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Kommentar

Wahlkampf in Deutschland

Es ist Wahlkampfzeit in Deutschland und zum Gewinn der Macht suchen die bürgerlichen Parteien den rechten Rand. Nur in der Deutlichkeit unterscheiden sich CDU, FDP und SPD in der Mobilisierung von Ressentiments gegenüber Minderheiten oder dem positiven Bezug auf das Nationale.

Die derzeitig stattfindende Skandalisierung von Jürgen W. Möllemanns Flugblatt ist so richtig, wie sie gleichzeitig auch kurzsichtig ist. Richtig ist, dass wohl noch keine Partei der Bundesrepublik so offen antisemitische Stereotype als Mittel im Wahlkampf gebraucht hat wie die Liberalen. Das scheinbare Abrücken des Parteivorsitzenden Westerwelle von seinem Stellvertreter zeigt nur, dass Möllemann den Bogen überspannt hat und der Rest der Partei seine antisemitischen Ausbrüche als disfunktional betrachtet. Die Distanzierung ist eine rein taktische und offener Antisemitismus als Wahlkampfmittel verspricht anscheinend keine ansteigenden Stimmenzahlen für die Liberalen. Wäre der Protest gegen den Parteivize ein ehrlicher, so hätte Möllemann bereits vor Monaten aus der Partei ausgeschlossen werden müssen oder seine Kritiker hätten konsequenterweise zum Mittel des Parteiaustritts greifen sollen. Denn die Funktionalisierung des Antisemitismus war keine Einzelaktion eines wildgewordenen Antisemiten. Wer am kommenden Sonntag die FDP wählt weiß also, was er oder sie unterstützt.

Dennoch ist der moralische Fingerzeig, der allein die Liberalen meint, für sich genommen verkürzt. Sind es nicht die Unionsparteien, die nicht nur offen rechtsextreme Parteimitglieder in ihren Reihen dulden und hofieren, sondern zugleich in der letzten Woche noch kurzfristig d versuchen die rassistischen Ressentiments vieler Deutscher zum Wahlsieg zu mobilisieren? Oder hat nicht auch der sozialdemokratische Kanzler die Flutschäden zur Anrufung an das nationale Kollektiv genutzt? Und zielen nicht sein scheinbarer Antikriegskurs und die Rede vom ‚Deutschen Weg’ genau in Richtung deutschen Großmachtstrebens, wohl wissend welche Geister hier geweckt werden?

Sinn machen solcherart Wahlkampfstrategien, wenn man sich beispielsweise eine Studie von Richard Stöss und Oskar Niedermayer aus dem Jahr 1999 ansieht. Stöss/Niedermayer betrachten hier unter anderem den Anteil des rechtsextremen Einstellungspotentials an der WählerInnenschaft der Parteien zur Bundestagswahl 1998. Aus der Studie geht hervor, dass die Wahlklientel der CDU im Westen zu 13% und im Osten zu 21% über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen. Auch die entsprechenden Zahlen der SPD-WählerInnen weichen hiervon nicht besonders stark ab. Im Westen werden 12% und in Ostdeutschland 19% der WählerInnen als rechtsextrem charakterisiert. Nur für die freien Demokraten klaffen die Zahlen in Ost- und Westdeutschland extrem auseinander. So verorten die beiden Wissenschaftler im Osten 27% der FDP-WählerInnen im rechtsextremen Kontext, während es im Westen ‚nur’ 10% mit einem geschlossen rechtsextremen Einstellungsmuster sind. Den rechtsextremen Einstellungsmustern werden nach Stöss/Niedemayer folgende Bestandteile zugerechnet: Autoritarismus, Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Pronazismus.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird ersichtlich, dass die Einbindung von Rechtsextremen in die eigene Wahlklientel ein wichtiges und lohnenswertes Ziel des Wahlkampfes der bürgerlichen Parteien ist. Zu erwähnen sei hier, dass nur bei den Grünen der entsprechende Prozentsatz von Personen mit rechtsextremen Einstellungen sehr gering ist (1% im Westen, 6% im Osten) und für sie die Mobilisierung der entsprechenden Ressentiments nicht lohnenswert wäre. Der Verzicht auf Wahlkampfstrategien, die nicht nationalistisch, rassistisch oder antisemitisch aufgeladen sind birgt somit für die Mehrheit der Parteien das Risiko in sich, dass diese Wählerschichten entweder zur bürgerlichen Konkurrenz abwandern oder ihr Kreuz gleich bei einer der offen rechtsextremen Parteien machen. Ob letzteres wünschenswert ist sei dahingestellt.

Doch würde der Einzug einer offen rechtsextremen Partei in den Bundestag, so wenig wünschenswert er ist, immerhin die ständig aufs neue verdrängte Dimension des Problems von rechten Einstellungen in Deutschland sichtbar machen. Die permanenten Versuche der etablierten Parteien diese Klientel in ihren eigenen Reihen einzubinden haben bisher nur dazu geführt, dass sich das politische Klima verschärft hat und politische Diskurse sich immer weiter rechts abspielen. Von einer effektiven Bekämpfung rechtsextremer und nazistischer Einstellungen sind die bürgerlichen Parteien zur Zeit weiter entfernt denn je.

Die Deutschen haben die kulturwidrigste Krankheit und Unvernunft, die es gibt auf dem Gewissen, den Nationalismus, diese névrose nationale, an der Europa krank ist: sie haben europa um seinen Sinn, um seine Vernunft gebracht. Nietsche

is/hagalil.com 20-09-02

 


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