Gedenken an Bombenangriffe auf Dresden: Stille
Trauer ohne historische Aufarbeitung?
Interview: Andreas Siegmund-Schultze mit Alexander Bayer,
Sprecher der Dresdener "Initiative gegen Geschichtsrevisionismus"
Junge Welt, 13.02.2003
F: Heute abend werden sich wieder Zehntausende Menschen an den
Trauerfeiern anläßlich des 58. Jahrestages der alliierten Bombenangriffe auf
Dresden in der Innenstadt beteiligen. Auch Neonazis wollen unter dem Motto
"Gegen das Vergessen" durch die Stadt ziehen. Was hatte Ihre Initiative für
diesen Tag geplant?
Wir wollten eine Kundgebung mit Beiträgen Überlebender des
Naziterrors veranstalten. Thema sollte die Verfolgung der in Dresden lebenden
Jüdinnen und Juden sein. Wir wollten damit den Tenor der am 13. Februar
stattfindenden Versammlungen inhaltlich durchbrechen, um den
nationalsozialistischen Terror in Erinnerung zu halten.
F: Die Stadt hat mit Ausnahme der offiziellen Gedenkfeier und des
Neonaziaufzuges alle Veranstaltungen im Innenstadtbereich per Allgemeinverfügung
verboten. Wie wird das Vorgehen begründet?
Die Stadtverwaltung spricht von einer besonders schutzwürdigen
religiösen und traditionellen Veranstaltung, die die stille Trauer um die
Bombenopfer in den Mittelpunkt rückt. Dabei blenden die Verantwortlichen
jegliche Kritik an den damit verbundenen politischen und zum Teil
geschichtsrevisionistischen Aussagen aus und versperren sich einer umfassenden
geschichtlichen Einordnung. Das Verbot ist juristisch nicht haltbar. Leider
scheiterte eine Klage unserer Initiative an der Finanzierung.
F: Sie werfen der Stadtverwaltung vor, sie würde mit den Neonazis
kungeln.
Die Allgemeinverfügung tastet die Demonstrationsroute der
Neonazis in keiner Weise an. Die Neonazis können, wie schon im vergangenen Jahr,
auf gute Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung zählen. Das Arrangement ist
möglich, da nur Nuancen zwischen dem Gedenken des Vereins zum Wiederaufbau der
Frauenkirche und den Neonazis liegen. Einziger Unterschied: Die Neonazis
formulieren ihre Anklage gegen die Alliierten aggressiver, woran der anderen
Seite nicht gelegen sein kann, da zum Wiederaufbau der Frauenkirche finanzielle
Mittel fließen müssen.
F: Worauf zielt Ihre Kritik an den offiziellen Gedenkfeiern?
Der Bombenangriff wird als singuläres Ereignis angeprangert, die
Ursachen bleiben ausgeblendet. Die Veranstaltung vertauscht zudem Ankläger und
Anzuklagende, wenn sie die Opferrolle Dresdens in den Vordergrund rückt. Ginge
es um individuelle Trauer, verböte sich jede Kritik. Tatsächlich wird jedoch
einer geschichtsrevisionistischen Interpretation Vorschub geleistet.
F: Stand Ihre Kundgebung im Zusammenhang mit dem für heute
ebenfalls geplanten »Karneval gegen deutsches Selbstmitleid«, zu dem im Internet
aufgerufen wird?
Nein. Die Herangehensweise unterscheidet unsere Initiative – bei
ähnlicher Kritik – vom "Karnevalkomitee". Wir hofften, mit den Menschen das zu
leisten, was die Stadtverwaltung verhinderte und jetzt den Neonazis überläßt:
Erinnerungsleistung.
hagalil.com
13-01-03 |