Die Sudetendeutsche Landsmannschaft hat in Prag ein Büro eröffnet.
Tschechische Politiker überlegen, wie man es wieder schließen kann
Von Jörg Kronauer
Jungle World, 09.04.2003
Am coolsten reagierte der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus.
Er sei doch "sehr überrascht" über die jüngsten Verlautbarungen von
Bernd Posselt, dem Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft.
Dessen neuester Coup, erklärte er in der Prager Zeitung Pravo, sei ganz
einfach "unpassend und unnötig". Was Klaus mit ruhigen Worten abtat,
versetzte die Mehrheit der Prager in Aufregung. Am 25. März eröffnete
die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die von sich behauptet, 250 000
Vertriebene zu repräsentieren, eine Vertretung in Prag. Von dem Büro aus
soll den sudetendeutschen Interessen in der tschechischen Gesellschaft
zum Durchbruch verholfen werden. Die Landsmannschaft fordert die
Annullierung der Benes-Dekrete, die in Tschechien Verfassungsrang
besitzen, Sonderrechte für Sudetendeutsche und die Rückgabe ehemaligen
Eigentums, das in Folge des Zweiten Weltkriegs konfisziert wurde.
In Prag halten die meisten Beobachter die Eröffnung des Büros für einen
Versuch, die tschechische Souveränität zu untergraben. Und da der Akt
von der internationalen Politik und Diplomatie wohlwollend begleitet
wird, sprechen sie von einem Skandal. Sie verweisen auf die
Eröffnungsfeierlichkeiten, die die aus Deutschland angereiste
Führungsriege der Sudetendeutschen Ende März in Prag abhielt. Unter den
150 Anwesenden befanden sich einflussreiche Persönlichkeiten. Neben
prominenten tschechischen Vertretern der Kirchen - darunter ein
Erzbischof - fielen vor allem Angehörige der in Prag tätigen deutschen
parteinahen Stiftungen auf. Anerkennung für das kaum verhohlen
antitschechische Projekt kam auch von staatlichen Stellen. Die
Botschaften Deutschlands, Österreichs und Ungarns entsandten
Abordnungen, der Apostolische Nuntius vertrat den Vatikan. Der Prager
EU-Botschafter kam sogar persönlich vorbei.
Posselt, der als Provokateur bekannt ist, nutzte die Gunst der Stunde.
Das neue Büro seiner Landsmannschaft sei nicht einfach ein Büro,
erklärte er der anwesenden Prominenz unmissverständlich. Es sei die
"Botschaft der Sudetendeutschen". Deutlicher hätte er nicht ausdrücken
können, dass er für die Außenstelle der Zentrale der Sudetendeutschen in
München quasistaatliche Legitimität beansprucht.
Empörung macht sich seitdem in der Tschechischen Republik breit. Nur
die liberale, an der Regierung beteiligte Freiheitsunion arbeitet mit
Posselts "Botschaft" zusammen. Aus allen anderen Parteien sind
Unmutsäußerungen zu hören, selbst aus der christdemokratischen KDU-CSL,
die auf langjährige Kontakte zu den Sudetendeutschen verweisen kann.
Besonders deutlich äußerten sich Vertreter der konservativen
Oppositionspartei ODS, die schon am Tag der Eröffnung laut darüber
nachdachten, ob das Büro nicht tschechischem Recht widerspreche. Der
tschechische Innenminister Stanislav Gross hat diesen Hinweis inzwischen
aufgenommen. Tatsächlich habe die Sudetendeutsche Landsmannschaft bei
den Formalitäten zur Gründung ihres Büros tschechische Gesetze umgangen,
erklärte er drei Tage nach der Eröffnung. Das Innenministerium werde
daher die Zulassung verweigern. Er wolle gegenüber den Sudetendeutschen
standhaft die Interessen der Tschechischen Republik vertreten, gelobte
Gross zudem auf dem Parteitag der regierenden Sozialdemokraten.
Heftige Vorwürfe bekam dort auch sein Parteifreund Senator Frantisek
Mezihorak zu hören, der an den Eröffnungsfeierlichkeiten des
umstrittenen Büros teilgenommen hatte. Er habe "nur eine Minute lang"
mit Posselt über das Wetter gesprochen, versuchte sich der
Deutschland-Experte der CSSD herauszureden. Es half ihm nichts. Der
Parteitag verabschiedete eine Resolution, in der seine Anwesenheit auf
der Veranstaltung ausdrücklich verurteilt wurde. Besonders engagierte
sich der Parlamentsabgeordnete Robert Kopecky, der aus dem von den
Deutschen besonders schlimm heimgesuchten Norden Tschechiens stammt. Er
zog sogar Demonstrationen gegen die Sudetendeutschen in Erwägung. Die
erste Demonstration gegen ihr Büro hat inzwischen stattgefunden, mit
recht geringer Beteiligung der Bevölkerung.
Organisiert wurde sie allerdings nicht von der Sozialdemokratie,
sondern von der kleinen nicht im Parlament vertretenen Nationalpartei.
Sie ist bisher auch am konsequentesten gegen die Aktivitäten der
Landsmannschaft vorgegangen und hat Anzeige gegen das Prager Büro
erstattet. Und zwar nicht mit der Begründung, dass Formalien nicht
eingehalten wurden, wie der Innenminister andeutete, sondern wegen
Landesverrats, Unterstützung des Faschismus sowie Anstachelung zu
Nationalismus und Rassenhass.
Unterdessen arbeitet Posselt auch im Europaparlament, wohin er von der
CSU geschickt wurde, fleißig gegen die Tschechische Republik. Vor
wenigen Wochen stimmte er im Außenpolitischen Ausschuss gegen die
Aufnahme Tschechiens in die EU, um seinen Unwillen über den Fortbestand
der Benes-Dekrete kundzutun. Das ist keine Lappalie, denn an Posselt
kommen tschechische Politikerinnen und Politiker bei den
Auseinandersetzungen um den Beitritt zur Europäischen Union nicht
vorbei. So ist er stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses
Tschechisches Parlament - Europaparlament, der die
Beitrittsverhandlungen begleitet. Erst kürzlich ist sein Mandat im
einflussreichen deutsch-tschechischen Koordinierungsrat von
Außenminister Joschka Fischer verlängert worden. Auf Posselts Initiative
kam auch eine sehr spezielle Anhörung zu den Benes-Dekreten zustande,
die die christdemokratische Europäische Volkspartei im Europaparlament
abhielt. Zwei Gutachter urteilten über die tschechischen
Verfassungsdokumente. Einer von ihnen, Dieter Blumenwitz, arbeitet seit
Jahrzehnten für die deutschen Vertriebenen. Zudem erschienen mehrere
Artikel von ihm in der Zeitschrift Deutschland in Geschichte und
Gegenwart, die als Forum namhafter Repräsentanten des
internationalen Netzwerks der Holocaust-Leugner gilt. "Rassistisch"
seien die Benes-Dekrete, urteilte Blumenwitz vor den versammelten
Europaabgeordneten, teilweise sogar "menschenrechtswidrig und
menschenrechtsverachtend".
Wie auch immer der Streit um das Büro in Prag ausgehen wird: Dass die
deutsche Botschaft in Prag bei den Eröffnungsfeierlichkeiten vertreten
war, kann als ein Beleg dafür gelten, dass Posselt seine Provokationen
mit Unterstützung aus dem Berliner Auswärtigen Amt betreibt. Die
deutsche Regierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass die große
Abrechnung mit der Tschechischen Republik noch bevorsteht. Vaclav Klaus
wird noch viele Gelegenheiten wahrnehmen müssen, um "unpassende und
unnötige" Avancen abzuwehren.