Ulla Jelpke
Junge Welt, 14.05.2003
Als "gute Quelle aktueller Informationen über die
verfassungsfeindlichen Bestrebungen in Deutschland" pries
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) seinen am Dienstag in Berlin
vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2002. Wie nicht anders zu
erwarten, hat die "Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" höchste
Priorität. In der Skala der Bedrohungen Deutschlands ist der
internationale Terrorismus nach Aussage Schilys inzwischen an die erste
Stelle gerückt. Die mehr als 30000 Mitglieder in "islamistischen
Organisationen" müßten beobachtet werden, um zu verhindern, daß sie "in
unserem Land Haß und Unfrieden schüren", so Schily.
Aktuelle und faktenreiche Informationen über tatsächliche Gefahren
sucht man aber auch im neuesten Verfassungsschutzbericht vergebens.
Staat dessen werden sogenannte Extremisten von links und rechts in einen
Topf geworfen. Die Zahl "politisch motivierter Straftaten" sei insgesamt
um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 12933 im Jahr 2002
zurückgegangen. Politisch motivierte Tötungsdelikte hat es laut
Schily-Bericht nicht gegeben. Wie junge Welt informierte, wiesen allein
Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel in diesem Zusammenhang auf sieben
getötete Menschen 2002 hin. Rückläufig war laut Verfassungsschutz auch
die "politisch motivierte Kriminalität von links". 3639 Straftaten, 18
Prozent weniger als 2001, sind im vergangenen Jahr gezählt worden.
Wie immer werden dabei vorwiegend Delikte wie Landfriedensbruch und
Widerstand gegen die Staatsgewalt aufgeführt, die in der Bilanz der
Rechten unberücksichtigt bleiben.
Dies ist um so skandalöser, als die Verfassungsschützer laut Bericht
zunehmend mehr Delikte des Widerstands gegen die Staatsgewalt auf
neofaschistischen Demonstrationen beobachtet haben. Es paßt aber
offensichtlich besser ins Bild der Sicherheitspolitik der
Bundesregierung, daß Gefahren gleichermaßen von links und rechts
ausgehen. Angesichts dessen kann es auch kaum verwundern, daß die
skandalösen Pannen im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens keinerlei Erwähnung
finden. Statt dessen will Schily einen Erfolg in den rückläufigen
Mitgliederzahlen bei der NPD ausgemacht haben.
Andererseits wird zwar ein Anstieg der Mitglieder in den
Kameradschaften registriert, ohne aber darauf hinzuweisen, daß diese
während des NPD-Verbotsverfahrens als entscheidender Reorganisierungsort
der sich von der NPD abwendenden Neonazis fungierten.
Ohnehin nimmt es der Verfassungschsschutz nicht ganz so genau mit
Zahlen. Laut Bericht zählt die Kommunistische Plattform der PDS 1500
Anhänger, und im selben Atemzug werden die "gewaltbereiten
Linksextremisten" auf 5500 beziffert. Wie auch in den vergangenen Jahren
ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der Bund
der Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Bundesrepublik e.V.
(BdA) wieder im Verfassungschutzbericht zu finden. Die Schlapphüte
beschreiben den Zusammenschluß dieser Organisationen als "herausragendes
Ereignis im Bereich des organisierten linksextremistischen
Antifaschismus". Dem VVN-BdA wird zur Last gelegt, daß die Organisation
mit Autonomen und als verfassungsfeindlich eingestuften Gruppierungen
zusammenarbeiten würde. Der jungen Welt ist diesmal kein eigenständiges
Kapitel gewidmet, auch wenn sie weiterhin als "linksextremistische
Tageszeitung" hier und dort zitiert wird.
Bleibt abschließend noch zu berichten, daß der "Zuschuß" (der
Gesamtetat ist nur wenigen bekannt) aus dem Bundeshaushalt 2002 mit rund
125 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr wieder gesteigert werden
konnte. 2235 Bedienstete arbeiten offiziell für den VS.