Sinti und Roma:
Bis heute Anfeindungen ausgesetzt
Hamburg: Gedenken an Roma zum Jahrestag der
Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz
Von Birgit Gärtner
Junge Welt, 28.01.2003
"Zigeunern und Zigeunermischlingen ist das Betreten der
Spielplätze verboten" – Schilder mit dieser Aufschrift "zierten" Ende der 30er,
Anfang der 40er Jahre Spielplätze im ostwestfälischen Minden. Rund 500000 Sinti
und Roma fielen dem Vernichtungsfeldzug der Faschisten gegen "rassisch
Minderwertige" zum Opfer. Fast alle europäischen Sinti und Roma wurden in die
sogenannten "Zigeunerlager" der KZ verschleppt. Knapp drei Viertel davon
überlebten diesen Terror nicht.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma,
erinnerte bei der diesjährigen Veranstaltung des Auschwitzkomitees zum Gedenken
an die Befreiung von Auschwitz vor 58 Jahren am Sonntag in Hamburg an die
leidvolle Geschichte dieser Minderheit während des Faschismus. Anschließend
verabschiedeten die Teilnehmer des Treffens eine Resolution, in sie ein
Bleiberecht in der BRD für alle Romaflüchtlinge analog zum grundsätzlichen
Aufenthaltsrecht für Jüdinnen und Juden fordern. Die Entschließung ist an
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) adressiert.
Wie sehr das Schicksal der Sinti und Roma dem der jüdischen
Bevölkerung glich, veranschaulichte Rose in seinem Vortrag. Allein nach
Auschwitz wurden aufgrund eines 1942 von Heinrich Himmler erlassenen Befehls
23000 Sinti und Roma aus ganz Europa verschleppt, die Hälfte davon waren nicht
älter als 14 Jahre. 90 Prozent der Deportierten verhungerten, starben an
Krankheiten oder wurden umgebracht, so Rose, dessen Familie zu den Betroffenen
des Genozids gehört. Zu den ersten Opfern der fabrikmäßigen Vernichtung in
Auschwitz gehörten deportierte Sinti und Roma aus dem besetzten Jugoslawien. In
der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 wurden dort die letzten überlebenden Sinti
und Roma ermordet.
Nach dem Krieg sei der Mord an den Sinti und Roma von den
Behörden verharmlost und der faschistische Terror gegen diese Minderheit
entschuldigt worden, so Rose. Lügen und Täuschen, Stehlen und Betrügen seien
weiter als "typische" Verhaltensweisen von "Zigeunern" präsentiert worden. So
habe der Bundesgerichtshof 1962 festgestellt: "Zigeuner neigen zu Diebstählen",
und ihnen wohne ein "naturgemäßer Okkupationstrieb" inne. Immerhin sei der
faschistische Völkermord an den Sinti und Roma nach Jahrzehnten des Verleugnens
und Verdrängens zu einem festen Bestandteil des historischen Gedächtnisses der
Bundesrepublik geworden, so Rose weiter. Dies sei jedoch nur durch das
Engagement der Überlebenden und ihrer Angehörigen möglich gewesen, die lange um
die moralische Anerkennung als Opfer des Holocaust gerungen hätten. Allerdings
seien Sinti und Roma bis heute einer diskriminierenden und rassistischen
Berichterstattung durch die Presse ausgesetzt. Antiziganistische Klischees
würden weiter gepflegt.
Das Phänomen der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften in bezug
auf Sinti und Roma registrierte auch das Duisburger Institut für Sozial- und
Sprachforschung (DISS). Demzufolge bedeutet der Begriff "Zigeuner" im deutschen
Wortschatz soviel wie Vagabund und Asozialer. Als sinnverwandte Wörter gelten
laut DISS Landstreicher, Gauner oder Schelm. Sinti und Roma werden wahlweise als
eine Bande von streunenden Dieben oder als lustiges fahrendes Völkchen
dargestellt. Aufgrund dieser rassistischen Vorurteile sind Sinti und Roma bis
heute vielfältigen Anfeindungen ausgesetzt. Im niedersächsischen Stade
versuchten Gastwirte, die dort ansässigen Roma aus ihren Kneipen zu vergraulen,
in dem sie bild- und wortreich Pferdewurst zum Verzehr anboten. Das deckte der
Spiegel vor etwa fünf Jahren auf. Hintergrund: Aus kulturellen Gründen würden
Roma niemals Pferdefleisch zu sich nehmen und folglich deshalb solche
Gaststätten meiden.
hagalil.com
28-01-03 |