"Don´t Believe The Hype":
Antisemitismus im US-amerikanischen HipHop
Mit Songs wie "Fight the Power" agitierten die Rapper von Public Enemy
seit Mitte der 80er Jahre gegen den Rassismus des weißen Amerika. Doch
die von vielen Linken positiv aufgenommenen und als politische
Botschaften verstandenen Parolen gerieten in Verruf, als sich
antisemitische Äußerungen von Public Enemy-Mitgliedern häuften. An der
antijüdischen Hetze von Teilen der afroamerikanischen Community hat sich
bis heute nichts geändert.
Von
Günther Jacob
1988: Die "Macht der Juden"
Die
entscheidende Wende zur "Politisierung" des Rap ging Ende der 80er Jahre
von einer Gruppe aus, die Anfang 1987 erst eine einzige Single
veröffentlicht hatte und noch als Vorgruppe von LL Cool J und den
Beastie Boys auftrat: Public Enemy. Deren Mitglieder Chuck D, Flavor
Flav, Terminator X und Professor Griff knüpften der Form nach wieder
stärker an die herkömmliche Band-Idee an, allerdings so, dass sie die
klassischen Band-Rollen wie Gitarrist oder Schlagzeuger in politische
Posten verwandelten: Griff fungierte als "Informationsminister", und
Public Enemys Operettengarde "Security of The First World" war dem
Sicherheitsdienst der afroamerikanischen, islamistisch orientierten
Organisation Nation of Islam nachempfunden. Die "Band" kümmerte sich
hauptsächlich um Statements und Symbolik, bei der Musik verließ man sich
weitgehend auf die Produzenten. Public Enemy instrumentalisierten von
Anfang an das Interesse an Rap für ihre Black Consciousness-Propaganda -
unter Berücksichtigung zwar der gängigen Konsumgewohnheiten, aber ohne
all zu viel Rücksicht auf den üblichen Künstlergestus, die Bewertung
historischer oder politischer Ereignisse nur metaphorisch anzudeuten und
in schöne Poesie zu verpacken.
Doch
nach einem spektakulären Aufstieg zur ton- und richtungsweisenden
Rap-Gruppe gerieten Public Enemy 1989 überraschend in die Defensive,
nachdem sie sich für zahlreiche antisemitische Äußerungen von Professor
Griff öffentlich rechtfertigen mussten. Im Mai 1988 hatte Griff dem
britischen Musikmagazin Melody Maker zu Protokoll gegeben, was er von
Israel hielt: "Wenn die Palästinenser sich bewaffnen, um nach Israel zu
gehen und alle Juden zu töten, dann wäre das in Ordnung". In einem
weiteren Interview hatte er behauptet, dass die "Mehrheit der Juden"
verantwortlich sei für "die Mehrzahl der Schweinereien auf dieser Welt".
In der Washington Times verbreitete er sich im Mai 1989 über Analogien
zwischen "Jews" und "Jewellers", ganz so wie z.B. Rechtsradikale von
"JerUSAlem" sprechen. Und den Diktator Idi Amin lobte Griff so: "Er
trieb alle Juden zusammen und tötete sie, als sie versuchten, nach
Uganda einzusickern und das Land zu übernehmen."
Gegen
diese antisemitischen Provokationen protestierten damals in den USA
zahlreiche antirassistische Initiativen und jüdische
Selbstverteidigungsgruppen. Am Premierenabend des Spike Lee-Films "Do
The Right Thing" im Juni 1989 fand in New York sogar eine Demonstration
gegen Public Enemy statt; sie hatten den Soundtrack zum Film geliefert.
Die öffentliche Auseinandersetzung um Griffs antijüdische Äußerungen
hielt schließlich schon viele Monate an, als Chuck D im März 1990 Griffs
Rauswurf bekannt gab: "Wir sind keine Antisemiten. Griff hat uns
sabotiert, das war ein interner Absprachefehler..." Allerdings
veröffentlichte Public Enemy zur gleichen Zeit zwei Auskopplungen aus
dem Album "Fear of a black Planet" mit verschlüsselten Erklärungen über
die "Macht der Juden": Der Song "Terrordome" enthielt die Anspielung
"Crucifixion ain't no fiction/ So called chosen frozen/ Apology made to
who ever pleases/ Still they got me like Jesus". Und im Titel
"Anti-Nigger-Machine" hieß es unter deutlicher Bezugnahme auf die Kritik
an Griffs Äußerungen: "Once they never gave a fuck about/ what I said/
now they listen and they want my head".
Seither
beschäftigten sich radikale afroamerikanische Nationalisten immer wieder
mit Griffs Ende bei Public Enemy. Ein Jahr nach dem Rauswurf kam etwa
Khalid Abdul Mohammed, ein Sprecher der Nation of Islam, wieder auf die
Auseinandersetzung zu sprechen: "Professor Griff hatte Recht, als er an
der Columbia Jew-niversity von Jew York City sprach." Und im 1994
erstmals erschienenen, vom "Black African Holocaust Council"
herausgegebenen Monatsmagazin "The Holocaust Journal" (bereits der Titel
war eine bewusste antisemitische Provokation) warf der Black Muslim
Adeeb Shabazz der jüdischen Community vor, die Popularität des
"political, message-oriented rap" zerstören zu wollen: "Die Juden haben
die profilierteste Musikgruppe der 80er Jahre zerstört, um einen Bruder
dafür zu bestrafen, dass er die Wahrheit sprach"!
Die
Wucht, mit der in diesen Jahren nicht einfach nur "Politik", sondern
gerade das als besonders heikel empfundene Thema des Antisemitismus
durch HipHop in den Pop drängte, erschütterte damals das in den 80er
Jahren mühsam errichtete Style & Fashion-Gebäude der "subkulturellen"
weißen Mittelschichtjugend. Doch nach einigen Irritationen wurde dann
immerhin in den Popszenen der USA und Englands halbwegs begriffen, dass
Professor Griff ein gesellschaftliches Geheimnis ausplauderte, indem er
die im "harmlosen" Antisemitismus angelegten Konsequenzen offen
thematisierte. Die deutsche Easy Listening- und Black Music-Szene
hingegen, die damals nicht mal vom Rassismus einen Begriff hatte - man
sprach Anfang der 90er bestenfalls von "Ausländerfeindlichkeit" - , war
auf die Auseinandersetzung mit antisemitischen Äußerungen überhaupt
nicht vorbereitet. Im "Fall Griff" setzte sie dann auch ganz andere
Akzente als die US-amerikanische oder britische Pop-Presse. Den
fanatischen Antisemitismus von Griff spielte sie herunter oder hielt den
"Skandal" als "interessantes Phänomen" genüsslich in der Schwebe. Und
nicht wenige verteidigten Public Enemy mit kaum verhüllten eigenen
antisemitischen Argumenten.
Die
Reaktion deutscher Popzeitschriften auf die Statements von Griff ist
bemerkenswert. So wurde etwa in dem Black Music-Magazin "Network Press"
(NP) von einigen Autoren der Antisemitismus von Griff zunächst mit der
Behauptung relativiert, dass die notorische "Skandalnudel" doch nur
generell provozieren wolle. Zugleich wurde die Anspielung, die Juden
hätten Jesus umgebracht, zuerst als eine "umstrittene" Frage behandelt
und dann als "Übertreibung" verworfen. Statt Antisemitismus als
irrationale Leidenschaft zu bewerten, als einen
Welterklärungsfanatismus, der für alles Unverstandene eine antijüdische
"Erklärung" bietet, fand man schließlich heraus, dass Griff schon
deshalb kein Antisemit sein könne, weil er auch mit Juden Geschäfte
mache. Den sich daran anschließenden Kommentaren zu den Boykottaufrufen
"einflussreicher" jüdischer Gruppen war bereits die eigene Überzeugung
von der Macht des "Weltjudentums" (NP) anzumerken. Als sich jüdische
Organisationen in den USA gegen den Antisemitismus von Public Enemy
aktiv zur Wehr setzten, war in deutschen Popzeitschriften nicht nur von
"Überempfindlichkeit und Dünnhäutigkeit" die Rede, sondern auch von
"albernen" Leuten, die den Antisemitismus mit der Lupe suchen ("Wer
suchet, der findet", NP). Am Ende erschien Professor Griff in deutschen
Popmagazinen als verfolgte Unschuld.
1998: Comeback at 33 1/3
Neun
Jahre nach dem spektakulären Streit um Professor Griff präsentierte sich
Public Enemy wieder in der Originalbesetzung. Auf dem Album "He Got
Game" (Soundtrack zu dem gleichnamigen Film von Spike Lee) war Professor
Griff wieder dabei. Im Booklet der Platte wurde er bereits als reguläres
Bandmitglied aufgeführt; lediglich bei den obligatorischen Grußadressen
und auf dem Foto der Cover-Rückseite fehlte er noch. Diese nicht weiter
begründete "Rehabilitation" eines engagierten Antisemiten blieb 1998 in
der deutschen Pop-Presse, die sich inzwischen "Antirassismus"-Buttons
und "Pop & Politik"-Logos angeheftet hatte, unkommentiert. Auch die ganz
unabhängig von Professor Griff existierenden antisemitischen Momente der
preach & teach-Strategie von Public Enemy, wie sie erneut auch auf "He
Got Game" in der Werbung für den islamistischen Antisemiten Louis
Farrakhan zum Ausdruck kommen, wurden nicht kritisiert.
Bundesdeutsche Popmedien, die ohnehin alles, was sie für eine "schwarze
Äußerung" halten, als "politisch progressiv" bewerten, empfanden Public
Enemy nur 1994 als problematisch, als Chuck D auf "Muse Sick N Hour Mess
Age" aus nationalistischer Perspektive den Gangster-Rap angriff.
Rap-Fans, die mit dem kulturellen Black Nationalism bis dahin nie ein
Problem hatten oder sogar den Führer der Nation of Islam, Louis
Farrakhan, verteidigten (wie etwa der damalige "Spex"-Redakteur Diedrich
Diederichsen), entdeckten damals einen gewissen "nationalistischen
Moralismus" bei Public Enemy. Doch als Griff 1998 wieder zum Line up
gehörte, sahen sie lediglich ihre alte These bestätigt, dass es Griff
seinerzeit nicht um die Juden ging, sondern um eine Skandalstrategie,
die sein erstes Soloalbum, das zwei Wochen nach seinem Rauswurf auf dem
Markt war, bekannt machen sollte. Doch abgesehen davon, dass dann eben
die Wahl des "Skandalthemas" antisemitisch wäre - andere Musiker
demolieren einfach ein Hotelzimmer - , wurde Griffs Rauswurf 1990
immerhin von anderen Rap-Gruppen als Markierung einer Grenze verstanden,
die zu überschreiten für die weitere Karriere nicht folgenlos sein
würde.
Mit der
praktischen Rehabilitierung von Professor Griff wurde diese Markierung
wieder aufgehoben. Dass dieser Backlash in den inzwischen
"politisierten" Popszenen zum öffentlichen Thema nicht mehr taugte, ist
bezeichnend. Die "Pop-Rebellion" via Rap hatte ihre Aura schon lange
eingebüßt. 1998 behauptete kaum ein Rapper noch, er würde das selbe tun,
was seinerzeit Malcolm X auf den Straßen von Harlem tat, nur eben
massenwirksamer und finanziell einträglicher. Die Konjunktur des
Agit-Pop war vorbei, die standardisierten Politparolen des "schwarzen"
Kulturnationalismus deutlich als Trademark-Zeichen zu erkennen, die sich
glatt in den neoliberalen Diskurs einfügten. Mit der von keiner Seite
weiter kommentierten 1998er Reunion von Public Enemy entwirklichten
Musiker und Konsumenten nachträglich die einst heftige
Auseinandersetzung um Antisemitismus im HipHop. Doch bei dieser
"pragmatischen" Antwort auf die Kritiker sollte es nicht lange bleiben.
2002: There's a Poison goin on...
1992
wurde im Crown Height-Viertel von Brooklyn nach dreitägigen
antisemitischen Ausschreitungen ein jüdischer Anwohner von einem
Afroamerikaner erstochen. Gerechtfertigt wurde dieser Mord durch ein von
Black Power-Aktivisten und Rap-Musikern gestreutes Gerücht: Die lokale
jüdische Ambulanz hatte angeblich die medizinische Versorgung eines
schwarzen Jungen verweigert, der von einem jüdischer Autofahrer
angefahren worden war und später seinen Verletzungen erlag. In dem
damals entstandenen Video der Rap-Gruppe X-Clan über die "Utika Avenue"
ist diese antijüdische Propaganda von "afrozentrischen" und
islamistischen Rap-Nationalisten in Pop gekleidet worden.
Dabei
hatte die antisemitische Radikalisierung im HipHop damals ihren
Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Zwei Jahre nach der Pogromhetze
von Crown Height richtete die traditionsreiche schwarze
Bürgerrechtsorganisation NAACP unter ihrem Vorsitzenden Benjamin Chavis
die Institution eines "black-leadership summit" ein, zu der erstmals
auch Louis Farrakhan geladen war, den man zuvor wegen seines
Antisemitismus auf Distanz gehalten hatte. Gestärkt durch diese
Anerkennung der etablierten Kräfte konnte die Nation of Islam ihren
Einfluss unter der afroamerikanischen Jugend vervielfältigen und 1995
den "Million Man March" in Washington anführen. Erst nach diesem
spektakulären Mobilisierungserfolg, der sich so leicht nicht wiederholen
ließ, verlor die offen antisemitische Strömung des Black Nationalism
vorerst an Dynamik - und mit ihr auch der "politische HipHop".
Auch um
Public Enemy war es ab 1995 sehr ruhig geworden. Musikalisch längst
nicht mehr tonangebend, aber hoch respektiert, musste vor allem Chuck D
nach neuen Terrains Ausschau halten. Inzwischen ist aus ihm ein
vielbeschäftigter Redner und Dozent an Universitäten und anderen
Bildungseinrichtungen geworden. Die Platten aber, die Public Enemy
seither veröffentlichten, waren allesamt nicht mehr erfolgreich. Der
Soundtrack "He got Game" war die letzte Public Enemy-Platte bei dem
legendären Label Def-Jam und das 1999 veröffentlichte Album "There's a
Poison goin on..." schaffte es nicht einmal in die Billboard-Charts.
Hitsampler ("Bring the Noise 2000") und Soloprojekte von Flavor Flav
("It's about Time", 2000) sowie von Chuck D & Professor Griff
(Confrontation Camp: "Objects In The Mirror A", 2000) wurden ebenfalls
zu Ladenhütern.
Doch
auch ohne kommerzielle Erfolge gelang es Public Enemy, öffentliche
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als 1999 das Album "There's a Poison
goin on..." erschien, wurde endgültig deutlich, dass es sich beim
Antisemitismus von Public Enemy nicht um kalkulierte Pop-Skandale
handelt, sondern um eine Obsession, die sich diesmal in dem Track
"Swindlers Lust" niederschlug. Die Verszeile "More dollars, more cents
for the big six/ Another million claiming they innocence'" unterstellte
den Juden, aus dem Holocaust ("the big six") nachträglich Profit zu
ziehen. Die jüdische Anti-Defamation League (ADL) kommentierte das so:
"Das ist jene rassistische Sprache, die zuvor schon von Louis Farrakhan
und der Nation of Islam innerhalb der schwarzen Community benutzt
wurde." Besonders empört war die ADL darüber, dass Public Enemy schon im
Songtitel Otto Schindler verunglimpfte, dem Steven Spielberg wenige
Jahre zuvor ein filmisches Denkmal gesetzt hatte. Doch nur ein Jahr nach
"Swindlers Lust" leistete sich Chuck D eine weitere ironische Bezugnahme
auf den Holocaust, als er gemeinsam mit Professor Griff eine
Rock-Rap-Gruppe unter dem Namen "Confrontation Camp" gründete - eine
Anspielung, die auch vom amerikanischen Musikmagazin "Rolling Stone"
umgehend verurteilt wurde.
Deutsche Fans ignorierten hingegen auch diese erneute Radikalisierung
des Antisemitismus. Wo Public Enemy die Juden für die Lage der
Afroamerikaner verantwortlich machen und US-Fans das auch so verstehen,
wie es gemeint ist ("It's your white/jewish owners who are really
getting paid" heißt es etwa in einer auf der Homepage der Band
veröffentlichten Fan-Zuschrift), interpretierte man das in deutschen
Musikzeitschriften einheitlich als subkulturellen Widerstand. Das auch
in linken Kreisen gern gelesene Magazin "Spex" beispielsweise schrieb:
"Public Enemy bläst zum Angriff gegen die Musikkonzerne!"
Währenddessen wurde in den USA die alljährliche HipHop-Messe
vorbereitet, die im Juni 2001 unter dem Motto "Will We Take
Responsibility - The Hip Hop Summit" stand. Als Hauptredner trat dort
erneut "the Honorable Minister Louis Farrakhan" auf, diesmal flankiert
von linken Intellektuellen wie Cornel West oder Tricia Rose. Unter den
Zuhörern befanden sich Rap-Pioniere wie DJ Kool Herc, Grandmaster Flash,
Afrika Bambaataa und Red Alert, außerdem bekannte Rap-Stars wie Redman,
Sista Souljah, LL Cool J, Dead Prez, Sean Combs und Wyclef Jean. Chuck
D, der nach Farrakhan sprach, warb für die bevorstehende
UN-Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit im südafrikanischen Durban, wo afroamerikanische
Delegationen die Forderung nach Reparationen für die Zeit der Sklaverei
erheben wollten. Dass diese Konferenz dann daran scheiterte, dass
arabische und muslimische Länder, aber auch 3.000 NGOs Israel als
"rassistischen Apartheidstaat" anklagten, der systematisch rassistische
Verbrechen, Völkermord und ethnische Säuberung begehe, konnte Chuck D
und seine Anhänger nur in der Überzeugung bestärken, dass die Juden den
Afroamerikanern übel mitspielen wollen. Auf seiner Homepage erklärte er
am 15. Oktober 2001 Israel und die Juden zum Stigma der heutigen Welt:
"Wieviele Amerikaner wissen schon, dass die amerikanische Delegation die
Rassismuskonferenz verlassen hat, als das Thema der
israelisch-palästinensischen Konfliktes auf die Tagesordnung kam? Der
Mittlere Osten, den sie das Heilige Land nennen, hat die ganze Welt in
Gefahr gebracht". Und seine Fans griffen das begierig auf: "Lieber
Chuck, gehe ich richtig in der Annahme, dass Israel - ein Land, das auf
Vergewaltigung, Gewalt und Terrorismus aufgebaut wurde - zum großen Teil
von den USA unterstützt wurde?"
Chuck D
weiß sich in seinen antisemitischen Verschwörungstheorien einig mit
großen Teilen der afroamerikanischen "HipHop Nation". Doch als
islamistische Selbstmordattentäter am 11. September 3.000 Menschen im
World Trade Center töteten, bewirkte der Schock dieses Massenmordes
einen nachhaltigen Bruch im Lager des Cultural Black Nationalism. Die
Zustimmung bleibt, wo es gegen Israel und die Juden geht, aber die damit
verbundene positive Bewertung des Islamismus überzeugt plötzlich viele
nicht mehr, weil sie sich nun in ihrer eigenen Lebenswelt bedroht
fühlen. Nicht nur die Nation of Islam wird seither auch von vielen
HipHop-Fans mit anderen Augen gesehen. Auch die symbolische Militanz
etlicher Rap-Gruppen stößt auf Vorbehalte. Dass die Rapper von The Coup
kurz vor dem 11. September ein Album-Cover entworfen hatten, auf dem der
Rapper Boots mittels Zeitzünder die Twin Towers explodieren lässt,
finden jetzt nur noch wenige lustig.
Dieser
Stimmungsumschwung hat sich in überraschend kurzer Zeit auch im HipHop
niedergeschlagen. KRS-One, einer der bekanntesten Rapper der ersten
Stunde, der dem Islamismus der Nation of Islam durchaus nicht abgeneigt
war, veröffentlichte vier Monate nach dem 11. September mit "Spiritual
Minded" ein Gospel-Rap-Album. In dem Song "Tears" sucht er eine
christliche Antwort auf den 11. September - mit dem Matthäus-Evangelium
gegen Terroristen und Bush. Die ganz großen Rap-Stars haben sich
wiederum in eine andere Richtung vom sogenannten "conscious HipHop"
entfernt. Dr. Dre und andere Stars spendeten Millionen Dollar für das
US-amerikanische Rote Kreuz. Sub Verse, ein HipHop-Label, dessen Büro in
der Nähe des zerstörten WTC liegt, organisiert Benefizkonzerte. Rapper
wie Nas oder Fred Durst von Limp Bizkit machten mit bei der U2-Version
von Marvin Gayes "Whats Going On" - zusammen mit den Backstreet Boys,
Britney Spears und Destinys Child. Wycliff Jean's "Redemption Song"
erschien auf dem Sampler "America: A Tribute to Heroes". Dr. Dre, Jay Z.
und P. Ditty arbeiten an patriotischen Reimen, in denen Bin Laden so
gedisst wird, wie nur Rap dissen kann. Ghostface Killah droht Osama Bin
Laden schwere Vergeltung an und spricht dabei über den Krieg gegen den
Terrorismus wie vorher über die Fehden zwischen Gangs.
Ein
neuer patriotischer "spirit of togetherness" hat nach den
Terroranschlägen die Rap-Szene erfasst. Wenig Chancen hat derzeit
beispielsweise die palästinensisch-amerikanische Rap-Gruppe Arab
Assassins, die um Verständnis für die Selbstmordattentate wirbt. Den
nationalistischen "Polit-Rappern", die ihre Felle davon schwimmen sehen,
gilt der "schwarze Antisemitismus" daher umso mehr als kultureller Code,
der allein die Differenzen in der afroamerikanischen Community
überbrücken kann. Der kalifornische Rapper Paris kann daher durchaus
Zustimmung erwarten, wenn er in seinem neuen Song "What Would You Do"
alle seit dem 11. September gängigen Verschwörungstheorien kolportiert
und schließlich die Pro-Israel-Position der USA geißelt, um am Ende den
neuen Patriotismus der Rap-Szene zu verurteilen: "Now even niggas
waiving flags like they lost they mind/ Everybody got opinions but don't
know the time."
Man
kann davon ausgehen, dass Paris nur vorweg nahm, was nun auch von Public
Enemy zu erwarten ist. Auf dem ab Ende August 2002 auch in Deutschland
erhältlichen neuen Public Enemy-Album "Revolverlution" ist erneut
Professor Griff dabei, der drei der acht neuen Tracks produzierte. Die
erste Singleauskopplung "Gotta Give The Peeps What They Need" featured
den Verschwörungstheoretiker Paris. Dass Public Enemy, Paris und andere
"Consciousness-Rapper" vorerst trotz ihrer populären antisemitischen
Codes nicht allzu viel Zustimmung gewinnen werden, lässt sich
kulturnationalistischen Magazinen wie "Youth Outlook (YO!)" entnehmen,
die ihre Seiten mit Klagen über den "Bewusstseinsverfall" ihrer
Kundschaft seit dem 11. September füllen. Unter Überschriften wie "How
Hip Hop destroyed Black Power" beschweren sie sich etwa über "young
brothas", die T-Shirts mit íBin Ladin Wanted Dead or Alive'-Aufdrucken
tragen oder über HipHop-Radiostationen, die Gag-Jingles über Bin Ladens
Mutter abspielen.
Nur
ganz wenige stellen hingegen die Frage, wie der Antisemitismus in der
afroamerikanischen Community überhaupt so stark werden konnte. Henry
Louis Gates, Jr. hat den Antisemitismus der Black Nationalists als eine
Überbietungstaktik im Wettbewerb um das "radikalere" Image beschrieben.
Der linke afroamerikanische Theoretiker Julius Lester, der 1982 zum
Judentum konvertierte, fügt dem eine psychoanalytische Erklärung hinzu:
Eine subalterne Gruppe, die sich "Nigger" schimpfen lassen muss, kann
versuchen, die Demütigung umzukehren und die Weißen "Honky" nennen. Sie
wird aber bemerken, dass Unterlegene die Mächtigen nicht wirklich
treffen können. Ganz anders ist es bei den (weißen) Juden. Diese können
nicht verbergen, dass antisemitische Beschimpfungen ihnen reale Wunden
zufügen. Man fühlt daher Macht, wenn man sie beleidigt.
Die
Wirkung des "schwarzen Antisemitismus" ist allerdings nicht auf die USA
beschränkt. Er findet seit nunmehr 15 Jahren über die Pop-Massenmedien
ein weltweites Publikum und schreibt sich dort in eigenständige
antisemitische Kommunikationsweisen ein. Die Haltung der deutschen Pop-
und Rap-Szenen zum Antisemitismus kam bisher meist nur indirekt zum
Ausdruck - indem man den (islamistischen) Antisemitismus bei den
US-Rappern "übersah", verniedlichte oder verharmloste. Seit die Kritik
an Israel in Deutschland und Europa immer häufiger offen antisemitisch
ausfällt, lässt sich jedoch erahnen, wie rasch aus einer Ambivalenz
Eindeutigkeit werden kann. Über einen denkbaren popkulturellen Anschluss
an den allgemeinen Trend berichtete die "Tageszeitung" anlässlich der
großen Berliner Anti-Israel-Demo am 14. April 2002: "Im vorderen Teil
der Demonstration versuchte unterdessen auf dem Lautsprecherwagen ein
Einpeitscher sein Glück. Im Sprechgesang und HipHop-Sound versuchte er
vor allem die Jugendlichen mitzureißen: "PLO, Israel no, Intifada bis
zum Sieg, Palästina, Palästina", rief er immer wieder..."
Erschienen in:
Iz3w, Blätter des Informationszentrums
3. Welt, September 2002, Ausgabe 263, S. 32-35
Günther Jacob, in den 90ern HipHop- und Soul-DJ, Popjournalist (u.a.
"Network Press") und Kritiker der Poplinken, ist freier Autor mit den
Schwerpunkten NS-Zwangsarbeit, Wehrmacht und Kritik der deutschen
Erinnerungskultur. In dem Buch "Pop & Mythos" (Schliengen 2002) erschien
sein Beitrag "Pop als Teil des Gründungsmythos der íBerliner Republik'".
Die ersten beiden Abschnitte dieses Textes basieren auf Beiträgen in
"Spex" (1990) und in "Jungle World" (1998).
hagalil.com
24-09-02 |