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Entwicklungsland Deutschland:
Schluss mit der Döner-Pädagogik!

In Deutschland bewahrt sich die Pädagogik einen naiven Umgang mit Fragen von Einwanderung und Rassismus. Im internationalen Vergleich ist es Entwicklungsland antidiskriminierender Schulpädagogik. Ein Blick über die Grenzen könnte wichtige Impulse besonders für die schulische Praxis geben

Von Veronika Kabis

Die Bekenntnisse zu einer rassismus- und vorurteilsfreien Gesellschaft sind Allgemeingut. Einigkeit besteht auch darüber, dass Bildung und Erziehung die Schlüssel sind. Und doch unterscheiden sich die Wege, die die einzelnen Länder eingeschlagen haben, um das Rassismusproblem in den Griff zu bekommen, erheblich voneinander. Gibt es gute Praktiken in anderen Ländern, von denen Deutschland lernen könnte? Dieser Frage geht derzeit ein durch die Bertelsmann-Stiftung finanziertes Projekt an der Pädagogischen Hochschule Freiburg nach. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern wie Kanada, Großbritannien und Frankreich findet sich ein unübersichtlicher Diskurs. Dementsprechend vielfältig und wenig aufeinander abgestimmt sind die dazugehörigen pädagogischen Programme. Ihnen gemeinsam ist, dass sie auf den Abbau von Vorurteilen und Feindbildern sowie die Vermittlung von Grundwerten und positiv akzentuierten Gesellschaftsmodellen - Zivilgesellschaft, Demokratie, multikulturelle Gesellschaft - setzen. Doch danach hören die Gemeinsamkeiten auf.

Auf den zweiten Blick ist dies nicht verwunderlich. Denn die Staatskonzepte, die Einwanderungsgeschichte und -realität sowie die daraus entstandenen Programmatiken der Einwanderungsgesellschaften sind in diesen Ländern äußerst unterschiedlich. Multikulturalität ist etwa in Kanada Staatsideologie und meint mehr als die Anreicherung der Kultur durch folkloristische Elemente, nämlich die grundsätzliche Infragestellung eurozentrischer Überlegenheitsansprüche und die Anerkennung der kulturellen Eigenständigkeit von Migranten und Minderheiten. Für die politische Programmatik eines solchen Multikulturalismus ist schulische Bildung von zentraler Bedeutung: Ihre Aufgabe ist es, das multikulturelle Selbstverständnis der Einwanderungsgesellschaft Kanada bei den Bürgern zu verankern.

Frankreich stellt im Vergleich dazu einen deutlichen Kontrast dar. Das Integrationsmodell republikanischer Prägung beruht auf der Grundannahme, dass die französische Zivilisation Ausdruck universeller Werte der Moderne ist und setzt darauf, dass die Anerkennung dieser Werte das integrative Moment von Gesellschaft und der Fokus pädagogischer Programme und Konzepte sein soll. Vor diesem Hintergrund werden multikulturelle Orientierungen vehement abgelehnt, da hierfür in einer egalitären Gesellschaft freier und gleicher Bürger kein Platz sei. Gleichzeitig wird ein starker Akzent auf die Bekämpfung von Diskriminierung gelegt.

Anders in Deutschland: Hier kann weder die Idee einer "multikulturellen Gesellschaft" wie in Großbritannien, Kanada oder den USA als gesellschaftspolitischer Konsens vorausgesetzt werden noch die republikanische Idee einer nationalen Identität wie in Frankreich. Dies spiegelt sich im pädagogischen Umgang mit der Einwanderungsgesellschaft wider: Die seit Jahren von Fachleuten vorgetragene Kritik an einer von naivem Kulturalismus geprägten interkulturellen Pädagogik hat in der Praxis nur wenig Niederschlag gefunden.

In Großbritannien dagegen wird die Entwicklung und Verankerung schulbezogener Konzepte antirassistischer und multikultureller Pädagogik als eine zentrale bildungspolitische Aufgabe begriffen. Dabei werden Elemente einer staatsbürgerlich-politischen Bildung mit einer reflektierten antirassistischen Pädagogik verknüpft. Die Schulen sind dazu verpflichtet, Formen institutioneller Diskriminierung entlang ethnischer Kriterien abzuschaffen, Strategien zur Auseinandersetzung mit Rassismus zu entwickeln und zur Achtung kultureller Vielfalt in der Gesellschaft beizutragen. Es gilt als expliziter Auftrag der Schulen, einerseits die Auseinandersetzung mit rassistischer Diskriminierung zu führen und andererseits die Chancengleichheit für Schüler mit Migrationshintergrund zu gewährleisten.

Auch die Ausrichtung der französischen Antidiskriminierungs- und Antirassismuspolitik reibt sich in der Praxis noch an vielen Widersprüchen. Denn das republikanische, universalistischen Werten verpflichtete Frankreich hat ein Problem, mit Differenz und ethnisch-kulturellen Partikularismen umzugehen. Diese Schwierigkeit spiegelt sich in der antirassistischen Pädagogik wider. So ist das Eingeständnis, dass es auch innerhalb der Schule Formen von Rassismus und Diskriminierung gibt, in Frankreich von offizieller Seite kaum zu hören. Wenn die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung dennoch ihren Platz in der Schule gefunden hat, dann vor allem als Bildungsziel einer Erziehung zum mündigen Staatsbürger. Dies ist die Programmatik, auf die die staatliche Bildungspolitik angesichts von Desintegrationsprozessen und dem bedrohlichen Zulauf zur rechtsextremen Front National setzt. Der pädagogische Umgang mit Einwanderung in Frankreich wie auch in England und Kanada knüpft im Übrigen unmittelbar an die dort vorhandenen Antidiskriminierungsgesetze an. Viele der von Antirassismus-Organisationen entwickelten Unterrichtsmaterialien bauen auf dem juristischen Instrumentarium zur Rassismusbekämpfung auf. Moralisierende Ansätze in der antirassistischen Erziehung gelten dagegen als wenig erfolgversprechend.

"Im internationalen Vergleich kann man Deutschland fast als ein Entwicklungsland menschenrechtlicher und antidiskriminierender Schulpädagogik bezeichnen", so das vorläufige Fazit von Professor Albert Scherr, Leiter des Projekts an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. "Weder in der Lehrerausbildung noch in den schulischen Curricula sind die Themen Menschenrechtserziehung, Diskriminierung und Rassismus bislang systematisch verankert." Scherr kritisiert den schlichten Interkulturalismus, den man auch als "Döner-Pädagogik" kennzeichnen könnte. Wir lernen das an Migranten kennen und lieben, was uns schmeckt, und ignorieren die Aushöhlung des Asylrechts und die strukturelle Diskriminierung. Auch Programme zur Erhöhung des Migrantenanteils unter LehrerInnen fehlen in fast allen Bundesländern. Dieses Defizit, so Scherr, könne auch durch die vielen lokalen Initiativen und Modellprojekte nicht ausgeglichen werden.

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