Der Vorreiter
Der FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann hatte sich und seine populistischen
Ausfälle zuletzt nicht mehr im Griff. Nun steht er im Abseits. Doch der
Antisemitismus-Streit hat gezeigt, dass seine Positionen mehrheitsfähig sind
Von Tobias Jaecker
Die Geschichte geht jetzt so: "Menschlich tief enttäuscht", ja "entsetzt" sei er
von seinem Parteifreund Möllemann, sagt FDP-Chef Guido Westerwelle. Dieser habe
die Partei arglistig hintergangen und sei "verantwortlich" für das Scheitern des
'Projekts 18'. Westerwelle: "Das Kapitel Möllemann ist für mich und meine Partei
endgültig abgeschlossen". In der Kritik steht dabei der Alleingang Möllemanns
mit seinem Wahlkampf-Flyer und dessen dubiose Finanzierung. Über Möllemanns
antisemitische Ausfälle wird nicht mehr gesprochen. Mit gutem Grund: Westerwelle
und Möllemann liegen inhaltlich auf einer Linie.
Erinnern wir uns zurück. Im Frühjahr hatte Möllemann nicht nur die
Selbstmordattentate palästinensischer Terroristen gerechtfertigt, sondern mit
Jamal Karsli auch noch einen Mann in seine Partei geholt, der Israel
"Nazi-Methoden" unterstellte und den "sehr großen Einfluss der zionistischen
Lobby" beklagte. Antisemitismus in Reinform: Die Juden sind die eigentlichen
Täter, rachsüchtig, verschlagen und allmächtig. Und Möllemann setzte noch eins
drauf. Als ob dies der Streitpunkt sei, verkündete er gebetsmühlenartig, man
werde doch wohl Israel kritisieren dürfen. Wenn es Antisemitismus in Deutschland
gebe, dann nur deshalb, weil Israels Ministerpräsident Ariel Sharon und der
Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dies durch ihr
Verhalten provozierten. Abermals ein klassisches antisemitisches Stereotyp: Die
Juden sind selbst daran schuld, dass sie gehasst werden.
Doch die Parteispitze schritt nicht ein, sondern ließ Möllemann agieren. Für
Westerwelle war nicht das Spiel mit antisemitischen Ressentiments, sondern eine
vermeintliche Antisemitismus-Keule die "Tabuverletzung". Eine reine Projektion.
Der Parteichef sprach sich gegen "moralische Monopole" aus und forderte, den
Deutschen dürfe nicht "der Mund verboten" werden. Man habe das Recht auf
unbefangene Diskussion und Kritik an der israelischen Politik. So präsentierte
sich die FDP-Spitze konsequent in der Pose des Opfers. Mit Erfolg: Innerhalb
kürzester Zeit legte die Partei in den Meinungsumfragen um 3% zu. Erst als die
Kritik einiger Altliberaler wie Hildegard Hamm-Brücher lauter wurde, die
Parteispitze ins Schlingern geriet und die Öffentlichkeit dies als
Führungsschwäche auslegte, ging die Populariät der FDP wieder leicht zurück.
In den Internet-Foren, in tausenden von E-Mails und Briefen zeigte sich indes,
auf welch fruchtbaren Boden die antisemitischen und geschichtsrevisionistischen
Äußerungen gefallen waren. Die deutsche Volksseele ließ ihrem Hass gegen die
Juden freien Lauf. Endlich konnte man sich offen zu seiner Meinung bekennen.
Nach einer Umfrage der Uni Leipzig vom Juni 2002 können es 36 Prozent der
deutschen Bevölkerung "gut verstehen, dass manchen Leuten Juden unangenehm
sind".
Das 'Projekt 18' hätte als spezifische deutsche Variante des Rechtspopulismus,
verbunden mit Antisemitismus und einem geschichtspolitischen "Befreiungsschlag"
von der Vergangenheit, ein Erfolg werden können. Fürs Erste ist es gescheitert.
Aus zwei Gründen: Mit seinem Flugblatt-Alleingang wollte Möllemann sich als
Märtyrer profilieren. Damit hat er seine Partei düpiert. Zum andern hat er
schlicht den Bogen überspannt. Durch die offene Anprangerung der Juden Sharon
und Friedman in seiner Wahlkampf-Broschüre ist der Antisemitismus unübersehbar
geworden. Eine Steilvorlage für die Kritiker - die FDP konnte Möllemann nicht
länger halten. Hätte er es bei den vagen Andeutungen belassen, wären ihm bei der
Bundestagswahl weit mehr Stimmen als die 9,3% in Nordrhein-Westfalen sicher
gewesen. Damit lag er immer noch rund 25% über dem Bundesdurchschnitt seiner
Partei. Auch in Sachsen wurde offensiv mit Möllemann-Parolen geworben. Auch dort
war das Wahlergebnis überdurchschnittlich.
Möllemann liegt im Trend der Zeit, keine Frage. In Berlin werden am hellichten
Tage Juden bespuckt, bei einer Straßenumbenennung ertönte kürzlich der Ruf
"Juden raus". Antiisraelische, antisemitische und nationalistische Ressentiments
kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Man denke nur an Rudolf Scharpings
Überlegungen zur Macht der "jüdischen Lobby", Herta Däubler-Gmelins Vergleich
der US-Politik mit der von "Adolf Nazi", aber auch Gerhard Schröders Rede vom
"deutschen Weg". Deutschland soll zur "normalen" Nation werden, frei von
historischer Schuld und fähig zu einer neuen machtvollen Weltpolitik. Das geht
nur, wenn die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern werden. Die SPD hat den
Ton mit ihrer antiamerikanischen Kampagne getroffen und ist dafür mit
Wählerstimmen belohnt worden.
Auch die FDP-Strategen wollten dieses Potenzial nutzen und die Partei zum
Sprachrohr des Volkes machen. Gescheitert sind sie letztlich an der
Unbeherrschtheit ihres Vorreiters Jürgen W. Möllemann. Doch der Weg ist
bereitet. Die Frage ist nur noch, wer ihn als nächstes beschreitet.
hagalil.com
11-11-02 |