Klaus Wagener
Junge Welt, 28.12.2002
"Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum..." Das
Lied der Moorsoldaten. Es war auch das Lied meines Vaters. Er war einer
der "Politischen", die 1933, gleich nach der Machtübernahme, verhaftet
und in das Konzentrationslager Börgermoor im norddeutschen Emsland
abtransportiert wurden. Daher sei hier das "Ich" gestattet. Dieses Lied
hat mich begleitet, wie kein anderes politisches Lied. Mein Vater hat es
immer wieder gesungen. Der feierliche Ernst und die große Kraft, die er
hineinlegte, haben mich schon als kleines Kind stark beeindruckt und
mir, ohne daß ich genau verstanden habe, worum es geht, das Gefühl
vermittelt, daß es hier um etwas sehr Wichtiges gehen mußte.
Später dann, in den 70er und 80er Jahren, als er in der Songgruppe "Die
Stahlkocher" auf vielen Veranstaltungen und natürlich auch auf den
Pressefesten der UZ (Unsere Zeit) auftrat, war das Moorsoldatenlied
immer so etwas wie der Höhe- und Schlußpunkt. Es hat mich daher sehr
berührt, als ich von dem Vorhaben des Dokumentations- und
Informationszentrums Emslandlager erfahren habe, eine CD mit
verschiedenen Varianten des Moorsoldatenliedes zu produzieren, auf der
auch eine Aufnahme meines Vaters eingespielt ist.
Entstanden ist ein bemerkenswertes Album mit zwei randvollen CDs, die
einen überraschenden und informativen Querschnitt der zahllosen
Interpretationen des "Moorsoldatenliedes" liefern, die aber auch, wie im
Interview mit Rudi Goguel, dem Komponisten des Liedes, etwas zur
Entstehungsgeschichte, den Mythen und Legenden und den zahlreichen
Abwandlungen erzählen. Da gibt es klassische schnörkellose, beinahe
karge Interpretationen, wie von Ernst Busch 1937, begleitet vom Chor der
11. Internationalen Brigade. Oder Paul Robesons und Pete Seegers "Peat
Bog Soldiers". Da ist aber auch die große Inszenierung. Die
feierlich-würdevollen Arrangements des Rundfunkchors Leipzig oder des
Kampfgruppenorchesters in einer Aufnahme von Radio DDR.
Mit den Kämpfern der Internationalen Brigaden gelangte das Lied aus dem
Spanischen Bürgerkrieg in ihre Heimatländer und wurde so zum Bestandteil
der dortigen linken Volks- oder Protestkultur. So gibt es neben den
englischen, eine griechische, eine irische, eine niederländische, eine
spanische, zwei französische und eine italienische Fassung. Aber es gibt
auch zwei jüdische Gruppen, die das Moorsoldatenlied in ihr Repertoire
aufgenommen haben.
Am Ende der Adenauer-Ära, mit der Initialzündung des Waldeckfestivals,
beginnen die Folk- und Protestsongs, neben dem Rock'n' Roll zunehmend
kultureller Ausdruck der sich neu orientierenden Jugend zu werden. Dabei
auch das Moorsoldatenlied. Wir hören Hannes Wader, die Gruppe Carl von
Ossietzky und Perry Friedman. Aber auch das unvergleichliche
Schalmeienorchester "Fritz Weineck".
Szenischen Hintergrund liefert die Lesung von Wolfgang Langhoff mit der
Passage "Ankunft" aus seinem Buch "Die Moorsoldaten" und eine
Einspielung aus Bertolt Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reiches".
Jazziges tragen die Kölner Saxophon Mafia und die Radio Jazz Group
Stuttgart bei, und Hanning Schröder hat "die Unerbittlichkeit des
Geschehens" in eine Musik in drei Sätzen für vier Streichinstrumente
übersetzt. Den Schluß bilden einige interessante und m.E. auch
gelungene, aber für sicherlich viele auch ungewohnte Popvarianten.
Gruppen wie die Reservoir Dogs, die Schnitter und die Einsamen
Stinktiere haben sich einen neuen Zugang zu diesem Lied erobert. Jede
Generation muß das auf ihre Weise tun. Aber für alle sind die
Moorsoldaten immer mehr als nur ein Lied. Es ist auch Erinnerung,
Identifikation, Gemeinsamkeit, Auftrag.
Es vergeht in letzter Zeit kaum ein Tag, wo keine Faschisten auf dem
Bildschirm erscheinen, wo sich die Sender nicht serienlang über die
Gemütszustände der Nazigrößen den Kopf zerbrechen. Und Opfer, wenn sie
denn vorkommen, dazu die Erklärungen liefern sollen. Die Interessen des
Finanzkapitals, die Hintermänner, die den aufhaltsamen Aufstieg
finanzierten, sollen hinter dem unfaßbar Bösen, dem Dämonischen, dem
Unbegreiflichen verschwinden. Darum sind die Moorsoldaten trotz
"Fascho-Welle" kein Thema. Sie, die "Politischen", die Kommunisten und
Sozialdemokraten, waren die ersten... Und hinterher gab's niemanden
mehr, der protestieren konnte. An die Männer im Moor mit Hilfe ihres
Liedes zu erinnern, ist den Produzenten Fietje Ausländer, Susanne Brandt
und Guido Fackler wunderbar gelungen. Sie haben den CDs ein informatives
64seitiges Heft beigelegt, das viel über das Lied, das Lager und auch
die Interpreten erzählt.
Das Lied der Moorsoldaten. 1933-2000.
DIZ Emslandlager, Papenburg
2002, ISBN 3-926277-15-7
Vorzugspreis bis 31. Dezember 20 Euro, danach 25 Euro