Die Initiative Solidarität mit Israel aus
Stuttgart veranstaltet im März / April eine Vortrags- und Filmreihe zum
Thema Israel und die Antisemiten:
"Darauf spekuliert tatsächlich einer der wesentlichen Tricks von
Antisemiten heute: sich als Verfolgte darzustellen; sich zu gebärden,
als wäre durch die öffentliche Meinung, die Äußerungen des
Antisemitismus heute unmöglich macht, der Antisemit eigentlich der,
gegen den der Stachel der Gesellschaft sich richtet, während im
allgemeinen die Antisemiten doch die sind, die den Stachel der
Gesellschaft am grausamsten und am erfolgreichsten handhaben."
Theodor W. Adorno
Die Klage, es sei heutzutage unmöglich, Israel zu kritisieren, ohne als
Antisemit bezeichnet zu werden, sagt weit mehr über die Kläger aus, als
über die beklagte öffentliche Meinung. Denn während jene - und aus gutem
Grund sollte man sie Antisemiten nennen - einmal mehr von "den Juden"
verfolgt sich fühlen, prangert diese auf allen Kanälen unablässig jenen
Staat an, der allein jüdischen Menschen weltweit Schutz garantieren
kann, Schutz vor antisemitischem Wahn und permanenter
Vernichtungsdrohung.
Ob es die Massenmedien sind, die - wie in Dschenin - von Massakern
berichten, die keine waren, oder ob es die UNO ist, die den Zionismus
mit Rassismus gleichsetzt, die "öffentliche Meinung" hat ihr Urteil über
Israel gefällt. "Das ist Staatsterrorismus", ist von Politikern zu
hören, "eine militaristische Gesellschaft", keifen die
zivilgesellschaftlich Engagierten. Dass es in der Tat die israelischen
Streitkräfte - und nur sie - waren, die bislang jeden Versuch der
arabischen Nachbarn Israels vereitelt haben, "die Juden zurück ins Meer
zu treiben", das interessiert die "pazifistisch" gestimmten Gutmenschen
wenig. Sie wollen von den fünf Kriegserklärungen, die Israel bereits am
Tage nach seiner Gründung erhielt, so wenig wissen wie von den
unerhörten Lebensbedingungen der Israelis, die schon bei der
morgendlichen Fahrt zur Arbeit fürchten müssen, von
Selbstmordattentätern getötet zu werden.
In der standardisierten Massenproduktion der Medienrealitäten hat
differenzierte Wahrnehmung keinen Platz. Gesellschaftliche Vielfalt muss
der Personalisierung weichen, die Entfaltung komplexer Zusammenhänge
wird ersetzt durch Sterotype und Klischees. Dass es jenseits der
Realität der Leitartikel und Fernsehbilder noch ein anderes Israel gibt,
eines, das von den vielfältigen Sorgen und Nöten der Menschen in einer
vielschichtigen Gesellschaft geprägt ist, soll unsere Filmreihe im
Kommunalen Kino zeigen. Die Filme sind, wie das Veranstaltungsmotto
sagt, "made in Israel", und auch die in ihnen dargestellten Probleme
gehören zum israelischen Alltag. Über eine Million Einwanderer allein
aus der ehemaligen Sowjetunion, wirtschaftliche Rezession - das sind
Teile einer gesellschaftlichen Realität, die für das Land genauso
bestimmend sind wie der Nahostkonflikt. Mit Hilfe der Filme wollen wir
einen Blick auf Israel lenken, der jenem der öffentlichen Meinung
entgegenwirkt.
Wir wollen jedoch auch von den Klägern nicht schweigen. Der Titel
unserer Vortragsreihe lautet aus diesem Grund "Israel und die
Antisemiten". Denn die Aussage, der Antisemitismus sei kein Problem der
Juden, sondern vielmehr ein Problem der Antisemiten, ist so richtig wie
der Satz des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rex: "Die Deutschen
werden den Juden Auschwitz nie verzeihen". Nicht dem "ewigen
Antisemitismus" soll das Wort geredet werden; doch solange "die
Deutschen" immer wieder als Kollektiv sich begreifen, das im Hass auf
das jüdische "Anti-Volk" zu sich selbst kommt, so lange wird die
mörderische Ideologie des Antisemitismus aufs Neue ihre Wirkungsmacht
enfalten können.
Zu reden sein wird deshalb von den unbewußten Motivationen der
Antisemiten, die zur Abwehr der Erinnerung an das Ungeheuerliche die
eigene Schuld auf Israel projizieren, wovon die Rede von den "Opfern der
Opfer" Zeugnis gibt; jenes Israel, das sie durch seine bloße Existenz
unablässig an die Vergangenheit erinnert, der sie entrinnen möchten. Es
gilt, die innere Systematik judenfeindlicher Denkweisen bloßzulegen und
kenntlich zu machen und zu zeigen, welches die gesellschaftlichen
Bedingungen und die psychopathologischen Strukturen sind, die den
antisemitischen Wahn reproduzieren helfen. Denn die Forderung, dass
"Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung"
(Adorno): "Daß man aber die Forderung, und was sie an Fragen aufwirft,
so wenig sich bewußt macht, zeigt, daß das Ungeheuerliche nicht in die
Menschen eingedrungen ist, Symptom dessen, daß die Möglichkeit der
Wiederholung, was den Bewußtseins- und Unbewußtseinsstand der Menschen
anlangt, fortbesteht."
Programm der Vortragsreihe:
03.März 2003
Islamistischer und arabischer Antisemitismus. Entstehung und aktuelle
Bedrohung
Referent: Thomas von der Osten-Sacken
Der Referent untersucht die Genese des Antisemitismus im Nahen Osten,
verfolgt, wie sich antisemitische Stereotype, die größtenteils im 19.
Jahrhundert aus Europa "importiert" wurden immer mehr verbreiteten und
dann zu einer holistischen Weltanschauung wurden, die heute nicht nur in
Israel, sondern in allen Juden einen zu vernichtenden Weltfeind sieht.
Er beschreibt auch, welche Gegenströmungen es gibt und wie sich die
antisemitische Bewegung nach dem Ausbruch der sog. al aqsa Intifada und
dem 11. 9. radikalisiert hat.
Veranstaltungsort: AWO Ost, Ostendstrasse 83, 70188 Stuttgart
Beginn: 19.30 Uhr
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05.März 2003
Die Lage in Israel
Referent: Joel Lion, Erster Botschaftssekretär und Leiter der Abteilung
für Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft des Staates Israel
Joel Lion berichtet über die Geschichte und Entwicklung Israels, die
Perspektive Israels auf den Nahost-Konflikt und den Umgang mit dem
Terrorismus gegen Israels Bürger.
Filmvorführung - Den Frieden erstreben von Amir Sohar
Vortrag und anschließende Diskussion
Veranstaltungsort: Kommunales Kino Saal 1
Beginn: 18.00 Uhr
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09.März 2003
Filmvorführung "Drei Kugeln und ein totes Kind" Die Geschichte des Todes
von Mohammed-al-Dura in Gaza. Dokumentarfilm von Esther Schapira
anschließend
Die Wahrheit unter Beschuss
Referent: Dr. Georg M. Hafner, Abteilungsleiter der Redaktion Politik und
Gesellschaft beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks, freier Autor beim
SWF und ZDF verschiedener Filmdokumentationen
Im Anschluss an den Dokumentarfilm "Drei Kugeln und ein totes Kind" wird
sich Georg Hafner mit der Entstehung des Films beschäftigen. Hafner, der
sich selbst mehrmals für Dreharbeiten in Israel aufgehalten hat, wird an
diesem Beispiel festmachen, unter welchen Arbeitsbedingungen
Journalisten über den Nahostkonflikt berichten. Er referiert zudem über
das Bild, das in der Berichterstattung von Israel gezeichnet wird; dem
Land mit der höchsten Korrespondentendichte der Welt.
Veranstaltungsort: Kommunales Kino
Beginn: 18.00Uhr
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13.März 2003
Israelische Perspektiven auf die deutsche Nahostberichterstattung
Referent: Eldad Beck, Auslandskorrespondent für die israelische
Tageszeitung "Yediot Ahronot"
Vortrag und Diskussion "Im Zweifel gegen Israel!"
Der israelische Auslandskorrespondent Eldad Beck der Tageszeitung "Yediot
Ahronot" berichtet über seine Erfahrungen und Beobachtungen in
Zusammenhang mit der deutschen Medienberichterstattung über den
Nahostkonflikt.
Veranstaltungsort: AWO Ost, Ostendstrasse 83, 70188 Stuttgart
Beginn: 19.30 Uhr
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22.März 2003
Kritische Theorie über den Antisemitismus
Referent: Uli Krug, Redakteur der Zeitschrift Bahamas
Seminar (bitte melden Sie sich für dieses Seminar über die email-Adresse
anmeldung@israel-soli.net oder telefonisch unter 01805-684373731 an, da
nur begrenzt Plätze zur Verfügung stehen)
Vom Antisemitismus zu sprechen wurde in der Arbeiterbewegung höchstens als
lästige Pflichtübung angesehen: Als "Sozialismus der dummen Kerls"
(Bebel) galt er als an sich durchaus berechtigte, wenn auch rohe und
fehlgeleitete antikapitalistische Regung. Seine Permanenz und Resistenz
dagegen in "Klassenbewußtsein" verwandelt zu werden, wurde gerne als
Resultat propagandistischer Einflüsterungen von Seiten der
"Herrschenden" hingestellt; womit ein jeder, der den Antisemitismus als
solchen zu thematisieren trachtete, in den Ruch eines "Saboteurs" des
"proletarischen Kampfes" geriet und heute noch gerät, wenn er bei
antiimperialistisch gestimmten "Gutdeutschen" die Rede auf den
islamischen Judenhaß bringt. Damals wie heute wollte man sich durch
derlei den "Antikapitalismus" nicht madig machen lassen; die
Befürchtung, daß dies die Folge einer zu eingehenden Beschäftigung mit
dem Antisemitismus sein könne, ist allerdings schon das halbe
Eingeständnis dessen, wie nah der eigene Antikapitalismus an der viele
Jahrhunderte alten, nahezu ungewandelten Stereotypie des antijüdischen
Vorurteils gebaut hat. Moishe Postones bahnbrechender Aufsatz
"Nationalsozialismus und Antisemitimus" von 1982 hat Licht in dieses
Dunkel geworfen: Er zeigte die Wahnideen des Antisemitismus nicht allein
als pathologische Abweichungen von der Realität - was sie zweifelsohne
im Individuellen sind -, sondern als Ausdruck einer pathogenen Realität;
einer Realität, die tatsächlich durch die Warenform "verhext" ist. Die
unbegreifbare Einheit von dinglicher, d.h. faßbarer Nützlichkeit von
Arbeit und Produktivität und den krisenhaften Folgen, die aus dem
abstrakten Wertcharakter der Arbeitskraft resultieren, führen das
Bewußtsein dazu, das "schaffende" vom "raffenden Kapital" scheiden zu
wollen. Der Antisemit schreibt das "Raffen" den Juden schuldhaft zu: Die
Abschaffung des "Abstrakten" zielt auf die Vernichtung der Juden.
Postones Verdienst, den nationalsozialistische Judenvernichtung als
"antikapitalistische", "deutsche Revolution" kenntlich gemacht zu haben,
wiegt schwer. Allerdings nicht schwer genug: Wie all die anderen
Illusionen des Alltagsverstandes wäre Antisemitismus ihm zufolge als
"falsches Bewußtsein" zu kurieren. Damit entschärft er das Problem:
Antisemitismus als Ausdruck nämlich des Unbewußten. Gerade die Starrheit
der Stereotypen von Vergiftung und Sittenlosigkeit weisen auf einen
unbewußten Ursprung hin, wie auch ihre historische Permanenz auf eine
tiefverwurzelte Zivilisationsfeindlichkeit deutet. Daß der
eliminatorische Antisemitismus des NS ein Ergebnis einer Zivilisation
ist, die durch ihr bewußtloses Prozessieren die
Zivilisationsfeindlichkeit der vielen Einzelnen nicht nur konserviert,
sondern in steigendem Maße reproduziert, statt sie zu mildern, ist das
Ergebnis der "Elemente des Antisemitismus" Horkheimers und Adornos: Der
Fortschritt der Akkumulation ist auch einer der dynamischen
Infantilisierung von Gesellschaft und damit einer furchtbaren "Rückkehr
des Verdrängten" - Psychoanalyse und "Wertkritik" haben somit einen
Gegenstand: Den Verfall des Individuums; Antisemitismus ist dessen
genuiner Ausdruck. Allerdings - und das soll betont werden - ist gegen
diesen Verfall nur die Zivilisation selber ins Feld zu führen, die
Mittel der Aufklärung, die sie selbst bietet, und nicht das Resultat
vollendeten Verfalls: die Barbarei. Sie entspringt dem Kapitalismus im
doppelten Sinne: Sie ist sein mögliches Resultat, aber dann eben auch
nicht mehr er selber. Es ist dieser Unterschied zwischen Churchill und
Hitler, zwischen Bush und Hussein, der macht, daß ein zweites Auschwitz
verhinderbar ist.
Literatur:
Adorno, T.W.: Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen
Propaganda, in: Ders: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft,
Frankfurt 1971
Ders.: Soziologische Schriften I, Frankfurt 1979, 20 - 86 (identisch mit
Bd.8 der Gesammelten Werke)
Dahmer, H.: Libido und Gesellschaft, Frankfurt 1982, 8 - 25
Freud, S.: Studienausgabe in 10 Bänden, Frankfurt 2000, Bd.9, 61 - 135
(Massenpsychologie und Ich-Analyse)
Horkheimer, M./ Adorno, T.W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1988,
177 - 218
Krug, U.: Der Wert und das Es, in: Bahamas 39/2002
Postone, M.: Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Werz, M.:
Antisemitismus und Gesellschaft, Frankfurt 1995
Veranstaltungsort: AWO Ost, Ostendstrasse 83, 70188 Stuttgart
Beginn: 16:00 Uhr
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31. März 2003
Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland
Referent: Joel Berger, Landesrabbiner a.D., Dozent am Ludwig
Uhland-Institut der Universität Tübingen
Vortrag und anschließende Diskussion
Veranstaltungsort: AWO Ost, Ostendstrasse 83, 70188 Stuttgart
Beginn: 19.30 Uhr
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08. April 2003
Von Rainer Werner Faßbinder bis Martin Walser Antisemitismus in der
deutschen Literatur nach 45
Referent: Gerhard Scheit, freier Autor (Konkret, Bahamas)
Für den Antisemitismus ist das Moment der Verkörperung zentral: Mögen
seiner Phantasie nun Gottesmörder oder Wucherer, schöne Jüdinnen oder
ewige Juden, Ritualmörder oder raffende Kapitalisten entspringen - sie
ist stets vom selben Wunsch besessen: das Unheimliche des abstrakt
gewordenen Reichtums, das "sich selbst vermehrende" Geld zu
personifizieren. Diese Rolle wird dem Judentum zugedacht - doch gespielt
wird sie vom Antisemiten. Nur wenn dieser sich in "den Juden" - also in
sein eigenes Hirngespinst - "hineindenkt" und "einfühlt",
erscheint die Verkörperung überzeugend. Autor, Darsteller und Publikum
glauben damit des Abstrakten und Unheimlichen endlich habhaft zu werden
- und fördern doch nichts anderes zutage als ihr eigenes verborgenes
Wesen. Daran hat sich auch nach 1945 nichts geändert. Es tritt aber
etwas hinzu: die Verarbeitung der Vernichtung, die bereits stattgefunden
hat. Sie ist es, die deutschem Antikapitalismus und deutscher
Innerlichkeit neuen Antrieb gibt - wie sich nirgendwo deutlicher als in
den Werken von Rainer Werner Faßbinder und Martin Walser zeigt.
Veranstaltungsort: AWO Ost, Ostendstrasse 83, 70188 Stuttgart
Beginn: 19.30 Uhr
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Filmreihe "Made in Israel"
6.-12.3.
Spielfilm: Afula Express (v. Julie Shles), Israel 1997, 97 Minuten,
hebräisch mit deutschen und russischen Untertiteln
13.-19.3.
Spielfilm: Yanas Freunde (v. Arik Kaplun), Israel 1999, 90 Minuten,
hebräisch und russisch mit deutschen und russischen Untertiteln
20.-26.3.
Spielfilm (bundesweite Erstaufführung!): Made in Israel (von Ari Folman),
Israel 2001, 114 Minuten, hebräisch/englisch mit englischen Untertiteln
20.-26.3.
Dokumentarischer Spielfilm: August - A Moment before the Eruption (von Avi
Mograbi) (Saal 2)
27.3.-2.4.
Spielfilm: Circus Palästina (von Eyal Halfon), Israel, 1998, 90 Minuten,
hebräisch, russisch, arabisch, englisch mit deutschen und russischen
Untertiteln
Nähere Informationen zu den Filmen entnehmen Sie bitte dem
Veranstaltungskalender des Kommunalen Kinos Stuttgart oder online unter
http://www.koki-stuttgart.de
Der Veranstaltungsflyer ist unter der Adresse
http://www.israel-soli.net/downloads/flyer.pdf abrufbar