in Hannover ist der Maschsee, ein
künstlicher See in der Flußaue der Leine, in Sichtweite des Rathauses,
unmittelbarer Nähe der Staatskanzlei, direkt neben dem Stadion gelegen.
Auf ihm verkehren Segeljollen, Ruderboote und ein elektrisches
Passagierboot. An seinen Ufern gibt es eine Spielbank, ein renommiertes
Restaurant und Sportvereine. Jogger, Skater und Radler drehen ihre
Runden. Mehrmals im Jahr ist er Schauplatz größerer Feste. Ein See im
Herzen von Hannover. Ausgehoben wurde er in den Jahren 1934 bis 1936 als
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Für 15,50 Reichsmark Wochenlohn schufteten
über 1500 Arbeitslose mit selbst gestellten Schaufeln (schon der Stiel
kostete RM 1,50, ein Pfund Butter RM 3,20).
Feiern ließen die faschistischen Auftraggeber diese Ruhmestat durch eine
monumentale Säule, geschmückt mit dem Nazi- Hoheitsadler (nach dem Krieg
nur notdürftig vom Hakenkreuz gesäubert) und einer schwülstigen
Aufschrift. Vom "Aufbauwillen und dem Segen der Arbeit" ist da die Rede,
von "Freude, Gesundheit und Kraft". Auf der Spitze der Säule steht ein
nicht minder monumentaler Fackelträger, nackt und athletisch, in der
Haltung eines Läufers, die Hand zum Gruß erhoben. Jeder Pimpf hätte für
diese lässige Pose Strafdienst geschoben; dem Künstler, einem Hermann
Scheuernstuhl, ließ man sie durchgehen.
Hoch über dem See erhebt sich das Sprengel-Museum, ein moderner Bau von
durchaus überregionalem Ansehen. Neben den Werken der klassischen
Moderne wird darin zeitgenössische Kunst ausgestellt. Seit Mai ist eine
Ausstellung des Argentiniers Marcelo Brodsky zu sehen. Mit den Mitteln
der Fotografie und der Video-Installation arbeitet er darin die
Verbrechen der faschistischen Militärdiktatur auf, denen auch sein
eigener Bruder zum Opfer fiel. Sie trägt den Titel "Buena memoria".
Die Begegnung des Juden Brodsky mit dem faschistischen Denkmal war
brisant. Er wollte nicht hinnehmen, was den Menschen in Hannover in
Alltag und Freizeit bestenfalls gleichgültig geworden war. Vor einigen
Wochen verhüllte er den Sockel der Säule also mit Transparenten, deren
eines an die Konzentrations- und Vernichtungslager der Faschisten in
Europa erinnerte, während das zweite Orte des faschistischen Terrors in
Argentinien ins Gedächtnis rief. Adler und Inschrift bedeckte er mit
einer schwarzen Jalousie. Wer das Verborgene betrachten möchte, kann sie
öffnen. Schließt er sie in die andere Richtung, liest er "Nie wieder!"
und "Nunca Mas!".
Brodsky: "Die Bürger Hannovers werden eingeladen, sich zu entscheiden."
Gnädig genehmigte die Verwaltung der Landeshauptstadt die Aktion bis zum
Ende der Ausstellung am 31. August. OB Schmalstieg erklärte: "Das ist
die Freiheit der Kunst. Doch die Säule ist nun einmal da – sie nach 67
Jahren zu entfernen, wäre aberwitzig. Zumal bereits nachgewiesen wurde,
daß die erhobenen Hand kein Nazi-Gruß ist."
Überhaupt drehte sich die öffentliche Diskussion zunächst um die Frage, ob
der Fackelträger nun von faschistischem Geist oder nur von klassischen
Idealen beseelt sei, "zumal" sein Stifter, der Füllhalter- und
Tintenfabrikant Beinhorn, Freimaurer und damit selbst so ungefähr ein
Naziopfer gewesen sei. Einige wollten in der Skulptur gar einen
subversiven Akt sehen, in der Fackel ein Symbol maurerischer Humanität
und Aufklärung. (Die Nazis allerdings schien das nicht anzufechten – der
Fackelträger stand noch, als andere Denkmäler längst für Rüstungszwecke
eingeschmolzen waren.).
In anderen öffentlichen Wortmeldungen ging es um weniger subtile Fragen.
"Herr Brodsky", ließ etwa ein Wolfgang Heine in der Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung (HAZ) wissen, sei ein "Trittbrettfahrer der
Geschichte", dem es nur um den "Bekanntheitsgrad seiner Ausstellung"
gehe. Noch deutlicher wurde entsprechend die Zivilbevölkerung. "Der
Jude" solle sich nicht in die hannöverschen Angelegenheiten einmischen,
war von Passanten zu hören. Ein anonymes Flugblatt klärte darüber auf,
daß es dem "Herrn Brodsky" nur um "Werbung in eigener Sache" gehe, was
"leider ... fast schon ein Grund zum Boykott" sei. "Im übrigen", hieß es
weiter, gäbe es auf der ganzen Welt wohl keine weitere "Nation, in der
bei jeder ... passenden oder auch unpassenden Gelegenheit ... der
drohende Finger wider den Antisemitismus gehoben" werde. Daß ein
Verteiler dieses Zettels von Mitgliedern der "Antifaschistischen Aktion
Hannover" als Faschist bezeichnet und bedrängt wurde, war wiederum der
HAZ so unverständlich, daß sie das Wort Faschist in Anführungszeichen
setzte.
Letztlich schlußfolgerte dann auch dieses Blatt der gebildeten Stände
Hannovers, was es gewöhnlich eben fordert, sobald Antifaschisten die
Konfrontation mit dem Neofaschismus und seinen historischen Wurzeln
suchen: "Am Ende erscheinen Aktion und Reaktion übertrieben. Vor allem
aber macht es Sorge, daß ein – wenngleich wenig treffsicherer –
Denkanstoß von außen ... fremdenfeindliche Äußerungen auslöst". Die
übliche Formel: Wir müßten diese häßlichen und international so
geschäftsschädigenden Szenen nicht erleiden, wenn nicht gewisse Leute
immer auf den alten Geschichten herumreiten würden. Hier zeigt sich die
– nicht erst von Martin Walser geknüpfte – enge Verbindung zwischen dem
rechten Rand und dem, was sich die Mitte der Gesellschaft nennt...
Die Antifaschisten dieser Stadt sind dem "Denkanstoß" des Künstlers
deshalb dankbar, zumal er sie ausdrücklich zur Teilnahme an der Aktion
geladen hatte. Die VVN-BdA trat mit einer Installation in Erscheinung,
die für die diesjährige Gedenkveranstaltung in Bergen-Belsen angefertigt
worden war und die Mahnung trägt: "Ihr sollt die Ermordeten nicht und
nicht die Mörder vergessen".
hagalil.com
24-06-03 |