Frankreich weicht Laizismus auf - das fördert
rassistische Gewalt:
Fundamentalisten auf dem Vormarsch
Von Dorothea Hahn
Diese Zuspitzung von rassistischer Gewalt in Frankreich,
die sich vor allem gegen Juden und Einwanderer aus Nordafrika richtet,
ist vor allem ein Echo auf die Lage im Nahen Osten. Frankreich ist das
westeuropäische Land, in dem mit 700.000 Juden sowohl die größte
jüdische Minderheit lebt als auch, mit 5 Millionen Muslimen, die größte
muslimische Minderheit. Jahrzehntelang hatten diese beiden Gruppen keine
nennenswerten Probleme miteinander - trotz der kontinuierlichen
Nahostkonflikte. Dazu trug bei, dass die jüdische Bevölkerung
Frankreichs höchst differenzierte und vielfach kritische Verhältnisse
zum Staate Israel pflegte, und dass die erste Generation der Einwanderer
aus Nordafrika sich noch nicht als politisch integrierter und aktiver
Teil der französischen Gesellschaft verstand. Hinzu kam, dass die
religiösen Eiferer auf beiden Seiten kaum Einfluss hatten.
Seit dem Beginn der zweiten Intifada ist das grundsätzlich
anders. Heute unterstützen die jüdischen Institutionen des Landes offen
die Politik der israelischen Regierung. Umgekehrt identifizieren sich in
den französischen Vorstädten zunehmend Jugendliche aus nordafrikanischen
Einwandererfamilien mit dem Los der Palästinenser. Bei manchen dieser
sozial ausgegrenzten Jugendlichen führt das bis zu gewalttätigen
Angriffen auf jüdische Einrichtungen. Zudem sind heute in Frankreich die
religiösen Fundamentalisten auf dem Vormarsch. In den Arbeitervorstädten
sind die religiösen Eiferer vielerorts in die Fußstapfen politischer und
gewerkschaftlicher Aktivisten getreten.
Zu dieser Entwicklung - die in Frankreich nicht anders
verläuft als in den meisten anderen europäischen Staaten - kommt etwas
spezifisch Französisches hinzu: der Laizismus. Dieses Prinzip
garantierte in dem klassischen Einwandererland jahrzehntelang eine
strikte Trennung von Religion und Staat und vereinfachte das
Zusammenleben der verschiedensten Minderheiten unter dem Dach der
Republik. Religionsausübung gilt in diesem Prinzip als reine
Privatsache. Im öffentlichen Raum, besonders der Schule, haben weder die
Religion noch ihre trennenden Kleiderattribute wie Kippa, Kreuz und
Kopftuch etwas zu suchen. Dort gelten allein die allen gemeinsamen
republikanischen Werte.
Unter der Maßgabe von einer größeren Toleranz gegenüber
kulturellen Unterschieden haben in den vergangenen Jahren sowohl rechte
als auch linke Regierungen in Paris viele kleine Abstriche von dem
Prinzip des Laizismus gemacht. Auch dieser Rückzug macht heute das
Zusammenleben der Minderheiten in der französischen Republik
komplizierter.
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30-03-03 |