Antisemitismus in Frankreich:
Tatort Synagoge und Tiefgarage
Innerhalb
weniger Tage wird ein französischer Rabbiner in Paris zweimal Opfer
eines Anschlages. Derweil streiten Wissenschaftler in Frankreich über
die Formen der Zusammenarbeit französischer und israelischer Hochschulen
Aus
Paris Dorothea Hahn
Der Nahostkonflikt ist dieser Tage wieder
einmal mitten in Paris. Das machen zwei Anschläge deutlich, die auf
einen französischen Rabbiner verübt wurden, der für den friedlichen
Dialog zwischen Israelis und Palästinensern eintritt. Und das zeigt auch
die leidenschaftliche Auseinandersetzung über den Stopp der
Zusammenarbeit mit israelischen akademischen Institutionen wegen Israels
Besatzungspolitik. Seit der Verwaltungsrat der großen Universität Paris
VI diesen Stopp beschlossen hat - und andere französische Universitäten
ähnliche Schritte erwägen - sprechen französische Intellektuelle von
einem "schändlichen Boykott". Der Erziehungsminister nennt das Vorgehen
von Paris VI "inopportun".
Rabbiner Gabriel Farhi wurde zum ersten Mal am
vergangenen Freitag angegriffen, als er allein in seiner Synagoge im 15.
Pariser Arrondissement war. Ein mit einem Motorradhelm maskierter und in
Leder gekleideter Mann stach den 34-Jährigen mit einem Messer in den
Bauch. Dabei rief der Angreifer: "Allahou Akbar" - Allah ist groß. Nach
Angaben seines Opfers tat er das "mit einem sehr französischen Akzent".
Wenige Stunden zuvor hatte Farhi eine Morddrohung erhalten, in der die
Rede von einem heiligen Krieg (Dschihad) und "Rache für unsere
palästinensischen Brüder" gewesen sein soll. Am Montag folgte der zweite
Schlag. Unbekannte zündeten Farhis Auto in einer Tiefgarage an.
Der Rabbiner, der Mitglied der von seinem
Vater gegründeten "Liberalen jüdischen Bewegung Frankreichs" (MLJF) ist
und in seiner Synagoge regelmäßig Treffen zwischen Juden, Christen und
Muslimen organisiert, versichert, er werde sich nicht von "Extremisten
aller Seiten" einschüchtern lassen. Zu der Frage, ob er sich vorstellen
könne, dass jüdische Extremisten hinter den Anschlägen steckten, wollte
er sich gestern nicht äußern.
"Wer kann ein Interesse daran haben, Anschläge
auf Farhi zu verüben?", rätselte gestern die Vertreterin der PLO in
Paris, Leila Shahid. Sie versicherte dem Opfer ihre "volle
Unterstützung" und kündigte ihre Teilnahme an einer Sympathiekundgebung
in Farhis Synagoge an. Mehrere Minister der französischen Regierung
taten dasselbe.
Gleichzeitig hat sich die Gemeinde der
französischen Wissenschaftler in eine leidenschaftliche
Auseinandersetzung über das richtige Verhalten gegenüber Israel
verwickelt. Mitte Dezember hatte der Verwaltungsrat von Paris VI
entschieden, die institutionelle Zusammenarbeit mit israelischen
Universitäten vorerst einzufrieren. Der Rektor der Universität, Gilbert
Béréziat, der mit persönlichem Engagement einen regelrechten
Boykottaufruf verhindert hatte, wurde vom Verwaltungsrat beauftragt,
anstelle der institutionellen Zusammenarbeit die individuellen Kontakte
zu Wissenschaftlern in Israel zu verstärken. Begründung: die israelische
Besatzungspolitik mache die Forschung und Lehre für die
palästinensischen Kollegen unmöglich. Außerdem verstoße sie gegen die
Menschenrechtsbestimmungen im Assoziierungsvertrag zwischen der EU und
Israel.
Am Montagabend protestierten hunderte Gegner
der Entscheidung vor der Universität. Der Philosoph Bernard-Henry Lévy
machte unter seinen Kollegen im Verwaltungsrat "extremistische Kräfte"
aus. Filmemacher Claude Lanzmann schickte eine Botschaft, in der vom
"düsteren Beiklang von Boykotten" die Rede war. Ex-Kulturminister Jack
Lang, Ehrendoktor von der Universität Jerusalem, flehte andere
Universitäten an, dem Beispiel von Paris VI nicht zu folgen. Begründung:
Die Universitäten Israels seien "Oasen der Brüderlichkeit und des
Friedens."
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08-01-03 |