Bei den Kommunal- und Regionalwahlen in
Großbritannien gewinnen die Außenseiterparteien. Vor allem die
rechtsextremen
Von Alex Veit
Jungle World, 07.05.2003
"Wir werden den Ort komplett verändern. Ich hoffe, dass das
Parlament ein bisschen wie das Big-Brother-Haus werden wird und dass die
Menschen fernsehen werden, um mitzubekommen, was passiert. Sie werden
verblüfft sein über die Verrücktheiten, die geschehen werden", versprach
Rosie Kane am Tag nach ihrer Wahl ins schottische Parlament. Falls sie
Wort hält, dürften sich die schottischen Fernsehzuschauer auf
Debattenübertragungen aus dem Parlament in Edinburgh freuen. Das
Amüsement der Abgeordneten der etablierten Parteien hielt sich
angesichts des unerwarteten Erfolgs der linksnationalistischen Scottish
Socialist Party (SSP) allerdings in Grenzen.
Die SSP konnte sich bei den Wahlen zum schottischen Parlament am
vergangenen Donnerstag von einem auf sechs Mandate verbessern, was unter
den Trotzkisten frenetischen Jubel hervorrief und sie die
"Internationale" absingen ließ. Für die allein erziehende Mutter und
Jugendsozialarbeiterin Rosie Kane bedeutet der Wahlerfolg erst einmal
eine finanzielle Erleichterung: "Jetzt kann ich meine Telefonrechnung
und meine Council-Steuer bezahlen, da letzte Woche mein Gehalt nicht
ausgezahlt worden ist." Colin Fox, der ebenfalls neu ins Parlament
gewählt wurde, drohte der schottischen Regionalregierung gar mit einem
Regime Change: "Die SSP hat die schottische Politik am Genick gepackt."
Die Grünen, die sogar einen Sitz mehr als die SSP erreichen konnten,
gaben sich etwas bescheidener und wohl auch realistischer. Ihr
Vorsitzender Robin Harper erklärte, sie hätten einen "Durchbruch"
geschafft. Die Ökopartei konnte wie die SSP wohl von ihrer konsequenten
Ablehnung des Irakkriegs sowie von einer generellen Neigung zu
politischen Außenseitern profitieren.
Neben den linken Parteien schaffte es auch ein Unabhängiger ins
Parlament, dessen einziges Thema der Erhalt seines lokalen Krankenhauses
war, sowie eine Partei, die sich für die Rechte von Rentnern einsetzt.
Von der Schwäche der drei großen britischen Parteien profitierte
allerdings auch die neofaschistische British National Party (BNP), die
sich in den englischen Lokalwahlen um elf auf 15 Sitze verbessern
konnte.
Neben den Erfolgen der Außenseiter war die wichtigste Nachricht der
britischen Lokalwahlen, bei denen am vergangenen Donnerstag neben dem
schottischen und dem walisischen Parlament auch die Lokalverwaltungen in
England und Schottland neu zusammengesetzt wurden, die extrem niedrige
Wahlbeteiligung. Während in Schottland immerhin knapp die Hälfte der
Wahlberechtigten teilnahm, war es im Rest der Insel ein Drittel. Damit
wurden die Tiefstände der vergangenen Jahre noch einmal unterboten.
Insbesondere der walisischen Versammlung, die wie das schottische
Parlament erst seit 1999 existiert, fehlt angesichts ihrer geringen
Vollmachten aus der Sicht von mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten
offensichtlich die nötige Relevanz.
Die größten Misserfolge fuhren die bürgerlichen Separatisten in
Schottland und Wales ein, wo sowohl die Scottish National Party als auch
Plaid Cymru Sitze in den Regionalparlamenten verloren. In beiden
Landesteilen ging Labour als die stärkste Kraft hervor, die in Wales
künftig sogar allein regieren kann. Dies gelang aber vor allem, weil
beide lokalen Ableger der Regierungspartei eine sozial ausgewogenere
Politik als Blairs Londoner Kabinett verfolgen. Trotz der auf den ersten
Blick großen Verluste seiner Labour Party, die insgesamt mehr als 800
Sitze in den Lokalverwaltungen abgeben musste, kann Premierminister Tony
Blair beruhigt sein. Weder gab es für Labour einen erhofften "Baghdad
Bounce" für den erfolgreichen Irakkrieg noch gab es den befürchteten
"Baghdad Backlash" der enttäuschten Kriegsgegner unter den Wählern.
Zwar ging in Birmingham die Mehrheit in der zweitgrößten englischen
Stadt verloren, was möglicherweise der Wahlenthaltung der muslimischen
Bevölkerung geschuldet ist. Doch viel wichtiger für Blair ist wohl der
nur relative Erfolg der Konservativen Partei, an deren Spitze sich wohl
der glücklose Parteiführer Ian Duncan Smith halten wird. Smith selbst
zeigte sich nach der Wahl erfreut und wettete sogar 100 Pfund auf einen
Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen. Die Quote von vier zu eins war
allerdings sehr optimistisch, denn selbst die zerstrittenen Tories gehen
davon aus, dass der harmlose Duncan Smith niemals Premierminister werden
wird.
Da sie nun allerdings 35 Prozent der Stimmen in England gewannen und
die Mehrzahl der lokalen Abgeordneten stellen, wird es vorerst auch
keine Revolte gegen ihn innerhalb der Parlamentsfraktion geben. Die
Freude über die begrenzten Gewinne der Tories wurde allerdings noch vor
ihrer Bekanntgabe durch den Rücktritt des Schattenministers der
Konservativen für Energie und Wissenschaft, Crispin Blunt, vermiest.
Dieser warf Smith vor, nicht die nötige "Wirkung" als möglicher
künftiger Premierminister zu erzielen und ein "Handicap" für die Partei
zu sein. Smith bezeichnete den perfekt inszenierten Rücktritt des
bislang weitgehend unbekannten Blunt als "irrelevant".
Irrelevant für die Londoner Politik, aber möglicherweise folgenreich
für das lokale politische Klima dürften die Erfolge der British National
Party in den Midlands von England sein. In Burnley, wo es vor zwei
Jahren zu mehrtägigen Auseinandersetzungen zwischen Neofaschisten und
Jugendlichen mit migrantischem Hintergrund gekommen war, stellt die BNP
nun die zweitstärkste Fraktion. "Die Menschen in Burnley sind nicht
rassistischer als in anderen britischen Gemeinden.
In der Stadt haben die besonderen Umstände, vor allem die Enttäuschung
über die Lokalverwaltung sowie der Niedergang der Tories, der BNP die
Chance gegeben, hereinzukriechen", analysierte der Vorsitzende der
Kommission für "Racial Equality", Trevor Phillips, das Ergebnis.
Tatsächlich haben in Burnley die Menschen aus den Arbeitervierteln
mehrheitlich wieder für Labour gestimmt. Gewählt wurde die BNP hingegen
in bürgerlichen Vierteln. Drastischer als Phillips drückte sich Shahid
Malik aus dem Labour-Vorstand aus: "Sie verbreiten sich wie Krebs über
das Land." Die BNP versucht seit Jahren, durch einen sich modern
gebenden Rassismus und soziale Rhetorik bei Lokalwahlen Erfolge zu
erzielen. Doch der Parteivorsitzende Nick Griffin konnte in Oldham, wo
die BNP vor zwei Jahren ebenfalls die rassistische Stimmung angeheizt
hatte, keinen Sitz erlangen. In Sunderland, wo die Partei die meisten
Kandidaten aufgestellt hat, gewann sie ebenfalls keine Mandate. Alison
Dawson von der "Sunderland Coalition for Unity and Harmony in the
Community", die seit zwei Monaten eine Kampagne gegen die BNP führt,
warnte davor, die Neofaschisten deshalb zu unterschätzen: "Es ist
wichtig, dass wir vermitteln können, dass die BNP nach ihren eigenen
Aussagen erst am Anfang steht."
Die Tories und die Labour Party hatten sich bereits vor der Wahl
gegenseitig beschuldigt, für die Erfolge der BNP verantwortlich zu sein.
Die Konservativen argumentierten, die angeblich "chaotische" Asylpolitik
Labours sei schuld an der Misere. Labour-Politiker kritisierten hingegen
den offen rassistischen Wahlkampf von einigen Tory-Ortsverbänden. Beide
Parteien hetzen allerdings seit Jahren gemeinsam mit rechten
Boulevardblättern gegen Flüchtlinge, betonen jedoch, diese Politik
richte sich nicht gegen die ethnischen Minderheiten im Land. In Burnley
haben viele Wähler aber andere Schlüsse gezogen und mit der BNP lieber
gleich das Original unterstützt.