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Sündenbockdebatte:
Wahlkampf mit der Zuwanderung

Wer Schutz vor Verfolgung und Not sucht, ist in Deutschland unerwünscht

Von Ulla Jelpke
Junge Welt, 09.01.2003

Nachdem das Zuwanderungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht im Dezember gescheitert ist, betonen nun Parteien, Wirtschaft, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und auch Flüchtlingsorganisationen seine Dringlichkeit. Mit unterschiedlichen Positionen, wie gehabt. Während Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen bei einer neuen Diskussion Rückschritte bei humanitären Aspekten, wie der Zuwanderung aus Gründen nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung, befürchten, beginnen Bundesregierung, CDU/CSU und FDP erneut einen Streit über die Zuwanderungsbegrenzung und wetteifern dabei um die konsequenteste Flüchtlingsabwehrpolitik.

Innenminister Otto Schily will das Zuwanderungsgesetz unverändert in den Bundestag einbringen und hat bereits Kompromißbereitschaft gegenüber der Union angekündigt. Angela Merkel forderte darauf in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Vorlage eines neuen Gesetzentwurfes, "der Verhandlungen überhaupt sinnvoll macht". Eine "Begrenzung der Zuwanderung" sei unverzichtbar. Auch der kommunalpolitische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Peter Götz, forderte "weniger Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme und mehr von den 'besten Köpfen'". Bei "Zuwanderung aus nichtstaatlicher Verfolgung" müsse noch mehr "Zurückhaltung" (sprich: Abschottung und Abschiebung) praktiziert werden, die etwa 250 000 "geduldeten" Flüchtlinge (das sind Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber aus anderen Gründen - zum Beispiel wegen Krankheit oder weil in ihren Herkunftsland Krieg herrscht - nicht abgeschoben wurden), dürften keinerlei Anspruch auf kommunale Sozialleistungen erhalten. Merkel und Götz behaupten demagogisch, der bisherige Gesetzentwurf begrenze Zuwanderung noch zuwenig. Insbesondere die Zuwanderung von Flüchtlingen wollen Union und Schily noch mehr eindämmen. Wer Schutz vor Verfolgung und Not sucht, ist unerwünscht.

Die CDU in Hessen, die CSU in Bayern und nun auch die SPD in Niedersachsen erklären, Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen. Dabei werden wieder alle Register geöffnet; heuchlerisch wird von "Zuwanderung in die Sozialsysteme" schwadroniert und die Angst um Arbeitsplätze geschürt.

Das verwirrende Spiel mit den Zahlen und Statistiken von zugewanderten Menschen in Deutschland hat schon während des Bundestagswahlkampfes im Herbst letzten Jahres die Bundesregierung bewogen, in einer überregional geschalteten Großanzeige zum Zuwanderungsgesetz Parolen zu übernehmen, die vor allem von Rechtsextremisten bekannt sind, indem sie den "Vorrang für deutsche Arbeitnehmer" bei der Arbeitsplatzvergabe betonten.

Dabei bewegt sich die reale Zuwanderung seit Jahren im Promille-Bereich. In den letzten fünf Jahren (1997 bis 2001, für 2002 liegen noch keine Zahlen vor) lag die Netto- Zuwanderung von Deutschen und Ausländern in die Bundesrepublik insgesamt bei nur 785000 Personen. Das sind weniger als ein Prozent der hier lebenden Bevölkerung in fünf Jahren, im Durchschnitt zwei Promille pro Jahr. Mehr als ein Drittel dieser Zugewanderten waren zudem nach offizieller Lesart "Deutsche" (vor allem Aussiedler), die laut Verfassung Anspruch auf Freizügigkeit haben, deren Zuwanderung also durch kein Gesetz begrenzt werden darf. Laut Statistischem Bundesamt ist die Gesamtzahl der "ausländischen Bevölkerung" in Deutschland seit 1996 fast unverändert (1996: 7,314 Millionen, 2001: 7,319 Millionen).

In den anstehenden Wahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen ist dennoch zu erwarten, daß die sozialen Ängste in der Bevölkerung erneut geschürt werden und der Boden für den alltäglichen und den institutionalisierten Rassismus befestigt wird.

Der Streit um Zuwanderung oder um ein Gesetz ist dafür nur der Vorwand. In der Sache liegen CDU/CSU, FDP und Bundesregierung gar nicht so weit auseinander. Herauskommen soll auf jeden Fall eine Regelung, die Zuwanderung von Fachkräften erleichtert, alle anderen Arten von Zuwanderung aber rigoros abwehrt, die Flüchtlinge noch schneller abzuschieben erlaubt (insbesondere die 250000 "geduldeten" Flüchtlinge sollen nach den Plänen von Schily und der CDU/CSU rasch abgeschoben werden) und die so noch mehr Flüchtlinge und Migranten zu einem Leben in Angst und Illegalität zwingt.

Green Card: Ein Strohfeuer

Erinnert sei daran, daß es die deutsche Wirtschaft war, die die Einwanderungsdebatte erneut in Schwung brachte, weil ein wirtschaftliches Interesse bestand und besteht, den 1973 verhängten Anwerbestopp ausländischer Arbeitskräfte aufzuheben und durch flexiblere Regelungen zu ersetzen. Es begann mit der Green Card insbesondere für den Arbeitsmarkt im IT-Bereich. Die Green-Card-Initiative von Kanzler Schröder wurde auf dem Höhepunkt eines Booms in der Informationstechnologie gestartet. Die Wirtschaft verlangte kurzfristig mehr Fachkräfte in diesem Bereich, um den enorm gestiegenen Bedarf zu decken. Inzwischen hat sich der Trend umgekehrt. War das Jahr 2000 vom Dotcom-Boom der Internet-Firmen beherrscht, so sorgten im Jahr 2001 und 2002 Zigtausende Entlassungen für eine Depression im IT-Lager. Auf die Goldgräberstimmung im Internet-Geschäft folgten zahllose Pleiten und der Nemax-Kater.

Fachkräftemangel ist aber nach wie vor ein Thema. Eine im April 2002 vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) veröffentlichte Studie von Talat Mahmood und Klaus Schömann verzeichnet bei 29 Prozent der Unternehmen einen akuten Mangel an qualifiziertem IT-Personal. Etwa ein Drittel der IT- Stellen können nicht besetzt werden. Im übrigen sind die Rahmbedingungen für die deutsche Green Card nicht sehr attraktiv, Fachkräfte bevorzugen nach wie vor die USA und Kanada. Bis zum 31. Oktober 2001 hatten nach Angaben der Bundesregierung erst 10 054 IT-Spezialisten die deutsche Green Card beantragt und in Betrieben Arbeit gefunden. Das Kontingent für zunächst 20 000 ausländische Experten war damit noch lange nicht ausgeschöpft. Weniger qualifizierte IT- Experten sollen ohnehin nicht kommen. Als einfache Programmierer oder "Kodierer" fertigen sie schon heute Programme und Software für deutsche und andere Firmen zumeist in Billiglohnfirmen in Osteuropa, Asien oder Lateinamerika.

Alternativen gefordert

Die Gewerkschaften, aber auch hier lebende Migranten und Experten fordern schon länger, die Wirtschaft solle ihren Bedarf vor allem durch die Ausbildung für die bereits hier lebenden Menschen - also auch für hier lebende Migrantinnen und Migranten - decken und nicht durch die Auswahl der Einwandernden nach "Nützlichkeit". Dementsprechend heißt es in einem Papier des Deutschen

Gewerkschaftsbundes: "Die Green Card für fehlende Fachkräfte jedweder Art ist für uns keine Lösung. Mehr denn je brauchen Menschen, die für ihre Beschäftigungsfähigkeit selbst Verantwortung übernehmen sollen, individuelle Beratung und Begleitung."

Eine wirksame Maßnahme für die Integration in den Arbeitsmarkt wäre in der Tat ein Gesetz, das zum Beispiel den hier lebenden Migrantinnen und Migranten den Zugang in qualifizierte Berufe und eine deutlich bessere Ausbildung ermöglicht. Hierbei wären besonders die Bundesregierung, aber auch die Länder und Gemeinden gefordert. Sie müßten auch den öffentlichen Dienst in allen Bereichen für Menschen mit Migrationshintergrund öffnen und Zugangsschranken wie z.B. bei den Beamten, aber auch in anderen Berufen endlich beseitigen. Viele Migranten und Experten fordern, eine der Frauenförderung vergleichbare Förderung für Erwerbstätige mit Einwanderungshintergrund zu schaffen. Ein Mittel könnte die Bindung öffentlicher Aufträge an ausreichende Maßnahmen zur Ausbildung von inländischen und eingewanderten Jugendlichen sowie zur beruflichen Integration von Migranten sein.

Die CDU/CSU macht im Landtagswahlkampf in Hessen, aber auch auf Bundesebene dagegen erneut mit der Behauptung einer angeblichen "Zuwanderung in die Sozialsysteme" ausländerfeindliche Stimmung. Dabei setzt die legale Zuwanderung in der Regel voraus, daß der Betreffende den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe decken kann. Daran hielt auch das gescheiterte Zuwanderungsgesetz fest. In der Regel haben wir es also nicht mit einer Zuwanderung in die Sozialsysteme zu tun, sondern mit Zuwanderern, die in die Sozialsysteme zahlen. In den vergangenen Jahren war die offiziell erfaßte, reguläre Zuwanderung zudem - vereinfacht gesagt - eine Zuwanderung von Familien zu ihren erwerbstätigen Ehegatten, fand also im Rahmen des grundrechtlich geschützten Familiennachzugs statt.

Auch die umlaufenden Angaben über Arbeitslosigkeit bei Migrantinnen und Migranten müssen mit Vorsicht genossen werden. CDU und CSU unterschlagen häufig die Entwicklung der Selbständigenzahlen bei der zugewanderten Bevölkerung. Laut Mikrozensus stieg die Zahl der ausländischen Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen von 72 000 im Jahre 1974 auf 286 000 im Jahre 1999. Zusammen waren Mitte 2001 über 2,3 Millionen Migrantinnen und Migranten als Selbständige, mithelfende Familienangehörige, Angestellte und Arbeiter offiziell erwerbstätig, zahlten also regulär sämtliche Steuern und Sozialversicherungen.

Zutreffend ist dennoch, daß die Ausländerarbeitslosigkeit überproportional gestiegen ist. Dies ist im wesentlichen der schon bei der Anwerbung in den 60er und frühen 70er Jahren geplanten und später auch eingetretenen Pufferfunktion von Migranten in den Arbeitsmarktbereichen und Berufen geschuldet, die einem langfristigen Strukturwandel unterworfen sind. In diesen Bereichen werden heute kaum noch Arbeitskräfte nachgefragt. Produktionen mit einfacher, ungelernter Handarbeit sind von den meisten Firmen ins Ausland verlagert oder wegrationalisiert worden.

Migrantinnen und Migranten waren daher jahrelang überproportional von Entlassungen betroffen. Gleichzeitig konnten sie - oft wegen mangelnder Deutschkenntnisse, aber auch aufgrund vieler anderer Diskriminierungen, unter anderem im Sozialrecht - nur unterdurchschnittlich von Qualifizierung profitieren. Der soziale Aufstieg in qualifizierte Berufe, zu Angestellten etc. war ihnen weitgehend versperrt.

Die amtlichen Angaben zeigen dennoch, daß in den 25 Jahren seit dem Anwerbestopp eine Entwicklung stattgefunden hat, die trotz aller Unterschiedlichkeit bei einzelnen Migrantengruppen von einer Angleichung der Lebensverhältnisse an die der Mehrheitsgesellschaft geprägt war. Hinsichtlich der Geschlechts-, Alters- und Erwerbstätigenstruktur hat trotz Berücksichtigung der vielen Schwierigkeiten beim rechtlichen und faktischen Arbeitsmarktzugang für einzelne Migrantengruppen eine Normalisierung stattgefunden. Diese partizipieren ebenso wie die vielen selbständigen Migranten und die beschäftigten Geringqualifizierten als Beitragszahler und Leistungsempfänger an den sozialen Sicherungssystemen. Nach makroökonomischen Berechnungen (v. Löffelholz) ist deshalb Migration für die Sozialsysteme Rentenversicherung und Krankenversicherung trotz der in den letzten Jahren hohen Arbeitslosigkeit unter Migranten ein "gutes Geschäft" in Milliardenhöhe.

Leeres Geschwätz

Ohnehin sind die Behauptungen der Unionsparteien, aber auch anderer Parteien, die Begrenzung von Zuwanderung sei ein Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit, schlichtweg dummes Zeug. Die anhaltende Wachstumsschwäche der Wirtschaft wird von offiziellen Experten einhellig auf eine zu schwache Inlandsnachfrage zurückgeführt. Jede weitere Abschottung, jede weitere Begrenzung von Zuwanderung würde diese Inlandsnachfrage nur weiter drücken.

Genau auf diesem Gebiet - der Stärkung der Inlandsnachfrage - haben weder CDU/CSU noch die Regierungsparteien bis heute eine Antwort parat. Die ursprünglich diskutierten 150 Milliarden Euro, die die Bundesregierung im letzten Herbst noch durch den "Job-Floater" und das Vorziehen der Solidarpaktmittel für den Osten mobilisieren wollte, waren binnen weniger Wochen auf zehn Milliarden geschrumpft. Inzwischen redet niemand mehr von diesen Mitteln, während die Wirtschaftsinstitute fast permanent ihre ohnehin geringen Wachstumsprognosen weiter nach unten verringern.

Überdies entstehen dauerhafte Arbeitsplätze nur durch mehr Nachfrage. Vor allem die Kommunen brauchen endlich wieder Gelder für öffentliche Investitionen, für Infrastruktur, Kultur, Bildung und Forschung. Solche kommunalen Investitionen im Sozial- und Bildungsbereich wären auch eine wichtige weitere Grundlage für effizientes Wirtschaften und einen sich selbst tragenden Aufschwung.

All das hat nichts mit der erneut aufflammenden Zuwanderungsdebatte zu tun, sondern mit einer anderen Steuer-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Solange aber jede Zuwanderungsdebatte nur genutzt wird als Sündenbock, um abzulenken von einer seit Jahren betriebenen falschen Wirtschafts- und Sozialpolitik, solange wird auch die Asyl- und Migrationspolitik weiter von Abschottung und Flüchtlingsabwehr, von Rassismus, Inhumanität und Illegalisierung hier lebender Menschen bestimmt sein.

hagalil.com 13-01-03

 


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