Nach einem Jahr Kampagne:
"Honestly Concerned"Von Ulrich W.
Sahm, Jerusalem, 18. März 2003
Die Sponsoren einer Konferenz des
BJSD, des Bundes jüdischer Studenten, in
Frankfurt im vergangenen März sparten nicht mit Geld, um den jungen
Menschen ein positives Bild Israels zu vermitteln.
Der israelische Botschafter kam, israelische Minister wurden eingeflogen,
Professor Wolfssohn hielt einen Vortrag und brachte die vorhandenen
Klischees erfolgreich durcheinander. Eingeladen war auch ich, deutscher
Israel-Korrespondent für Medien wie n-tv,
Zeitungen und die
Katholische Nachrichtenagentur. Ganz
subjektiv hatte ich den Eindruck, als wenn nicht die offiziellen
Vorträge diesen Studenten wirklich wichtig waren, sondern das, was im
Flur, während der Pausen oder in der Lobby vor dem Essen beredet wurde.
Viel Verzweiflung wurde da laut, das Gefühl, einer
einseitigen, unfairen und teilweise sogar falschen und
propagandistischen Medienberichterstattung ausgesetzt zu sein. Das
schien diese jungen Studenten mehr zu interessieren als ein gelehrter
Vortrag über die Grenzprobleme Israels oder über die Gefahren des
palästinensischen Terrors. Denn was in
ARD und
ZDF am Abend gezeigt wurde, mit
entsprechendem Kommentar über die "israelischen Verbrechen", bekamen sie
offensichtlich in Form von Beschimpfungen am nächsten Tag auf dem Campus
zu spüren, als seien sie für die Politik Scharons verantwortlich.
Der Vorschlag, Leserbriefe an die Redaktionen zu
schreiben, aber sich tunlichst auf sachliche Kritik zu beschränken und
keine emotionalen pro-israelischen Episteln zu verfassen, wurde von
ihnen dankbar aufgenommen. Erst als die antisemitische Kampagne
Möllemanns zusammen mit den Berichten über das mutmaßliche "Massaker"
der Israelis in Dschenin, von Arafat gar als "Dscheningrad" bezeichnet,
die Lage der Juden in Deutschland aus ihrer Sicht immer prekärer
machte, griff Sacha Stawski aus Frankfurt, der an der BJSD-Konferenz gar
nicht teilgenommen hatte, die "in der Luft liegende" Idee von
Leserbriefkampagnen auf. Er bediente sich dabei des modernsten,
billigsten und einfachsten Kommunikationsmittels, das es heute gibt:
Emails und Verteilerlisten. Technisch zunächst etwas unbeholfen und bei
einigen Bekannten anfangend, begann er, im Internet verbreitete
Zeitungsartikel zu sammeln: Berichte über jüdische Themen,
Auseinandersetzungen mit Möllemann und Artikel über Israel. Er verfolgte
dabei eine doppelte Strategie: einerseits umfassend informieren, indem
er einfach Artikel zu seinen Themen sammelte und als Links oder im
Wortlaut elektronisch verbreitete. Andererseits seine Email-Empfänger zu
Kritik, Leserbriefen, Protesten aufzumuntern, in Fällen, wo schon ein
einfacher Vergleich der Meldungen und Artikel zum gleichen Thema
bewiesen, wer da die Wirklichkeit verdrehte oder tendenziöse Begriffe in
eine ansonsten einwandfreie Berichterstattung einfließen ließ.
Die Emailliste der "aktiven Teilnehmer", die selber
Beiträge sammelten und Sacha zuschickten oder auch mal Kommentare
verfassten, wurde "Honestly Concerned" (aufrichtig besorgt) genannt,
ohne sich jedoch als Klub oder "eingetragener Verein" zu etablieren. Es
reichte die Bitte, auf den Email-Verteiler gesetzt zu werden, um
"Mitglied" zu werden, wobei Herkunft oder Identität nicht geprüft
wurden. So kam da ein buntgewürfelter Haufen von Christen und Juden,
Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und politischer Ausrichtung
zusammen. Ein zweiter Verteiler enthielt die Emailadressen von
Redaktionen, Abgeordneten, Organisationen und anderen, die
"angesprochen" werden sollten.
Ein Jahr später, und "honestly concerned" (hc) ist zu
einer vielbeachteten und teilweise auch öffentlich diskutierten
Einrichtung in Deutschland geworden. Unvermeidbar war die Reaktion eines
kritisierten Journalisten, der in hc eine christlich-jüdische
Fundamentalistenverschwörung deutscher Likudniks sah und mit seiner im
Hessischen Rundfunk veröffentlichten Attacke ("es gibt zu viele Juden in
New York") dieser unverbindlichen Emailliste zusätzliche Publizität
verschaffte. Andere Israel-Korrespondenten und Redaktionen reagierten
sachlich und ernsthaft auf die bei hc geäußerte Kritik oder auf die von
"hc-Mitgliedern" empfangenen Leserbriefe. Da die Leserbriefe wie die
Reaktionen im vollen Wortlaut und unzensiert an hunderte Adressaten per
Email verteilt wurden, wobei viele Empfänger wiederum "Multiplikatoren"
an den Schaltzentralen der Bundesrepublik sind, blieb die Wirkung nicht
aus. Da wurden Institutionen wie die Weltbank aufgefordert, zu erklären,
wieso auf ihren Internet-Seiten alle Länder der Welt mit Adresse und
Büro vertreten sind, nur Israel nicht. Da wurde "Die Welt" darauf
aufmerksam gemacht, dass sie auf einer Nahost-Landkarte "vergessen"
hatte, Israel namentlich zu erwähnen. Agenturberichte wurden auf
Widersprüche und Widerlichkeiten geprüft, was immerhin dazu führte, dass
einer der kritisierten Agenturjournalisten persönlich bei seiner
Kritikerin anrief, sich entschuldigte, Besserung versprach und immerhin
bei hc eine lobende Zusammenfassung des Gesprächs erhielt... bis zur
nächsten Kritik.
Entscheidend bei hc ist wohl die Durchsichtigkeit des
Vorgehens. Es ist offensichtlich, dass die weitergegebenen
Informationen, vor allem die gesammelten Artikel, nicht von einer Hand
zusammengetragen werden können. Da gibt es eine unübersichtliche Anzahl
von freiwilligen Mitarbeitern, die an Sacha schicken, was sie gerade
entdeckt und für interessant befunden haben. Da es Links zu
veröffentlichten Texten im Internet sind, kann hc auch als
spezialisierter "Pressespiegel" zu den Themen Antisemitismus, Israel,
Nahost usw bezeichnet werden. Gelegentlich kommt es zu
Meinungsverschiedenheiten mit Sacha, wenn er gewisse Artikel als "Links
zum Ärgern" einfügt. Die entsprechende Kritik am Vorgehen des vorläufig
einzigen Redakteurs und Betreibers von hc ist in den elektronischen
"Sonderausgaben" nachzulesen.
Was die verzweifelten BJSD Studenten im vergangenen
März so sehr vermissten und wünschten, ist dank der Bemühungen von Sacha
Stawski als Privatinitiative Wirklichkeit geworden. Hc hat inzwischen
sehr viele interessierte Leser und Abnehmer, nicht nur persönlich
betroffene Juden. Auch Pastoren und vor allem verantwortungsbewusste
Deutsche, die sich der Gefahr eines Antisemitismus sowie einer
verfälschenden Berichterstattung voll bewusst sind, lesen die immer
länger und umfangreicher werdenden Emails mit wachsendem Interesse aber
auch mit zunehmender Sorge. Denn was in dieser konzentrierten und
geballten Form von hc allein aus dem deutschen Mediengeflecht im
Internet ausgegraben wird, sollte nicht nur die wenigen deutschen Juden
bedenklich stimmen, sondern auch die verantwortlichen Politiker, die
Kirchen und die demokratischen Parteien in Deutschland.
Besorgte Bürger: [honestly-concerned]
hagalil.com
20-05-03 |