Narrenfreiheit für die Hamas:
Ein deutsches Schweigen
Die Vorfahren der islamischen
Hamas arbeiteten gern mit den Nazis zusammen. Ein Umstand, den die
deutsche Linke in ihrer Nahostsolidarität gerne ausblendet
Von Matthias Küntzel
Zeitpunkt und Örtlichkeit waren präzise bestimmt: Am 9.
November 1969 sollte die von den Tupamaros Westberlin platzierte Bombe
das Jüdische Gemeindezentrum in der Berliner Fasanenstraße zerstören und
die Apo, so Dieter Kunzelmann, einer ihrer Protagonisten, von der
"Vorherrschaft des Judenkomplexes" befreien. "Der wahre Antifaschismus",
so stand es im Bekennerbrief zu lesen, "ist die klare und einfache
Solidarisierung mit den kämpfenden Fedajin."
Während der Sprengsatz rechtzeitig entschärft werden konnte,
zündete die Parole mit umso stärkerer Wucht: Keine Linke in Europa
identifizierte sich stärker mit den antiisraelischen Fedajin als die
deutsche.
Angetrieben vom Pathos des gerechten, antifaschistischen
Kampfs hatte sie eines jedoch beharrlich ignoriert: die Tatsache, dass
es zeitgleich auch deutsche Nazis in palästinensische Wehrsportlager
zog. Man hat dies nicht beachtet, also hat es nicht gestört. Gänzlich
unerhellt blieb so der historische Kontext, der den Antizionismus der
Nazis mit dem der neuen Linken verband.
Seit 1920 lag mit der
deutschen Version der "Protokolle der Weisen von Zion" die ideologische
Grundlage des nationalsozialistisch geprägten Antizionismus auf dem
Tisch. Von zaristischen Geheimagenten um die Jahrhundertwende fingiert,
lieferten die Protokolle den "Beweis", das alles Übel dieser Erde auf
die "jüdische Weltverschwörung" zurückzuführen sei. 1921 zog
NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg in seinem Buch "Der staatsfeindliche
Zionismus" die Schlussfolgerung: "Zionismus ist [] ein Mittel für
ehrgeizige Spekulanten, sich ein neues Aufmarschgebiet für
Weltbewucherung zu schaffen."
Adolf Hitler führte diese Verschwörungsfantasie in "Mein
Kampf" 1925 aus: Die Juden "denken gar nicht daran, in Palästina einen
jüdischen Staat aufzubauen, [] sondern sie wünschen nur eine mit eigenen
Hoheitsrechten ausgestattete [] Organisationszentrale ihrer
internationalen Weltgaunerei".
Im selben Jahr wurde eine arabische Übersetzung der
"Protokolle" auch in Palästina publiziert. Dort war der für seine
spätere Kooperation mit den Nationalsozialisten berüchtigte Mufti von
Jerusalem, Amin al-Husseini, höchste politisch-religiöse Autorität.
Keiner hatte die muslimisch-jüdische Konfrontation in Palästina
erfolgreicher geschürt als dieser religiöse Politiker.
Wer sich dessen antijüdischen Vorgaben nicht beugte, wurde in
den Freitagsgebeten der Moscheen namentlich denunziert und bedroht.
Stolz schilderte al-Husseini später in einem Brief an Adolf Hitler, wie
er in unermüdlicher Anstrengung dafür gesorgt habe, dass "die
Palästinafrage alle arabischen Länder im gemeinsamen Hass gegen die
Engländer und Juden vereinigt".
Unermüdlich bot der Mufti von 1933 der Naziregierung seine
Dienste an. Doch erst 1937 wurde dieses Werben honoriert. Den Anlass
lieferte der vom Mufti initiierte "arabische Aufstand" gegen die
jüdische und britische Präsenz in Palästina.
Diese Erhebung fand zwischen 1936 und 1939 im Zeichen des
Hakenkreuzes statt: Arabische Flugzettel und Mauerinschriften waren
häufig mit dem Nazisymbol versehen, die Jugendorganisation der vom Mufti
geführten Partei paradierte unter der Bezeichnung "Naziscouts", und
selbst arabische Kinder hießen sich mit dem "deutschen Gruß" willkommen.
Wer in jenen Jahren durch die aufständischen Gebiete Palästinas fahren
musste, befestigte an seinem Fahrzeug eine Hakenkreuzfahne, um vor
Überfällen arabischer Freischärler geschützt zu sein.
Besonders wohlwollend wurden in zeitgenössischen
Darstellungen deutscher Naziautoren islamistische Terrorpraktiken
kommentiert, die der Mufti in den von ihm kontrollierten Gebieten
anordnete: Umgehend wurde liquidiert, wer sich dem Schariarecht und der
vom Mufti erlassenen antiwestlichen Kleiderordnung nicht unterwarf.
Zielgerichtet wurden darüber hinaus diejenigen Politiker in
Palästina umgebracht, die auf Zionisten nicht schießen, sondern mit
ihnen verhandeln wollten. "Der Mufti schaltete bewusst mit äußerster
Härte seine Gegner innerhalb des palästinensischen Lagers aus", schreibt
der Nahostwissenschaftler Abraham Ashkenasi. "Innerhalb des
palästinensischen Lagers ist es zu mehr Mord und Totschlag gekommen als
gegen Juden und gegen Briten." Nicht der Kampf gegen die britische
Mandatsherrschaft, sondern die Beseitigung der gegenüber den Juden
gesprächsbereiten Palästinenser hatte Priorität.
Seit 1937 wurde dieser "heilige Krieg" des Muftis auch von
Nazideutschland mit finanziellen Mitteln und Waffenlieferungen
unterstützt, wie Klaus Gensicke in seiner 1988 veröffentlichten
Dissertation "Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die
Nationalsozialisten" betont: "Der Mufti gab selbst zu, dass es
seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel
möglich war, den Aufstand in Palästina durchzuführen. Von Anfang an
stellte er hohe finanzielle Forderungen, denen die Nazis in sehr großem
Maße nachkamen."
Stets wurden in den Texten der
deutschen Linken die Ausschreitungen jener Jahre von allen Nazismen
reingewaschen. Denn es hätte das Bild des vom Antisemitismus freien
Kampfes der Palästinenser gegen Israel eingetrübt. Stattdessen hat man
sie als "Guerillakrieg und palästinensischer Widerstand"
(Marxistische Blätter), als "bewaffnete Revolution"
(al-Karamah)
oder als "arabische Revolte, mit der die Massen der Bauern [] gegen die
zionistische Implantation in ihrem Lande rebellierten" (Helga
Baumgarten), glorifiziert.
Mit fast denselben Worten, mit denen 1941 der Nazipublizist
Giselher Wirsing den Mufti als "hervorstechenden Führer" und
"hervorragenden Propagandisten" in seinem Buch "Engländer, Juden, Araber
in Palästina" rühmte und dessen Gegenspieler wegen ihrer liberalen
Haltung Engländern und Juden gegenüber kritisierte, wurde fünfzig Jahre
später in Baumgartens Studie "Palästina: Befreiung in den Staat" der
Mufti als "der charismatische und einflussreiche Führer an der Spitze
der Bewegung" gerühmt. Ihr Urteil über dessen liberale Widersacher fiel
hingegen geradezu vernichtend aus.
Heute setzt sich das Schweigen über die NS-Verbindung des
Muftis als Schweigen über den islamistischen Antisemitismus fort. Nehmen
wir das Beispiel der palästinensischen Widerstandsbewegung Hamas. 1987
wurde sie mit Beginn der ersten Intifada als islamistische Konkurrenz
zur PLO Jassir Arafats gegründet. 1994 inszenierte die hauptsächlich von
Saudi-Arabien finanzierte Organisation ihre erste Serie suizidaler
Massenmorde gegen israelische Zivilisten.
Seit Beginn der zweiten Intifada im Januar 2001 führte die
Hamas die meisten der etwa sechzig Selbstmordattentate in überfüllten
Bussen, Restaurants oder Diskotheken durch. Diese Radikalität
verschaffte ihr ideologische Dominanz: In allen Meinungsumfragen der
letzten Monate erreichte Ahmed Jassin, der Führer der Hamas, nach Jassir
Arafat Platz zwei. Im Februar dieses Jahres gab die Organisation
erstmalig bekannt, die palästinensische Autonomiebehörde jederzeit
übernehmen zu können. In den USA ist die Hamas als terroristische
Organisation längst verboten.
In Deutschland genießt sie hingegen Narrenfreiheit: Hier darf
sie Gelder sammeln und ungehindert agitieren. Seit dem 11. September
2001 wird diese "Befreiungsbewegung" verstärkt auch von deutschen Nazis
als der "natürliche Verbündete" im Widerstand gegen die "US-Terroristen"
und deren "Befehlsgeber" in Israel hofiert.
In Worten und in Taten knüpft die Hamas an das Muftierbe der
Zwanziger- und Dreißigerjahre an. Erstens hat auch sie die Widersacher
ihrer islamistischen Koraninterpretation immer wieder töten lassen;
allein für den Zeitraum der ersten Intifada (1987 bis 1993) sind über
940 Morde an so genannten "Kollaborateuren" dokumentiert.
Zweitens setzt sie die Obstruktionspolitik des Muftis gegen
jede friedliche Lösung in der Region beharrlich fort. Ihr letztes
Massaker von Januar 2003, dem 24 Israelis zum Opfer fielen, diente dem
erklärten Zweck, einen Wahlsieg Amram Mitznas, dem Kandidaten der
Arbeiterpartei, zu torpedieren.
Drittens hat auch die Hamas den Antisemitismus der Nazis
übernommen. So werden in ihrer bis heute gültigen Charta von 1988 die
Juden als das Weltübel par excellence halluziniert und nicht nur für die
Französische Revolution und den Ersten Weltkrieg, sondern auch für den
Zweiten Weltkrieg, die Ausbeutung der Dritten Welt und die Verbreitung
von Rauschgift exklusiv verantwortlich gemacht (siehe
Randspalte auf dieser Seite). Folgerichtig werden in Artikel 32 der
Charta die "Protokolle der Weisen von Zion" als seriöses Dokument
präsentiert.
Man möchte derartigen Irrsinn ebenso wenig ernst nehmen, wie
einst das Gebrabbel eines Adolf Hitler verspottet wurde. Doch eben die
Enthumanisierung der Juden und ihre Dämonisierung zu Menschheitsfeinden
ist es, die der islamistischen Begeisterung über Massenmorde an
israelischen Zivilisten das Motiv verleiht. Man will es erneut nicht
beachten, damit es keinen stört: Bis heute hat die Charta der Hamas bei
der Motivforschung für die "Selbstmord"-Attentate gegen Israelis nicht
die geringste Rolle gespielt. Bis heute werden Einsicht und Erkenntnis
über diese Form von Antisemitismus, die mit der nationalsozialistischen
Leiche im deutschen Keller in so offenkundig inniger Beziehung steht,
blockiert.
Damit aber wird zugleich der Blick auf den Antisemitismus des
Terroranschlags vom 11. September 2001 und der Organisation al-Qaida
verwehrt: In ihren antisemitischen Fantasiesystemen - dem Traum von
Homogenität und der Wut auf Differenz - stimmen die Charta der Hamas und
das Programm von al-Qaida vollständig überein. Ussama Bin Laden zufolge
hat der jüdische Feind "Amerika und den Westen als Geisel genommen". Im
Oktober 2002 erklärte er in einem Brief an das amerikanische Volk: "Die
Juden beherrschen alle Bereiche eures Lebens und [] verfolgen ihre Ziele
auf eure Kosten." Als Instrumente jüdischer Unterwanderung, von der Bin
Laden auch die Amerikaner offenkundig befreien will, werden "die
immoralischen Akte der Unzucht, der Homosexualität, der Rauschmittel,
der Glücksspiele und des Zinshandels" angeführt.
Es ist gerade diese Reinigungs- und Erlösungsmission, die den
Antisemitismus der Islamisten zu einem eliminatorischen macht und den
Hass auf Juden (und jeden, den sie dafür halten) größer werden lässt als
die Furcht vor dem eigenen Tod. Vollkommen zutreffend hat der
Islamwissenschaftler Bassam Tibi kritisiert, dass man in Deutschland von
der antisemitischen Dimension des 11. September wenig sehen und gar
nichts wissen will. "Erst wenn die deutsche Öffentlichkeit dieser
Bedrohung in angemessener Weise entgegentritt, wird man davon sprechen
können, dass sie die Lehren aus der deutschen Vergangenheit wirklich
verstanden hat."
Mehr als dreißig Jahre nach
dem vereitelten Attentat der Tupamaros Westberlin erlangt aber eben jene
Position gesellschaftliche Dominanz, der Kunzelmann einst Ausdruck
verlieh, als er vom "Judenkomplex" sprach: dass jede weitere Belastung
mit der Nazivergangenheit nur als krank, als ein "Komplex" eben,
anzusehen sei, während der gesunde Mensch in der deutschen Gegenwart und
ihren praktischen Zwecken aufzugehen habe.
Wenn auch die Betonung des israelischen Existenzrechts heute
zum guten Ton gehört, scheint sich die Linke der
Achtundsechzigergeneration in ihrer Ignoranz gegenüber den
kontinuitätsträchtigen Aspekten der deutschen Geschichte noch am ehesten
treu geblieben zu sein. Solange sie antijüdischen Terror als
"Verzweiflungstaten" romantisiert, solange Islamisten ihre Massaker an
der Seite links- wie rechtsradikaler Antiimperialisten besingen können,
wie dies auf Demonstrationen in Berlin kürzlich geschah - so lange kann
von einem Sinneswandel keine Rede sein.
MATTHIAS KÜNTZEL, Jahrgang 1955,
Politikwissenschaftler, lebt in Hamburg. Jüngste Buchveröffentlichung:
"Djihad und
Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg".
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