Beschluss des Bundesverfassungsgerichts:
NPD-Verbotsverfahren eingestellt
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 22/2003 vom 18. März 2003
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute die
NPD-Verbotsverfahren eingestellt.Zum Sachverhalt: Die 1964
gegründete NPD, die Antragsgegnerin (Ag), erzielte bei einzelnen
Landtagswahlen zwischen 1966 und 1968 Wahlergebnisse zwischen 5,8 v.H.
und 9,8 v.H.. 1969 erreichte sie mit einem Zweitstimmenanteil von 4,3
v.H. ihr bestes Bundestagswahlergebnis. Seither errang sie bei keiner
Landtags- oder Bundestagswahl mehr ein Mandat. Bei den Bundestagswahlen
1998 und 2002 erzielte die Ag jeweils 0,3 v.H. und 0,4 v.H. der
abgegebenen gültigen Zweitstimmen und bei den letzten Europawahlen 1999
0,4 v.H. der abgegebenen gültigen Stimmen. 1996 verfügte sie nach
eigenen Angaben noch über 3240 Mitglieder. Nach der Wahl von Udo Voigt
zum Parteivorsitzenden im März 1996 stieg die Zahl ihrer Mitglieder bis
2001 auf 6500.
Am 30. Januar und 30. März 2001 beantragten Bundesregierung,
Bundestag und Bundesrat (Antragsteller; ASt) beim BVerfG die
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Ag und die Auflösung ihrer
Parteiorganisation. Sie halten die Ag für verfassungswidrig. Die Ag gehe
nach ihren Zielen und nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf aus, die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Sie sei in
ihrem Gesamtbild nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistisch sowie
antidemokratisch geprägt. Die Ag hält die Anträge für unzulässig und
unbegründet.
Laut Beschluss vom 1. Oktober 2001 hat der Senat entschieden, die
mündliche Verhandlung durchzuführen. Im Januar 2002 hat der Senat
Kenntnis davon erhalten, dass ein Funktionär der Ag, dessen Äußerungen
mehrfach zur Stützung der Verbotsanträge herangezogen worden sind,
V-Mann eines Landesamts für Verfassungsschutz ist. In der Folgezeit
haben die ASt erklärt, dass die Ag durch V-Leute des Verfassungsschutzes
beobachtet werde. Auch auf der Ebene der Vorstände der Ag gebe es
V-Leute.
Nachdem der Senat die sich aus der nachrichtendienstlichen
Beobachtung der Ag ergebenden Fragen am 8. Oktober 2002 mit den
Verfahrensbeteiligten erörtert hatte, hat die Ag sinngemäß die
Einstellung des Verfahrens beantragt. Die ASt hätten durch die V-Leute
die Möglichkeit, von ihrer internen Planung der Prozessführung Kenntnis
zu erlangen. Das Verbotsverfahren sei deshalb rechtsstaatlich nicht mehr
durchführbar. Die ASt haben erklärt, dass eine unzulässige Ausforschung
der Prozessstrategie der Ag nicht stattgefunden habe. Ein
Prozesshindernis liege nicht vor. Wegen der weiteren Prozessgeschichte
wird auf die Pressemitteilung
Nr. 15/2003 vom 26. Februar 2003 hingewiesen.
1. In den Gründen der Entscheidung des Senats heißt es:
Das Verfahren kann nicht fortgeführt werden, weil der
Einstellungsantrag der Ag nicht die für eine Ablehnung erforderliche
qualifizierte Zweidrittelmehrheit gefunden hat. Vier Richter sind der
Auffassung, dass ein Verfahrenshindernis nicht besteht. Drei Richter
sind der Auffassung, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis
vorliegt.
Nach § 15 Abs. 4 BVerfGG bedarf in einem Parteiverbotsverfahren eine
dem Antragsgegner nachteilige Entscheidung in jedem Fall einer Mehrheit
von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats. Mindestens sechs des aus
acht Richtern bestehenden Senats müssen eine nachteilige Entscheidung
gegenüber dem Antragsgegner tragen. Nachteilig ist grundsätzlich jede
Entscheidung, die die Rechtsposition des Antragsgegners verschlechtern
oder sonst negativ beeinflussen kann.
Die Ablehnung des Antrags auf Einstellung des Verfahrens ist eine für
die Ag nachteilige Entscheidung. Bereits der Wortlaut der Vorschrift des
§ 15 Abs. 4 BVerfGG macht deutlich, dass eine qualifizierte Mehrheit
erforderlich ist, um einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen
eines Verfahrenshindernisses abzulehnen; er schreibt bei einer
nachteiligen Entscheidung "in jedem Fall" eine Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Senats vor. Zudem trägt das Erfordernis der
qualifizierten Mehrheit der hervorgehobenen verfassungsrechtlichen
Stellung der politischen Parteien und ihrer erhöhten Schutz- und
Bestandsgarantie Rechnung. Da Parteien durch die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit und die Auflösung ihrer Organisation von der
freien Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes
ausgeschlossen werden, bedürfen gerichtliche Entscheidungen zum Nachteil
einer Partei in einem Verbotsverfahren einer besonderen Legitimation.
Dieser Regelungszweck erfasst jedenfalls auch Entscheidungen über das
Vorliegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses. Würde das
BVerfG die Einstellung des Verfahrens ablehnen, weil ein
Verfahrenshindernis nicht vorliegt, müsste das Parteisverbotsverfahren
fortgesetzt und eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden. Darin
läge eine eigenständige Belastung für die betroffene Partei. Eine
Minderheit von drei Richtern ist der Auffassung, infolge mangelnder
Staatsfreiheit der Ag auf der Führungsebene sowie mangelnder
Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der
Partei bestehe ein nicht behebbares Hindernis für die Fortführung des
Verfahrens. In Anbetracht des Erfordernisses der qualifizierten Mehrheit
steht danach fest, dass die Parteiverbotsanträge nicht zum Erfolg
geführt werden können. Eine Fortführung des Verfahrens wäre deshalb
rechtsstaatlich nicht vertretbar und der Ag nicht zuzumuten.
Der Einstellungsbeschluss ist eine Prozess- und keine
Sachentscheidung. Den Rechtsansichten der Minderheit und der Mehrheit
der Richter kommt deshalb keine Bindungswirkung zu.
2. Die Richter Hassemer und Broß sowie die Richterin Osterloh sind
der Auffassung, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
Im Parteiverbotsverfahren wurde das Gebot strikter Staatsfreiheit der
Ag rechtsstaatswidrig verfehlt. Dieser Mangel ist nicht behebbar.
Derzeit sind auch keine Gründe erkennbar, die die Fortsetzung des
Parteiverbotsverfahrens dennoch ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Im
Einzelnen führen die drei Richter aus:
a) Bei der Durchführung gerichtlicher Verfahren gelten
rechtsstaatliche Mindestanforderungen: Kein staatliches Verfahren darf
einseitig nur nach Maßgabe des jeweils rechtlich bestimmten
Verfahrenszwecks ohne Rücksicht auf mögliche gegenläufige
Verfassungsgebote und auf mögliche übermäßige rechtsstaatliche Kosten
einseitiger Zielverfolgung durchgeführt werden. Die Durchsetzung jedes
staatlichen Verfahrensinteresses muss im Konflikt mit gegenläufigen
verfassungsrechtlichen Rechten, Grundsätzen und Geboten als
vorzugswürdig nach Maßgabe der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit
gerechtfertigt sein. Dem BVerfG kommt dabei im Parteiverbotsverfahren
eine Garantenstellung für die Wahrung der rechtsstaatlichen
Anforderungen zu. Die Annahme eines Verfahrenshindernisses mit der Folge
sofortiger Verfahrenseinstellung kommt nur als ultima ratio möglicher
Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen und unter folgenden
Voraussetzungen in Betracht: Es muss ein Verfassungsverstoß von
erheblichem Gewicht vorliegen. Dieser bewirkt einen nicht behebbaren
rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des Verfahrens, so dass
dessen Fortsetzung auch bei einer Abwägung mit den staatlichen
Interessen an wirksamem Schutz gegen die von einer möglicherweise
verfassungswidrig tätigen Partei ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich
nicht hinnehmbar ist.
Die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher
Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines
Landesvorstands fungieren, unmittelbar vor und während der Durchführung
eines Parteiverbotsverfahrens ist in der Regel unvereinbar mit den
Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren. Staatliche Präsenz auf
der Führungsebene einer Partei macht Einflussnahmen auf deren
Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar. In einem
Parteiverbotsverfahren schwächen Mitglieder der Führungsebene, die mit
einander entgegengesetzten Loyalitätsansprüchen des staatlichen
Auftraggebers und der observierten Partei konfrontiert sind, die
Stellung der Partei als Antragsgegner vor dem BVerfG im Kern. Für
diese Wirkung reicht die bloße Präsenz "doppelfunktionaler", sowohl mit
dem Staat als auch mit der Partei rechtlich und faktisch verknüpfter
"Verbindungs-" Personen aus. Auf die tatsächliche Information der ASt
über die Prozessstrategie der Partei im Verbotsverfahren kommt es nicht
an.
Vor diesem Hintergrund braucht das verfassungsgerichtliche
Parteiverbotsverfahren ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz,
Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des Verfahrens. Dies gilt auch für
das zu beurteilende Tatsachenmaterial. Damit das BVerfG seiner Aufgabe,
ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten, nachkommen kann,
müssen die zur Antragstellung berechtigten Verfassungsorgane die ihnen
zugewiesene Verfahrensverantwortung erkennen und wahrnehmen. Sie müssen
durch sorgfältige Vorbereitung die notwendigen Voraussetzungen für die
Durchführung eines Verbotsverfahrens schaffen und ausschließen, dass
Personen mit ihren Äußerungen als Teil des Bildes einer
verfassungswidrigen Partei präsentiert werden, die
nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhalten
oder unterhalten haben, ohne dies kenntlich zu machen und so die daraus
folgenden Zurechnungsprobleme offenzulegen.
Ob ein Verstoß gegen diese Erfordernisse der Verfahrensgestaltung zu
einem nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden führt, lässt sich nicht
generell abstrakt beantworten. Es kommt auf die konkrete
Verfahrenssituation und die Gefahrensituation, auf die eine mögliche
Einstellung des Verfahrens trifft, an. Bei einem nicht behebbaren
rechtsstaatlichen Mangel wird das Verfahren nur ín ganz
außergewöhnlichen Gefahrensituationen fortgesetzt werden können. Bei der
Gesamtabwägung ist von Bedeutung, dass die Einstellung des
Verbotsverfahrens keine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit
zukünftiger Verbotsanträge ist. Erneute Anträge bleiben vielmehr ohne
Weiteres möglich, sie müssen insbesondere nicht "auf neue Tatsachen
gestützt" sein.
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die Art und
Intensität der Beobachtung der Ag durch die Verfassungsschutzbehörden
nicht gerecht. Von Staatsfreiheit der Führungsebenen der Ag nach
Einleitung des Verbotsverfahrens kann keine Rede sein. Nach Überzeugung
aller Mitglieder des Senats bestanden unmittelbar vor und auch noch nach
Eingang des Verbotsantrags der Bundesregierung nachrichtendienstliche
Kontakte mit Mitgliedern der Ag im Bundesvorstand und in
Landesvorständen. Nach Angaben der ASt gibt es auf der Ebene der
Vorstände V-Leute, deren prozentualer Anteil an drei überprüften
Stichtagen jeweils unter fünfzehn Prozent gelegen habe. In den
Landesvorständen seien im Schnitt jeweils ein bis zwei V-Leute. Auf der
Ebene des Bundesvorstands führte jedenfalls der Bund seine
nachrichtendienstlichen Kontakte nach Antragstellung fort. Der Kontakt
mit einem V-Mann und Mitglied des Bundesvorstands wurde erst lange nach
Eingang aller drei Verbotsanträge beendet. Außerdem soll die NPD in dem
Zeitraum von 1996 bis 2002 ständig Beobachtungsobjekt der
Verfassungsschutzämter in Bayern, Berlin und Hessen gewesen sein.
Schließlich wurde ein Mitglied des Bundesvorstands der Ag selbst nach
Stellen der Verbotsanträge mit dem Ziel der Anwerbung angesprochen, um
die Ag auf Vorstandsebene zu beobachten.
Die Antragsbegründungen sind auch zweifelsfrei in nicht unerheblicher
Weise auf Äußerungen von Mitgliedern der Ag gestützt, die als V-Leute
für staatliche Behörden tätig sind oder tätig waren, ohne dass dies
offen zu einem Gegenstand der Erörterung im Verfahren gemacht worden ist
oder noch gemacht werden könnte.
Eine besondere Ausnahmesituation, aufgrund deren die massive
staatliche Präsenz auf den Vorstandsebenen der ASt auch nach Eingang der
Verbotseingänge hätte gerechtfertigt werden können, wird von den ASt
nicht geltend gemacht und ist auch nicht erkennbar. Es gibt auch keine
Rechtfertigung dafür, dass die Antragsbegründungen nicht unerheblich auf
Äußerungen führender Parteimitglieder gestützt sind, die zeitgleich oder
zu früheren Zeitpunkten als V-Leute auch im Dienst staatlicher Stellen
tätig waren. Anhaltspunkte für eine gefahrenbedingte Eilbedürftigkeit,
die einer sorgfältigen Vorbereitung der Anträge im Wege gestanden
hätten, fehlen.
3. Die Richter Sommer, Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff sind der
Auffassung, dass kein Verfahrenshindernis besteht. Sie halten die
Fortführung des Verbotsverfahrens für geboten.
Verfahrenshindernisse, die einer Verhandlung mit dem Ziel einer
Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nur in besonders gelagerten
Ausnahmefällen vor, in denen ein anerkennenswertes Interesse schon an
der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall nicht mehr
besteht und eine Fortsetzung des Verfahrens rechtsstaatlich nicht mehr
hinnehmbar ist. Gerichte dürfen sich der Justizgewähr grundsätzlich
nicht entziehen, soweit nicht geschriebenes Prozessrecht oder andere
zwingende Gründe eine Sachentscheidung unmöglich machen. Verweigert das
Gericht wegen der Annahme eines gesetzlich nicht bestimmten
Verfahrenshindernisses im Ergebnis die Entscheidung über die Sache, so
verschließt es den rechtsstaatlich gebotenen Weg zur Rechtsgewähr mit
der Konsequenz, dass nicht in einer befriedenden Weise festgestellt
werden kann, was Rechtens ist. Für die Annahme eines
Verfahrenshindernisses ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen. Das
Gericht muss alle seine Möglichkeiten ausschöpfen, um tatsächliche und
rechtliche Hindernisse für eine Entscheidung in der Sache auszuräumen.
Im Parteiverbotsverfahren gegen die Ag sind bislang keine Umstände
bekannt geworden, die die Fortführung des Verfahrens in seiner
Gesamtheit tatsächlich unmöglich oder rechtlich unverhältnismäßig
machen. Die nachrichtendienstliche Beobachtung der Ag begründet weder im
Hinblick auf den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien noch wegen
Fragen der Zurechnung der vorgelegten Erkenntnismittel noch aufgrund der
Pflicht zur Gewährung eines fairen Verfahrens ein Verfahrenshindernis.
Dazu führen die vier Richter im Einzelnen aus:
Eine staatliche Fremdsteuerung der Ag des Ausmaßes, dass ihr
politisches Erscheinungsbild nicht mehr das Ergebnis eines offenen
gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses ist, ist nicht ansatzweise
erkennbar. Bei einer inhaltlichen und programmatischen Fremdsteuerung
folgte daraus kein Verfahrenshindernis. Vielmehr verlöre die Ag ihre
Parteiqualität, so dass der Verbotsantrag in einer Entscheidung zur
Sache als unzulässig zurückzuweisen wäre.
Was die Zurechenbarkeit von Erkenntnismitteln angeht, hat das BVerfG
im Parteiverbotsverfahren alle prozessual vorgesehenen Mittel der
Sachaufklärung zu nutzen. Die gerichtliche Aufklärungspflicht gestattet
dem BVerfG nicht, allein aufgrund einer möglichen mittelbaren
staatlichen Einflussnahme durch V-Leute auf die Äußerungen oder
Verhaltensweisen im Rahmen der Parteitätigkeit das Verfahren ohne
weitere Prüfung abzubrechen. Sachentscheidungserhebliche Tatsachen sind
in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unter Ausschöpfung der
Mittel der Beweisaufnahme und unter umfassender Gewährung von
rechtlichem Gehör aufzuklären.
Ein Verfahrenshindernis folgt auch nicht aus dem Grundsatz des fairen
Verfahrens. Um einen Verstoß gegen diesen Grundsatz anzunehmen, müsste
bereits jetzt positiv feststehen, dass die Verhandlungskonzeption der Ag
in einer Weise ausgeforscht worden ist, die eine sachangemessene
Rechtsverteidigung unmöglich macht. Der bloße Anschein oder die
abstrakte Gefahr einer Ausforschung reichen hierfür nicht aus.
Anhaltspunkte dafür, dass die Ag in Folge der nachrichtendienstlichen
Beobachtung durch staatliche Stellen an einer sachgerechten Verteidigung
im Verbotsverfahren gehindert wäre, bestehen nicht. Es ist weder
vorgetragen noch erkennbar, dass die ASt Kenntnis von Umständen erlangt
haben, die das geplante Prozessverhalten der Ag im Verbotsverfahren
betreffen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Wirksamkeit der
Verteidigungsmittel der Ag beeinträchtigt worden ist.
Selbst wenn es zu einer Ausforschung des Verhaltens der maßgeblich am
Verfahren beteiligten Funktionäre und Vertreter der Ag gekommen wäre,
verstieße die Fortführung des Parteiverbotsverfahrens erst dann gegen
rechtsstaatliche Grundsätze, wenn das Gewicht der Beeinträchtigung den
konkreten Präventionszweck des Parteiverbotsverfahrens überwöge. Denn
mögliche Rechtsbeeinträchtigungen müssen, um ein Verfahrenshindernis
begründen zu können, in Abwägung zu den Zielen und der Bedeutung des
Verfahrens von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass die
Fortführung des gerichtlichen Verfahrens unverhältnismäßig wäre. Dies
erfordert für das Parteiverbotsverfahren, nicht nur abstrakt die
Bedeutung des Art. 21 Abs. 2 GG zu bestimmen, sondern auch die konkrete
Gefahrenlage abzuschätzen, die von der politischen Partei für die
geschützten Rechtsgüter dieser Vorschrift ausgehen. Die danach gebotene
Abwägung setzt eine Sachaufklärung und Beweisaufnahme im Hinblick auf
alle abwägungsrelevanten Tatsachen voraus. Eine Prozessbeendigung ohne
sie widerspricht der besonderen Justizgewährpflicht des BVerfG im
Parteiverbotsverfahren.
Der Präventionsauftrag des BVerfG erfordert die Aufklärung des
konkreten Ausmaßes der Gefahr für die Rechtsgüter des Art. 21 Abs. 2 GG,
wenn das Verfahren ohne Sachentscheidung eingestellt werden soll.
Klärungsbedürftig ist insoweit auch, ob in parteitypisch organisierter
Weise Angriffe auf die Würde des Menschen erfolgen. Geht von einer
politischen Partei eine konkret nachweisbare Gefahr für den Fortbestand
des freiheitlichen Verfassungsstaates aus, so darf das BVerfG etwaige
Verstöße gegen den allgemeinen Grundsatz des fairen Verfahrens bei der
Abwägung nicht als überwiegend ansehen. Für die notwendige umfassende
Aufklärung des Sachverhalts kann und muss das BVerfG aufgrund des
Untersuchungsgrundsatzes selbst sorgen. Das Gericht darf nicht von
vornherein unter Hinweis auf entgegenstehende Geheimschutzbelange oder
die besondere Verfahrensverantwortung von Beteiligten auf die Ermittlung
entscheidungserheblicher Tatsachen verzichten.
Bei der Abwägung, ob Verfahrensmängel im Verbotsverfahren den
Grundsatz des fairen Verfahrens verletzten, ist der Belang des
präventiven Verfassungsschutzes in angemessener Weise zu
berücksichtigen. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung staatlicher
Stellen, verfassungswidrige Bestrebungen zu ermitteln und gegebenenfalls
gegen diese vorzugehen, wird grundsätzlich nicht durch die Anhängigkeit
eines Parteiverbotsverfahrens aufgehoben. Gerade der Schutz von
Individualrechtsgütern wie Würde, Leben und Gesundheit, der staatlichen
Stellen obliegt, kann es auch von Verfassungs wegen erfordern,
unabhängig vom Verbotsverfahren die nachrichtendienstliche Beobachtung
in geeigneter Weise fortzusetzen. Rechtsstaatliche Grundsätze gebieten
nicht, für die Dauer des Verfahrens Gefahren für geschützte Rechtsgüter,
zumal unbeteiligter Dritter, hinzunehmen.
Beschluss vom 18. März 2003 - Az. 2 BvB 1/01 u.a. -
Karlsruhe, den 18. März 2003
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvB 1/01 -
- 2 BvB 2/01 -
- 2 BvB 3/01 - |
Verkündet
am 18. März 2003
Seiffge
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
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|
In den Verfahren
über
die Anträge festzustellen:
|
|
1.a) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist
verfassungswidrig. |
b) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und ihre
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) werden aufgelöst. |
c) |
Es ist verboten,
Ersatzorganisationen zu schaffen. |
d) |
Das Vermögen der
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und ihrer
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) wird zugunsten
des Bundes zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen. |
e) |
Der Innenminister
des Bundes und die Minister und Senatoren des Innern der Länder
werden beauftragt, die Entscheidung zu vollstrecken. |
|
|
Antragstellerin: |
Bundesregierung, vertreten durch
den Bundesminister des Innern,
Alt Moabit 101 D, 10559 Berlin |
|
|
- Bevollmächtigte:
a) |
Professor Dr. Hans Peter Bull,
Schlüterstraße 28, 20146 Hamburg |
b) |
Rechtsanwalt Dr. h.c. Karlheinz
Quack,
Friedrichstraße 95, 10117 Berlin - |
|
|
Antragsgegnerin: |
Nationaldemokratische Partei
Deutschlands (NPD), vertreten durch den Parteivorsitzenden |
|
|
- Bevollmächtigte:
a) |
Rechtsanwalt Horst Mahler,
Paulsborner Straße 3, 10709 Berlin |
b) |
Rechtsanwalt Dr. Hans Günter
Eisenecker,
Dorfstraße 22, 19260 Goldenbow - |
|
|
2. a) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist
verfassungswidrig. |
b) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), ihre
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) und ihre
Sonderorganisation "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH"
werden aufgelöst. |
c) |
Es ist verboten,
Ersatzorganisationen aufzubauen. |
d) |
Das Vermögen der
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), ihrer
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) und ihrer
Sonderorganisation "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH"
wird zugunsten des Bundes zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen. |
e) |
Der Innenminister
des Bundes und die Minister und Senatoren des Innern der Länder
werden beauftragt, die Entscheidung zu vollstrecken. |
|
|
Antragsteller: |
Deutscher Bundestag, vertreten
durch den Präsidenten,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin |
|
|
- Bevollmächtigte:
a) |
Professor Dr. Günter
Frankenberg,
Buchrainweg 17, 63069 Offenbach |
b) |
Professor Dr. Wolfgang Löwer,
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität,
Adenauerallee 44, 53113 Bonn - |
|
|
Antragsgegnerin: |
Nationaldemokratische Partei
Deutschlands (NPD), vertreten durch den Parteivorsitzenden |
|
|
- Bevollmächtigte:
a) |
Rechtsanwalt Dr. Hans Günter
Eisenecker,
Dorfstraße 22, 19260 Goldenbow |
b) |
Rechtsanwalt Horst Mahler,
Paulsborner Straße 3, 10709 Berlin - |
|
|
3. a) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist
verfassungswidrig. |
b) |
Die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und ihre
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) werden aufgelöst. |
c) |
Es ist verboten,
Ersatzorganisationen zu schaffen oder bestehende Organisationen
als Ersatzorganisationen fortzusetzen. |
d) |
Das Vermögen der
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und ihrer
Teilorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) wird zugunsten
der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken
eingezogen. |
e) |
Der Innenminister
des Bundes und die Minister und Senatoren des Innern der Länder
werden beauftragt, die Entscheidung zu vollstrecken. |
|
|
Antragsteller: |
Bundesrat, vertreten durch den
Präsidenten,
Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin |
|
|
- Bevollmächtigter: |
Rechtsanwalt Dr. Dieter Sellner,
Kurfürstendamm 218, 10719 Berlin - |
|
|
Antragsgegnerin: |
Nationaldemokratische Partei
Deutschlands (NPD), vertreten durch den Parteivorsitzenden |
|
|
- Bevollmächtigte:
a) |
Rechtsanwalt Dr. Hans Günter
Eisenecker,
Dorfstraße 22, 19260 Goldenbow |
b) |
Rechtsanwalt Horst Mahler,
Paulsborner Straße 3, 10709 Berlin - |
|
|
hat das Bundesverfassungsgericht
- Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterin und der Richter
Vizepräsident Hassemer,
Sommer,
Jentsch,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff |
|
Die Verfahren werden eingestellt. |
|
Gegenstand des Verfahrens sind die
Anträge der Bundesregierung, des Deutschen Bundestags und des
Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung
der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nach Art. 21
Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG. |
1 |
1. Die Antragsgegnerin, die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), wurde am 28.
November 1964 gegründet. Sie zog zwischen 1966 und 1968 mit
Wahlergebnissen zwischen 5,8 v.H. und 9,8 v.H. und insgesamt 61
Abgeordneten in die Parlamente von Baden-Württemberg, Bayern,
Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und
Schleswig-Holstein ein. 1969 scheiterte sie bei der Bundestagswahl
mit einem Zweitstimmenanteil von 4,3 v.H. an der 5
v.H.-Sperrklausel. Seit diesem Zeitpunkt gelang der Antragsgegnerin
kein annähernd vergleichbares Ergebnis mehr; sie konnte bei keiner
Landtags- oder Bundestagswahl ein Mandat erringen. Ihre
Mitgliederzahl, die 1969 mit 28.000 ihren Höchststand erreicht
hatte, sank in den folgenden Jahren stetig; 1996 verfügte die
Antragsgegnerin nach eigenen Angaben noch über 3.240 Mitglieder. |
2 |
2. Am 23. März 1996 wurde der
Vorsitzende des bayerischen Landesverbands Udo Voigt zum
Parteivorsitzenden gewählt. Seit diesem Zeitpunkt ist die Zahl der
Mitglieder der Antragsgegnerin bis 2001 auf 6.500 gestiegen. Den
Angaben des Bundeswahlleiters zufolge erzielte sie bei den
Bundestagswahlen 1998 und 2002 jeweils 0,3 v.H. und 0,4 v.H. der
abgegebenen gültigen Zweitstimmen und bei den letzten Europawahlen
(1999) 0,4 v.H. der abgegebenen gültigen Stimmen. |
3 |
3. Die Antragsgegnerin verfügt mit den
1969 gegründeten "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine eigene
Jugendorganisation. Bereits 1966 wurde der "Nationaldemokratische
Hochschulbund e.V." (NHB) als Unterorganisation der Antragsgegnerin
gegründet. Im Jahr 2000 hatten die JN etwa 500 Mitglieder, der NHB
etwa 100. |
4 |
4. Die von der Antragsgegnerin
gegründete "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft m.b.H." verlegt die
Parteizeitung "Deutsche Stimme", deren Herausgeber der
Parteivorstand ist. Die "Deutsche Stimme" erscheint nach Angaben der
Antragsteller mit einer monatlichen Auflage von rd. 10.000
Exemplaren. |
5 |
Mit ihren am 30. Januar und 30. März
2001 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Anträgen begehren
die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in
erster Linie die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der
Antragsgegnerin und die Auflösung ihrer Parteiorganisation. Hierzu
tragen die Antragsteller im Wesentlichen übereinstimmend vor: |
6 |
1. Die Antragsgegnerin sei eine
verfassungswidrige politische Partei. Sie gehe nach ihren Zielen und
nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf aus, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Dies entspreche ihrer
Selbsteinschätzung und auch der bisherigen Beurteilung in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. |
7 |
Die Antragsgegnerin sei in ihrem
Gesamtbild nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistisch sowie
antidemokratisch geprägt und operativ ausgerichtet. Zentrale
Begriffe ihres Kampfes seien das "System", das sie als
"Fremdherrschaft" der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs begreife
und gegen das sie im "nationalen Widerstand" stehe, um die
"Volksgemeinschaft" wieder herzustellen. Sie versuche, ihre
menschenwürde- und grundrechtsfeindlichen Ziele in
aggressiv-kämpferischer Weise zu verwirklichen und anstelle der
parlamentarischen Demokratie und des Mehrparteiensystems eine
"Volksherrschaft" der "nationalen Eliten" - erforderlichenfalls auch
durch einen Umsturz - zu errichten. Die Mitglieder und Anhänger der
Antragsgegnerin scheuten vor der Anwendung von Gewalt nicht zurück
und drohten ihren Gegnern für den Fall der Machtübernahme mit einer
"Abrechnung". |
8 |
Die Antragsgegnerin finde bei einem
spezifisch rechtsextremistisch anfälligen, von der Größe her nicht
zu vernachlässigenden Bevölkerungsteil, insbesondere bei
Jugendlichen und Heranwachsenden, Zustimmung und Unterstützung. Auf
Grund ihres neuen strategischen Konzepts ("Drei-Säulen-Konzept"),
das u.a. eine "Schlacht um die Straße" propagiere, sei sie besonders
gefährlich. So sei es ihr seit 1996 gelungen, eine Sammlungsbewegung
für Personen aus dem neonazistischen Umfeld zu werden. Teilweise
habe dieser Personenkreis die Mitgliedschaft der Antragsgegnerin
erworben und in nicht wenigen Fällen sogar Führungspositionen
innerhalb der Partei erreicht. Auch habe die Antragsgegnerin die
Zusammenarbeit mit sogenannten "freien Nationalisten" und "freien
Kameradschaften" verstärkt. Mit dem Konzept "national befreiter
Zonen" verfolge sie das Ziel, das staatliche Gewaltmonopol zu
unterlaufen und rechtsfreie Räume für sich und ihre Anhänger zu
schaffen. |
9 |
2. Die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei erfordere keine
konkrete Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG. Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit komme bei der Entscheidung nach
Art. 21 Abs. 2 GG nicht zur Anwendung. Seien Parteien mit der
Verfassung unvereinbar, könnten sie keinen Bestand haben. Durch eine
restriktive Auslegung des Schutzgutes ("freiheitliche demokratische
Grundordnung") und die erforderliche Intensität der
Verfassungsstörung ("Beeinträchtigung") könne dem Gebot der
Angemessenheit hinreichend Rechnung getragen werden. Dabei habe das
Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die nachgewiesene Intensität
der Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
in einem angemessenen Verhältnis zu der in der Feststellung der
Verfassungswidrigkeit liegenden Beschränkung der freiheitlichen
Demokratie stehe. |
10 |
3. Eine politische Auseinandersetzung
mit der Antragsgegnerin sei nicht ausreichend. Sie müsse ergänzt
werden durch die Anwendung der Instrumente, die das Grundgesetz zum
Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorsehe. Der
politische und moralische Schaden, den die Antragsgegnerin
verursache, könne nur durch ein Verbot hinreichend abgewehrt werden.
Die Antragsgegnerin biete eine Basis für die organisierte
Unterwanderung des demokratischen Rechtsstaats, vergifte das
politische Klima, erzeuge Angst und verführe junge Menschen zu
gewalttätigem Fremdenhass. Selbst wenn zu befürchten sei, dass Ideen
und Propaganda der Antragsgegnerin auch nach einem Verbot der Partei
in anderen Organisationsformen weiter verbreitet würden, seien die
Wertentscheidungen der Verfassung gegen aggressive Feinde mit
Nachdruck zu verteidigen. |
11 |
Die Bundesregierung, der Deutsche
Bundestag und der Bundesrat haben die aus dem Rubrum im Einzelnen
ersichtlichen Verbotsanträge gestellt. |
12 |
Die Antragsgegnerin hält die Anträge
für unzulässig und unbegründet. |
13 |
1. Sie sei eine Volks- und
Weltanschauungspartei und bekenne sich zu einem ethnischen
Volksbegriff. Auf der Grundlage des nationalen Gedankens sei sie auf
eine pluralistische Struktur hin angelegt. Ihr politisches Streben
richte sich auf das deutsche Volk, auf dessen Leben, Kultur und
Entfaltung. Sie begreife sich deshalb als "Systemopposition" oder
"Fundamentalopposition". Die Antragsteller versuchten, durch das
Verbotsverfahren die "Multiethnisierung der Bevölkerung in der Mitte
Europas" als nicht mehr debattierbares Schicksal des deutschen
Volkes festzuschreiben. Der ihr von den Antragstellern gemachte
Vorwurf, rassistisch und antisemitisch zu sein, sei der Versuch, sie
in verfassungswidriger Weise mundtot zu machen. |
14 |
2. Ihr Programm richte sich auch nicht
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie, die
Antragsgegnerin, wende sich vielmehr gegen Überfremdung, Ausbeutung
und Unterdrückung und streite für die Freiheit des deutschen Volkes
und der übrigen Völker sowie für eine soziale Neuordnung in
Deutschland. Auch der Vorwurf, sie sei demokratie- und
rechtsstaatsfeindlich, sei unzutreffend. Ihre allgemeine
Parlamentarismuskritik beziehe sich nicht auf den Idealtypus der
Verfassung, sondern auf die degenerierte Verfassungswirklichkeit. |
15 |
3. Ihre neue Strategie, das so
genannte "Drei-Säulen-Konzept" ("Kampf um die Straße", "Kampf um die
Köpfe" und "Kampf um die Parlamente") sei entwickelt worden, um ihre
gesellschaftliche Ächtung und Isolation zu durchbrechen. "Kampf" sei
dabei wie "Wahlkampf" zu verstehen, habe mithin nichts mit
Unfriedlichkeit zu tun. "National befreite Zonen" seien Gebiete, in
denen Nationalisten als gleichwertige Bürger behandelt würden. Die
von ihr angestrebte Revolution sei geistig zu verstehen. Sie wolle
keine Diktatur errichten, sondern es gehe ihr darum, der
Gesamtpolitik eine volkstumsbezogene, idealistisch-kulturelle
Ausrichtung zu geben. Auf dieser Grundlage seien durchaus
verschiedene politische Strömungen und Parteien denkbar. |
16 |
Hinsichtlich des Vorwurfs der
Zusammenarbeit mit gewaltbereiten "Skinheads" sei der Einfluss
interessierter Kreise des US-amerikanischen Kapitals und der
dortigen Nachrichtendienste aufzuklären. Sie, die Antragsgegnerin,
stehe diesen jungen Menschen offen gegenüber und versuche, deren
Interesse an politischer Bildung zu wecken. Ein möglicherweise
verfassungsfeindliches Verhalten anderer Personen könne ihr nicht
zugerechnet werden. Sie sei friedlich. Die Fälle, in denen ihre
Mitglieder in Gewalttätigkeiten verwickelt gewesen seien, seien fast
ausnahmslos von Provokationsagenten angezettelt worden. |
17 |
1. Auf Antrag der Antragsgegnerin vom
12. Juni 2001 hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom
15. Juni 2001 der Staatsanwaltschaft Berlin aufgegeben, sämtliche im
Zusammenhang mit einer im Rahmen eines strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens gegen den Verfahrensbevollmächtigten der
Antragsgegnerin, Rechtsanwalt Horst Mahler, erfolgten Durchsuchung
in dessen Wohnung und in dessen Kanzlei sowie in der Parteizentrale
der Antragsgegnerin am 11. Juni 2001 sichergestellten, überspielten
oder kopierten elektronischen Daten, Datenträger und Unterlagen
unverzüglich zu versiegeln, beim Amtsgericht Tiergarten in Berlin zu
hinterlegen und den Vollzug dem Bundesverfassungsgericht anzuzeigen
(BVerfGE 104, 38;104, 39;104, 41). Mit Beschluss vom 3. Juli 2001
hat der Senat die vorläufige Anordnung vom 15. Juni 2001 ergänzt und
im Einzelnen begründet (BVerfGE 104, 42). |
18 |
2. Der Senat hat mit Beschluss vom 3.
Juli 2001 die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und
am 1. Oktober 2001 ferner nach § 45 BVerfGG beschlossen, die
Verhandlung über die Parteiverbotsanträge durchzuführen (BVerfGE
104, 63). |
19 |
3. Am 22. November 2001 hat der Senat
das Begehren der Antragsgegnerin, das Verfahren einzustellen und dem
Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV
vorzulegen, für unbegründet erklärt (BVerfGE 104, 214). |
20 |
4. Nachdem Termin zur mündlichen
Verhandlung auf den 5., 6., 7., 19. und 20. Februar 2002 bestimmt
war, hat der Senat Kenntnis davon erhalten, dass ein zur mündlichen
Verhandlung als Auskunftsperson geladener Funktionär der
Antragsgegnerin, dessen Äußerungen von den Antragstellern mehrfach
zur Stützung der Verbotsanträge herangezogen worden sind, eine
Aussagegenehmigung eines Landesamts für Verfassungsschutz vorlegen
werde. Nachdem aus dem Bundesministerium des Innern kurzfristig
keine schriftliche Bestätigung oder Erläuterung dieses Vorgangs zu
erhalten war, hat der Senat die anberaumten Termine mit Beschluss
vom 22. Januar 2002 aufgehoben (BVerfGE 104, 370). |
21 |
5. Am 28. Januar 2002 ist zudem
bekannt geworden, dass der (damalige) Vorsitzende des Landesverbands
Nordrhein-Westfalen und Beisitzer im Bundesvorstand der
Antragsgegnerin, Udo Holtmann, seit 24 Jahren mit dem Bundesamt für
Verfassungsschutz zusammenarbeitet. Er gehörte dem Bundesvorstand
der Antragsgegnerin seit 1977 an, war von 1993 bis März 2000
stellvertretender und von November 1995 bis März 1996
kommissarischer Bundesvorsitzender. Daneben war er von 1976 bis 1993
Chefredakteur der Parteizeitung "Deutsche Stimme" und von 1995 bis
1999 für die Zeitung ganz oder teilweise verantwortlich im Sinne des
Presserechts. |
22 |
6. Die Antragsteller haben mit
Schriftsatz vom 8. Februar 2002 erklärt, dass die Antragsgegnerin
durch V-Leute des Verfassungsschutzes beobachtet werde. Die
Antragsgegnerin werde aber nicht durch V-Leute der
Verfassungsschutzbehörden gesteuert. Der vom Senat als
Auskunftsperson geladene Wolfgang Frenz, der langjähriges Mitglied
des Bundesvorstands der Antragsgegnerin und bis Ende 1999
stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands
Nordrhein-Westfalen gewesen sei, sei von 1961 bis Oktober 1995 vom
Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen als V-Mann
geführt worden. Die Verfassungsschutzbehörde habe sich dabei im
Rahmen der gesetzlichen Befugnisse und Richtlinien bewegt. Frenz
habe bei seinen Parteiaktivitäten nicht im Auftrag oder auf Grund
einer Steuerung des Verfassungsschutzes gehandelt; er sei vielmehr
in der gesamten Zeit, in der er als V-Mann tätig gewesen sei, ein
überzeugter Rechtsextremist und Antisemit gewesen. Seine in den
Verbotsanträgen angeführten Publikationen stammten durchgängig aus
dem Zeitraum nach 1995, mehrheitlich aus dem Jahr 1998. Sie könnten
der Antragsgegnerin, die sich von den Äußerungen Frenz' nicht
distanziert habe, auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs
zugerechnet werden. Dies gelte auch für das 1998 erschienene Buch
"Der Verlust der Väterlichkeit oder Das Jahrhundert der Juden", das
einen antisemitischen und rassistisch-volksverhetzenden Inhalt habe. |
23 |
Die Zusammenarbeit des
Verfassungsschutzes mit Frenz habe sich allein und ausschließlich
auf die Beschaffung von Informationen beschränkt. Frenz habe seine
Informationstätigkeit primär in den Dienst der Antragsgegnerin
gestellt. Nach eigenem Bekunden habe er in Erfahrung bringen wollen,
in welcher Weise und mit welchem Ziel die Antragsgegnerin von den
Verfassungsschutzbehörden ausgeforscht werde. Die
Verfassungsschutzbehörde habe versucht, mäßigend auf Frenz
einzuwirken, nachdem dieser sich zunehmend extremistisch und
antisemitisch geäußert habe. Da die Mäßigungsversuche erfolglos
gewesen seien, habe die Behörde die Zusammenarbeit mit Frenz im
Oktober 1995 formell beendet. Im Verlauf des ersten Halbjahres 1996
sei es im Rahmen der so genannten "Nachsorge" noch zu einigen
wenigen Kontakten mit dem Verfassungsschutz gekommen, bei denen wie
auch sonst üblich technische Einzelheiten der Abwicklung geregelt
worden seien. Bei diesen Treffen seien auch Informationen entgegen
genommen, jedoch nicht abgefragt worden. |
24 |
Udo Holtmann sei von Anfang 1978 bis
Januar 2002 V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz gewesen.
Während seiner Tätigkeit als kommissarischer Bundesvorsitzender sei
er als Quelle "abgeschaltet" gewesen. Er sei nicht als ideologischer
Kopf oder Vordenker der Partei in Erscheinung getreten. Es bestünden
keine Anhaltspunkte, dass Holtmann Inhalt und Ausrichtung der
Schriften der Antragsgegnerin vorgegeben oder in eine bestimmte
Richtung gelenkt habe. Es habe jedenfalls nie einen entsprechenden
Auftrag des Bundesamts für Verfassungsschutz gegeben. Die Äußerungen
Holtmanns seien in Parteipublikationen der Antragsgegnerin
veröffentlicht worden. Diese habe sich jedoch von ihnen nicht
distanziert. Holtmann sei kein "agent provocateur", sondern
Lieferant von Informationen aus dem Bundesvorstand der
Antragsgegnerin gewesen. Es gebe Hinweise, dass die Tätigkeit
Holtmanns für das Bundesamt für Verfassungsschutz der
Antragsgegnerin seit langem bekannt gewesen sei. |
25 |
Tino Brandt sei im August 1994 vom
Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz als V-Mann angeworben
worden. Er sei 1999 ebenso wie andere Mitglieder des "Thüringer
Heimatschutzes" in die Antragsgegnerin eingetreten. Im gleichen Jahr
sei er Beisitzer im Vorstand des thüringischen Landesverbands und
Landespressesprecher der Antragsgegnerin geworden. Im April 2000 sei
er zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden. Die
Verfassungsschutzbehörde habe die Übernahme dieses Parteiamts
missbilligt und ihn dazu bewegt, auf das vorgesehene zusätzliche Amt
als Landesgeschäftsführer zu verzichten. Am 17. Januar 2001 sei er
als V-Mann "abgeschaltet" worden. Brandt habe sich nicht als "agent
provocateur" des Verfassungsschutzes betätigt. Soweit er sich für
eine stärkere Zusammenarbeit des neonazistischen "Thüringer
Heimatschutzes" mit der Antragsgegnerin engagiert habe, habe er ohne
Weisung des Verfassungsschutzes gehandelt. Brandt selbst bestätige,
dass der Verfassungsschutz ihn dazu angehalten habe, seine
Parteiämter niederzulegen und sich mehr zurückzuhalten. |
26 |
Mit weiterem Schriftsatz vom 13.
Februar 2002 haben die Antragsteller mitgeteilt, dass über die
bislang enttarnten V-Leute hinaus in den Antragsschriften vier
weitere Personen mit Äußerungen zitiert seien, die V-Leute einer
Landesbehörde für Verfassungsschutz seien oder gewesen seien. Von
diesen Personen sei nur eine zum Zeitpunkt der zitierten Äußerungen
V-Mann gewesen. Mit Schreiben vom 19. Februar 2002 hat der Präsident
des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz die Angaben ergänzt
und ausgeführt, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz
das als Auskunftsperson geladene Bundesvorstandsmitglied der
Antragsgegnerin Jürgen Distler am 11. April 2001 erfolglos mit dem
Ziel der Anwerbung telefonisch angesprochen habe. |
27 |
7. Die Antragsgegnerin hat mit
Schriftsätzen vom 7. und 11. März 2002 vorgetragen, ihre
nachrichtendienstliche Beobachtung sei unzulässig. Die Geheimdienste
hätten in vielen Fällen Einfluss auf ihr Verhalten und das ihrer
Anhänger genommen. |
28 |
8. Mit Schreiben seines Vorsitzenden
vom 3. Mai 2002 hat der Senat angekündigt, die sich aus der
nachrichtendienstlichen Beobachtung der Antragsgegnerin ergebenden
Fragen mit den Beteiligten in einem Termin zu erörtern. Zur
Vorbereitung dieses Termins hat der Senat folgenden Hinweis gegeben: |
29 |
Für den Erfolg eines
Parteiverbotsantrags gemäß Art. 21 Abs. 2 GG kann bedeutsam sein, ob
die Partei nach dem charakteristischen Gesamtbild ihrer Ziele und
des Verhaltens ihrer Anhänger Ausdruck eines offenen
gesellschaftlichen Prozesses ist oder ob ihr Gesamtbild von
Umständen geprägt wird, die ihr nicht zugerechnet werden können.
Deshalb kann in der Zusammenarbeit einer staatlichen Stelle mit
einer Person im Bereich der Partei ein im Verbotsverfahren nach
Art. 21 Abs. 2 GG beachtlicher Umstand liegen, wenn die Tätigkeit
dieser Person in den Zielen der Partei einen prägenden Niederschlag
gefunden oder das Verhalten ihrer Anhänger maßgeblich beeinflusst
hat. |
30 |
Um sich eine gesicherte
Tatsachengrundlage für die Entscheidung über die
Parteiverbotsanträge zu verschaffen, hält das
Bundesverfassungsgericht es deshalb für erforderlich, dass die
Antragsteller die Zusammenarbeit staatlicher Stellen
(Nachrichtendienste, Verfassungsschutzämter und Dienststellen der
Polizei) und ihre konkreten Umstände mit solchen Personen im Bereich
der Antragsgegnerin offen legen, deren Äußerungen oder deren
Verhalten zur Begründung der Verbotsanträge angeführt werden. Von
Interesse ist auch, ob Äußerungen von Personen in den Anträgen
wiedergegeben werden, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Äußerung
nicht mehr oder noch nicht für staatliche Stellen tätig gewesen
sind. In diesem Zusammenhang ist auch Auskunft zu geben über die
Rechtsgrundlagen und die Kontrolle der Zusammenarbeit auf Bundes-
und Länderebene. Weiter erachtet das Bundesverfassungsgericht die
Kenntnis darüber für erforderlich, ob und gegebenenfalls welche
Personen aus dem derzeitigen oder einem früheren Vorstand der
Antragsgegnerin und aus derzeitigen oder früheren Vorständen ihrer
Landesverbände jeweils seit 1996 mit staatlichen Stellen kooperiert
haben oder noch kooperieren. Schließlich erscheint es dem
Bundesverfassungsgericht angezeigt, dass die Antragsteller sich dazu
erklären, ob und in welcher Weise andere, für das Gesamtbild der
Antragsgegnerin wesentliche, Personen mit staatlichen Stellen
zusammengearbeitet haben oder noch zusammenarbeiten und ob und
gegebenenfalls wie sonst durch staatliche Stellen auf das Gesamtbild
der Antragsgegnerin Einfluss genommen worden ist. |
31 |
Soweit die Antragsteller sich aus
zwingenden Geheimschutzbelangen oder aus anderen Gründen gehindert
sehen, Personen zu benennen oder Sachverhalte zu erläutern, wird
gebeten, diese Gründe darzulegen. In diesem Zusammenhang sollte
geprüft werden, ob alternative Erkenntnisquellen benannt werden
können. |
32 |
9. Die Antragsteller haben mit
Schriftsatz vom 26. Juli 2002 darauf hingewiesen, dass die
Verfassungsschutzbehörden besonderen Wert darauf legen müssten,
Informationen aus den Vorständen der Partei zu erlangen, weil auf
dieser Ebene Strategie und Taktik und die jeweils geplanten Aktionen
besprochen würden. Es sei weder nach den gesetzlichen Regelungen
noch nach den Dienstvorschriften verboten, an V-Leuten, wenn diese
in den Vorstand gelangten, festzuhalten oder V-Leute auf der
Vorstandsebene anzuwerben. Folglich gebe es V-Leute auf der Ebene
der Vorstände der Antragsgegnerin. Im relevanten Zeitraum habe die
Antragsgegnerin auf Bundes- und Länderebene jeweils etwa 200 und als
Folge der Fluktuation insgesamt etwa 560 Vorstandsmitglieder gehabt.
An drei ausgewerteten Stichtagen (4. April 1997, 31. Juli 2001 und
17. April 2002) habe der Anteil der V-Leute in den Vorständen
jeweils unter 15% gelegen. |
33 |
Die notwendige Arbeit des
Verfassungsschutzes wäre unmöglich, wenn V-Leuten nicht
Verschwiegenheit hinsichtlich ihrer Identität zugesichert werden
könnte. Der durch die Offenbarung der Identität von V-Leuten
verursachte Vertrauensverlust bezüglich der Verschwiegenheit
staatlicher Stellen führte dazu, dass eine wirksame Bekämpfung aller
Bereiche des Extremismus nicht mehr gewährleistet wäre. Die
zuständigen Amtswalter der Verfassungsschutzbehörden hätten deshalb
auf Grund einer Abwägung der Geheimschutzinteressen mit dem
Aufklärungsbegehren des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass
Angaben, die die Identifizierung von V-Leuten ermöglichten, nur
gemacht werden könnten, wenn die Antragsgegnerin keinen Zugang zu
diesen Informationen erhalte. |
34 |
Die Antragsteller haben Erklärungen
der Leiter der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder
vorgelegt. |
35 |
Der Präsident des Bundesamts für
Verfassungsschutz hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 29. Juli
2002 angegeben, dass die Kooperation mit Udo Holtmann mit Wirkung
vom 25. Januar 2002 beendet worden sei. Holtmann habe trotz seiner
Funktionen im Bundesvorstand und im Landesvorstand
Nordrhein-Westfalen die Ziele und die Aktivitäten der
Antragsgegnerin nicht entscheidend bestimmt. Es gebe keine Hinweise,
dass seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz der Versuch
unternommen worden sei, über Holtmann auf das Gesamtbild der
Antragsgegnerin Einfluss zu nehmen. Er sei die einzige Quelle
gewesen, die dem Bundesvorstand der Antragsgegnerin angehört habe. |
36 |
Der Präsident des Thüringer Landesamts
für Verfassungsschutz hat in einer dem Schriftsatz der Antragsteller
ebenfalls beigefügten dienstlichen Erklärung vom 19. Juli 2002
mitgeteilt, dass Tino Brandt im August 1994 als V-Mann angeworben
worden sei. 1999 sei Brandt auf eigene Initiative der
Antragsgegnerin beigetreten. Im April 2000 sei er zu einem von zwei
stellvertretenden Vorsitzenden des thüringischen Landesverbands der
Antragsgegnerin gewählt worden. Im Mai 2000 seien mit Brandt
Überlegungen zu einem vom Verfassungsschutz unterstützten Ausstieg
aus der rechtsextremistischen Szene angestellt worden. Nachdem
Brandt dies abgelehnt habe, sei er kurzfristig als Quelle
"abgeschaltet" worden. Zu der erneuten und letztmaligen
"Abschaltung" Brandts sei es am 17. Januar 2001 gekommen. In der
Folge habe es im Rahmen der so genannten "Nachsorge" bis Mai 2001
noch sieben Treffen zwischen Brandt und einem Mitarbeiter des
Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz gegeben, deren Ziel es
gewesen sei, Brandt zum Rückzug aus der rechtsextremistischen Szene
zu bewegen. Auf Drängen der Behörde habe Brandt in diesem Zeitraum
sein Amt als Pressesprecher des Landesverbands niedergelegt. Bei den
Treffen nach der "Abschaltung" seien auch Informationen entgegen
genommen worden. Aufträge zur Beschaffung dieser Informationen seien
jedoch nicht erteilt worden. |
37 |
Der Präsident des Bayerischen
Landesamts für Verfassungsschutz hat in einer dienstlichen Erklärung
vom 25. Juli 2002 ausgeführt, dass die Antragsgegnerin in dem in der
gerichtlichen Verfügung vom 3. Mai 2002 angesprochenen Zeitraum von
1996 bis 2002 ständig Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts
für Verfassungsschutz gewesen sei. Ebenfalls unter dem 25. Juli 2002
haben die Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz der
Senatsverwaltung für Inneres Berlin und der Direktor des Landesamts
für Verfassungsschutz Hessen entsprechende Erklärungen für die
Landesverfassungsschutzbehörden in Berlin und Hessen abgegeben. |
38 |
10. In ihrer Erwiderung vom 30. August
2002 hat die Antragsgegnerin die Fortführung des Verbotsverfahrens
für unzulässig erachtet, weil von den Antragstellern ein
rechtswidriger Angriff auf die freie Überzeugungsbildung des
Gerichts zu besorgen sei. Ein Parteiverbotsantrag könne nicht mit
Tatsachen begründet werden, von denen nicht ausgeschlossen werden
könne, dass sie von "interessierter Seite" der betroffenen Partei
untergeschoben worden seien. Die Antragsteller treffe insoweit eine
Aufklärungs- und Darlegungslast, ob und gegebenenfalls wie das
Erscheinungsbild der Partei durch eine rechtswidrige Einflussnahme
der Exekutive geprägt oder verfälscht worden sei. |
39 |
11. Der Senat hat die sich aus der
nachrichtendienstlichen Beobachtung der Antragsgegnerin ergebenden
Fragen am 8. Oktober 2002 mit den Verfahrensbeteiligten erörtert.
Die Antragsteller haben angegeben, dass sich im Schnitt etwa ein bis
zwei V-Leute in den einzelnen Vorständen der Antragsgegnerin
befänden. Ausnahmsweise könnten einem Vorstand aber auch drei
V-Leute angehören. Bei den Prozessbevollmächtigten der
Antragsgegnerin handele es sich nicht um V-Leute des Bundesamts oder
der Landesbehörden für Verfassungsschutz. In keinem Fall seien
V-Leute beauftragt worden, die Prozessstrategie der Antragsgegnerin
auszuforschen; im Übrigen seien auch keine entsprechenden
Informationen aus Vorstandssitzungen der Antragsgegnerin entgegen
genommen worden. |
40 |
12. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober
2002 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin,
Rechtsanwalt Mahler, die Ansicht vertreten, dass das
Verbotsverfahren rechtsstaatlich nicht mehr durchführbar sei. Unter
dem selben Datum hat der weitere Prozessbevollmächtigte der
Antragsgegnerin, Rechtsanwalt Dr. Eisenecker, erklärt, dass nach den
Angaben der Antragsteller im Erörterungstermin mindestens ein
Mitglied des derzeitigen Parteivorstands V-Mann eines Landesamts für
Verfassungsschutz sei. Die Antragsteller hätten hierdurch die
Möglichkeit, von der internen Planung der Prozessführung der
Antragsgegnerin Kenntnis zu erlangen. Die rechtliche Problematik,
die sich hieraus ergebe, könne nur durch eine Verfahrenseinstellung
"beendet" werden. |
41 |
13. Ebenfalls unter dem 17. Oktober
2002 haben die Antragsteller erklärt, unter den Mitgliedern des
Bundesvorstands der Antragsgegnerin befänden sich keine V-Leute. Für
die Verfassungsschutzbehörden der Länder gelte dies seit der
Antragstellung durch die Bundesregierung, für das Bundesamt für
Verfassungsschutz seit der "Abschaltung" von Udo Holtmann im Januar
2002. |
42 |
In einem weiteren Schriftsatz vom 29.
Oktober 2002 haben die Antragsteller erklärt, dass für die weitere
Prozessdauer nicht versucht werde, einen V-Mann aus dem Kreis der
Bundesvorstandsmitglieder der Antragsgegnerin zu gewinnen. Während
des Verbotsverfahrens sei allein Udo Holtmann im Bundesvorstand der
Antragsgegnerin zeitweilig als V-Mann geführt worden. Dies habe die
Antragsgegnerin nicht in ihren Verteidigungsmöglichkeiten
beschränkt; der Antragsgegnerin sei die V-Mann-Eigenschaft Holtmanns
bekannt gewesen. |
43 |
Die Beobachtung einer Partei mit
nachrichtendienstlichen Mitteln könne sich in zulässiger Weise auch
auf deren Bundesvorstand erstrecken. Ein laufendes
Parteiverbotsverfahren führe nicht dazu, dass die
nachrichtendienstliche Beobachtung einer verfassungsfeindlichen
Organisation beendet werden müsse. Für die Verfassungsschutzbehörden
ende der verfassungsrechtliche Auftrag zu präventivem
Verfassungsschutz nicht mit der Einreichung von Verbotsanträgen. |
44 |
Es sei verfehlt, das Verbotsverfahren
und die Beobachtung nur alternativ zuzulassen. Erzwänge ein
gerichtliches Verfahren das Ende der Beobachtung, so müssten Klagen
gegen die Nennung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht
oder gegen die nachrichtendienstliche Beobachtung selbst bereits zum
Ende der Beobachtung führen. Eine Organisation hätte es dann durch
die Führung von Aktivprozessen in der Hand, sich für die Dauer eines
Verfahrens der nachrichtendienstlichen Beobachtung zu entziehen.
Wenn für den Bereich des präventiven Verfassungsschutzes
prozessrechtlich zu fordern wäre, dass der Gegner während eines
Prozesses von heimlicher Beobachtung frei bleiben müsse, weil sonst
für die Verfassungsschutzbehörden die Möglichkeit bestünde, etwas
über die Prozessführung zu erfahren, hätten solche Organisationen es
leicht, sich gesicherte Aktionsbereiche zu verschaffen. |
45 |
Eine unzulässige Ausforschung der
Prozessstrategie der Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden. Sie
begründete im Übrigen kein Prozesshindernis. Im Strafverfahren
folgerten Rechtsprechung und herrschende Lehre aus einer Verletzung
von § 148 StPO kein Verfahrenshindernis, sondern nur ein
Beweisverwertungsverbot. So habe es der Bundesgerichtshof abgelehnt,
in einer in rechtswidriger Weise erzwungenen Kenntnis von
Verteidigerunterlagen ein Verfahrenshindernis zu erblicken. Zudem
müsse zwischen der Rechtsverletzung und der rechtlichen
Unmöglichkeit, ein Verfahren rechtsstaatlich weiterführen zu können,
eine Kausalbeziehung vorliegen, die eine Relation zwischen der
Schwere des Fehlers und dem Gewicht der Sanktion einer
Verfahrensbeendigung herstelle. Auch dürfe die Erfüllung der Aufgabe
des präventiven Verfassungsschutzes nicht schon bei einem möglichen
Versagen einzelner Personen oder Behörden vereitelt werden. Dieses
Ergebnis sei insbesondere dann verfehlt, wenn die V-Mann-Eigenschaft
eines Einzelnen der Partei bekannt sei und von dieser mitgetragen
werde, wie dies bei Holtmann der Fall gewesen sei. |
46 |
Ein Verbotsausspruch könne schließlich
nur das Ergebnis eines Verfahrens sein, in dessen Rahmen der
entscheidungserhebliche Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts
feststehe. Die Erforschung der Wahrheit dieses Sachverhalts sei
Gegenstand der Amtsermittlung des Gerichts. |
47 |
14. Mit Schriftsatz vom 7. November
2002 hat die Antragsgegnerin vorgetragen, es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass ihrem Bundesvorstand Personen
angehörten, die für die Geheimdienste gearbeitet hätten und
anlässlich der Einleitung des Verbotsverfahrens lediglich
"abgeschaltet" worden seien. Diese V-Leute könnten jederzeit wieder
"angeschaltet" und deren in der "Latenzphase" gewonnenen Kenntnisse
von den Antragstellern abgeschöpft werden. Entgegen den Angaben der
Antragsteller sei auch anzunehmen, dass in ihrem Bundesvorstand noch
ein V-Mann für die Antragsteller tätig sei. In Gerichtsverfahren
müsse für Parteien die Möglichkeit einer selbstbestimmten
Rechtsverteidigung bestehen. Hiervon könne jedoch nur die Rede sein,
wenn der organschaftliche Willensbildungsprozess innerhalb der
Organisation sowie die Kommunikation mit den
Verfahrensbevollmächtigten "gegnerfrei" bleibe. |
48 |
Der Eingriff, der in der
nachrichtendienstlichen Beobachtung ihres Bundesvorstands liege,
könne allenfalls dann hingenommen werden, wenn bei Beendigung der
Überwachung dem Interesse des Staates an einem effektiven Schutz der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein konkreter und
zugleich erheblicher Schaden drohe. Ein solches überwiegendes
Interesse hätten die Antragsteller nicht dargetan. Sie hätten im
Gegenteil wiederholt erklärt, die Ergebnisse der Überwachung durch
V-Leute fielen nicht ins Gewicht, vielmehr reiche das offen
zugängliche Belastungsmaterial zur Begründung der Verbotsanträge
aus. |
49 |
Ihr ehemaliges Mitglied des
Bundesvorstands Udo Holtmann habe etwa ein Jahr lang bis zu seiner
Enttarnung im Januar 2002 den Antragstellern zusätzliches Wissen
über ihre Prozessführung verschafft. Er habe regelmäßig an den
Vorstandssitzungen des Bundesvorstands teilgenommen. Sie, die
Antragsgegnerin, sei nicht über die V-Mann-Tätigkeit Holtmanns
informiert gewesen. Die von den Antragstellern angeführten
Aktivprozesse, die sie angeblich in die Lage versetzten, ihren
Bundesvorstand von nachrichtendienstlicher Beobachtung frei zu
halten, seien nicht vergleichbar mit dem anhängigen
Parteiverbotsverfahren, in dem ihre Existenz unmittelbar berührt
werde. |
50 |
15. Mit Schriftsatz vom 29. November
2002 haben die Antragsteller erklärt, nach einer Befragung aller
Verfassungsschutzämter könne ausgeschlossen werden, dass dem
Bundesvorstand der Antragsgegnerin Personen angehörten, die für die
Geheimdienste gearbeitet hätten und bei Einleitung des
Verbotsverfahrens "abgeschaltet" worden seien. |
51 |
Das Verfahren kann nicht fortgeführt
werden, weil der von der Antragsgegnerin sinngemäß gestellte Antrag
auf Einstellung des Verfahrens nicht die nach § 15 Abs. 4 BVerfGG
für eine Ablehnung erforderliche Mehrheit gefunden hat. Eine
Mehrheit von vier Richtern ist der Auffassung, dass ein
Verfahrenshindernis nicht besteht. Drei Richter sind der Auffassung,
dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt. |
52 |
1. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG
bedarf unter anderem in einem Parteiverbotsverfahren nach Art. 21
Abs. 2 GG i.V.m. §§ 43 ff. BVerfGG eine dem Antragsgegner
nachteilige Entscheidung in jedem Fall einer Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Senats. Mit dem Erfordernis der
qualifizierten Mehrheit errichtet das Gesetz über das
Bundesverfassungsgericht eine besondere verfahrensrechtliche Hürde
für bestimmte einschneidende Freiheitseingriffe oder für
schwerwiegende Maßnahmen gegen Staatsorgane. § 15 Abs. 4 Satz 1
BVerfGG verlangt, dass mindestens sechs des aus acht Richtern
bestehenden Senats (§ 2 Abs. 2 BVerfGG) eine nachteilige
Entscheidung gegenüber dem Antragsgegner tragen. Abweichend von der
allgemeinen Mehrheitsregel des § 15 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG kann
deshalb eine Minderheit Entscheidungen zum Nachteil des
Antragsgegners entgegenstehen, wenn die qualifizierte Mehrheit von
sechs Mitgliedern des Senats nicht zustande kommt (a). Die Ablehnung
des Antrags auf Einstellung des Verfahrens ist eine für die
Antragsgegnerin nachteilige Entscheidung (b). |
53 |
a) "Nachteilig" im Sinne des § 15 Abs.
4 Satz 1 BVerfGG ist grundsätzlich jede Entscheidung, die die
Rechtsposition des Antragsgegners verschlechtern oder sonst negativ
beeinflussen kann (vgl. Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der
Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Starck <Hrsg.>,
Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlass des
25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, 1976, S. 194
<207>; Zierlein, in: Umbach/Clemens <Hrsg.>, BVerfGG, § 15 Rn. 43).
Dies ist in einem Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG dann der Fall,
wenn der Parteiverbotsantrag zum Erfolg führt und das
Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer politischen
Partei feststellt (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. § 46 Abs. 1
BVerfGG). Ebenfalls dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit
unterliegt vor allem auch die im Vorverfahren gemäß § 45 BVerfGG zu
treffende Entscheidung, dass der Verbotsantrag zulässig sowie
hinreichend begründet und deshalb die Verhandlung durchzuführen ist.
Schon die Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigt den
Antragsgegner in seiner Rechtsstellung. |
54 |
b) Es bedarf keiner Entscheidung,
welche prozessualen Anträge des Antragsgegners im
Parteiverbotsverfahren von § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG erfasst
werden. Jedenfalls erfordert die Ablehnung der hier von der
Antragsgegnerin beantragten Einstellung des Verfahrens wegen eines
nicht behebbaren Verfahrenshindernisses die Einhaltung des Quorums
nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG. |
55 |
aa) Bereits der Wortlaut der
Vorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG macht deutlich, dass eine
qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, um einen Antrag auf
Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses
abzulehnen; er schreibt bei einer nachteiligen Entscheidung "in
jedem Fall" eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des
Senats vor. Zudem unterstützt ein Vergleich mit der Regelung des
§ 263 StPO ein solches Verständnis des § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG.
§ 263 StPO erstreckt das Erfordernis einer qualifizierten
Abstimmungsmehrheit im Strafverfahren - abweichend von § 196 Abs. 1
GVG - ausdrücklich nur auf einzelne, besonders hervorgehobene
Entscheidungen zum Nachteil des Angeklagten, nämlich auf die
Schuldfrage und den Rechtsfolgenausspruch und damit allein auf die
Sachentscheidung über den Anklagevorwurf (§ 263 Abs. 1 und 2 StPO).
Für die Entscheidung über die Voraussetzungen der Verjährung, eines
zur Verfahrenseinstellung führenden Hindernisses, wird die
qualifizierte Mehrheit nach § 263 Abs. 3 StPO dagegen nicht
verlangt. Auch für die Feststellung anderer Verfahrenshindernisse im
Strafverfahren bedarf es nicht der qualifizierten Mehrheit des § 263
Abs. 1 StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., 2003,
§ 263 Rn. 1 m.w.N.). |
56 |
Demgegenüber schreibt das Gesetz über
das Bundesverfassungsgericht in § 15 Abs. 4 Satz 1 "in jedem Fall"
für alle nachteiligen Entscheidungen gegenüber der betroffenen
Partei im Verbotsverfahren eine qualifizierte Mehrheit vor.
Eine Beschränkung des Abstimmungsquorums auf die abschließende
Entscheidung über den Parteiverbotsantrag ergibt sich aus § 15 Abs.
4 Satz 1 BVerfGG nicht (vgl. Brox, in: Ritterspach/Geiger <Hrsg.>,
Festschrift für Gebhard Müller, 1970, S. 1 <13>). Ebenso wenig
unterscheidet die Vorschrift zwischen Prozess- und Sachentscheidung
(vgl. Stern, aaO, S. 194 <207>). |
57 |
bb) Auch Sinn und Zweck der Vorschrift
des § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG sprechen dafür, jedenfalls die
Ablehnung des Antrags auf Einstellung wegen eines nicht behebbaren
Verfahrenshindernisses mit der zwingenden Folge der Fortsetzung des
Parteiverbotsverfahrens als nachteilige Entscheidung anzusehen. § 15
Abs. 4 Satz 1 BVerfGG trägt im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG
i.V.m. § 13 Nr. 2 BVerfGG der verfassungsrechtlichen Stellung der
politischen Parteien Rechnung. |
58 |
(1) Politische Parteien haben - im
Vergleich zu Vereinigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG - eine
hervorgehobene Stellung in der verfassungsrechtlichen Ordnung des
Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 2, 1 <13>). Sie werden in Art. 21
Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich notwendig für die politische
Willensbildung des Volkes anerkannt und stehen im Rang
verfassungsrechtlicher Institutionen (vgl. BVerfGE 1, 208 <225>;20,
56 <100>;73, 40 <85>). Sie sind die politischen Handlungseinheiten,
deren die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch
aktionsfähigen Gruppen zusammen zu schließen und ihnen so überhaupt
erst einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu
ermöglichen (vgl. BVerfGE 11, 266 <273>). Politische Parteien sind
Mittler zwischen dem Bürger und den Staatsorganen, durch die der
Wille der Bürger auch zwischen den Wahlgängen verwirklicht werden
kann (vgl. BVerfGE 20, 56 <101>´;52, 63 <82 f.>). Sie spielen daher
sowohl bei der demokratischen Willensbildung als auch bei der
staatlichen Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle (vgl.
BVerfGE 85, 264 <285>). |
59 |
(2) Aus dieser durch Art. 21 Abs. 1 GG
verfassungsrechtlich anerkannten Rolle der Parteien folgt in
formeller und materieller Hinsicht eine erhöhte Schutz- und
Bestandsgarantie. Da Parteien durch die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit (Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m. § 46 Abs. 1 BVerfGG)
und die Auflösung ihrer Organisation (§ 46 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG)
insgesamt von der freien Mitwirkung an der politischen
Willensbildung des Volkes und damit von ihrer durch Art. 21 Abs. 1
GG verfassungsrechtlich garantierten Aufgabe ausgeschlossen werden,
bedürfen gerichtliche Entscheidungen zum Nachteil einer Partei in
einem Verbotsverfahren einer besonderen Legitimation.
Dementsprechend soll § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG verhindern, dass die
besonders einschneidenden Folgen eines Parteiverbots sowie der
übrigen nachteiligen Entscheidungen gegenüber der betroffenen Partei
ohne hinreichend qualifizierte Mehrheit eintreten. |
60 |
(3) Dieser Regelungszweck erfasst auch
Entscheidungen über das Vorliegen jedenfalls eines nicht behebbaren
Verfahrenshindernisses. Würde das Bundesverfassungsgericht die
Einstellung des Verfahrens ablehnen, weil ein Verfahrenshindernis
nicht vorliegt, müsste das Parteiverbotsverfahren fortgesetzt und -
wie in § 45 BVerfGG vorgesehen - eine mündliche Verhandlung
durchgeführt werden. Die Fortsetzung des Verfahrens und die
Durchführung der mündlichen Verhandlung wären aber im Vergleich zu
der beantragten Verfahrenseinstellung eine eigenständige Belastung
für die betroffene Partei. Sie sähe sich - nicht zuletzt durch die
im Beschluss nach § 45 BVerfGG vorgenommene Einschätzung der
hinreichenden Begründetheit des Antrags - für die Dauer des
Verfahrens mit dem Vorwurf konfrontiert, verfassungswidrig zu sein. |
61 |
(4) Dass eine Minderheit von drei
Richtern der Auffassung ist, in Folge mangelnder Staatsfreiheit der
Antragsgegnerin auf der Führungsebene sowie mangelnder
Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der
Partei (B. II.) bestehe ein nicht behebbares Hindernis für die
Fortführung des mit den Anträgen vom 30. Januar und 30. März 2001
eingeleiteten Verfahrens, wirkt sich gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1
BVerfGG bei der von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens
vorzunehmenden Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen der
Prozessvoraussetzungen aus. Danach steht fest, dass die
Parteiverbotsanträge nicht zum Erfolg geführt werden können. Eine
Fortführung des Verfahrens wäre deshalb rechtsstaatlich nicht
vertretbar und der Antragsgegnerin nicht zuzumuten. |
62 |
2. Mit den nachfolgenden Erwägungen
legen die Minderheit und die Mehrheit jeweils ihre Rechtsansicht
dar. Diesen Gründen kommt keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1
BVerfGG zu, schon weil es sich bei dem Einstellungsbeschluss um eine
Prozessentscheidung und nicht um eine Sachentscheidung handelt (vgl.
BVerfGE 78, 320 <328>). |
63 |
Die Richter Hassemer und Broß sowie
die Richterin Osterloh sind der Auffassung, dass ein nicht
behebbares Verfahrenshindernis vorliegt. |
64 |
1. a) Der Grundgesetzgeber hat sich
dadurch, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung
geschaffen hat, für einen freien und offenen Prozess der Meinungs-
und Willensbildung des Volkes entschieden (BVerfGE 20, 56 <97>). Das
Volk bringt seinen politischen Willen nicht nur durch Wahlen und
Abstimmungen zum Ausdruck. Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der
politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe
bei Wahlen, sondern auch in der Einflussnahme auf den ständigen
Prozess der politischen Meinungsbildung (vgl. BVerfGE 8, 51 <68>;20,
56 <98 f.>). Es sind vor allem die politischen Parteien, die
zwischen den Wahlen im Sinn der von ihnen mitgeformten Meinung des
Volkes die Entscheidungen der Verfassungsorgane, vor allem die
Beschlüsse der Parlamente, beeinflussen. Sie wirken auch auf die
Bildung des Staatswillens ein (vgl. BVerfGE 3, 19 <26>;5, 85
<134>;14, 121 <133>;20, 56 <99>). Über die Parteien, deren innere
Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss, nimmt das Volk
auch zwischen den Wahlen Einfluss auf die Entscheidungen der
Verfassungsorgane. Zwischen den Faktoren und Medien des komplexen
Prozesses der Meinungs- und Willensbildung wirken mannigfache
Beziehungen, Abhängigkeiten und Einflussnahmen. Willensbildung des
Volkes und staatliche Willensbildung sind auf vielfältige Weise
miteinander verschränkt. In einer Demokratie muss sich diese
Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von
den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen (vgl. BVerfGE 20, 56
<99>). |
65 |
Die Beziehungen zwischen den
Staatsorganen und den politischen Parteien stehen unter dem
Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien und offenen
Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen (vgl.
BVerfGE 20, 56 <100>). Art. 21 GG hat die Parteien als
verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische
Willensbildung des Volkes anerkannt und sie in den Rang einer
verfassungsrechtlichen Institution erhoben (vgl. BVerfGE 20, 56
<100>;73, 40 <85>). Gleichwohl gehören die Parteien nicht zu den
Staatsorganen (BVerfGE 20, 56 <100 f.>;52, 63 <85>;73, 40 <85>). Die
Garantie einer grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und
Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen wehrt wegen der
verfassungsrechtlich vorgesehenen Tätigkeit der politischen Parteien
jede staatlich-institutionelle Verfestigung der Parteien ab und
verbietet ihre Einfügung in den Bereich der organisierten
Staatlichkeit (vgl. BVerfGE 20, 56 <101 f.>). |
66 |
Der Verfassunggeber ist vom Leitbild
einer Partei ausgegangen, die sich im offenen Mehrparteiensystem
frei bildet, aus eigener Kraft entwickelt und, gebunden an die
Verpflichtungen des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 GG, nach Vermögen im
Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 21 Abs.
2 GG) an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirkt. Die
Vorstellung des Verfassunggebers von freien, vom Staat unabhängigen
Parteien ist im Wortlaut des Art. 21 GG, vor allem in Absatz 1 Satz
2 bis 4, hinreichend bestimmt zum Ausdruck gekommen. |
67 |
Die Vorstellungen des Verfassunggebers
haben für die Auslegung des Art. 21 GG umso stärkeres Gewicht, als
sich aus ihnen im Zusammenhang mit dem objektiven Inhalt der
Verfassungsnorm ergibt, dass der Verfassunggeber unter dem Eindruck
geschichtlicher Erfahrungen Vorkehrungen getroffen hat, um die
Wiederholung einer verhängnisvollen Entwicklung zu verhindern.
Art. 21 GG muss nach seiner Entstehungsgeschichte verstanden werden
als Reaktion auf die Entwicklung des Parteienwesens in der Endphase
der Weimarer Republik und unter dem nationalsozialistischen Regime.
Die Vorschrift soll die freiheitliche demokratische Ordnung dadurch
sichern, dass sie einer undemokratischen Entwicklung im Parteiwesen
entgegentritt. Zugleich wehrt sie eine Verflechtung der Parteien mit
den Verfassungsorganen ab (vgl. BVerfGE 20, 56 <111>). |
68 |
b) Art. 21 GG stattet die politischen
Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer
erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem so genannten
Parteienprivileg) aus. Diese findet ihren Ausdruck vor allem darin,
dass die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen
Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für
verfassungswidrig erklärt werden können und dass es dazu einer
qualifizierten Mehrheit bedarf. Daraus folgt, dass bis zur
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand die
Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen kann.
Insofern kommt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
konstitutive Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 12, 296 <304 f.>; s.a.
BVerfGE 47, 198 <228>). |
69 |
Das Entscheidungsmonopol des
Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten
gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie
sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch
so feindlich verhalten (BVerfGE 40, 287 <291>;47, 198 <228>). Die
Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer
politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein (vgl. BVerfGE
12, 296 <305 ff.>;39, 334 <357>;47, 198 <228>). Das Grundgesetz
nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur
Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen
Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, auch wenn sie
verfassungsfeindliche Ziele propagiert, im Rahmen einer
verfassungsmäßig verbürgten Toleranz (vgl. BVerfGE 12, 296 <306>;47,
198 <228>). |
70 |
2. Das Bundesverfassungsgericht hatte
bisher keinen Anlass, zu den Grenzen zulässiger Beobachtung
politischer Parteien durch staatliche Behörden mit
nachrichtendienstlichen Mitteln grundsätzlich Stellung zu nehmen.
Auch für den vorliegenden Entscheidungszusammenhang stellt sich
diese Frage lediglich im Hinblick auf einen spezifisch begrenzten
Ausschnitt innerhalb des umfangreicheren Problemkreises. Zu
beantworten ist, wieweit es mit rechtsstaatlichen Anforderungen an
ein Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist, wenn
unmittelbar im Zusammenhang mit der Stellung verfahrenseinleitender
Anträge nachrichtendienstliche Kontakte zwischen staatlichen
Behörden des Bundes oder der Länder mit Vorstandsmitgliedern der
Partei, um deren Verfassungswidrigkeit es geht, auf Bundes- und
Landesebene unterhalten und gesucht werden. In diesem Zusammenhang
ist auch von Bedeutung, wieweit rechtsstaatliche
Verfahrensanforderungen es zulassen, dass die Antragsteller ihre
Antragsbegründung auch auf öffentliche Äußerungen von
Parteimitgliedern stützen, die nachrichtendienstliche Kontakte mit
staatlichen Behörden unterhalten oder unterhalten haben. |
71 |
Weder das Grundgesetz noch das
Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthalten spezielle Normen zu den
rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Durchführung eines
Verfahrens gemäß Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 2, 43 ff.
BVerfGG sowie zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen solche
Anforderungen, insbesondere zur Möglichkeit und zu den
Voraussetzungen der Einstellung des Verfahrens wegen nicht
behebbarer Verfahrenshindernisse. Auch das Gericht hatte zu solchen
Fragen im Verfassungsprozess bisher nicht Stellung zu nehmen. |
72 |
Lediglich für den Strafprozess ist in
der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt, dass absolute
Verfahrenshindernisse in besonders gelagerten Ausnahmefällen
unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden können (vgl.
BVerfGE 51, 324 <343 ff.>): Der staatliche Strafverfolgungsanspruch
darf danach weder "ohne Rücksicht auf die Grundrechte des
Beschuldigten durchgesetzt werden, noch erfordert jede denkbare
Gefährdung dieser Rechte ein Zurückweichen jenes Anspruchs". Im
Konfliktfall sei nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips
abzuwägen (vgl. BVerfGE aaO, S. 346; weitergehend zur unmittelbaren
Ableitung strafverfahrensrechtlicher Verfolgungshindernisse aus dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip für die speziell gelagerte Frage
möglicher Strafbarkeit und Verfolgbarkeit früherer Mitarbeiter und
Agenten des MfS BVerfGE 92, 277 <325 ff.>, mit abweichender Meinung
der Richter Klein, Kirchhof und Winter, S. 341 ff.). Auch eine Reihe
von Kammerentscheidungen hat vor allem in Fällen
rechtsstaatswidriger Provokationen von Straftaten durch
Strafverfolgungsorgane und bei überlanger Verfahrensdauer im
Strafprozess unmittelbar rechtsstaatlich begründete
Verfahrenshindernisse angenommen (vgl. z.B. Beschluss des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts <Vorprüfungsausschuss> vom 24.
November 1983 - 2 BvR 121/83 -, NJW 1984, S. 967; Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom
19. April 1993 - 2 BvR 1487/90 -, NJW 1993, S. 3254, 3255; zuletzt
m.w.N. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 327/02 u.a. -
juris). |
73 |
Der vom Zweiten Senat mit Blick auf
den Grundrechtsschutz des Angeklagten im Strafprozess formulierte
Grundgedanke gilt sinngemäß für jedes im staatlichen Interesse
durchzuführende gerichtliche Verfahren und auch für das
verfassungsgerichtliche Verfahren zur Feststellung der
Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG: Kein
staatliches Verfahren darf einseitig nur nach Maßgabe des jeweils
rechtlich bestimmten Verfahrenszwecks ohne Rücksicht auf mögliche
gegenläufige Verfassungsgebote und auf mögliche übermäßige
rechtsstaatliche Kosten einseitiger Zielverfolgung durchgeführt
werden. Die Durchsetzung jedes staatlichen Verfahrensinteresses muss
im Konflikt mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Rechten,
Grundsätzen und Geboten als vorzugswürdig nach Maßgabe der
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. |
74 |
Auch im verfassungsgerichtlichen
Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG ist dem Bundesverfassungsgericht
mit der alleinigen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Frage
der Verfassungswidrigkeit einer Partei und für den Ausspruch der
Rechtsfolgen gemäß § 46 Abs. 3 BVerfGG zugleich eine
Garantenstellung für die Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen
an das Entscheidungsverfahren und die Entscheidungsfindung
zugewiesen. Kommt es im Verfahren zu gravierenden Verstößen gegen
objektives Verfassungsrecht oder gegen subjektive Rechte der
Antragsgegnerin, so hat das Gericht zu prüfen, ob das staatliche
Interesse an der weiteren Durchführung des Verfahrens überwiegt oder
ob die Fortsetzung des Verfahrens den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens und dem
verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Rechte der Antragsgegnerin
widerspräche. |
75 |
Die Annahme eines
Verfahrenshindernisses mit der Folge sofortiger
Verfahrenseinstellung kommt freilich nur als ultima ratio möglicher
Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen und nur insoweit in Betracht,
als dies mit den spezifischen Gefahrenabwehrzwecken des Verfahrens
gemäß Art. 21 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 25, 44 <56>)
vereinbar ist. Voraussetzung für die Einstellung eines solchen
Verfahrens ist deshalb, erstens, ein Verfassungsverstoß von
erheblichem Gewicht, der, zweitens, einen nicht behebbaren
rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des Verfahrens
bewirkt, so dass, drittens, die Fortsetzung des Verfahrens auch bei
einer Abwägung mit den staatlichen Interessen an wirksamem Schutz
gegen die von einer möglicherweise verfassungswidrig tätigen Partei
ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist. |
76 |
3. a) Die Beobachtung einer
politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als
Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren,
unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens vor
dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der
Verfassungswidrigkeit der Partei ist in der Regel unvereinbar mit
den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren, die sich aus
Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20
Abs. 3 GG, ergeben. |
77 |
aa) Die Sicherheitsbehörden der
Bundesrepublik Deutschland haben die verfassungsrechtlich begründete
Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen.
Sie erfüllen diese Pflicht unter anderem dadurch, dass sie auf
gesetzlicher Grundlage bei gegebenem Anlass Gruppen und auch
politische Parteien beobachten, um feststellen zu können, ob von
ihnen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung
ausgeht (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Soweit die Ergebnisse solcher
Beobachtungen und entsprechende negative Werturteile in
Verfassungsschutzberichten dem Parlament und der Öffentlichkeit
präsentiert werden und daraus für eine Partei tatsächliche
Nachteile, etwa bei der Gewinnung von Mitgliedern oder Anhängern,
entstehen, ist sie dagegen nach der Rechtsprechung des Zweiten
Senats grundsätzlich nicht durch Art. 21 GG geschützt (vgl. BVerfGE
39, 334 <360>;40, 287 <293>). Dies ändert, wie das
Bundesverwaltungsgericht bereits zutreffend festgestellt hat,
freilich nichts daran, dass die Beobachtung mit
nachrichtendienstlichen Mitteln einen schwerwiegenden Eingriff in
das aus der Parteienfreiheit folgende Selbstbestimmungsrecht einer
politischen Partei darstellt und deshalb nicht nur eine hinreichend
bestimmte gesetzliche Grundlage voraussetzt, sondern auch besonderer
Rechtfertigung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
bedarf (vgl. BVerwGE 110, 126 ff. mit Leitsatz 2). |
78 |
Keinen Bedenken begegnet danach
einerseits die Beobachtung einer politischen Partei im allgemeinen
öffentlich zugänglichen Rahmen, etwa bei Versammlungen oder
Aufmärschen. Ebenso wenig stößt die laufende Beobachtung der von der
Partei herausgegebenen oder von ihr veranlassten Druckerzeugnisse
durch sachkundige staatliche Behörden auf Bedenken. Andererseits
darf eine intensivere Beobachtung politischer Parteien mit
nachrichtendienstlichen Mitteln jedenfalls nicht dazu führen, dass
etwa eingeschleuste Bedienstete staatlicher Behörden gezielt und
wirkungsvoll Einfluss auf die Willensbildung der Vorstände einer
politischen Partei auf Bundes- oder Landesebene nehmen, so dass der
Sache nach von einer Veranstaltung des Staates gesprochen und der
Partei demgemäß ihr Status als Partei abgesprochen werden müsste. |
79 |
bb) Vor diesem Hintergrund erweist
sich die Beobachtung einer Partei durch nachrichtendienstliche
Kontakte staatlicher Behörden zu Mitgliedern des Bundesvorstands,
eines Landesvorstands oder einer entsprechenden führenden
Organisationseinheit der observierten Partei grundsätzlich als eine
schwerwiegende Beeinträchtigung der mit dem verfassungsrechtlichen
Status der Partei gemäß Art. 21 Abs. 1 GG verbundenen
Gewährleistungen. |
80 |
Staatliche Präsenz auf der
Führungsebene einer Partei macht Einflussnahmen auf deren
Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar. Dieser Befund ist im Fall
besonderer politischer Aktivität eines V-Manns evident, jedoch auch
dann unübersehbar, wenn das Führungsmitglied politische
Zurückhaltung übt. Die Rolle als führendes Parteimitglied - sei es
auf Landesebene als Mitglied des Landesvorstands, sei es auf
Bundesebene als Mitglied des Bundesvorstands - hat notwendig zur
Folge, dass jedwede politische Aktivität wie Passivität
Willensbildung und außenwirksames Erscheinungsbild der Partei mit
beeinflussen. Dies gilt nicht nur für eingeschleuste Mitarbeiter
staatlicher Behörden, deren eigene politische Zielsetzungen denen
der infiltrierten Partei ganz entgegengesetzt sein mögen.
Zwangsläufigkeit staatlicher Einflussnahme auf Willensbildung und
Außenwirkung einer Partei ist auch in all jenen Fällen gegeben, in
denen vom Parteiprogramm überzeugte Parteimitglieder erfolgreich als
Informanten gewonnen werden können. Auch diese V-Leute wirken
notwendig als Medien staatlicher Einflussnahme insofern, als ihre
politische Aktivität oder Passivität auf der Führungsebene der
beobachteten Partei geprägt ist durch widersprüchliche
Loyalitätsansprüche an die Rollen als führendes Parteimitglied
einerseits und andererseits als - in der Regel entgeltlich tätiger -
Informant für staatliche Behörden, dessen Aufgabe es sein kann,
Material für einen möglichen Antrag auf ein Parteiverbot zu
beschaffen. |
81 |
cc) Wieweit dies bereits grundsätzlich
- außerhalb möglicherweise rechtfertigender, besonderer gesteigerter
Gefahrenlagen - zur Verfassungswidrigkeit der
nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Vorstandsmitgliedern
einer Partei auf Landes- und Bundesebene führt, hatte der Senat
vorliegend nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist eine solche
verfassungsrechtliche Würdigung dann unausweichlich, wenn die
staatliche Präsenz auf der Führungsebene der Partei auch unmittelbar
vor und im Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG aufrechterhalten
bleibt. |
82 |
Die verfassungsrechtlichen
Gewährleistungen der Parteienfreiheit (auch) durch die
Gewährleistung von Staatsfreiheit und Selbstbestimmung werden nach
Einleitung eines Verbotsverfahrens ergänzt und verstärkt durch
spezifisch verfahrensrechtliche Garantien, die allgemein als
Grundsätze eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens bezeichnet
werden. Insoweit sind schon im Ansatz Besonderheiten des
Parteiverbotsverfahrens im Gegensatz insbesondere zum Strafprozess
hervorzuheben. |
83 |
Im Strafprozess geht es um die
Feststellung schuldhaften und strafbaren individuellen Verhaltens
und um die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, also primär
um repressiven staatlichen Rechtsgüterschutz. Dagegen dient das
verfassungsgerichtliche Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG dem
präventiven Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,
eines der tragenden Fundamente des Staatswesens. Die Partei als
Organisation bewegt sich hier in der Rolle des potentiellen Staats-
und Verfassungsfeindes. Sie erhält vor dem Bundesverfassungsgericht
- gegebenenfalls letztmalig - die Chance, dem Vorbringen der
Antragsteller, die ein Parteiverbot zur Gefahrenabwehr für notwendig
erklären, das Bild einer loyalen verfassungsrechtlichen Institution
entgegenzusetzen, deren weitere Teilnahme am Prozess der Volks- und
Staatswillensbildung gerade im Interesse einer freiheitlichen
demokratischen Grundordnung notwendig und legitim ist.
Parteienfreiheit im Sinne von Staatsfreiheit und Selbstbestimmung
gewinnen in dieser Situation eine besonders herausragende Bedeutung:
Mitglieder der Führungsebene, die mit einander entgegengesetzten
Loyalitätsansprüchen des staatlichen Auftraggebers und der
observierten Partei konfrontiert sind, schwächen die Stellung der
Partei als Antragsgegnerin vor dem Bundesverfassungsgericht im Kern.
Sie verfälschen unausweichlich die rechtsstaatlich notwendige freie
und selbstbestimmte Selbstdarstellung der Partei im
verfassungsgerichtlichen Prozess. |
84 |
Für diese Wirkung kommt es nicht auf
tatsächliche Informationen der Antragsteller über die
"Prozessstrategie" der Partei im Verbotsverfahren an. Ausreichend
ist die bloße Präsenz "doppelfunktionaler", sowohl mit dem Staat als
auch mit der Partei rechtlich und faktisch verknüpfter
"Verbindungs-" Personen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang
auch, wie eine betroffene politische Partei ihre Beobachtung durch
staatliche Stellen empfindet, ob sie diese ironisiert, ob sie sich
bedroht fühlt oder ob sie etwa die Gelegenheit benutzt, staatliche
Organe bloßzustellen. Nicht die subjektive Sicht eines
Prozessbeteiligten im Verbotsverfahren ist verfassungsrechtlich
erheblich, sondern allein die objektiven Gegebenheiten sind es. |
85 |
dd) Vor diesem Hintergrund gebieten
die rechtsstaatlichen Anforderungen an das Parteiverbotsverfahren
gemäß Art. 21 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG strikte
Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter
Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem
Bundesverfassungsgericht. Das verfassungsgerichtliche Parteiverbot,
die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen
Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde, braucht ein Höchstmaß
an Rechtssicherheit, Transparenz, Berechenbarkeit und
Verlässlichkeit des Verfahrens. Dies gilt auch für das zu
beurteilende Tatsachenmaterial. Nur eindeutige und offene
Zurechnungen von Personen, Verhalten und Äußerungen entweder zur
Sphäre der Antragsteller oder zu der der Antragsgegnerin ermöglichen
es dem Gericht, eine verfassungsrechtlich vertretbare Entscheidung
über Verfassungswidrigkeit oder Verfassungsmäßigkeit der Partei als
Ergebnis eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens zu finden und
zu verantworten. |
86 |
ee) Das Gericht kann seine Aufgabe der
Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur dann
wahrnehmen, wenn auch die zur Antragstellung berechtigten
Verfassungsorgane die ihnen zugewiesene Verfahrensverantwortung
erkennen und wahrnehmen. Es ist zunächst die Pflicht der
Antragsteller, durch sorgfältige Vorbereitung ihrer Anträge die
notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung eines
Verbotsverfahrens zu schaffen. Deshalb müssen die staatlichen
Stellen rechtzeitig vor dem Eingang des Verbotsantrags beim
Bundesverfassungsgericht - spätestens mit der öffentlichen
Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag zu stellen - ihre Quellen
in den Vorständen einer politischen Partei "abgeschaltet" haben; sie
dürfen nach diesem Zeitpunkt keine die "Abschaltung" umgehende
"Nachsorge" betreiben, die mit weiterer Informationsgewinnung
verbunden sein kann, und müssen eingeschleuste V-Leute zurückgezogen
haben. |
87 |
Diese verfassungsrechtlichen
Erfordernisse können ohne Schwierigkeiten erfüllt werden, soweit
Dienststellen des Bundes und der Länder die Beobachtung einer
politischen Partei auf der Vorstandsebene konzeptionell geordnet und
koordiniert organisieren, was zugleich die einzige Möglichkeit ist,
verlässlich der Gefahr vorzubeugen, dass es durch ein ungeordnetes
Nebeneinander von Aktivitäten staatlicher Stellen auf Bundes- und
Länderebene ungewollt zu einem Umschlag staatlicher Beobachtung in
eine mit der Staatsfreiheit der politischen Partei unvereinbare
staatliche Aufsicht oder gar Steuerung kommt. |
88 |
ff) Diese Anforderungen an ein
rechtsstaatliches Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG gelten für den
Regelfall. Einschränkungen zulasten der Verfahrensrechte der
Antragsgegnerin und zugunsten zwingend erforderlicher Maßnahmen zur
Abwehr akuter Gefahren mögen in extremen Ausnahmefällen geboten
sein, etwa, wenn unter dem Deckmantel der Organisation als
politische Partei Gewalttaten oder andere schwerwiegende Straftaten
vorbereitet oder geplant werden. Zu solchen Ausnahmelagen näher
Stellung zu nehmen, gibt jedoch das vorliegende Verfahren keinen
Anlass (vgl. unter 4.). |
89 |
gg) Den Geboten der Staatsfreiheit der
politischen Parteien und der Verlässlichkeit und Transparenz des
Parteiverbotsverfahrens widersprechen auch Begründungen eines
Antrags zur Einleitung dieses Verfahrens, die in nicht unerheblichem
Umfang auf Äußerungen von Parteimitgliedern gestützt sind, die
nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhalten
oder unterhalten haben. |
90 |
Dies gilt unabhängig von der
grundsätzlichen Frage der Verwertbarkeit der Informationen von
V-Leuten im verfassungsgerichtlichen Verbotsverfahren und auch
unabhängig davon, ob "verfassungsfeindliche" Äußerungen von V-Leuten
im Ergebnis der Partei zugerechnet werden können. Entscheidend ist
vielmehr, ob Personen mit ihren Äußerungen als Teil des Bildes einer
verfassungswidrigen Partei präsentiert werden, die
nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhalten
oder unterhalten haben, ohne dies kenntlich und so die daraus
folgenden Zurechnungsprobleme offen zum Gegenstand der Verhandlung
im Prozess zu machen. Auch die Aufbereitung eindeutig zurechenbarer
Tatsachen und die Offenlegung möglicher entscheidungserheblicher
Zurechnungsfragen gehören zu den Aufgaben, die die Antragsteller im
Rahmen der ihnen eigenen Verfahrensverantwortung wahrzunehmen haben.
Diese Aufgaben können nur mit Hilfe sorgfältiger Vorbereitung eines
Verbotsantrags erfüllt werden. Sonst wird dem Gericht die
Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei der Ermittlung
verlässlichen Tatsachenmaterials unmöglich gemacht oder doch in
verfassungswidriger Weise wesentlich erschwert. |
91 |
b) Ob ein Verstoß gegen die
verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Verfahrensgestaltung einen
nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des
Verfahrens bewirkt, so dass die Fortsetzung des Verfahrens auch bei
einer Abwägung mit den staatlichen Interessen an wirksamem Schutz
gegen die von einer Partei ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich
ausgeschlossen ist, lässt sich nicht generell abstrakt beantworten.
Das Gewicht der Verfassungsverstöße und deren Folgen für das
Verfahren können nur auf Grund umfassender Würdigung der konkreten
Verfahrenssituation beurteilt werden, und auch die erforderliche
Abwägung muss die konkrete Gefahrensituation, auf die eine mögliche
Einstellung des Verfahrens trifft, in den Blick nehmen. |
92 |
Mangelnde Staatsfreiheit der Partei
auf der Führungsebene noch nach Einleitung des Verbotsverfahrens
ebenso wie mangelnde Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung
ausgebreiteten Bildes der Partei werden freilich schon aus Gründen
legitimen Geheimnis- und Personenschutzes selten reparabel sein.
Dieses Dilemma lässt sich auch durch nachträgliche Offenlegung vor
Gericht "in camera", also unter Ausschluss der Antragsgegnerin,
nicht überwinden. Ein solches Verfahren scheidet aus dem Arsenal
rechtsstaatlicher Instrumente zulasten der Antragsgegnerin im
Parteiverbotsverfahren aus. |
93 |
Soweit ein nicht behebbarer
rechtsstaatlicher Mangel des Verfahrens festzustellen ist, wird
dessen Fortsetzung nur in ganz außergewöhnlichen Gefahrensituationen
in Betracht zu ziehen sein, wobei sich ohnehin die Voraussetzungen
für eine nur im Ausnahmefall mögliche Rechtfertigung staatlicher
Präsenz auf der Führungsebene im Verbotsverfahren mit den Gründen
für ein überwiegendes staatliches Interesse an der Fortsetzung des
Verfahrens weitgehend decken. |
94 |
Für die Gesamtabwägung sind
wesentliche Eigenheiten des - präventiven - verfassungsgerichtlichen
Parteiverbotsverfahrens im Unterschied zum - repressiven -
Strafprozess von erheblicher Bedeutung. Während es bei der
Einstellung eines Strafprozesses wegen eines nicht behebbaren
Verfahrenshindernisses immer um einen endgültigen Verzicht auf das
staatliche Strafverfolgungsinteresse geht, gilt anderes für die
Rechtsfolgen der Einstellung des verfassungsgerichtlichen
Verfahrens. Hier geht es nicht um eine abschließende Entscheidung
über die Zulässigkeit künftiger Verbotsanträge. Erneute Anträge
bleiben vielmehr ohne weiteres möglich, und sie müssen, im Gegensatz
zu den Rechtsfolgen einer gerichtlichen Sachentscheidung gemäß § 47
i.V.m. § 41 BVerfGG, insbesondere nicht "auf neue Tatsachen
gestützt" sein. |
95 |
c) Das Verfahrenshindernis wirkt für
den Fall, dass - wie hier - Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat
als Antragsteller auftreten, gegen alle Antragsteller, auch wenn ein
Verstoß nur auf Bundes- oder nur auf Länderebene unterlaufen ist
oder wenn, wie der Deutsche Bundestag, ein antragstellendes
Staatsorgan selbst nicht durch eigene Behörden tätig geworden ist.
Das Verbot einer politischen Partei zielt auf deren Ausscheiden aus
dem politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland ab; es nimmt
ihr die Eigenschaft als verfassungsrechtliche Institution eigener
Art. Das Verbotsverfahren muss als Ganzes objektiv rechtsstaatlich
sein. Deshalb ist bei der Frage der Zurechnung von Verstößen auf die
Gesamtheit der staatlichen Gewalt abzustellen. |
96 |
4. Die Art und Intensität der
Beobachtung der Antragsgegnerin durch die Verfassungsschutzbehörden
des Bundes und der Länder unmittelbar vor und auch nach Eingang des
Verbotsantrags der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht am
30. Januar 2001 sowie die nicht unerhebliche Abstützung der
Antragsbegründungen auf Äußerungen von Mitgliedern der
Antragsgegnerin, die V-Leute staatlicher Behörden sind oder waren,
werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. |
97 |
a) Nach den von den Antragstellern
eingereichten Stellungnahmen und vorgelegten dienstlichen
Erklärungen einiger Präsidenten von Verfassungsschutzämtern der
Länder und auf Grund des Ergebnisses des Erörterungstermins vor dem
Bundesverfassungsgericht am 8. Oktober 2002 steht - nach Überzeugung
aller Mitglieder des Senats - fest, dass unmittelbar vor und auch
noch nach Eingang des Verbotsantrags der Bundesregierung
nachrichtendienstliche Kontakte mit Mitgliedern der Antragsgegnerin
im Bundesvorstand und in Landesvorständen bestanden haben. |
98 |
aa) Zu diesem Ergebnis führen im
Einzelnen folgende Feststellungen: |
99 |
Im Schriftsatz der Antragsteller vom
26. Juli 2002 (dort S. 29) wird hervorgehoben, die
Verfassungsschutzbehörden müssten besonderen Wert darauf legen,
Informationen gerade aus den Vorständen der Partei zu erlangen, weil
auf dieser Ebene Strategie und Taktik und die jeweils geplanten
Aktionen besprochen würden. Dies sei zulässig gewesen und sei noch
zulässig. Es gebe folglich V-Leute auf der Ebene der Vorstände,
deren prozentualer Anteil an drei überprüften Stichtagen - am 4.
April 1997, 31. Juli 2001 und 17. April 2002 - jeweils unter 15%
(von jeweils etwa 200 Mitgliedern der Vorstände) gelegen habe. Eine
Einschränkung bezüglich des Bundesvorstands der Antragsgegnerin wird
dort nicht gemacht, sondern erst nach Problematisierung der Frage im
Erörterungstermin am 8. Oktober 2002. Im Erörterungstermin wurde
auch ergänzend mitgeteilt, dass in den Landesvorständen im Schnitt
jeweils ein bis zwei Mitglieder V-Leute seien. |
100 |
Nach den Äußerungen der Antragsteller
gibt es also auch nach der Antragstellung in den Landesvorständen
der Antragsgegnerin V-Leute in beträchtlicher Zahl. Auf der Ebene
des Bundesvorstands führte jedenfalls der Bund seine
nachrichtendienstlichen Kontakte nach Antragstellung fort: In der
Erklärung aller Prozessbevollmächtigten der Antragsteller im
Schriftsatz vom 17. Oktober 2002 wird noch einmal die dienstliche
Erklärung des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz vom
29. Juli 2002 bestätigt. Danach ist der Kontakt mit dem V-Mann und
Mitglied des Bundesvorstands Udo Holtmann erst mit Wirkung vom
25. Januar 2002 und sonach erst lange nach Eingang aller drei
Verbotsanträge beendet worden. |
101 |
Dagegen sollen - ebenfalls nach der
Erklärung im Schriftsatz vom 17. Oktober 2002 - die Länder seit der
Antragstellung durch die Bundesregierung keine V-Leute mehr im
Bundesvorstand der Antragsgegnerin geführt haben. |
102 |
Ob diese Erklärung so vollen Umfangs
den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht wird, mag dahinstehen.
Jedenfalls ist erheblich, dass etwa der Präsident des Bayerischen
Landesamts für Verfassungsschutz in seiner Erklärung vom 25. Juli
2002 ohne Einschränkung davon spricht, dass die NPD in dem in der
gerichtlichen Verfügung vom 3. Mai 2002 angesprochenen Zeitraum von
1996 bis 2002 ständig Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts
für Verfassungsschutz gewesen sei. In die gleiche Richtung gehen die
dienstliche Erklärung der Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz
der Senatsverwaltung für Inneres in Berlin vom 25. Juli 2002 wie
auch die dienstliche Erklärung des Direktors des Landesamts für
Verfassungsschutz Hessen vom 25. Juli 2002. |
103 |
Bedeutsam ist auch, dass das
"Abschalten" eines V-Mannes allein den verfassungsrechtlichen
Anforderungen nicht ohne weiteres gerecht wird. Für die
verfassungsrechtliche Bewertung eines solchen Vorgangs ist nicht
entscheidend, wann eine Quelle auf Vorstandsebene formal
"abgeschaltet" wird. Entscheidend ist vielmehr, wann der
informationelle Kontakt endgültig eingestellt ist. |
104 |
In diesem Zusammenhang ist die
Erklärung des Präsidenten des Thüringer Landesamts für
Verfassungsschutz vom 19. Juli 2002 zu würdigen. Er teilt mit, Tino
Brandt, V-Mann seit 1994 (mit nur kurzfristiger Unterbrechung im
Jahr 2000) sowie hoher Funktionär der Antragsgegnerin auf
Landesebene (u.a. zeitweise Landespressesprecher und
stellvertretender Landesvorsitzender in Thüringen), sei zwar am
17. Januar 2001 als Quelle endgültig abgeschaltet worden. Allerdings
hätten im Rahmen einer so genannten Nachsorge bis Mai 2001 noch
sieben Treffen zwischen Brandt und einem Mitarbeiter des Thüringer
Verfassungsschutzamtes stattgefunden. Zwar wird als Ziel der
"Nachsorge" angegeben, Tino Brandt zum Rückzug aus der
rechtsextremistischen Szene zu bewegen, daneben jedoch auch
eingeräumt, dass anlässlich dieser Treffen Informationen
entgegengenommen worden sind. |
105 |
Weitere dienstliche Erklärungen der
zuständigen Behörden dazu, ob und in welchem Umfang bei anderen
abgeschalteten V-Leuten Nachsorgemaßnahmen durchgeführt worden sind,
fehlen. Allerdings ergibt sich aus dem Schriftsatz der Antragsteller
vom 8. Februar 2002 (S. 15), dass auch im Fall des Wolfgang Frenz
"Nachsorgemaßnahmen" mit Entgegennahme von Informationen
stattgefunden haben. |
106 |
Schließlich hat noch nach Eingang der
Verbotsanträge in Richtung eines weiteren Mitglieds des
Bundesvorstands der Antragsgegnerin, Jürgen Distler, ein
Anwerbeversuch stattgefunden. Das ergibt sich aus dem Schreiben des
Präsidenten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz vom
19. Februar 2002 an das Bundesverfassungsgericht. Hiernach wurde
Jürgen Distler am 11. April 2001 in Bayreuth durch einen Mitarbeiter
seiner Behörde mit dem Ziel der Anwerbung angesprochen. Auch wenn
dieser Versuch erfolglos war, zeigt er, dass selbst nach Stellen der
Verbotsanträge Aktivitäten von Seiten des Verfassungsschutzes
stattgefunden haben mit dem Ziel, die Antragsgegnerin auf
Vorstandsebene zu beobachten. |
107 |
Diese Feststellungen machen eine
weitere Aufklärung der Frage entbehrlich, ob tatsächlich mit Eingang
des Verbotsantrags der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht
die Länder keine V-Leute mehr im Bundesvorstand der Antragsgegnerin
geführt haben. |
108 |
bb) Nach allem kann von Staatsfreiheit
der Führungsebenen der Antragsgegnerin nach Einleitung des
Verbotsverfahrens keine Rede sein. Die Feststellungen zur
Anwesenheit von V-Leuten in den Landesvorständen der Antragsgegnerin
und zu den das Mitglied des Bundesvorstands Jürgen Distler sowie die
V-Männer Udo Holtmann und Tino Brandt betreffenden Ereignissen
stützen sich ausnahmslos auf die Angaben der Antragsteller, so dass
auch verbleibende Unstimmigkeiten unterschiedlicher Erklärungen
keiner Aufklärung bedürfen. Die von den Antragstellern eingeräumten
informationellen Kontakte mit V-Leuten im Bundesvorstand und in den
Landesvorständen der Antragsgegnerin auch nach Einleitung des
Verbotsverfahrens sind zweifelsfrei belegt. |
109 |
b) Zweifelsfrei belegt ist auch die
nicht unerhebliche Abstützung der Antragsbegründungen auf Äußerungen
von Mitgliedern der Antragsgegnerin, die als V-Leute für staatliche
Behörden tätig sind oder tätig waren, ohne dass dies offen zu einem
Gegenstand der Erörterung im Verfahren gemacht worden ist oder noch
gemacht werden könnte. Das betrifft zum einen Wolfgang Frenz, der
mehr als 30 Jahre lang als Informant für den Verfassungsschutz
Nordrhein-Westfalen tätig gewesen war und dessen anschließend
verfasste, besonders offen formulierte antisemitische Äußerungen als
Autor des Buches "Der Verlust der Väterlichkeit" in allen
Antragsschriften mit unterschiedlicher Häufigkeit als Beleg für eine
entsprechende Grundeinstellung der Antragsgegnerin zitiert werden.
Zum anderen kommen nach den Angaben der Antragsteller vier weitere
V-Leute hinzu, die in den Antragsschriften aufgeführt seien, deren
Äußerungen jedoch nur in einem Fall zeitlich mit der Tätigkeit als
Informant zusammenfielen. Weder die Namen der betreffenden Personen
noch deren Äußerungen wurden bekannt gegeben. Also kann der Senat
nicht beurteilen, welche Teile des ihm im Verbotsverfahren
vorgelegten Materials von staatlich geführten V-Leuten stammen und
welche nicht. |
110 |
c) aa) Eine besondere
Ausnahmesituation, auf Grund deren die massive staatliche Präsenz
auf den Vorstandsebenen der Antragstellerin auch nach Eingang der
gemäß § 43 Abs. 1 BVerfGG gestellten Anträge hätte gerechtfertigt
werden können, wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht und
ist auch nicht erkennbar. Die Antragsteller selbst haben die von
ihnen als gegeben erachtete Notwendigkeit und Zulässigkeit des
Einsatzes von V-Leuten auf den Vorstandsebenen der Antragsgegnerin
ausschließlich mit den allgemeinen, im Regelfall bestehenden
Informationsbedürfnissen im Rahmen der Beobachtung einer politischen
Partei begründet, nämlich durch die oben erwähnte Äußerung im
Schriftsatz vom 26. Juli 2002 (S. 29), Verfassungsschutzbehörden
müssten besonderen Wert darauf legen, Informationen gerade aus den
Vorständen der Partei zu erlangen, weil auf dieser Ebene Strategie
und Taktik sowie die jeweils geplanten Aktionen besprochen würden. |
111 |
Trotz dieses Selbstverständnisses geht
aus den Maßnahmen der Antragsteller auch hervor, dass sie von
Grenzen einer Fortsetzung der Beobachtung auf Führungsebene gerade
auch im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren ausgegangen sind. Nach
den Erklärungen der Prozessbevollmächtigten vom 17. Oktober und 29.
November 2002 haben jedenfalls die Verfassungsschutzämter der Länder
seit der Antragstellung durch die Bundesregierung keine V-Leute im
Bundesvorstand der Antragsgegnerin geführt. Sonach hatten sie die
Verfassungsrechtslage im Ansatz zutreffend eingeschätzt und sich an
den zu erwartenden verfassungsrechtlichen Anforderungen
ausgerichtet. Das gilt so zwar nicht für das Bayerische Landesamt
für Verfassungsschutz mit seinem Versuch, das Mitglied des
Bundesvorstands, Jürgen Distler, anzuwerben, sowie für das Bundesamt
für Verfassungsschutz, das seinen V-Mann Udo Holtmann noch bis weit
nach Stellung der Verbotsanträge im Januar 2002 weiter als Quelle
benutzt hat. Das Bundesamt hat jedoch in der Vergangenheit selbst
die Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Antragsgegnerin auf
Vorstandsebene schon als grundsätzlich problematisch erkannt, wie
die vorübergehende Abschaltung von Udo Holtmann 1995/1996 zeigt.
Dieser hatte damals den kommissarischen Bundesvorsitz der
Antragsgegnerin übernommen. |
112 |
bb) Auch für eine ausnahmsweise
Rechtfertigung dafür, dass die Antragsbegründungen nicht unerheblich
auf Äußerungen führender Parteimitglieder gestützt sind, die
zeitgleich oder zu früheren Zeitpunkten als V-Leute auch im Dienst
staatlicher Stellen tätig waren, ist nichts ersichtlich.
Insbesondere fehlen Anhaltspunkte für etwa gefahrenbedingte
Eilbedürftigkeit, die an einer Vorbereitung der Anträge mit
sachgerechter Sorgfalt gehindert hätte. Zwar ist nicht zu verkennen,
dass die erforderliche Aufbereitung und Präsentation verlässlichen
Tatsachenmaterials insbesondere auch durch eindeutig und klar der
Antragsgegnerin zurechenbare Texte und Handlungen in dem Maße
erschwert wird, in dem V-Leute innerhalb und außerhalb der Partei in
führenden Funktionen agiert haben. Solche Risiken, wie sie im
Entscheidungsfall angesichts des über viele Jahre beständig hohen
Anteils von V-Leuten am Führungspersonal der Antragsgegnerin
unübersehbar sind, sind bereits vor dem Einsatz
nachrichtendienstlicher Methoden der Beobachtung abzuschätzen,
können jedoch die späteren Pflichten der antragstellenden
Verfassungsorgane nicht mindern, die diese Organe bei der Mitwirkung
an einer rechtsstaatlich geordneten Ermittlung verlässlicher
Tatsachen im verfassungsgerichtlichen Prozess als Grundlage für eine
mögliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin
zu erfüllen haben. |
113 |
d) aa) Die rechtsstaatswidrige
Verfehlung des Gebots strikter Staatsfreiheit der Antragsgegnerin im
Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG ist nicht behebbar. |
114 |
Ob bereits die festgestellten
rechtsstaatlichen Defizite der Aufbereitung und Präsentation
entscheidungserheblichen Tatsachenmaterials in den
Antragsbegründungen für sich genommen wegen der nicht mehr zu
beseitigenden Unklarheiten im Zusammenhang mit den Erfordernissen
eindeutiger Zurechnung von Texten und Handlungen zur Antragsgegnerin
als nicht behebbarer rechtsstaatlicher Schaden für das Verfahren zu
werten sind, kann offen bleiben. Jedenfalls im Zusammenwirken
mangelnder "Staatsfreiheit" des angebotenen Tatsachenmaterials mit
der fehlenden Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragstellerin
während des laufenden Verbotsverfahrens hat die Rechtsstaatlichkeit
des Verfahrens schweren, nicht behebbaren Schaden genommen. Das
Recht der Antragsgegnerin auf freie, selbstbestimmte Prozessführung
und Selbstdarstellung vor dem Verfassungsgericht, dessen
Gewährleistung von Beginn des Verfahrens an sicher sein muss, ist
nachhaltig verletzt. Selbst wenn das Gericht trotz der
fortbestehenden Unklarheiten bei der Zurechnung von Personen, Texten
und Handlungen in der Lage wäre, zukünftig eine ausnahmslos
hinreichend rechtsstaatlich geordnete Fortsetzung des Verfahrens zu
garantieren, käme eine rückwirkende Kompensation der festgestellten
Verstöße nicht in Betracht. |
115 |
bb) Besondere Gründe, die mit Blick
auf die speziellen präventiven Zwecke des Verfahrens gemäß Art. 21
Abs. 2 GG dessen Fortsetzung trotz der festgestellten
schwerwiegenden Verstöße gegen die Grundsätze eines
rechtsstaatlichen Verfahrens ausnahmsweise rechtfertigen könnten,
sind gegenwärtig nicht erkennbar. |
116 |
Die Richter Sommer, Jentsch, Di Fabio
und Mellinghoff sind der Auffassung, dass kein Verfahrenshindernis
besteht. Sie halten die Fortführung des Verbotsverfahrens für
geboten. |
117 |
1. Ein Verfahrenshindernis besteht
derzeit nicht. |
118 |
a) Verfahrenshindernisse sind
Umstände, die es ausschließen, dass über einen Verfahrensgegenstand
mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt wird. Es muss sich
dabei um derart schwerwiegende Mängel des Verfahrens handeln, dass
sie dem Verfahren als solchem entgegenstehen. Dies ist nur dann der
Fall, wenn die Eröffnung oder die Fortsetzung eines gerichtlichen
Verfahrens gemessen an seinen Zielen tatsächlich unmöglich ist oder
in einem unerträglichen Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen
steht. Sobald feststeht, dass ein solches nicht behebbares Hindernis
besteht, ist das Verfahren ohne eine Sachaussage zum
Prozessgegenstand einzustellen. |
119 |
Handelt es sich um weniger schwer
wiegende oder auf andere Weise ausgleichbare Verfahrensmängel,
verbietet sich eine Verfahrenseinstellung. Minder schwer wiegende
Mängel können durch Rechtsfolgen ausgeglichen werden, die nicht das
gesamte weitere Verfahren verhindern, wie etwa erhöhte Anforderungen
an die Beweiswürdigung (vgl. BVerfGE 57, 250 <292 f.>; 101, 106
<126>) oder Beweisverwertungsverbote (vgl. BVerfGE 44, 353 <383>).
Sind in den Fällen, in denen bestimmte
Informationsbeschaffungsmaßnahmen zu beanstanden sind, nicht
sämtliche Tatsachengrundlagen betroffen, verbietet sich eine
Verfahrenseinstellung als prozessuale Rechtsfolge jedenfalls dann,
wenn die restliche Tatsachengrundlage die Durchführung des
Verfahrens zulässt. |
120 |
b) Die Gewährleistung von Recht
erfolgt durch Gerichtsbarkeit. Gerichte dürfen sich der Justizgewähr
grundsätzlich nicht entziehen, soweit nicht geschriebenes
Prozessrecht oder andere zwingende Gründe eine Sachentscheidung
unmöglich machen. Verweigert das Gericht wegen der Annahme eines
gesetzlich nicht bestimmten Verfahrenshindernisses im Ergebnis die
Entscheidung über die Sache, so verschließt es den rechtsstaatlich
gebotenen Weg zur Rechtsgewähr mit der Konsequenz, dass nicht in
einer befriedenden Weise festgestellt werden kann, was Rechtens ist.
Für die Annahme eines Verfahrenshindernisses ist deshalb ein
strenger Maßstab anzulegen. Denn das Gerichtsverfahren dient dem
Rechtsstaatsprinzip gerade dadurch, dass es in gesetzmäßig
förmlicher Weise die Ziele materieller Gerechtigkeit verwirklicht
und Streit verbindlich schlichtet (vgl. BVerfGE 54, 277 <296>; 103,
111 <137 f.>; Papier, Justizgewähranspruch, in: Isensee/Kirchhof
<Hrsg.>, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, § 153 Rn. 6; Zöllner,
Materielles Recht und Prozessrecht, AcP 190 <1990>, S. 471 ff.). |
121 |
c) Aus diesem Grund lässt auch die
gesamte Judikatur größte Zurückhaltung bei der Annahme von zur
Einstellung des Verfahrens zwingenden Hindernissen obwalten. Der
Bundesgerichtshof hat das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses
wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip nur dann in
Betracht gezogen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des
Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender
Gesamtwürdigung nicht mehr möglich ist (vgl. BGHSt 46, 159 <168 f.>
m.w.N.). In den jeweiligen Einzelfällen hat der Bundesgerichtshof
ein Verfahrenshindernis bei den geltend gemachten Verstößen gegen
das Rechtsstaatsgebot selbst nicht angenommen, so bei erheblicher
Verfahrensverzögerung (vgl. BGHSt 21, 81; 24, 239; 35, 137; 46,
159), bei Tatprovokation durch staatlich gelenkte Lockspitzel (vgl.
BGHSt 32, 345; 33, 356; 45, 321 <324 ff.> m.w.N.) sowie bei Kenntnis
der Strafverfolgungsbehörden vom Verteidigungskonzept des
Angeklagten (vgl. BGH, NStZ 1984, S. 419 f.). Auch das
Bundesverwaltungsgericht hat bei der Annahme eines
Verfahrenshindernisses Zurückhaltung geübt (vgl. BVerwG, Buchholz
235 § 66 BDO Nr. 1). |
122 |
d) Ein Verfahrenshindernis kann
deshalb nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen vorliegen, in
denen ein anerkennenswertes Interesse schon an der Durchführung des
gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall nicht mehr besteht und eine
Fortsetzung des Verfahrens rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbar
ist. Lediglich dann, wenn die materiellen Ziele des Verfahrens
tatsächlich nicht mehr oder nur bei Inkaufnahme unverhältnismäßiger
Rechtsverletzungen zu verwirklichen sind, darf und muss
gegebenenfalls ein zur Verfahrenseinstellung zwingendes Hindernis
angenommen werden. Dem Gericht obliegt es allerdings, alle seine
Möglichkeiten auszuschöpfen, um tatsächliche und rechtliche
Hindernisse für eine Entscheidung in der Sache auszuräumen. |
123 |
2. Im Parteiverbotsverfahren gegen die
Antragsgegnerin sind bislang keine Umstände bekannt geworden, die
die Fortführung des Verfahrens in seiner Gesamtheit tatsächlich
unmöglich oder rechtlich unverhältnismäßig machen. Die
nachrichtendienstliche Beobachtung einer politischen Partei kann
zwar in mehrfacher Hinsicht für ein Parteiverbotsverfahren von
Bedeutung sein. Der Umstand der nachrichtendienstlichen Beobachtung
der Antragsgegnerin begründet aber weder im Hinblick auf den
Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien (a) noch wegen Fragen der
Zurechnung der vorgelegten Erkenntnismittel (b) noch auf Grund der
Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens (c) ein
Verfahrenshindernis. Etwaige Beeinträchtigungen der Antragsgegnerin
können erst nach vollständiger Aufklärung der
entscheidungserheblichen Tatsachen bei der Sachentscheidung
berücksichtigt werden (3.). |
124 |
a) Überschreiten die
Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ihre legitimen
Aufgaben und erreicht eine nachrichtendienstliche Beobachtung das
Ausmaß einer maßgeblichen staatlichen Steuerung des Parteiwillens in
seiner Gesamttendenz, so kann es bereits an den Merkmalen einer
Partei (vgl. § 2 PartG) fehlen und damit an einem möglichen
Antragsgegner eines Verbotsverfahrens, weil Parteien grundsätzlich
staatsfreie gesellschaftliche Zusammenschlüsse sind (vgl. hierzu
BVerfGE 20, 56 <101>; 73, 40 <87>;85, 264 <287>). Hierfür genügt
allerdings nicht jede staatliche Einwirkung, es muss sich vielmehr
um eine zielgerichtete und die Willensbildung der Partei dem Grunde
nach verformende Einflussnahme (Steuerung, Lenkung) handeln. |
125 |
Eine staatliche Fremdsteuerung der
Antragsgegnerin dieses Ausmaßes ist nicht ansatzweise erkennbar.
Insbesondere ergeben sich aus der bekannt gewordenen Zusammenarbeit
staatlicher Stellen mit Mitgliedern des Bundesvorstandes und der
Landesvorstände der Antragsgegnerin keine Anhaltspunkte dafür, dass
das politische Erscheinungsbild der Antragsgegnerin nicht mehr das
Ergebnis eines offenen gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses
ist. Selbst dann jedoch, wenn von einer inhaltlichen und
programmatischen Fremdsteuerung der Antragsgegnerin auszugehen wäre,
so folgte daraus kein Verfahrenshindernis; die Antragsgegnerin
verlöre vielmehr in diesem Fall als fremdgesteuerte Organisation
ihre Parteiqualität. Der Verbotsantrag wäre deshalb in einer
Entscheidung zur Sache als unzulässig zurückzuweisen (vgl. BVerfGE
91, 262 <266>; 91, 276 <283>). |
126 |
b) Der Einsatz von V-Leuten kann auch
für die Frage Bedeutung erlangen, ob und in welchem Umfang oder mit
welchem Gewicht einzelne vorgelegte Erkenntnismittel für die
Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin
herangezogen werden dürfen. Erkenntnismittel für die Feststellung
der Verfassungswidrigkeit sind die Ziele der Partei und das
Verhalten ihrer Anhänger (Art. 21 Abs. 2 GG). Manifestationen der
Parteiziele und Verhaltensweisen der Parteianhänger können aber nur
dann der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2
GG zu Grunde gelegt werden, wenn sie der Partei zuzurechnen sind.
Das setzt voraus, dass sie die Partei als solche kennzeichnen, ihren
politischen Kurs nicht nur vorübergehend widerspiegeln und damit
eine Grundtendenz der Partei zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 5,
85 <143>). Soweit einzelne Äußerungen oder Verhaltensweisen von
Parteimitgliedern oder Anhängern durch staatliche Stellen
herbeigeführt oder provoziert wurden, dürfen sie nicht ohne weiteres
der Partei im Rahmen der Beweiswürdigung zugerechnet werden. |
127 |
Das Bundesverfassungsgericht hat im
Parteiverbotsverfahren für die Beurteilung der Zurechenbarkeit von
Erkenntnismitteln alle prozessualen Mittel der Sachaufklärung zu
nutzen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), die nach der Verfahrensordnung
dafür vorgesehen sind. Im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG gilt der
Grundsatz der Amtsermittlung. Die gerichtliche Aufklärungspflicht
gestattet dem Bundesverfassungsgericht nicht, allein auf Grund einer
möglichen mittelbaren staatlichen Einflussnahme durch V-Leute auf
die Äußerungen oder Verhaltensweisen im Rahmen der Parteitätigkeit
das Verfahren ohne weitere Prüfung abzubrechen. |
128 |
Tatsachen, die sowohl für eine
Prozessentscheidung als auch für eine Sachentscheidung erheblich
sind, erst recht aber solche, die ohne prozessuale Bedeutung nur
sachentscheidungserheblich sind, sind nach der Prozessordnung für
das Verbotsverfahren in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung
(§§ 25 Abs. 1, 45 BVerfGG) aufzuklären. Die aus dem
Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsätze der Öffentlichkeit und
Mündlichkeit der Verhandlung garantieren den Verfahrensbeteiligten
umfassend die Gewährung von Gehör vor Gericht, dienen der
Information der Allgemeinheit über den Gegenstand der gerichtlichen
Entscheidung und ermöglichen die Kontrolle gerichtlicher Tätigkeit
(vgl. BVerfGE 103, 44 <63 f.>). Eine verfahrensabschließende
Entscheidung außerhalb der mündlichen Verhandlung wäre nur zulässig,
wenn zwingende Gründe aus kollidierenden Rechtspositionen mit
gleichem Gewicht sie gestatten. Das ist hier nicht der Fall. |
129 |
Der Senat hatte bereits mit der Ladung
vom 5. Dezember 2001 die Möglichkeit eröffnet, sich durch die
Anhörung repräsentativer Vertreter der Antragsgegnerin ein
aussagekräftiges Bild über die Grundtendenz der Partei zu machen.
Möglicherweise verbleibende Unsicherheiten müssten im Rahmen der
Sachentscheidung bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des
Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG gewürdigt werden, sie können nicht bereits
vor Ausschöpfung der Mittel der Beweisaufnahme zu einem
Verfahrenshindernis führen. |
130 |
c) Ein Verfahrenshindernis ist auch
nicht im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens gegeben.
Im gegenwärtigen Stand des Verfahrens lässt sich eine Verletzung des
Grundsatzes des fairen Verfahrens nicht feststellen (aa). Selbst
wenn ein Verstoß gegen zwingende rechtsstaatliche Erfordernisse
vorliegen würde, wäre die Fortführung des Parteiverbotsverfahrens
angesichts des vom Bundesverfassungsgericht zu beachtenden Zwecks
des Art. 21 Abs. 2 GG, präventiv Gefahren abzuwehren, nach
derzeitiger Lage nicht unverhältnismäßig (bb). |
131 |
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat
über die sich aus den allgemeinen Verfahrensgrundrechten ergebenden
Anforderungen hinaus aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit
dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) einen Anspruch auf
ein faires rechtsstaatliches Verfahren abgeleitet. An diesem
allgemeinen Prozessgrundrecht, das auch im Parteiverbotsverfahren
Geltung beansprucht (vgl. BVerfGE 104, 42 <50>), sind alle
diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den speziellen
Gewährleistungen und Verfahrensgarantien nicht erfasst werden (vgl.
BVerfGE 57, 250 <274 f.>). |
132 |
Der verfassungsrechtlich verbürgte
Anspruch auf ein faires Verfahren umfasst insbesondere das Recht
einer Prozesspartei, zur Wahrung ihrer Rechte im Rahmen einer von
ihr ausgewählten Strategie effektiv Einfluss auf das Verfahren
nehmen zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>;63, 380 <390 f.>; 65,
171 <174 f.>;66, 313 <318>). Verschafften sich die Antragsteller in
dem kontradiktorischen Verfahren zielgerichtet Informationen über
die Prozesstaktik der Antragsgegnerin, so könnte darin zwar ein
Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegen. Dazu
müsste aber bereits jetzt - vor einer Beweisaufnahme in der
mündlichen Verhandlung - positiv feststehen, dass die
Verhandlungskonzeption der Antragsgegnerin in einer Weise
ausgeforscht worden ist, die eine sachangemessene Rechtsverteidigung
mit Blick auf den konkreten Verfahrensgegenstand endgültig unmöglich
macht (vgl. Gössel, NStZ 1984, S. 420). Nur dies käme einer Art
endgültiger Verhandlungsunfähigkeit infolge eines Umstands nahe, der
den Antragstellern zuzurechnen ist. Der bloße Anschein oder die
abstrakte Gefahr einer Ausforschung reichen hierfür nicht aus. |
133 |
Im vorliegenden Fall bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin infolge der
nachrichtendienstlichen Beobachtung durch staatliche Stellen an
einer sachgerechten Verteidigung im Verbotsverfahren gehindert wäre.
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Antragsteller
Kenntnis von Umständen erlangt haben, die das geplante
Prozessverhalten der Antragsgegnerin im Verbotsverfahren betreffen.
Im Erörterungstermin vom 8. Oktober 2002 haben die Antragsteller
unwidersprochen erklärt, es seien kein Auftrag zur Ausforschung der
Prozessstrategie erteilt und keine entsprechenden Informationen aus
Vorstandssitzungen der Antragsgegnerin entgegen genommen worden. Mit
Schriftsatz vom 17. Oktober 2002 haben die Antragsteller darüber
hinaus mitgeteilt, unter den Mitgliedern des Bundesvorstands der
Antragsgegnerin befänden sich keine V-Leute. Für die
Verfassungsschutzbehörden der Länder gelte dies seit der
Antragstellung durch die Bundesregierung, für das Bundesamt für
Verfassungsschutz seit der "Abschaltung" von Udo Holtmann Ende
Januar 2002. Es liegen bislang auch keinerlei Erkenntnisse darüber
vor, dass der enttarnte V-Mann Udo Holtmann oder sonstige
Parteimitglieder der Antragsgegnerin staatlichen Stellen
Informationen über das geplante Prozessverhalten der Antragsgegnerin
verschafft haben. |
134 |
Eine Verletzung des Rechts auf eine
effektive Verteidigung käme im Übrigen erst dann in Betracht, wenn
die Kenntnis der Antragsteller von erheblichen Umständen deren
Verteidigungswirkung aufhebt oder mindert. Vorliegend ist jedoch
nicht ersichtlich, dass die Antragsteller von erheblichem
Sachvortrag oder beabsichtigten Beweisanträgen der Antragsgegnerin
Kenntnis erlangt haben und dass hierdurch die Wirksamkeit der
Verteidigungsmittel beeinträchtigt worden ist. Sollten sich im Laufe
des Verfahrens - durch tatsächliche Umstände begründete - Bedenken
hinsichtlich der Effektivität der Verteidigung der Antragsgegnerin
ergeben, so wäre diesen durch vorbereitende Ermittlungsmaßnahmen des
Senats oder in der mündlichen Verhandlung nachzugehen. |
135 |
bb) Selbst wenn Umstände bekannt
wären, die eine Ausforschung des Verhaltens der maßgeblich am
Verfahren beteiligten Funktionäre und Vertreter der Antragsgegnerin
belegten, wäre die Fortführung des Parteiverbotsverfahrens erst dann
mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn das Gewicht der
Beeinträchtigung den konkreten Präventionszweck des
Parteiverbotsverfahrens überwöge. Denn mögliche
Rechtsbeeinträchtigungen müssen, um ein Verfahrenshindernis
begründen zu können, in Abwägung zu den Zielen und der Bedeutung des
Verfahrens von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass die
Fortführung des gerichtlichen Verfahrens unverhältnismäßig wäre.
Dies erfordert für das Parteiverbotsverfahren, nicht nur abstrakt
die Bedeutung des Art. 21 Abs. 2 GG zu bestimmen, sondern auch die
konkrete Gefahrenlage abzuschätzen, die von der politischen Partei
für die geschützten Rechtsgüter dieser Vorschrift ausgehen. Eine
solche Abwägung setzt eine Sachaufklärung und Beweisaufnahme im
Hinblick auf alle abwägungsrelevanten Tatsachen voraus. Dabei müssen
die Beteiligten Gelegenheit haben, zu diesen Tatsachen, gerade auch
hinsichtlich der Gefährlichkeit der Partei vorzutragen. Dies gilt im
vorliegenden Verfahren in besonderem Maße deshalb, weil die
Antragsteller nach der Begründung ihrer Verbotsanträge eine etwaige
Gefährlichkeit der Antragsgegnerin nicht als notwendige
Voraussetzung für die begehrte Feststellung der
Verfassungswidrigkeit ansehen und daher entsprechende
abwägungsrelevante Tatsachen nicht vorgetragen haben. |
136 |
(1) Eine Prozessbeendigung ohne
Aufklärung der abwägungsrelevanten Tatsachen widerspricht der
besonderen Justizgewährpflicht aus Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m.
§§ 43 ff. BVerfGG und kommt deshalb nur ausnahmsweise in Betracht.
Das Bundesverfassungsgericht wird von Art. 21 Abs. 2 GG als einziges
Organ der freiheitlichen Rechtsordnung mit der Kompetenz und
zugleich mit der Rechtspflicht betraut, auf Antrag über die
Verfassungswidrigkeit einer Partei zu befinden. Es hat damit von
Verfassungs wegen über ein Verfahren zu entscheiden, in dem es um
die Wahrung von Grundwerten und maßgeblichen Voraussetzungen der
Verfassungsordnung geht (vgl. Stern, aaO, S. 194 <198>). Mit Art. 21
Abs. 2 GG und der Ausgestaltung durch § 46 BVerfGG fallen die
exekutive Aufgabe der Gefahrenabwehr und die richterliche
Rechtserkenntnis in einer besonderen Pflicht zur Justizgewähr
zusammen. |
137 |
(2) Art. 21 Abs. 2 GG zählt zu
denjenigen Verfassungsvorschriften, mit denen einschneidend Grenzen
der Freiheit sichtbar gemacht werden. Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und
Art. 21 Abs. 2 GG schützen die freiheitliche Ordnung und den Bestand
des Verfassungsstaates gegen den sie gefährdenden Missbrauch von
Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 5, 85 <139>). Diese Normentrias
gehört zu den Kernbestimmungen für den präventiven Schutz der
Verfassung. Sie soll sicherstellen, dass der Gebrauch der
Grundrechte, die das Grundgesetz dem Staatsbürger als Einzelnem oder
Organisiertem zu Zwecken der maßgeblichen Mitwirkung bei der
Staatswillensbildung garantiert, innerhalb der für die dauerhafte
Erhaltung der Freiheit notwendigen Grenzen der Grundordnung bleibt
(vgl. Becker, in: Isensee/Kirchhof <Hrsg.>, Handbuch des
Staatsrechts, Band VII, 1992, § 167 Rn. 50). Damit hat das
Grundgesetz historische Erfahrungen aufgegriffen und für bestimmte
außergewöhnliche Gefahrenlagen, die noch in der Weimarer Zeit
entweder hingenommen wurden oder den Ruf nach dem Ausnahmezustand
und damit nach einer extrakonstitutionellen Krisenbewältigung
ausgelöst haben (vgl. etwa C. Schmitt, Die Diktatur des
Reichspräsidenten, VVDStRL 1 (1924), S. 63 <91 f.>), Lösungen
gefunden. |
138 |
Das Grundgesetz will auch den Feinden
der Freiheit nur mit verfassungsmäßigen, rechtsstaatlichen und
freiheitsschonenden Mitteln begegnen, muss aber gerade deshalb auch
über wirksame Instrumente zum Schutz der freiheitlichen Ordnung
verfügen. Hierzu zählt das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG
i.V.m. § 46 BVerfGG; sein Zweck besteht darin, Gefahren rechtzeitig
abzuwehren, die der in Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der
politischen Willensbildung von einer verfassungswidrigen Partei
drohen können (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>). |
139 |
(3) Der dem Bundesverfassungsgericht
gegebene Präventionsauftrag erfordert die Aufklärung des konkreten
Ausmaßes der Gefahr für die Rechtsgüter des Art. 21 Abs. 2 GG, wenn
das Verfahren ohne Sachentscheidung eingestellt werden soll. Dies
gilt insbesondere nach dem Beschluss, die Verhandlung durchzuführen
(§ 45 BVerfGG). Das Verfahren betreffende Rechtsbeeinträchtigungen,
sofern sie überhaupt als Verfahrenshindernisse in Betracht kommen,
sind ebenfalls hinreichend zu ermitteln, damit die dann notwendige
abwägende Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens auf einer
prozessual gesicherten Tatsachengrundlage erfolgen kann. Gegenstand
des Parteiverbotsverfahrens ist nicht eine allgemeine
Rechtskontrolle, was Nachrichtendiensten erlaubt ist oder nicht,
sondern die Entscheidung über das beantragte Verbot. Der
Antragsgegnerin bleibt es unbenommen, sich gegen eine für
rechtswidrig erachtete Beobachtung durch den Verfassungsschutz
fachgerichtlich zu wehren (vgl. BVerwGE 110, 126 ff.). |
140 |
Geht von einer politischen Partei eine
konkret nachweisbare Gefahr für den Fortbestand des freiheitlichen
Verfassungsstaates aus, so darf das Bundesverfassungsgericht etwaige
Verstöße gegen den allgemeinen Grundsatz des fairen Verfahrens bei
der Abwägung nicht als überwiegend ansehen. Bei einer wirkungslosen
und unbedeutenden Partei kann demgegenüber die Abwägung je nach dem
Gewicht tatsächlich festgestellter Verfassungsverstöße anders
ausfallen. In beiden Fällen wird über den Antrag auf Verbot in der
Sache entschieden. Das Gewicht des mit dem Parteiverbotsverfahren
verfolgten Präventionszwecks hängt dabei nicht nur von der Frage ab,
welches Gefahrenpotenzial eine möglicherweise verfassungswidrige
politische Partei für den Fortbestand des freiheitlichen
Verfassungsstaates aufweist. Klärungsbedürftig ist insoweit auch, ob
in parteitypisch organisierter Weise Angriffe auf die Würde des
Menschen erfolgen, ohne dass dadurch bereits die freiheitliche
demokratische Grundordnung als solche in ihrem Bestand gefährdet
sein müsste. |
141 |
Das Grundanliegen einer Verfassung,
die sich nicht durch den Missbrauch der von ihr gewährleisteten
Freiheitsrechte zur Disposition stellen lassen will und mit gleicher
Entschiedenheit der Verächtlichmachung und Herabwürdigung von
Menschen oder Gruppen von Menschen entgegentritt (Art. 1 Abs. 1 Satz
2 GG), wäre verfehlt, wenn der Senat ein Verfahrenshindernis
annähme, ohne die konkrete Gefährlichkeit der Partei und mögliche
Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens hinreichend
aufzuklären, die rechtliche Bedeutung mit den Beteiligten zu
erörtern und sodann die rechtlichen Belange gegeneinander abzuwägen. |
142 |
Sind die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit und das Verbot einer Partei beantragt, muss
das Bundesverfassungsgericht mögliche Rechtsbeeinträchtigungen im
Verfahren den Auswirkungen der rechtlich ansonsten kaum
beschränkbaren Fortexistenz der Partei gegenüberstellen. Denn auf
Grund der besonderen Stellung der Parteien und wegen des Grundsatzes
der Chancengleichheit müsste der freiheitliche Verfassungsstaat eine
solche Partei dulden, und gegebenenfalls sogar fördern und
finanzieren. Ob dies hinzunehmen ist, kann das Gericht nach
Antragstellung durch die zuständigen Verfassungsorgane in eigener
Verantwortung in aller Regel erst im Rahmen einer mündlichen
Verhandlung und nach Aufklärung und Würdigung aller Umstände
entscheiden. |
143 |
(4) Es ist die Aufgabe des
Bundesverfassungsgerichts, selbst für die notwendige Aufklärung des
Sachverhalts zu sorgen. § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bestimmt, dass
das Bundesverfassungsgericht den zur Erforschung der Wahrheit
erforderlichen Beweis erhebt. Dieser Untersuchungsgrundsatz
begründet für das Gericht nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln (vgl.
BVerfGE 93, 248 <256 f., 259>). Es ist dabei nicht auf den von den
Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt beschränkt, sondern hat
umfassend die dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Tatsachen zu
erforschen (vgl. BVerfGE 1, 299 <316>). Dies gilt im
Parteiverbotsverfahren gerade nach Abschluss des "Vorverfahrens"
(§ 45 BVerfGG), wenn - wie vorliegend - das Bundesverfassungsgericht
den Parteiverbotsantrag als zulässig und hinreichend begründet
beurteilt hat (vgl. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der
Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 494). Denn während der nach
§ 45 BVerfGG zu treffende Beschluss eine vorläufige Bewertung nach
Aktenlage darstellt, die allein auf Grund des Vorbringens des
Antragstellers und der Erwiderung des Antragsgegners vorzunehmen ist
(vgl. Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, 1952, § 37
Anm. 2), darf sich das Bundesverfassungsgericht im "Hauptverfahren"
nicht allein mit dem Vorbringen der Beteiligten begnügen; es muss
von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Tatsachen ermitteln.
Dabei kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen neues
Beweismaterial im Wege der Beschlagnahme und Durchsuchung
sicherstellen (§§ 47, 38 Abs. 1 BVerfGG i.V.m. §§ 94 ff. StPO) und
eine Voruntersuchung anordnen (§§ 47, 38 Abs. 2 BVerfGG). Darüber
hinaus kann das Bundesverfassungsgericht weitere
Ermittlungsmaßnahmen und Beweiserhebungen zur Erforschung der
entscheidungserheblichen Umstände vornehmen. |
144 |
In diesem Zusammenhang ist von
Bedeutung, dass dem Bundesverfassungsgericht sogar die Befugnis
eingeräumt wird, verfassungsrechtlich relevante Belange des
staatlichen Geheimschutzes zugunsten einer für die Beteiligten
verfahrensöffentlichen Beweiserhebung zu durchbrechen. Die
Regelungen der §§ 26 Abs. 2, 28 Abs. 2 BVerfGG unterstreichen
einerseits die hohe Verantwortung, die der Gesetzgeber dem
Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Beweiserhebung in
staatsschutzbezogenen Verfahren im Gefüge der Verfassungsorgane
zugewiesen hat. Andererseits zeigt § 28 Abs. 2 BVerfGG, dass der
Gesetzgeber für den Fall der erforderlichen qualifizierten Mehrheit
der Wahrheitsfindung den Vorrang vor dem staatlichen Geheimschutz
einräumt. Dem Bundesverfassungsgericht ist es nicht gestattet, von
vornherein unter Hinweis auf entgegenstehende Geheimschutzbelange
oder die besondere Verfahrensverantwortung von Beteiligten auf die
Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen zu verzichten. |
145 |
(5) Bei der Entscheidung, ob etwaige
verfahrensrechtliche Beeinträchtigungen im Verbotsverfahren zu einer
Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens führen, die die
weitere Durchführung des Verfahrens unmöglich machen, müssen die
verfassungsrechtlichen Belange des präventiven Verfassungsschutzes
in angemessener Weise in die Abwägung eingestellt werden. Hierbei
ist davon auszugehen, dass die verfassungsrechtliche Verpflichtung
staatlicher Stellen, verfassungswidrige Bestrebungen zu ermitteln
und gegebenenfalls gegen diese vorzugehen (vgl. Art. 73 Nr. 10b,
Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG), grundsätzlich nicht durch die
Anhängigkeit eines Parteiverbotsverfahrens aufgehoben wird. Das
Recht und die Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung gelten für die
zuständigen Organe vom Zeitpunkt der Entstehung eines
Gefahrenverdachts im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG auf Grund
konkreter Tatsachenhinweise bis zur verfahrensabschließenden
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Mit der Antragstellung
geht die Verfahrensherrschaft im Parteiverbotsverfahren auf das
Bundesverfassungsgericht über, die Pflicht des Staates, alle zur
Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, besteht aber fort. |
146 |
Gerade der Schutz von
Individualrechtsgütern wie Würde, Leben und Gesundheit, der
staatlichen Stellen obliegt, kann es auch von Verfassungs wegen
erfordern, unabhängig vom Verbotsverfahren die
nachrichtendienstliche Beobachtung in geeigneter Weise fortzusetzen.
Rechtsstaatliche Grundsätze gebieten nicht, für die Dauer des
Verfahrens Gefahren für geschützte Rechtsgüter, zumal unbeteiligter
Dritter, hinzunehmen. Dies ist etwa im Hinblick auf den von den
Antragstellern erhobenen Vorwurf, die Antragsgegnerin schüchtere mit
ihrem Konzept "befreiter Zonen" gezielt Andersdenkende und
Minderheiten ein, von Bedeutung. Im Rahmen des Verfahrens nach
Art. 21 Abs. 2 GG - einer Vorschrift, die den besonderen Gefahren
begegnen soll, welche mit der Existenz einer von einer
verfassungsfeindlichen Grundtendenz geprägten Partei und ihrer
verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten typischerweise verbunden sind
(vgl. BVerfGE 25, 44 <56>) - sind deshalb auch die rechtlichen
Möglichkeiten und Befugnisse staatlicher Stellen zu berücksichtigen,
durch die sie ihren Auftrag zum Verfassungsschutz erst wirksam
erfüllen können. |
147 |
(a) Die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit einer Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG - eine im
Grundgesetz selbst angelegte Freiheitsbegrenzung, die dem Missbrauch
der politischen Betätigungsfreiheit durch eine Partei vorbeugen soll
- setzt das vorherige Sammeln von Informationen über
verfassungswidrige Bestrebungen der Partei voraus (vgl. Streinz, in:
von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 4. Aufl., 2000, Art. 21 Rn.
115; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., 2002, Art. 21 Rn.
37). Diese Aufgabe obliegt den Verfassungsschutzämtern (vgl. Art. 73
Nr. 10b, Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG); sie können sich nicht darauf
beschränken, nur solches Tatsachenmaterial zusammen zu tragen, das
an die Öffentlichkeit dringt. Da verfassungswidrige Parteien häufig
aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiern und sich
konspirativ verhalten (vgl. BVerfGE 2, 1 <20>; 5, 85 <144>), müssen
die Verfassungsschutzämter in der Lage sein, ihre Informationen
ebenfalls unter Geheimhaltung und Tarnung zu gewinnen, um der
geheimen Arbeitsweise der Verfassungsgegner auf die Spur zu kommen.
Daher ist es grundsätzlich erforderlich, zur Informationsgewinnung
auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen (vgl. BVerfGE 30, 1
<18 f.>; H. H., Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Loseblatt, Art. 21 Rn.
579 <März 2001>). |
148 |
Der Einsatz von V-Leuten kann im
Einzelfall notwendig sein (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG); er ist
aber nur zulässig, soweit er - unter strikter Einhaltung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. § 9 Abs. 1 BVerfSchG) -
ausschließlich der Informationsbeschaffung dient (vgl. BVerwGE 110,
126 <130 ff.>). Häufig können allein mit Hilfe von V-Leuten interne,
nicht öffentlich verfügbare Informationen über den Aufbau
extremistischer Organisationen, die Führungspersonen, die
tatsächlichen - nicht nur die öffentlich deklarierten - Ziele, die
Strategie und Taktik, die Planung und Durchführung konkreter
Maßnahmen und Kampagnen sowie über die Mitgliederzahl und die
Verbindungen zu anderen Organisationen erlangt werden. Insbesondere
können mittels geheimer Informanten Erkenntnisse über interne
Äußerungen und mündliche Erörterungen innerhalb der Organisation
gewonnen werden, durch die eine genaue Bewertung der öffentlich
gemachten Erklärungen häufig erst möglich wird. |
149 |
(b) Diese Gründe, die außerhalb eines
Parteiverbotsverfahrens eine nachrichtendienstliche Beobachtung
einer Partei durch V-Leute im Einzelfall rechtfertigen können,
gelten grundsätzlich auch während eines anhängigen
Parteiverbotsverfahrens. Hierfür spricht bereits der Umstand, dass
für die antragstellenden Verfassungsorgane noch nicht sicher ist, ob
der Antrag auf ein Parteiverbot zum Erfolg führt und die
Verfassungswidrigkeit der Partei festgestellt wird. Der Zweck der
nachrichtendienstlichen Beobachtung, aus Gründen des präventiven
Verfassungsschutzes Informationen über verfassungsfeindliche
Bestrebungen zu sammeln, besteht auch während des anhängigen
Parteiverbotsverfahrens fort, wenn nur auf diese Weise (neue)
Erkenntnisse über die Gefahren gewonnen werden können, die von der
Partei möglicherweise ausgehen. |
150 |
Unabhängig hiervon ist bei der
Abwägung in Rechnung zu stellen, dass die nach § 43 BVerfGG zur
Stellung eines Parteiverbotsantrags befugten Verfassungsorgane im
Einzelfall auch in der Lage sein müssen, während des laufenden
Verfahrens die Verfassungswidrigkeit der Partei einschätzen zu
können und dem Gericht die zur Beurteilung der
Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG erforderlichen
Informationen zu verschaffen. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung
ist regelmäßig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach
Durchführung der mündlichen Verhandlung. Da bis zu diesem Zeitpunkt
nach der Stellung eines Parteiverbotsantrags aber ein erheblicher
Zeitraum verstrichen sein kann, kann es zu dem von Art. 21 Abs. 2 GG
bezweckten Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
geboten sein, in diesem Zeitraum mit nachrichtendienstlichen Mitteln
Erkenntnisse über verfassungswidrige Bestrebungen innerhalb der
Partei zu gewinnen, um dem Bundesverfassungsgericht im Zeitpunkt
seiner Entscheidung eine verlässliche Tatsachengrundlage für die
Beurteilung zu verschaffen. Dies gilt in besonderem Maße deshalb,
weil die Partei, gegen die ein Verbot beantragt wird, regelmäßig
bestrebt sein wird, sich während des laufenden Verbotsverfahrens als
verfassungskonform darzustellen. Um feststellen zu können, ob
öffentliche Erklärungen und Handlungen der Partei und ein etwaiges
nach außen abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung auch dem wahren Bild der Partei entsprechen, kann es
notwendig sein, Informationen aus dem Führungskreis der Partei zu
erlangen. Müsste demgegenüber in jedem Fall bei Beginn des
Verbotsverfahrens die nachrichtendienstliche Beobachtung eingestellt
werden, könnte im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung eine
sachgerechte Beurteilung nicht mehr möglich sein. |
151 |
(6) Die Annahme, der Einsatz von
V-Leuten auf der Ebene des Bundesvorstands oder der Landesvorstände
einer Partei unmittelbar vor oder nach Anhängigkeit eines
Verbotsverfahrens begründe grundsätzlich ein nicht behebbares
Verfahrenshindernis, wird der verfassungsrechtlichen Stellung und
Verantwortlichkeit der Beteiligten des kontradiktorischen
Parteiverbotsverfahrens nicht gerecht. Die Verfassungsorgane, die
nach § 43 BVerfGG berechtigt sind, einen Parteiverbotsantrag zu
stellen, haben nicht in jedem Fall Einfluss auf den Umfang und die
Intensität einer nachrichtendienstlichen Beobachtung. Dies gilt
insbesondere für den Deutschen Bundestag, aber auch für den
Bundesrat, die selbst über exekutive Befugnisse zur
nachrichtendienstlichen Beobachtung nicht verfügen. Es besteht auch
keine Vermutung dahingehend, dass die möglichen Antragsteller eines
Parteiverbotsverfahrens etwaige unzulässig erlangte Informationen
regelmäßig kennen oder eine übermäßige nachrichtendienstliche
Beobachtung dulden oder in sonstiger Weise hierfür verantwortlich
sind. |
152 |
(7) Der Hinweis darauf, in der
Abwägung sei zu berücksichtigen, dass eine Einstellung des
Verfahrens nicht zu einer abschließenden Entscheidung über die
Zulässigkeit künftiger Verbotsanträge führe und erneute Anträge ohne
weiteres möglich blieben und insbesondere nicht auf neue Tatsachen
gestützt werden müssten, hilft nicht weiter. Das
Bundesverfassungsgericht hat in einem Parteiverbotsverfahren alle
Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln, die für oder gegen die
Verfassungswidrigkeit gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG sprechen. Auch
wenn die Verfassungsschutzbehörden alle Kontakte zu Mitgliedern des
Bundesvorstands oder in Landesvorständen unmittelbar vor
Antragstellung beenden würden, könnten Äußerungen dieser
Vorstandsmitglieder für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit
vom Bundesverfassungsgericht herangezogen werden. Das Gericht ist
insoweit auch nicht auf die Beweisanregungen der Antragsteller
beschränkt. Die Frage der Beweiskraft oder des Beweiswertes der
Äußerungen von Personen, die als V-Leute tätig gewesen sind, stellt
sich unabhängig davon, ob die Zusammenarbeit im Zusammenhang mit
einem Parteiverbotsantrag nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG beendet
worden ist. |
153 |
3. Sofern das Ergebnis der nach
Ansicht der Richter Sommer, Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff
erforderlichen Fortführung des Verfahrens dahin ausfiele, dass die
Antragsgegnerin ungeachtet einer möglichen Feststellung ihrer
Verfassungswidrigkeit keine nennenswerte parteispezifische
Gefährlichkeit aufweist, wäre der Senat frei, durch
verfahrenssichernde Maßnahmen des Gerichts nicht abzuwendende oder
zu mildernde Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens
angemessen zu gewichten. In diesem Fall wäre es Aufgabe des
Bundesverfassungsgerichts, durch Fortentwicklung des
Verfassungsrechts auch eine solche besondere Fallgestaltung in der
Sache zu entscheiden. Es entspricht der besonderen Funktion der
Verfassungsgerichtsbarkeit, das Verfassungsrecht durch
Entscheidungen zu entwickeln und den Rechtsfrieden für die Zukunft
zu sichern (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>). Ausschließlich im Rahmen
einer Sachentscheidung hätte der Senat auch die Gelegenheit gehabt,
über die Fortentwicklung des Verfassungsrechts im Hinblick auf die
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte, die verhältnismäßige Parteiverbote als Ausdruck
des Gedankens einer wehrhaften Demokratie akzeptieren (vgl. EGMR,
Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei <TBKP> u.a. gegen
Türkei, Reports of Judgments and Decisions 1998-I, S. 1 ff.; Partei
für Freiheit und Demokratie <ÖZDEP> gegen Türkei, Reports of
Judgments and Decisions 1999-VIII, S. 293 ff.; Wohlfahrtspartei
<REFAH> u.a. gegen Türkei, Urteil vom 13. Februar 2003 <Nr.
41340/98, 41342-44/98>), zu entscheiden. Die Entwicklung der
Auslegung von Vorschriften des Grundgesetzes im Verfassungsprozess
dient der Realisierung des materiellen Verfassungsrechts (vgl.
Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 5. Aufl., Rn. 54).
Dabei sind Freiheit und Sicherheit, staatliche Handlungsfähigkeit
und rechtsstaatliche Bindungen zu einem angemessenen Ausgleich zu
bringen. Dieses gerade auch für die Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG
bedeutsame Ziel ist mit einer Prozessentscheidung nicht zu
erreichen, dazu bedarf es der Sachentscheidung. |
154 |
Hassemer |
Sommer |
Jentsch |
Broß |
Osterloh |
Di Fabio |
|
Mellinghoff |
|
hagalil.com
18-03-03 |