"Arlette, komm, wir
zerschlagen den Staat!":
Linksradikale gegen das "Einheitsdenken"
Von Gudrun Eussner
Am 2. März 1998
wird in der "Humanité", der Zeitung des Parti Communiste Français
(PCF) die Gründung der Stiftung "Fondation Marc Bloch", einer
"Stiftung gegen das 'Einheitsdenken' ", gefeiert. Die Gründer, aus dem
politischen Spektrum von extrem rechts bis orthodox links, wollen damit
das vorherrschende Denken bekämpfen. (1) Ein weiteres Querfrontprojekt
ist entstanden.
"Die neuen
Grenzen des politischen Spieles" verliefen nicht mehr zwischen rechts
und links, sondern zwischen den Vertretern des "Einheitsdenkens",
denjenigen, die für die Zusammenarbeit bzw. Kollaboration
("collaboration") mit der Globalisierung, dem Neo-Liberalismus, der
Vermarktung der Welt ("die Welt ist keine Ware"), dem Vorrang der
Wirtschaft über den Menschen und die Umwelt seien, und denjenigen die
dagegen in Opposition stünden, vernimmt man aus den Kreisen des
Jean-Pierre Chevènement, des "Che", und der ATTAC. An keiner Stelle
erfolgt die genauere Bestimmung oder gar das Hinterfragen des Begriffes
"Einheitsdenken" (la pensée unique), sondern in plumper Demagogie werden
sowohl Präsident Jacques Chirac als auch Ex-Premierminister Lionel
Jospin gemeinsam mit dem Vorsitzenden des PCF Robert Hue und dem aus
extrem rechtesten Kreisen hervorgegangenen ultra-liberalen Alain Madelin
und seiner Partei Démocratie Libérale (DL) darunter subsumiert; sie alle
seien Handlanger der Herrscher der Welt ("Maître du Monde").
Lionel
Jospin und die "Enarchen des Parti Socialiste (PS)" hätten ihre Wähler
verraten, meinen Jean-Pierre Chevènement und die ihn umgebenden Enarchen
vom Pôle Républicain. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte Lionel Jospin
mühelos einen ersten Platz im ersten Durchgang der
Präsidentschaftswahlen 2002 erringen können. So aber seien 22 Prozent
der Stimmen an Kandidaten verschiedener linker Gruppen gegangen, wobei
der Pôle Républicain des Jean-Pierre Chevènement sich als "links"
darstellt. Das "Einheitsdenken" der Diener der multinationalen Konzerne
und der neuen Wirtschaftsordnung sei abgestraft worden. 56 Prozent der
Wähler hätten sich für die Kandidaten der Opposition, gegen das
"Einheitsdenken", entschieden.
Die
fehlende Bestimmung des Begriffes "Einheitsdenken" macht es den
Demagogen leicht, nunmehr die gegen die "Kollaborateure" gerichtete
"Opposition gegen das Einheitsdenken" zu benennen, ohne daß man erfassen
könnte, was damit gemeint ist. Wenn man einfach "Opposition zur
Regierungspolitik" sagen würde, käme das ebenfalls aus. Einige
Oppositionsgruppierungen sind Querfrontprojekte. Das nun als "Opposition
gegen das Einheitsdenken" zu bezeichnen, erscheint doch ziemlich
übertrieben. Zu allen Zeiten gab und gibt es Menschen, die nicht wissen,
wohin sie gehören und sich von anderen gebrauchen lassen.
Es seien
die extrem Rechten vom Front National und dem Mouvement National
Républicain Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret sowie die extrem Linken
Arlette Laguiller von der "Lutte Ouvrière" (Arbeiterkampf), Olivier
Besancenot, von der "Ligue Révolutionnaire Communiste" (Revolutionäre
kommunistische Liga) und Daniel Gluckstein, vom "Parti des Travailleurs"
(Partei der Arbeiter). Diese drei Linksradikalen erhalten bei den
Präsidentschaftswahlen 2002 im ersten Durchgang zusammen 10,46 Prozent
der abgegebenen Stimmen, davon Arlette Laguiller 5,74 Prozent, Olivier
Besancenot 4,25 Prozent und Daniel Gluckstein 0,47 Prozent. In einem auf
der Spitze stehenden gleichseitigen Dreieck werden die Namen der
Kandidaten aufgelistet. Der Kandidat von "Chasse, Pêche Nature et
Tradition" Jean Saint Josse mit seinen immerhin 4,2 Prozent der Stimmen
(er ist angeblich ebenfalls gegen das "Einheitsdenken") wird
unterschlagen. Die Gestalter der blaurot-gräulichen Graphik wissen
anscheinend selbst nicht, ob er nach links oder nach rechts gehört.
Ansonsten geben sie vor, es genau zu wissen: Die Lage in Frankreich ist
als "voraufrührerisch" zu bezeichnen. "Alle Bedingungen für eine
Revolution mit den Ausmaßen vom Mai 1968 sind vereint." (2)
Schon zwei
Monate später, am 9. Juni 2002 werden sie widerlegt, denn da, im ersten
Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung, erhalten die extremen
Linken zusammen nur 2,74 Prozent der Stimmen, und der "linke" Pôle
Républicain des Jean-Pierre Chevènement kommt überhaupt nicht mehr vor.
Die beunruhigende "(bi)polare Ära" ist zurückgekehrt, meinen die
Anhänger des "Che" und der ATTAC fröstelnd. (3) In ihrem "einzigartigen
Wörterbuch des Einheitsdenkens" meint das Querfrontquartett Jean-Pierre
Chevènement, Philippe Séguin, Jean-François
Kahn und Ignacio Ramonet: "das Einheitsdenken ist bitter". (4) Ignacio
Ramonet trommelt schon seit Jahren mit Formulierungen, wie sie der Front
National nicht treffender anwenden könnte, gegen das "Einheitsdenken",
gegen das internationale Kapital, die Finanzmärkte, Konkurrenz und
Wettbewerbsfähigkeit, Freihandel, Globalisierung von Produktion und
Finanzströmen, gegen die Bretton-Woods Institutionen und die
französische Zentralbank, gegen Zeitungen der Großindustrie "Wall Street
Journal", "Financial Times", "Les Echos" usw. (5)
Es
verwundert nicht, daß die so eingestimmten Franzosen, von Haus aus seit
mehr als 200 Jahren aufmüpfige, spöttelnde Menschen ("le français
railleur"),
grundsätzlich vor keiner Partei Scheu empfindend, und sei sie noch so
ultra-links oder extrem rechts, sich gern in das Abenteuer des
offensichtlich salonfähigen Anti-Einheitsdenkens stürzen und ihrer
Regierung der Kohabitation, hauptsächlich dem Lionel Jospin, einen
Denkzettel verpassen. So entstehen die 16,86 Prozent für den
Präsidentschaftskandidaten des Front National und die 10,46 Prozent für
die drei radikalen Linken, und Lionel Jospin fällt durch. Arlette
Laguiller gibt für den zweiten Durchgang ausdrücklich nicht die
Empfehlung aus, für den Kandidaten der bürgerlichen Rechten Jacques
Chirac und gegen Jean-Marie Le Pen zu stimmen, denn beide Kandidaten
erklärt sie für sowieso politisch gleich. Die Fanzosen kommen bereits im
zweiten Durchgang wieder zur Vernunft und wählen Jacques Chirac mit
82,21 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Frankreichs.
Bei den
Wahlen zur Nationalversammlung erteilen sie den Linksradikalen und dem
Querfrontler Jean-Pierre Chevènement sehr intelligent eine massive
Abfuhr. Der Front National verliert ebenfalls Stimmen. Arlette Laguiller
und ihre "Lutte Ouvrière" (LO) fallen von 5,72 Prozent der Stimmen beim
ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen auf 1,18 Prozent beim ersten
Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung zurück. Das Ergebnis
unterbietet noch das für die "Ligue Communiste Révolutionnaire" (LCR)
des Olivier Besancenot, was einige zum Frösteln bringt. (3)
"Arlette",
wie sie von ihren Anhängern kurz bezeichnet wird, ist das gewöhnt. Seit
den 60er Jahren steht die nunmehr 62-jährige, seit dem Jahr 2000
verrentete Schreibkraft, ehemalige Angestellte der bis 1999
staatseigenen Bank Crédit Lyonnais, trotzig im trotzkistischen Kampf um
die Befreiung der Menschheit vom Joch der Unterdrückung. Seinerzeit wird
sie entdeckt von einem gewissen "Hardy", der 1956 die alte, 1940
gegründete trotzkistische Partei des Rumänen David Korner ("Barta")
"Union Communiste Internationaliste (UCI)", später "Union Communiste
(UC)" unter dem Namen "Union Communiste/Voix Ouvrière" wieder zum Leben
erweckt. Diese Partei wird 1968 durch die französische Regierung
verboten und einige Zeit später unter dem Logo "Lutte Ouvrière (LO)",
benannt nach der Wochenzeitung gleichen Namens, von Hardy
wiedereröffnet. Arlette Laguiller wird Sprecherin der LO. (6)
1974 führt
sie eine mehrere Monate andauernde Streikbewegung im Crédit Lyonnais an.
Der Streik breitet sich auf andere Banken aus. Diese turbulente Zeit des
Crédit Lyonnais endet 1976 mit der Ermordung seines Präsidenten Jacques
Chaine. (7) Seltsamerweise findet man beim Suchen außer bei ARTE nichts
darüber im Internet. Man kann aber sicher davon ausgehen, daß Arlette
Laguiller und damit auch Hardy sehr gut über die Interna des Crédit
Lyonnais Bescheid wissen. Gegenwärtig liest man große ganzseitige
Anzeigen in den französischen Zeitungen über den Verkauf des Crédit
Lyonnais an den Crédit Agricole. Dann haben die Turbulenzen vielleicht
endlich ein Ende.
Der
Bolschewist Hardy hat das Ziel, "den Staatsapparat der Bourgeoisie zu
zerstören". Der 1960 in den PSU eingetretenen, dann aber bald zu seiner
trotzkistischen Voix Ouvrière gewechselten Arlette bedient er sich dazu.
Sie ist sein Geschöpf. LO soll ihre Ideen und ihre Organisation in den
Großunternehmen Frankreichs verankern ("implanter"). Nach dem Streik
beim Crédit Lyonnais wird die durch den Streik in Paris und in ganz
Frankreich als tapfer und mutig bekannt gewordene Arlette Laguiller 1974
erstmalig "als einzige Frau, als einzige Arbeiterin"
Präsidentschaftskandidatin. Sie erhält auf Anhieb 2,33 Prozent der
Stimmen. Zum Vergleich: Jean Marie Le Pen erreicht 0,74 Prozent. (8)
Am 23.
April 1995 erhält sie bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Durchgang
5,3 Prozent der Stimmen. Danach kandidiert sie in der Region
Île-de-France zum Regionalrat und wird am 15. März 1998 mit 19 anderen
LO-Kandidaten gewählt. Am 13. Juni 1999 führt sie die gemeinsame Liste
von LO und LCR an und zieht mit zwei weiteren LO und zwei LCR-Kandidaten
ins Europaparlament ein. (6)
Unter
Hardy's Anleitung verbindet sie sich mit Marc Blondel, von der 1947 mit
CIA-Geldern zur Unterminierung der kommunistischen Confédération
Générale du Travail (CGT) gegründeten Gewerkschaft "Force Ouvrière
(FO)". (9) Zahlreiche Mitglieder der LO sind auch Mitglied der FO. Sie
sind in Scharen in den 90er Jahren in die FO eingetreten. Man nennt dies
"l'entrisme", Eindringen. (10) François
Mitterand und Jean-Pierre Chevènement und ihre Gruppe haben ähnliches
seinerzeit auch bei der
Section Française de l'Internationale Ouvrière (S.F.I.O.)
betrieben und sich so dieser
sozialistischen Partei des Jean Jaurès bemächtigt. (11)
Marc
Blondel gibt entgegen der Entscheidung aller übrigen Gewerkschaften wie
Arlette Laguiller für den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen
2002 nicht die Empfehlung aus, zur Vermeidung eines Sieges des
Jean-Marie Le Pen, vom Front National, am 5. Mai Jacques Chirac zu
wählen. Das erinnert Amnistia.net an den März 2001, da der Kandidat der
Rechten, Jean-Christophe Lagarde, vom nationalen Sekretariat der
Union pour
la Démocratie Française (UDF)
des François Bayrou und des
Valérie Giscard d'Estaing,
bei den Gemeindewahlen gegen den Kandidaten des PCF, Maurice Niles, seit
36 Jahren Bürgermeister von Drancy, gewinnen kann, weil der Front
National unter der Hand den UDF-Kandidaten unterstützt, LO aber eine
eigene Liste gegen die übrige vereinigte Linke aufstellt, diese spaltet
und so dem Kandidaten Jean-Christophe Lagarde den Weg ebnet. (12)
Ein
weiterer Bereich, in dem sich die Zwiespältigkeit des Marc Blondel
zeige, sei seine Einstellung zur
Privatrentenversicherung zur Altersvorsorge
der Beschäftigten. Diese habe er
als Gewerkschafter immer vehement als eine der schlimmsten Betrügereien
der Unternehmer zur Ruinierung der Arbeitnehmer abgelehnt. In der
Zeitschrift "Capital" Nr. 128, vom Mai 2002, erfahre man nun, daß Marc
Blondel schon vor zehn Jahren eine derartige Versicherung zum Nutzen des
Personals von FO abgeschlossen habe.
Auch bei
der "jungen revolutionären Rentnerin" Arlette Laguiller, die Mitglied
der FO ist, könne man sich nicht erinnern, daß sie sich energisch bei
ihrer Bank gegen einen Sozialplan zur Entlassung von Beschäftigten
gestellt habe. Das habe seinen Grund darin, daß ihre Gewerkschaft, die
FO, alle Vorschläge der Unternehmensführung des Crédit Lyonnais
anstandslos unterschrieben habe. Arlette Laguiller habe dies nicht
gehindert, in den Versammlungen der LO unermüdlich und lautstark "gegen
Entlassungen, Arbeitslosigkeit und Elend" aufzutreten. (13)
Kommunist
sein, das heiße zuallererst, radikal gegen das kapitalistische System zu
opponieren, das seine Vorherrschaft dem ganzen Planeten aufdrücke,
schreibt sie in ihrem neuen Buch "Mon communisme". Sie habe es deshalb
so benannt, weil über den Kommunismus so viele Lügen verbreitet würden.
Sie sage jetzt, was der Kommunismus heutzutage einzig sei. Der
Kapitalismus, das sei die Ausbeutung der Neuen Welt, der Ruin der
amerikanischen Zivilisationen, der Völkermord dort und der
Sklavenhandel, um die ausgerotteten Indianer zu ersetzen, die Ausbeutung
der Bauern und die Kinderarbeit.
Der
Kapitalismus habe die Menschheit im letzten Jahrhundert zweimal in
Weltkriege gestürzt, der Kolonialismus dauere weiter fort, England habe
den Chinesen in Britisch-Indien produziertes Opium gegeben, in Algerien
seien die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und die Ernten zerstört
worden usw. Soweit zur europäischen Vergangenheit. Die USA hätten die
Vietnamesen unterdrückt und dort ein Marionettenregime aufrecht
erhalten, anschließend hätten sie die Halbinsel zerbombt und Agent
Orange eingesetzt usw. Soweit zur Vergangenheit der USA.
Gegenwärtig
lebe die industrialisierte Welt in einer Wirtschaftskrise. Die
Bevölkerung leide unter Entlassungen und Arbeitslosigkeit als Folge der
auf Profitgier der Großaktionäre der großen Industrie- und
Finanzkonzerne beruhenden Industrialisierung. Auch in dem Industriestaat
Frankreich, wo "eine gewisse Anzahl demokratischer Freiheiten"
bestünden, seien Armut und Elend nicht beseitigt. Der Staat dulde es,
daß die Reichen reicher und die Armen ärmer würden. Die beiden
Kandidaten Lionel Jospin und Jacques Chirac unterschieden sich deshalb
nicht groß voneinander, weil sie beide nur da seien, um die "Maschine im
Sinne der Interessen der Besitzenden laufen zu lassen".
Heute, im
Zeichen der Globalisierung der Wirtschaft, könne es keine Frage sein,
einen "französischen Kommunismus" aufzubauen, "weil der Kommunismus die
Bereitstellung der weltweiten Produktionsmittel, die der Kapitalismus in
die gräßlichste Patsche geritten hätte, an die gesamte Menschheit
bedeutet". Den Problemen der Umweltzerstörung sei nicht nur mit
technischen, sondern vor allem mit politischen Mitteln zu begegnen. Nur
die Arbeiter könnten die Interessen aller vertreten. Trotz des relativen
Versagens der Russischen Revolution sei Kollektivierung der
Großunternehmen, des Transports der Dienstleistungsfirmen sowie der
Banken und Versicherungen angesagt.
Um das
alles zu erreichen, bedürfe es der Partei der sozalen Revolution. Dieses
Ziel hätten der PS und der PCF seit langem für ein Linsengericht der
Verwaltung der bürgerlichen Geschäfte verraten. Trotz der Politik, die
PS und PCF ab 1981 betrieben hätten, gebe es Hundertausende politisch
aktiver Arbeiter, genauso wie eine neue Generation von Arbeitern und
Intellektuellen, die auf verschiedenen Wegen lernten, wie krank die Welt
sei. Arlette Laguiller, die 40 Jahre ihren politischen Kampf führe,
hoffe, eines Tages dieses Ziel zu erreichen. Sie habe in der Zeit
Menschen getroffen, denen Selbstlosigkeit, Aufopferung und die Zukunft
der Gesellschaft mehr bedeutete als ihr persönlicher Erfolg. Die
Befriedigung komme durch die Abwesenheit von Egoismus und aus der
Brüderlichkeit derjenigen, die die gleiche Hoffnung und dasselbe Projekt
teilten. (14)
Es ist kaum
zu fassen, daß 1 630 244 Wähler, d.h. 5,72 Prozent, am 21. April 2002,
diesem sozialrevolutionären Kitsch aufgesessen sind. Weitere 1 210 694
Wähler sind ähnlichen Phrasen des diplomierten Historikers und
Briefträgers in Neuilly Olivier Besancenot nachgelaufen, und immerhin
noch 132 702 Wähler dem Daniel Gluckstein. Vielleicht kann man zu deren
Gunsten anführen, daß die meisten das Buch nicht gelesen und auch nicht
an den erhellenden Versammlungen der Arlette Laguiller und der beiden
anderen Kandidaten teilgenommen haben. Die Schilderung einer solchen
Versammlung findet man schon am 10. Juni 1999: "L.O. goodbye".
(15)
Nun fehlt
nur noch eine Aufklärung, wer dieser ominöse Hardy, Mentor der Arlette
Laguiller ist. Dazu versuchen wir, verschiedene Presseorgane zu befragen
und erhalten, chronologisch, folgende Auskünfte:
-
Am 7. Juni 2001 berichtet François
Koch, Autor des Buches über Arlette Laguiller und Robert Barcia (8), daß
dieser nicht erbaut sei darüber, daß die LCR einen neuen Kandidaten in
Gestalt von Olivier Besancenot gefunden habe, um Arlette Laguiller
Konkurrenz zu machen. Zu der Zeit verbreitet sich das Gerücht über den
Hintermann der "Passionaria der Linken" schon in ganz Frankreich. LCR
will für sich daraus Profit ziehen. (16)
-
Le Monde weiß, am 15. Dezember 2001,
daß es sich bei Hardy, dem Mentor von Arlette Laguiller um einen Mann
namens Robert Barcia, alias Roger Girardot handele. Letzterer Name sei
sein Schriftstellerpseudonym, unter dem er in der LO-Zeitschrift "Lutte
Ouvrière" schreibe. Weitere Einzelheiten berichtet die Zeitung nicht,
obgleich das Buch von François Koch schon zwei Jahre auf dem Markt ist.
(17)
-
Der Londoner Telegraph berichtet, am
23. März 2002, anekdotische Geschichten über die LO und ihre Kandidatin,
"the hottest candidate in the race". Es wird auch berichtet, daß Lionel
Jospin, der ehemalige Trotzkist, "in dieser Woche", also Mitte März (!)
sein Team angewiesen habe, den Wahlkampf mehr auf die Linke
auszurichten, und daß der PCF ebenfalls ein Opfer der Arlette Laguiller
werde. Man fotografiere sie beim Essenkochen, ihr Lieblingsessen seien
gedünstete Endivien, sie lese kontinuierlich Trotzki, und den Namen des
Mannes in ihrem Leben habe sie nicht verraten, es gebe aber einen. (18)
-
Die ZEIT Nr. 15, vom 8. April 2002,
weiß: "Hinter diesem Decknamen verbirgt sich ein Pharmaunternehmer
namens Robert Barcia. Quelle: Standard, vom 6.4.2002". Das ist alles.
(19)
-
Rudolf Balmer vom Pariser
Frankreich-Informationsdienst, schreibt, am 9. April 2002, über die
"Sankt-Arlette, die falsche 'Heilige' der Vorstädte" : "Dieses
fast rührende Bild empört unter anderem die Brüder Daniel und Gabriel
Cohn-Bendit: 'Nein, Arlette ist keine Heilige. Sie ist die folgsame und
ergebene Aktivistin einer (politischen) Sekte, die mit eiserner Hand von
einem Guru geleitet wird, dessen Pseudonyme Hardy und Roger Girardot
lauten. Er heisst mit wahrem Namen Robert Barcia und ist Hauptaktionär
von drei sehr kapitalistischen Dienstleistungsfirmen im Bereich
Ärztebesucher.' " (20)
-
Im Neuen Deutschland liest man, am
16. April 2002, über den "Druck von links außen" einen noch
anekdotischeren Artikel als im Telegraph. Robert Barcia wird gar nicht
erwähnt. (21)
-
ZDF-heute weiß, am 18. April 2002,
daß LO wie ein Geheimbund nur über ein Postfach zu erreichen und der
Drahtzieher der Partei ein gewisser Robert Barcia, kurz "Hardy" genannt,
sei; "ein früherer Pharma-Angestellter, fand die Pariser Presse heraus.
Er tritt nicht öffentlich auf." (22)
-
Am 22. April 2002 legt die ZEIT in
ihrer Nr. 17/2002 noch einige Anekdoten nach. Über Robert Barcia steht
dort: "Herr der Partei ist ein mysteriöser Robert Barcia, 73, der
angeblich als 'Mr. Hardy' im Hinter- und Untergrund wirkt." (23)
Die
Humanité, deren Partei PCF wohl mit am meisten betroffen ist von den
Machenschaften des Robert Barcia und seiner Muse, genauso übrigens wie
von der Demagogie eines Alain Krivine und seines Briefträgers Olivier
Besancenot, schreibt gar nichts über den Fall Hardy. Aber ausführliche
Berichte über die Gründung des Querfrontprojekts Fondation Marc Bloch
sind im selben Jahr 1998 zu lesen, in dem Jahr, da François
Koch seinen informativen Artikel veröffentlicht.
Bereits am
8. Oktober 1998 erscheint von ihm folgender Artikel im Express:
"Dr Barcia et Mr Hardy". Die Überschrift lautet: "Besitzer
pharmazeutischer Firmen einerseits, autokratischer Führer der Lutte
Ouvrière andererseits, dieser Trotzkist, dringt er in Laboratorien oder
bei den Linken ein (fait-il l'entrisme)?"
In dem Artikel berichtet der Autor ausführlich über die brillante Karriere
des Geschäftsmannes an der Seite der Chefs der sehr kapitalistischen
Pharmaindustrie. Also, von wegen "ein früherer Pharma-Angestellter"! Er
habe eine große Fähigkeit, sich zu verstellen. Derselbe Mann sei unter
dem Pseudonym Hardy seit 1956 Hauptführer der Union Communiste (Lutte
Ouvrière), einer extrem linken trotzkistischen Organisation, deren Ziel
"die Zerstörung des Staatsapparates der Bourgeoisie" sei. Der
Bolschewist Hardy hat die berühmte Arlette Laguiller ausgebildet und
eingesetzt. 5,3 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen 1995
und 20 Regionalräte 1998 seien der Erfolg gewesen. Seit mehr als 40
Jahren seien das Gesicht und die Identität des Hardy eines der
meistgehüteten Geheimnisse des französischen politischen Lebens.
Hardy ist ein sehr bürgerlicher Unternehmenschef, schreibt
François
Koch. Er hat 1968 und 1971 die Firmen Epmed (Études et publicité
médico-pharmaceutiques) und OPPM (Organisation promotion prospection
marketing), zwei auf die Schulung von Pharma-Vertretern spezialisierte
Firmen gegründet. Diese Vertreter arbeiten für die jeweilige
pharmazeutische Firma. Wenn es sich um die Effizienzsteigerung dieser
Vertreter handele, sei Hardy ein sehr kompetenter Professioneller.
1989, als die Vertreter diplomiert sein müssen, entwickelt er auf
Vermittlung des Syndicat national de l'industrie pharmaceutique (Snip),
dem nationalen Pharmaverband, ein Spezialprogramm der medizinischen
Fortbildung. Barcias Firmen arbeiten auf der Grundlage spezieller
Beziehungen mit den Laboratorien Elerté d'Aubervilliers. Deren
Präsidentin wisse nichts von den politischen Aktivitäten des Hardy.
Dieser ist 1973 Mitbegründer eines Netzes medizinischer Visiten (Adrev).
Dort sei man ebenfalls entsetzt über Hardy's Doppelleben. Adrev hat
seinen Sitz in der Rue Rouvet, im 19. Pariser Arrondissement, dem Sitz
auch von Epmed und OPPM, deren gegenwärtige Direktoren 1995 bei den
Wahlen zur Nationalversammlung für die LO kandidierten. Der Mitbegründer
des Adrev, der aktuelle Exportdirektor der Laboratorien Roche sei
ebenfalls überrascht. Er kenne Barcia seit 27 Jahren, und ihm sei er
vollständig integriert in ihr politisch eher liberales Universum
erschienen. Er habe sich immer in sehr gemäßigtem Ton geäußert. Er
vermute deshalb "zwei Männer in einem".
Die Direktorin für soziale Belange des Pharmaverbandes Snip, die Barcia
erstmalig 1973 traf, überbietet dies noch: für einige seiner
Unternehmerfreunde oder Führungskräfte, die sich von Barcia betrogen
vorkämen, würden manche Erinnerungen schmerzhaft. Bei einem
Adrev-Abendessen, wo es politische Diskussionen gegeben, man seine
Sympathien für die Rechte durchblicken lassen und sich reichlich über
Arlette Laguiller lustig gemacht habe, hätte Barcia nicht reagiert.
Einige andere könnten sich jetzt erklären, warum er nie über sein
außerberufliches Leben gesprochen habe. In seinen Unternehmen sei es
autoritär zugegangen. Zwei Pharma-Vertreterinnen seien gefeuert worden,
und um die betriebliche Schlichtungskommission (les prud'hommes) zu
vermeiden, hätten die beiden Frauen großzügige Abfindungen bekommen. Die
Gründe der Kündigungen waren, daß die eine Frau, Mutter zweier Kinder,
um Teilzeitarbeit gebeten habe, die andere sei einige Monate nach der
Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub entlassen worden.
Einmal habe Robert Barcia wohl für Sekunden seine Maske fallengelassen, in
dem er einem Unternehmenschef anvertraut hätte, er habe die
Folterkammern Francos gekannt. (8)
Ob als Opfer oder als Täter, sagte Robert Barcia nicht.
Wir fragen uns, wozu die Journalisten und Medien da sind, wenn sie
derartig dürftige Informationen in die Welt streuen. Oder muß man
vermuten, daß dies Absicht ist?
Wir gehen davon aus, daß die französischen Geheimdienste, und nicht nur
diese, sondern auch alle übrigen in Europa und in den USA genau wie die
französischen Medien und sämtliche Politiker, nicht nur die Brüder
Cohn-Bendit, seit langem, einige vielleicht von Anfang an, von diesen
Machenschaften des Robert Barcia wissen. Warum wurde nichts bekannt? Wer
hat ein Interesse daran, daß die korrupte, undemokratische LO und diese
falsche "Heilige", die linksradikale Opponentin des "Einheitsdenkens",
ihr Unwesen über mehr als 30 Jahre treiben können? Warum ist es
niemandem unangenehm aufgefallen, daß die Partei nur eine
Postfachadresse hat, wie wir den Quellen entnehmen können?
Cui bono?
Anmerkungen:
(1) 'Marc Bloch', fondation
plurielle contre la 'pensée unique', L'Humanité, 19 mars 1998 -
http://www.humanite.presse.fr/journal/98/98-03/98-03-19/98-03-19-075.html
(2) ATTAC -
Association
pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens
Die internationale ATTAC-Bewegung wurde bei einer Sitzung mit Teilnehmern
aus unterschiedlichen Ländern während eines Treffens am 11-12. Dezember
1998 in Paris ins Leben gerufen.
http://attac.org/indexfla.htm
"Alles über ATTAC: Die
Gründung von ATTAC ist das Ergebnis der Ablehnung eines wirtschaftlichen
Einheitsdenkens, einer von eher arroganten als fähigen 'Eliten'
monopolisierten Entscheidung und einer Unterordnung der Demokratie unter
die finanzielle Autokratie."
"Tout sur ATTAC: La fondation d'ATTAC est le
résultat du refus d'une pensée économique unique, d'une décision
monopolisée par des 'élites' plus arrogantes qu'expertes, et d'une
sujétion de la démocratie à l'autocratie financière."
http://france.attac.org/
Les
causes d'un séisme politique
(dort auch die Graphik),
http://perso.wanadoo.fr/metasystems/ElectionsFR.html
Enarchen = Absolventen der École Nationale d'Administration, der
Elite-Verwaltungshochschule
(3) Vers une ère (bi)polaire. Politique
http://www.libres.org/francais/politique/archi/politique_062002/legislatives_p243.htm
(4) L'unique dictionnaire de la pensée unique -
http://persoweb.francenet.fr/~mbonnaud/dicopens.html
Ignacio Ramonet ist Gründer und Ehrenpräsident von ATTAC France und
Chefredakteur der Le Monde diplomatique, Bernard Cassen ist
ATTAC-Präsident und Generaldirektor der Le Monde diplomatique.
(5) La pensée unique, par Ignacio Ramonet, Le Monde diplomatique, janvier
1995,
http://www.monde-diplomatique.fr/1995/01/RAMONET/1144
(6) Lutte Ouvrière -
http://francepolitique.free.fr/PLO2.htm sowie Présidentielle 2002 - la
biographie d'Arlette Laguiller -
http://www.lutte-ouvriere.org/elc2002/pre/al-bio.html
(7) La saga du Lyonnais. arte-tv. -
http://www.arte-tv.com/special/credit/ftext/ftext06f.htm
(8) Dr Barcia et Mr Hardy, par François
Koch, L'Express du 8/10/1998,
http://www.lexpress.fr/Express/Info/France/Dossier/lo/dossier.asp?nom=barcia
Siehe auch das Buch des Journalisten beim Express
François
Koch: La Vraie nature d'Arlette - Collection Contre-enquête, Èdition du
Seuil 1999, sowie Lutte ouvrière: les moines soldats du trotzkisme. In:
Le Monde Libertaire. Dokumentiert unter UCI/LO Union Communiste
Internationale -
http://decrypt.politique.free.fr/partis/lo/lo.shtml
Dort finden sich weitere Artikel zum Thema.
(9) Glossaire,
mode d'emploi - À ma gauche le "Club des 5"
http://www.abri.org/la.serie/glossaire/bas.htm
Siehe dazu auch: Confédération Générale du Travail (CGT), Januar 2002
http://www.wanadoo.fr/socialocommunisme-verite/cgt.htm
(10) Lexique Politique "Entrisme" -
http://decrypt.politique.free.fr/lexique/entrisme.shtml
(11) (36) D'Épinay au
Panthéon -
http://www.cliosoft.fr/05_01/epinay_pantheon.htm
(12) F.O. et L.O.,
même combat .... Amnistia.net, 25. April 2002
http://www.amnistia.net/librairi/amnistia/n16/lo-fo.htm
(13) Blondel/Arlette: un front commun. Amnistia.net, 21. Mai 2002
http://www.amnistia.net/librairi/amnistia/n17-18/blondarl.htm
(14) Présidentielle 2002 - "Mon communisme d'Arlette Laguiller
http://www.lutte-ouvriere.org/elc2002/pre/al-com.html
(15) L.O. goodbye. In:
Palimpseste - Panoramique de mes
Prédispositions
http://perso.wanadoo.fr/ppp/archives/990610.htm
(16) Élysée 2002 -
Bras de fer à l'extrême gauche, par François
Koch. L'Express, 7. Juni 2001 zitiert auf der Site der LCR -
http://www.lcr-rouge.org/presse/presse44.html
(17) Le Docteur Barcia alias Hardy, par Caroline Monnot. Le Monde, 15.
Dezember 2001, zitiert in: Lutte ouvrière, 2ème partie -
http://pageperso.aol.fr/vanbatten/TROTSKISMEloII.html
(18) Red flag
brings a touch of colour to French poll, by Philip Delves Broughton in
Paris and Harry de Quetteville in Limoges. Daily Telegraph, vom 22. März
2002 - http://www.telegraph.co.uk
(19) Frankreich wählt. Trotzkismus - Gehirn der neuen Revolution. In: Die
Zeit Nr. 15, vom 8. April 2002
http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_91a/T11.HTM
(20) Rudolf Balmer:
Sankt-Arlette, die falsche 'Heilige' der Vorstädte.
Frankreich-Informationsdienst, 9. April 2002
http://perso.wanadoo.fr/balmer/arlette.html
(21) Ralf Klingsieck, Paris: Trotzkistin Arlette Laguiller gräbt
Kandidaten von Sozialisten und Kommunisten Stimmen ab. In: ND, vom 16.
April 2002
http://www.kpoe.at/presseblick/0251.html
(22) Immer auf der Seite der Arbeiter. ZDF-heute, vom 18. April 2002
http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/0,1367,POL-181496-182042,00.html
(23) Dieter Wild: Feuert die Manager. Die "Tolle": Wie Arlette Laguiller,
die "Königin der Trotzkisten", den französischen Wahlkampf belebt. In:
Die Zeit Nr. 17, vom 22. April 2002
http://www.zeit.de/2002/17/Kultur/print_200217_arlette.html
hagalil.com
23-12-02 |