In Österreich strebt die FPÖ nahezu bedingungslos
eine Neuauflage der blau-schwarzen Koalition an.
Von Hito Steyerl, Wien
Jungle World, 25.12.2002
"Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft!" Mit diesem Motto geht
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in die österreichischen
Koalitionsverhandlungen. Gestärkt durch ihren Wahlerfolg bei den
Nationalratswahlen Ende November, kann die konservative Volkspartei
(ÖVP) jetzt theoretisch mit jeder der im Parlament vertretenen Parteien
eine Regierung bilden.
Neben ihrem bisherigen Koalitionspartner, der Freiheitlichen Partei
(FPÖ), sind es die Sozialdemokraten und die Grünen, die so genannte
Sondierungsgespräche mit der ÖVP begannen. Dabei müssen aber zumindest
die kleinen Parteien fürchten, in der Koalition jenen extremen
Schrumpfungsprozess zu erleiden, der bei den Nationalratswahlen die
Freiheitlichen ereilte. Die Partei verlor fast zwei Drittel ihrer
Wähler. Seither umgibt Bundeskanzler Schüssel der Mythos des genialen
Wissenschaftlers, der über geheime Fähigkeiten verfügt, um seine
Koalitionspartner zu verkleinern.
Der erstaunliche Abstieg seines ehemaligen Koalitionspartners, der in
der bürgerlichen Presse als gelungene "Zähmung" bezeichnet wird, kann
auch als "Boa-Constrictor-Prinzip" beschrieben werden, als Erdrosselung
durch Umarmung. Das ist jedenfalls die gängige Theorie, obwohl
zweifelhaft ist, dass die ÖVP überhaupt einen entscheidenden Einfluss
auf den wundersamen Niedergang der FPÖ ausgeübt hat. Denn eigentlich hat
es die FPÖ fast ohne fremde Hilfe geschafft, sich ins Abseits zu
manövrieren.
Da die Partei nun glaubt, nicht mehr viel verlieren zu können, biedert
sie sich Schüssel umso hemmungsloser an. Sie verzichtet dabei auch auf
jene Beschlüsse, die vor wenigen Monaten die Regierungskrise erst
verursachten. Sie besteht beispielsweise nicht mehr auf einem Veto gegen
den EU-Beitritt der Tschechischen Republik, falls die Regierung in Prag
weder die Benes-Dekrete aufheben noch das Atomkraftwerk Temelin
abschalten will.
Und auch das Vorhaben der ÖVP, die geplante Steuerreform um ein Jahr zu
verschieben, stößt plötzlich nicht mehr auf Widerspruch. Dabei hatte die
FPÖ gerade wegen dieses Beschlusses den mittlerweile berüchtigten
Sonderparteitag von Knittelfeld einberufen, der zum Bruch der Koalition
und zu den Neuwahlen führte.
Nachträglich betrachtet, erscheint dieser Parteitag, auf dem zur
Rebellion gegen den Koalitionspartner aufgerufen wurde, als bloßer
Zwergenaufstand. Vom damaligen Gebaren der FPÖ ist in den Verhandlungen
nichts mehr übrig geblieben. Nicht nur die Vetodrohungen sind vom Tisch,
auch eine Verschiebung der Steuerreform sei wegen abgelaufenen Fristen
unabwendbar, meint jetzt der FPÖ-Funktionär Thomas Prinzhorn.
Besonders kurios ist dabei, dass ausgerechnet Bundeskanzler Schüssel
nun seinerseits beim EU-Gipfel in Kopenhagen mit kaum verhohlenen
Vetodrohungen auf sich aufmerksam machte, da Österreich angeblich von
den Regelungen über den Transitverkehr benachteiligt wurde. Gleichzeitig
versuchen die Freiheitlichen, krampfhaft zu vergessen, dass sie noch zu
Jahresbeginn knapp eine Million Unterschriften für ein Volksbegehren
gegen Temelin sammelten.
In diesem Zustand der völligen Willenlosigkeit ist die Partei
offensichtlich sogar bereit, zumindest für eine Weile auf die Weisungen
Jörg Haiders zu verzichten. Er verhielt sich auch bisher ungewöhnlich
still. Angesichts der Schwäche der Freiheitlichen ist es auch kein
Wunder, dass Schüssel in seinen Verhandlungen mit der FPÖ bislang
besonders gut voranzukommen scheint. Anders als in den Gesprächen mit
den anderen Parteien wird bereits über Detailfragen diskutiert.
Eine neuerliche Koalition käme dem Ansinnen der ÖVP entgegen, die
Freiheitlichen überflüssig zu machen, indem sie deren Inhalte samt der
wichtigsten Protagonisten wie dem noch amtierenden Finanzminister Karl-
Heinz Grasser einfach übernimmt.
So verkündete der Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) kürzlich, dass
rechts von seiner Partei kein Platz mehr sein dürfe. Wie er seine
Adaption des von Franz Josef Strauß bekannten Mottos interpretiert
wissen will, demonstrierte er schon im Wahlkampf. Damals strich er
plötzlich die staatliche Unterstützung für einige Flüchtlingsgruppen und
setzte sie einfach auf die Straße.
Was sich die FPÖ allerdings von einer neuen Koalition erhofft, ist
rätselhaft. Sie ist auf dem besten Weg, in der ÖVP aufzugehen, die sich
ihr selbst in Details inhaltlich angenähert hat. Vielleicht sehen die
freiheitlichen Funktionäre in einer Koalition ihre letzte Möglichkeit,
um den Schrumpfungsprozess doch noch aufzuhalten.
Eine ernsthafte Gefahr für eine Neuauflage der alten Koalition ist
jedenfalls bislang nicht in Sicht. Die Grünen haben sich nach zwei
Sondierungsgesprächen vorsichtshalber weiteren Umarmungsversuchen der
ÖVP entzogen. Obgleich sie sich im Wahlkampf auf eine Koalitionsaussage
zugunsten der Sozialdemokraten festlegten (die Konservativen hatten sie
als Marxisten und Haschischhändler bezeichnet) und am Wahlabend sofort
ankündigten, weiterhin in der Opposition zu bleiben, ließen sie sich auf
Gespräche mit der ÖVP ein.
Mehrere grüne Landesverbände hatten zuvor die Parteispitze heftig
bedrängt, Kontakt aufzunehmen. Doch vor allem fürchteten die Grünen die
öffentliche Meinung in Österreich, die einer Partei, die sich
Verhandlungen verweigert, gleich die politische Zurechnungsfähigkeit
abspricht.
Zudem ließen einige Konservative durchblicken, dass eine schwarz-grüne
Koalition durchaus vorstellbar sei. Als Mitglieder der grünen
Jugendorganisation in Wien aus Protest gegen die Koalitionsverhandlungen
die Fraktionsräume besetzten, entschärfte die Parteiführung den
Konflikt. Sie kündigte an, dass die Gespräche nur dann fortgeführt
werden sollten, wenn die Konservativen ihren Dialog mit der FPÖ sofort
beendeten. Erwartungsgemäß war Schüssel dazu nicht bereit, die Grünen
gingen wieder auf Distanz.
Die Sozialdemokraten hingegen zeigten sich zunächst furchtlos gegenüber
Schüssels neuer Machtfülle. Sie hatten zwar im Wahlkampf ebenfalls
versprochen, in der Opposition zu bleiben, falls sie ihr Ziel, die
stärkste Fraktion im Parlament zu werden, nicht erreichen sollten.
Dennoch ließen sie sich bereitwillig auf Vorverhandlungen mit den
Konservativen ein.
Innerhalb der SPÖ gibt es verschiedene Meinungen über eine mögliche
Regierungsbeteiligung. Während einflussreiche Landesvorsitzende wie der
Wiener Bürgermeister Michael Häupl schon seit Monaten für eine schwarz-
rote Koalition werben, ruft die Sozialistische Jugend zu einer
Unterschriftenaktion gegen diese Option auf.
Überdies fürchten viele Sozialdemokraten, mit einer großen Koalition
die FPÖ wieder zu stärken oder gar selbst unterzugehen. Ihre Hoffnung,
dass sich Schüssel möglichst bald entscheidet, mit wem er nun regieren
möchte, hat sich jedenfalls als falsch erwiesen. Frühestens Anfang
Januar werde es zu einer Entscheidung kommen, erklärte Schüssel in der
vergangenen Woche.