Von Klaus Bittermann
Junge Welt, 13.01.2003
Es ist noch nicht allzu lange her, daß Frank Schirrmacher eine
Literaturdebatte vom Jägerzaun brach. In Martin Walsers letztem Roman
"Tod eines Kritikers" entdeckte er antisemitische Klischees. Huch!
Dieser Vorwurf Schirrmachers war genauso wie später der des Spiegel
allerdings dringend nötig, um das nur mit Risiko um die eigene mentale
Gesundheit zu lesende Zeug an den Mann zu bringen.
Und das kam so: Als Schirrmacher das Manuskript zum Vorabdruck
angeboten wurde, wurde ihm schnell klar, daß er die sowieso schon schwer
angeschlagene FAZ noch weiter in den Abgrund reißen würde, weil das Buch
für den Erguß eines legasthenischen Gymnasiasten gehalten worden wäre,
hätte nicht Martin Walser in der Autorenzeile gestanden. Also rief er
seinen Kumpel am Bodensee an und teilte ihm seine Bedenken mit. Dem
Mitschnitt eines Telefonats zufolge, der durch eine Indiskretion aus
Schilys Ministerium nun ans Tageslicht kam (Walser wurde in seiner
DKP-Zeit mal abgehört, und seither hat man vergessen, ihn aus dem
Abhörprogramm zu nehmen), meinte daraufhin Walser gut gelaunt: "Na, dann
schreib doch einen Verriß. Am besten schreibst du, das Buch sei
antisemitisch, das kommt immer gut an in Deutschland. Da fällt der
Spiegel bestimmt drauf rein." "Klasse Idee", sagte Schirrmacher, "ich
schiebe eine Literaturdebatte an. Was darf Literatur heute? Jajaja!
Damit bringe ich die FAZ wieder ins Gespräch und in die schwarzen
Zahlen."
Ein genialer Plan, wie man inzwischen weiß, denn allein in der
überregionalen Presse wurden 3,4 Kilogramm Papier über Walser
geschrieben, wie der Stern nachgewogen hat. Das geht nicht spurlos an
einem vorüber. Aber als das Buch endlich auf dem Markt war, merkten die
Leute schnell, wie ungenießbar die Schwarte war, weshalb es nicht lange
dauerte, bis dem plötzlichen Aufstieg der jähe Fall von der
Bestsellerliste folgte. Höchste Zeit also, nachzulegen. Im Stern
ramenterte Walser darüber, daß er "bösschlecht" gemacht worden sei. Noch
schlimmer aber, "daß wir in diesem Land zu meinen Lebzeiten
Meinungsfreiheit nicht mehr erringen", strotzt es aus Walser heraus, der
tatsächlich aus einem mit stumpfer Dummheit geschlagenen
Selbstbewußtsein heraus annimmt, seine Stotterprosa gut zu finden,
entscheide darüber, ob in Deutschland Meinungsfreiheit herrsche oder
nicht. Chapeau! So aufdringlich manche Autoren auch sein mögen, darauf
ist noch niemand gekommen.
Walser, der "fassungslos" war, weil er nichts verstand, sieht in der
Kritik immer nur den "Versuch eines Hinauswurfs" aus Deutschland, so daß
er sich wirklich überlegt habe auszuwandern, wenn nicht die zahllosen
Leser gewesen wären, die ihm Trost und Zuspruch gegeben hätten. Daß er
die zahlreichen Leser nur dem Antisemitismusvorwurf von Schirrmacher zu
verdanken hat, Lesern also, die nur einen Abwasserkanal suchen, um sich
ihre eigenen Ressentiments bestätigen zu lassen, dieser Zusammenhang ist
allerdings so auffallend wie eine Tarantel auf einer Buttercremetorte.
Ungebrochen bleibt er von seinem eigenen Geschreibe hellauf begeistert,
so daß "ich manchmal dieses Buch in die Hand nehme und hinein schaue und
sage: Ja! Ja! Ja!" "Oh, oh, oh", dürften hingegen diejenigen gestöhnt
haben, die in der Lage sind, Schwurbel von Literatur zu unterscheiden.
Schließlich beschwert sich Walser dann noch, daß junge Leute,
"Parolenbengel", wie er sie nennt, seine Lesungen gestört hätten:
"Diskutieren wollen sie nicht, nur verhindern, nur Skandal machen." Man
kann es gut verstehen, denn wer will schon mit Walser diskutieren,
genausogut könnte man versuchen, mit Horst Mahler oder Gerhard Schröder
zu reden. Warum sollte man das tun, wenn man nicht masochistisch
veranlagt ist? Daß er ihnen allerdings vorwirft, es ginge ihnen nur um
Skandal, ist schon etwas eigenartig, denn nur dank eines Skandals
schließlich wurde sein Buch überhaupt wahrgenommen. Trotz der beklagten
Anfeindungen will Walser allerdings keinesfalls mit dem Schreiben
aufhören: "Ja, soll ich an meinen Einfällen ersticken?" fragte er. Die
Antwort liegt ja wohl auf der Hand.