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Was Faschismus bedeutet

Als Naziopfer akzeptiert, als Antifaschistinnen denunziert: Zu einer Lidice-Ausstellung in Ravensbrück

Renate Hennecke, jw 29.10.2002

Mitte September 2002 wurde in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück eine Ausstellung über die Frauen von Lidice eröffnet, die im Juni 1942 hierher verschleppt wurden. Anlaß war der 60. Jahrestag der Vernichtung des tschechischen Dorfes durch SS, deutsche Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst.

Die Ausstellung befindet sich in einem Raum des sogenannten Zellenbaus (Bunker) und besteht aus einer Tafel mit einer allgemeinen Darstellung der Ereignisse von Lidice, sechs Tafeln mit Kurzbiographien von sechs Frauen sowie einem Videofilm, in dem diese sechs Frauen die schrecklichen Erfahrungen schildern, die sie vom Tage ihrer Verhaftung bis zu ihrer Heimkehr machen mußten.

Sie berichten über ihre Verhaftung, über den Moment der Trennung von ihren Kindern. Über die Lüge, die Kinder würden im Bus vorausfahren, damit sie es bequemer hätten. Über ihre eigene Annahme, sie würden irgendwohin ins Deutsche Reich zur Zwangsarbeit gebracht werden und dort ihre Männer und Kinder wiedertreffen. Über den Schock bei der Ankunft in Ravensbrück, als sie nach den Kindern und den Männern fragten und die Antwort erhielten: »Kinder und Männer? Die gibt es hier nicht, hier ist ein KZ.« Über die »Verschwörung des Schweigens« den Beschluß der Mithäftlinge, ihnen nicht zu sagen, was in Lidice geschehen war: daß das Dorf dem Erdboden gleichgemacht, alle Männer ermordet und die Kinder teils vergast, teils in SS-Familien zur »Umvolkung« gegeben worden waren. Schließlich Todesmarsch, Befreiung, Heimkehr, der grausame Schock der Wahrheit. »Alle feierten das Ende des Krieges und der Nazis«, sagt eine der Frauen. »Für uns aber kam erst der schlimmste Schmerz.«

Eine der interviewten Frauen ist Marie Jarosová. Ihr Sohn war 20 Monate, als er ihr aus den Armen gerissen wurde. Ihr Mann erschossen, ihre Mutter in Ravensbrück umgekommen, ihre Schwiegermutter in Auschwitz vergast. In der tschechischen Gedenkzelle des Zellenbaus, ein paar Zellen von der Ausstellung entfernt, ist zu lesen: »Diejenigen, die die Befreiung im Lager oder auf einem Todesmarsch erlebten, kehrten mit dem Entschluß nach Hause zurück, eine Wiederholung der erlebten Greuel nie wieder zuzulassen.«

Nach der Befreiung durch die Rote Armee trat Marie Jarosová 1945 in die Kommunistische Partei ein, engagierte sich beim Aufbau des neuen Lidice, wurde 1956 zur Bürgermeisterin und 1969 zur Vorsitzenden des Tschechoslowakischen Frauenverbandes gewählt. Mehrere Jahre war sie stellvertretende Vorsitzende des Tschechischen Nationalrates. Auf internationaler Ebene vertrat sie Lidice in der Weltvereinigung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte und Gemeinden. 1995 feierte Marie Jarosová in Lidice ihren 75. Geburtstag. Warmherzig und resolut, so lernte ich kennen. So zeigt sie sich auch in dem Zitat, das auf der ihr gewidmeten Ausstellungstafel im Ravensbrücker Zellenbau zu lesen ist: »Der Name Lidice war damals eine Art Ausrufungszeichen für den Kampf gegen Faschismus. Und ich war eine lebende Chronik. Ich kam in viele Länder und hatte die Gelegenheit, vor allem mit jungen Menschen zu sprechen. Ich konnte ihnen sagen, was mit Lidice geschehen war, was Faschismus ist, was Krieg bedeutet, daß Krieg etwas Schreckliches ist, daß er jeden trifft, keine Unterschiede in der Religion oder der politischen Überzeugung macht. Ein Schuß trifft den, den er trifft.«

Umso schockierender der weitere Text über sie. Im letzten Absatz ihrer Kurzbiographie heißt es: »Einige Frauen erhalten von der kommunistischen Regierung nach dem Krieg hohe Ämter, so auch Marie Jarosová.« Was soll das heißen? Die letzten Sätze auf der übergreifenden Tafel mit der Überschrift »Lidice erinnern« bestätigen den herabsetzenden Sinn, diesmal bezogen auf alle Frauen, welche die Erinnerung an Lidice wach hielten. Um einen besseren Eindruck davon zu geben, sei der ganze Absatz zitiert:

»Lidice wurde noch 1942 weltweit zum Symbol des nationalsozialistischen Terrors. Nach dem Krieg ließ die tschechoslowakische Regierung neben dem Gelände, wo das alte Dorf stand, ein neues Lidice errichten. Jede überlebende Frau und jedes wiedergefundene Kind erhielten nun ein neu gebautes Haus. Die kommunistische Staatsmacht vereinnahmte Lidice. Das Sinnbild des Kriegsleidens verkam in den Augen vieler Tschechen zu einem Symbol der Macht. Für die überlebenden Frauen bedeutete das nicht nur, lebendes Mahnmal zu sein, sondern zusätzlich kommunistische Vorzeigefrauen zu werden.«

Als Sinnbild des Leidens akzeptiert, als tätige Antifaschistinnen denunziert. Im Büro der Gedenkstättenleitung verweist man mich an die Autorinnen, zwei junge Frauen in Berlin. Ein anderes Mitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück erhält die Auskunft, die Texte seien im Einvernehmen oder sogar auf Wunsch der Frauen so formuliert worden. Marie Jarosová kann das weder gewünscht noch gutgeheißen haben. Das Film-Interview mit ihr wurde 1994 gemacht, 1997 ist sie gestorben.

Was sagen die beiden Frauen dazu, die die Ausstellung konzipiert haben? Die eine ist im Urlaub. Die andere – Uta F., Slawistik-Studentin, die sich seit ihrem Praktikum in der Gedenkstätte im Jahr 1998 für Lidice interessiert – sagt, daß die Texte nicht mit den Frauen abgesprochen wurden. Aber sie verteidigt die Formulierungen. Für die Frauen sei es doch wirklich eine Belastung gewesen, daß sie nie vergessen konnten. Sie seien instrumentalisiert worden. Merkwürdig nur, daß dies durch kein Zitat der interviewten Frauen belegt ist. Daß sie alle in Lidice geblieben oder immer wieder dahin zurückgekommen bzw. nach ihrer Pensionsierung wieder ganz dorthin gezogen sind, daß einige von ihnen auch heute noch bei den Gedenkfeiern, auch denen der Kommunistischen Partei, anwesend sind und mit den Teilnehmern sprechen.

Die Formulierungen sind antikommunistisch, sage ich zu Uta F., es wird suggeriert, daß der Antifaschismus der tschechoslowakischen Kommunisten nicht echt, sondern vorgeschoben war, um andere Ziele zu verfolgen. Die Kommunistin Marie Jarosová wird auf diese Weise für den Antikommunismus vereinnahmt. Das ist keine Ehrung, sondern eine Herabsetzung. – So sei das nicht gemeint, sagt Uta F., Antikommunismus liege ihr fern. Sie hätten aber die Ausstellung nicht allgefällig machen wollen. Die Bundesregierung weist in ihrer »Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes« vom 27.9.1999 (Bundestagsdrucksache 14/1569) den Gedenkstätten die Aufgabe zu, »an die NS-Terrorherrschaft, an Stalinismus und die SED-Diktatur« zu erinnern und den »antitotalitären Konsens« zu stärken.

In einer Erklärung zu der Konzeption der Bundesregierung wendeten sich die Verfolgtenverbände IVVdN und BdA im Oktober 1999 gegen die Relativierung des faschistischen Terrors, der in der Formulierung der Regierungskonzeption enthalten ist, und erklärten: »Hier erfolgt eine Geschichtsfälschung, gegen die wir unsere Stimme erheben müssen, die uns fragen läßt: Was werden die nachkommenden Generationen über die zwölf Jahre Faschismus in Deutschland erfahren, wenn wir, die wir sie erlebt haben, nicht mehr als Zeugen zur Verfügung stehen?«

Uta F. sagt, sie kenne die Konzeption der Regierung nicht. Sie und ihre Mitautorin kennen aber die Ausstellungen, die in den letzten Jahren in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück gezeigt wurden. Ihrem Geist haben sie sich angepaßt und müssen sich nun fragen lassen, wem ihre Lidice-Ausstellung gefällig sein soll – und wem nicht.

* Gedenkstätte Ravensbrück, Straße der Nationen 2, Ravensbrück

hagalil.com 13-10-02


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