Microsoft Encarta:
Geschichtsverdrehungen
Die Microsoft Encarta sieht die Geschichte Palästinas aus einer
einseitigen Perspektive
Von Burkhard Schröder
Erschienen in Telepolis
Wer in alten Zeiten etwas über die Welt erfahren wollte, kaufte sich
den legendären "Brockhaus",
Meyers
Konversationslexikon oder das "Große Bertelsmann Volkslexikon".
Derartige Bücher waren auch innenarchitektonisch wertvoll, weil man sie
als Zeichen der Bildung, gemessen in Kubikmetern, in der Schrankwand gut
sichtbar platzieren konnte. Nachschlagewerke waren praktisch
"für die
Wissensbedürfnisse des bürgerlichen Alltags".
Für den bürgerlichen Alltag mit dem Computer, der von Windows-Produkten
wimmelt, bietet sich heute die
Microsoft Encarta als Compact Disk an, eine Enzyklopädie des
Wissens für den Hausgebrauch. Nur steht dort an manchen Stellen grober
Unfug. Und wenn es um Israel geht, fragt man sich, ob die in der
deutschen "Encarta" vertretenen Thesen nur schlecht redigiert sind oder
ob Microsoft anti-israelische Vorurteile bewusst fördern will. Das
jüdische Portal haGalil spricht sogar von
"Geschichtsverdrehung unter enzyklopädischem Deckmäntelchen".
Über Kleinigkeiten sollte man sich nicht beschweren. Die Geschichte
Palästinas in der
Online-Version verbreitet längst widerlegte fromme Legenden. Moses
führte das Volk Israel nicht aus der Sklaverei Ägyptens, wie dort
behauptet wird. Die Israeliten besiegten nicht die Kanaaniter.
Israel
Finkelstein, Direktor des Archäologischen Instituts der
Universität Tel Aviv, und
Neil A.
Silberman, Mitherausgeber des
Achaelogy Magazine haben in
ihrem Buch
Keine Posaunen vor Jericho anhand der archäologischen Fakten
belegt, dass der biblische Exodus ein Mythos ist, eine fromme Geschichte
zur moralischen Erbauung, die aber mit der historischen Realität nichts
zu tun hat.
Auch der "große unabhängige Staat" des König David, wie ihn die
"Encarta" beschreibt, ist eine Fiktion. Der legendäre König und Dichter
der Psalmen war wohl eher ein Dorfschulze, und die detailreiche
Beschreibung des salomonischen Tempels in der Bibel eine idealisierte
Version, erfunden im nachhinein von in Agitation und Propaganda sehr
kundigen Schreibern im Dienst einer Priesterkaste.
Der Schreiber des Artikels "Die vergessene Geschichte Palästinas" auf
der "Microsoft Encarta"-CD ist der Volkshochschuldozent
Dr.
Heinz Vestner aus Ismaning - zufällig nicht weit entfernt von
der deutschen Microsoft-Niederlassung in Unterschleißheim bei München.
Nun ist die Geschichte Palästinas nicht vergessen, aber ein Minenfeld,
in dem sich nicht nur VHS-Dozenten, sondern auch professionelle
Historiker verirren können. Wenn dem Staat Israel bzw. dem "Zionismus"
jedoch die Alleinschuld an Krieg und Gewalt im Nahen Osten gegeben wird,
klingt das noch nicht einmal mehr nach dem Versuch, einigermaßen
objektiv berichten zu wollen. Der Artikel in der "Encarta" spricht
völlig einseitig einseitig von "zionistischer Politik" und
"palästinensischer Gegenwehr." Vestner schreibt:
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Ein "Existenzrecht" des israelischen
Staates ist weder historisch noch völkerrechtlich herzuleiten, der
zionistische Traum vom Judenstaat war Wirklichkeit geworden - um den
Preis der Vertreibung von Hunderttausenden von Palästinensern aus
ihrer seit 1 500 Jahren angestammten Heimat. [...] All das erinnert
an die historische Annexionspolitik der USA gegenüber den Indianern
und Mexiko im 19. Jahrhundert. [...] Ein "Existenzrecht" des
israelischen Staates ist weder historisch noch völkerrechtlich
herzuleiten, der Zionismus hat sich dieses "Recht" zu einem
günstigen Zeitpunkt politisch einfach genommen." |
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In der "Encarta Professional" wird also das Existenzrecht Israels nicht
nur in Anführungszeichen gesetzt, sondern ganz bestritten. Damit geht
Vestner sogar noch hinter die Position der PLO und Arafats aus dem Jahr
1993 zurück. Im
Oslo-Abkommen verpflichtete Arafat sich, "den Paragraphen 26 der
palästinensischen Konvention, der zur Vernichtung Israels aufruft, zu
widerrufen, die Anerkennung Israels durch die PLO und den Willen zu
bekräftigen..."
Diese Position wurde durch den
Beschluss
des 21. Palästinensischen Nationalrates 1996 bekräftigt. Besonders
zynisch klingt, dass Vestner ständig von der "illegalen Einwanderung"
der Juden spricht, wenn es um die Zeit vor der Staatsgründung Israels
geht. "Illegal" sicher nach den Vorschriften der damaligen britischen
Besatzungsmacht. Aber ob das angesichts der verzweifelten Versuche der
Juden, sich vor der Vernichtung durch der Nazis zu retten, eine
angemessene Weise ist, das Problem zu beschreiben, darf bezweifelt
werden. Vestner scheint die zionistische Idee als solche zu verurteilen:
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"Das 'verloren gegangene historische
Land' Palästina sollte und musste es sein - eine Forderung, die das
Rad der Geschichte um fast 2 000 Jahre zurückdrehen sollte." |
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Das klingt danach, als wäre ihm lieber gewesen, alle Juden hätten
angesichts der Pogrome in Russland Anfang des Jahrhunderts nach Uganda
flüchten müssen, wie die Regierung Großbritanniens es im Jahr 1903
vorgeschlagen hatte. Vestner bezeichnet die zionistischen
Siedlungen abfällig als "schleichende Aggression".
Auch mit Details nimmt es Vestner nicht so genau: "Der Judenstaat" von
Theodor Herzl wurde nicht 1892, sondern vier Jahre später publiziert.
Und die Staatsgründung Israels war nicht am 9. April, sondern am 14. Mai
1948. Eine einfache
Suche mit
Google beweist das. Falsch ist es auch, von einer "einseitigen
und tatsächlich völkerrechtswidrigen Proklamation des Staates Israel" zu
sprechen. Auch hier hätte ein Blick in die
UN-Resolution 181
aus dem Jahr 1947 die Perspektive zurechtgerückt:
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"Unabhängige arabische und jüdische
Staaten sowie das Besondere Internationale Regime für den
Stadtbezirk von Jerusalem - ausführlich erläutert in Teil III dieses
Planes - sollen zwei Monate, nachdem der Abzug der Streitkräfte der
Mandatsmacht beendet worden ist, auf jeden Fall nicht später als am
1. Oktober 1948, zur Existenz gelangen." |
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Die Proklamation des Staates Israel sei "vom ersten Tag an zum 'Stachel
im Fleisch' der arabischen Welt" geworden, deshalb "reagierte (!) die
arabische Welt bereits am nächsten Tag mit einem Truppeneinmarsch". Kein
Wort zum Beispiel über die Tatsache, dass die arabischen Regierungen
schon während des Zweiten Weltkrieges Hitler unterstützt hatten, dass
die jüdischen Siedlungen in den Jahren vor Ende des britischen Mandats
ständigem Terror ausgesetzt waren, dass die Briten den arabischen
Freischärlern Waffen und Unterstützung gaben - gegen die Juden.
Kein Wort über den fanatischen Judenhasser
Amin
el-Husseini, dem ehemaligen "Großmufti" von Jerusalem: der
genoss die Unterstützung der Arabischen Liga und finanzierte mit dem von
den Nazis während seines Exils in Berlin erhaltenen Geld die sogenannte
Arab Liberation Army, die die Juden "ins Meer werfen" wollte. 1949
rief das Arab
Higher Comittee, eine einflussreiche Gruppe palästinensischer
Notablen, el-Husseini zum Präsidenten einer Gesamt-Palästinensischen
Regierung im Gaza-Streifen aus. Diejenigen Attentäter, die 1951 den
jordanischen König Abdullah ermordeten, gehörten zu einer
Geheimorganisation, die der Grossmufti 1948 gegründet hatte, um
"Palästina vor den Zionisten zu schützen".
Offenbar treibt auch Vestner ein "antizionistisches" Motiv. Er verliert
kein Wort darüber, dass die Araber den UN-Teilungsplan eben nicht
akzeptierten, sondern sich einig waren, den gerade entstandenen Staat
Israel von der Landkarte auszuradieren. Der Autor der "vergessenen
Geschichte" gibt als Grund für die Ablehnung an, die Araber hätten nicht
akzeptieren wollen, dass ihnen das Land nicht anteilig und in Relation
zur Bevölkerungszahl zugesprochen worden wäre. Auch das ist strittig: Ob
es sich bei der einheimischen Bevölkerung um Araber oder gar um
"Palästinenser" handelte, die - wie Vestner suggeriert - schon
Jahrhunderte in Palästina wohnten, kann man durchaus
kontrovers diskutieren.
Selbst Terroranschläge und Flugzeugentführungen erscheinen im
"Encarta"-Artikel als ein legitimes Mittel der Politik, eine Art
palästinensische Lobbyarbeit, für die man Verständnis haben muss:
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"Die Weltöffentlichkeit hat sich für
die Probleme der Palästinenser erst seit der ersten
Flugzeugentführung durch Leila Khaled interessiert und seit
Terroranschläge palästinensischer Organisationen mit Dutzenden oder
Hunderten toter Israelis die Welt immer wieder daran erinnerten,
dass die 'Nahostkrise' nach wie vor ungelöst war. Allzu plausibel
und unhinterfragt erschien den meisten, dass Israel sich dagegen
schützen müsse und dürfe, und sei es durch Krieg und Gegenterror." |
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Nach diese Logik kann man sehr leicht den Terror Usama bin Ladins und
seiner Helfershelfer rechtfertigen als Maßnahme, die Welt auf Missstände
und "ungelöste Krisen" aufmerksam zu machen.
Vestner fordert Israel auf, über seinen "zionistischen Schatten" zu
springen. Arafat habe "seit dem Oslo-Abkommen die Hand so oft
ausgestreckt, dass sie ihm wohl bald abfallen wird". Die
Selbstmordattentäter, deren Familien eine Prämie bekommen, wenn sie sich
und Israelis in die Luft sprengen - und zusätzlich von der
palästinensischen Autonomiebehörde ein
Rente,
bleiben von solchen moralischen Appellen verschont.
Vielleicht muss Vestner also erst über den Schatten seiner eigenen
Vorurteile springen, um jüdische Positionen wie etwa der von Amina
Hass, Korrespondentin von Ha'aretz, zur Kenntnis zu nehmen: "Die
Zukunft Israels und Palästinas liegt in den Grenzen von 1967". Der
"Microsoft Encarta" täte es gut, bei diesem sensiblen Thema die Artikel
besser redigieren zu lassen und ausgewogenere Positionen aufzunehmen.
hagalil.com
25-02-03 |