Bozen, 25.01.2003
Nachricht der Gesellschaft für
bedrohte Völker
Mit der Befreiung des auf höchste Effizienz ausgelegten
NS-Konzentrationslagers von Auschwitz vor 58 Jahren durch die Rote Armee
wurde der Holocaust beendet. Bozen war mit seinem sogenannten
Durchgangslager Teil der industriellen NS-Vernichtungssystems.
Mit der "Reichskristallnacht" begann am 9. November 1938 der
industriell durchgeführte Massenmord des nationalsozialistischen
Deutschlands an den europäischen Juden. Die Südtiroler Nazis konnten
erst nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 8. September 1943 ihren
reichsdeutschen Gesinnungsgenossen nacheifern. Die Mittäterschaft
zahlreicher Südtiroler ist ein Teil der Südtiroler Geschichte, für die
es von offizieller Seite noch immer keine Worte des Bedauerns oder der
Entschuldigung gibt.
Eine Chance, mit der Aufarbeitung von Südtirols brauner Vergangenheit
zu beginnen, hat sich Landeshauptmann Luis Durnwalder vertan. Beim
Besuch von Journalisten der Auslandspresse in Bozen (Ende September
2001) hatte er auf eine entsprechende Frage von Karl Pfeifer nach
Wiedergutmachung von Nazi-Unrecht diese mit einem fadenscheinigen
Argument abgelehnt. Laut Durnwalder kann Südtirol keinen Beitrag zur
Rehabilitierung seiner jüdischen Bürger leisten, dies sei eine
Angelegenheit des Staates und nicht des Landes Südtirol. Doch waren es
vor allem Südtiroler, die die Meraner Juden in die Vernichtungslager
geschickt haben. Das Denunziantentum, die aktive Mithilfe bei der
Auslieferung von Juden und Andersdenkenden waren erschreckend hoch,
erschreckend auch die stillschweigende Duldung oder Zustimmung für diese
Menschenrechtsverbrechen.
Den von den Nazis ermordeten 50 Meraner Juden wurde sogar das Andenken
verweigert, denn sie scheinen nicht in der Südtiroler Opferliste auf. In
der Nachkriegszeit hatte sich die Landesregierung so benommen, als
hätten Fremde das Eigentum der Meraner Juden "arisiert", sie
zusammengetrieben und in die Todeslager des Dritten Reichs verschickt.
Die Ermordung der Meraner Juden wurde verschwiegen - die offizielle
Geschichtsschreibung in der Komplizenschaft der Täter. Es gab nie eine
Entschädigung, nie eine moralische Wiedergutmachung, nie ein Wort der
Reue, nie ein Zeichen der Versöhnung. In der Nachkriegsgeschichte
Südtirols gibt es kein einziges offizielles Schuldeingeständnis.
Südtirol stellt sich als Opfer des Faschismus dar, auch also Opfer der
deutschen Nazis; die Täterrolle wird hartnäckig verschwiegen.
Die zuständigen Behörden beeilten sich nach 1945, das sogenannte
Durchgangslager in der Bozner Reschenstraße niederzuwalzen. Im Bozner KZ
befanden sich aus rassistischen Gründen Internierte Juden und Roma, und
Dissidenten. Mehr als 11.000 Häftlinge wurden durch dieses Lager in die
Gaskammern geschleust. Keine der Südtiroler Lager-Wachen wurde bestraft,
weder Hildegard Lechner, die jüdischen Frauen ermordete, noch Karl
Gutweniger, der Lager-Insassen folterte. Das Bozner Sondergericht
beschäftigte sich zwischen 1945 und 1947 mit 518 Fällen von
NS-Kollaboration. Es gab aber nur 63 Urteile, 27 davon waren
Freisprüche.
Es ist löblich, dass die Tageszeitungen "Dolomiten" und "Alto Adige"
für die Errichtung eines jüdischen Gedenksteins Spendengelder sammeln.
Es ist ein später Akt moralischer Wiedergutmachung, doch kann dies nur
ein erster Schritt sein, dem viele weitere (und größere) folgen müssen.
Es war löblich, wie die Politik die antisemitischen Äußerungen der
freiheitlichen Generalsekretärin Ulli Mair zurückgewiesen hat. Es ist
aber bedauerlich, dass es bei den Worten blieb - und dass es für die
Verbrechen der Südtiroler Nazis an den Juden bis heute kein Wort des
Bedauerns gegeben hat. Das ist nicht Nachlässigkeit, es ist der Wille,
einen wesentlichen Teil Südtiroler Geschichte zu vertuschen.
Weitere Links der
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