Von Ulla Jelpke
Junge Welt, 11.12.2002
Erschreckend oft ist dieser Tage von Gewalttaten mit rechtem und
ausländerfeindlichem Hintergrund zu lesen. Während am 24. November
Hunderte Einwohner des nordbrandenburgischen Dorfes Potzlow mit einem
Trauermarsch und einer Schweigeminute des von drei Neonazis am 12. Juli
dieses Jahres brutal zu Tode gequälten 16jährigen Marinus Schöberl
gedachten, griffen am gleichen Tag acht jugendliche Neonazis mit
Molotowcocktails eine Moschee im niedersächsischen Wolfenbüttel an und
versuchten, sie in Brand zu setzen. Alle Tatverdächtigen werden von der
Staatsanwaltschaft der rechten Szene zugeordnet. Personen wurden nicht
verletzt, der Brand richtete nur geringe Schäden an. Die Jugendlichen
räumten aber ein, sie hätten gewußt, daß über der Moschee eine
vierköpfige Familie wohnte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt daher wegen
versuchten Mordes.
Einer der Festgenommenen gab bei den Vernehmungen zu, bereits Anfang
November einen Brandanschlag auf diese Moschee versucht zu haben. Die
Polizei hatte den Anschlag damals als Tat eines Betrunkenen eingestuft.
Der Islamrat in Deutschland wies nach dieser Tat auf wachsende
Islamfeindlichkeit in Deutschland hin und erklärte: "Der Anschlag wurde
genau am zehnten Jahrestag von Mölln verübt". Sieben Tatverdächtige sind
noch in Haft, eine 20jährige Frau, die als Mittäterin verdächtig ist,
befindet sich auf freiem Fuß.
Am 27. November zündeten eine 17jährige Jugendliche und ihre beiden
Begleiter (19 und 25 Jahre) im bayerischen Schwabach einen Obdachlosen
an, indem sie zunächst eine glimmende Zigarettenkippe und dann ein
brennendes Papiertaschentuch auf den schlafenden Mann legten. Seine
Kleidung fing Feuer, der 53jährige starb an den Folgen seiner schweren
Verbrennungen. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle wegen Mordes gegen
die mutmaßlichen Täter beantragt.
Am 28. November wurde ein aus Togo stammender Mann in Andernach am
Rhein von einem 16jährigen Neonazi schwer verletzt. Der 41jährige, der
seit zehn Jahren in Andernach lebt, war mit seiner Frau und seinen
beiden Kindern auf einem Einkaufsbummel durch die Stadt, als er von dem
Neonazi mit der Drohung, ihn "totzumachen", auf offener Straße
angepöbelt und mit Springerstiefeln ins Gesicht getreten wurde. Der Mann
verlor mehrere Zähne und wurde am Kiefer erheblich verletzt. Der
mehrfach vorbestrafte Angreifer wurde von der Polizei festgenommen, das
Amtsgericht Koblenz verhängte Haftbefehl gegen ihn. Die
rheinland-pfälzische Ausländerbeauftragte Maria Weber äußerte sich
entsetzt über den Vorfall und forderte, dem Ausländerhaß stärker
entgegenzutreten. Die Grünen-Landtagsfraktion will einen Bericht im
Innenausschuß beantragen.
Der jüngste Vorfall ereignete sich in der Nacht auf den 1. Dezember im
sachsen-anhaltinischen Teutschenthal. Dort stürmten mehr als 30 Neonazis
gegen Mitternacht einen Jugendclub. Mehrere Personen wurden dabei
verletzt.
Im November berichtete die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau über die
Antwort der Bundesregierung auf ihre Anfrage nach rechten Straftaten im
September. 597 rechtsextreme Delikte, darunter 39 Gewalttaten, wurden
von der Polizei registriert. 34 Personen wurden in diesem Monat von
braunen Schlägern verletzt. 335 Tatverdächtige wurden insgesamt
ermittelt, 29 davon vorübergehend festgenommen. Gegen keinen einzigen
Täter erging Haftbefehl. Die Politiker, die vor mittlerweile mehr als
zwei Jahren die "Anständigen" zum Aufstand aufforderten, fühlen sich
offenbar auch angesichts des schockierenden Anstiegs von Straf- und
Gewalttaten mit rechtem und antisemitischem Hintergrund weiter nicht
zuständig. Erst in der vergangen Woche hat Bundesinnenminister Otto
Schily (SPD) bei der Haushaltsberatung des Bundestages erhebliche
Mehrausgaben für die Terrorprävention verteidigt, gleichzeitig aber die
ohnehin schmal bemessenen Mittel für Opfer von rechter Gewalt und für
Aufklärungsarbeit über rechte Ideologie und Organisationen weiter
gekürzt.