Jörg Haider und die FPÖ:
Ramponiert ob des Blitzsieges
Knittelfeld wurde zum Knüppelfeld, wo eine
wildgewordene Parteibasis mit denen da oben abrechnete
Von Franz Schandl
Junge Welt, 18.09.2002
Ohne Jörg Haider ist die FPÖ eine rechtsliberale Partei, die halt ihr Geschäft
erledigt. Ab und zu wird gepöbelt, aber eigentlich wird getan, was alle
Regierungen in Europa so tun: den Sozialstaat abbauen, die Bürgerrechte
einschränken, die Ausländer drangsalieren etc.– Die Freiheitlichen
demonstrierten als Regierungspartei in kürzester Frist, daß sie nicht anders
sind, sondern im Gegenteil: obligater als die Obligaten, normaler als die
Normalen, ordinärer als die Ordinären. Noch offensichtlicher als die sogenannten
Altparteien waren sie geradezu versessen darauf, in die Nähe des Futtertrogs zu
gelangen.
Wollte man also nicht den koalitionären Verlierer abgeben, dann war ein
strategischer Einschnitt unumgänglich. Mit dem schwarz-blauen Schmeichelkurs der
Vizekanzlerin waren keine Wahlerfolge machbar. Jörg Haider hat das realisiert
und auf seine Weise zum Gegenstand gemacht. Gegen das Gemeine hilft nur das
Hundsgemeine, und dafür ist J.H. zuständig. Da ist er Matador. Der Bonus
hingegen, den die freiheitliche Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer bei den
Wählern hat, ist völlig lächerlich. Jener verweist höchstens auf mangelnde
Polarisierungspotenz der Vizekanzlerin. Da mag sie nun – so die mediale Groteske
am Rande! – nach dem smarten FP-Finanzminister Karl-Heinz Grasser die
beliebteste Politikerin Österreichs sein.
Serielles Opfern
Was europaweit als Konfrontation zwischen Haider und Riess-Passer übertragen
wurde, ist in Wahrheit einseitige Demütigung und Züchtigung. Da kann der
scheidende FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler noch so sehr seinen treuherzigen
Dackelblick aufsetzen, der suggeriert, daß er bisher schon 527mal gekuscht hat
und alles genauso getan hat, wie befohlen wurde. Das nützt nun gar nichts.
Unsere Ehre ist nicht nur Treue, sie ist blinder Gehorsam, Hörigkeit der
schlimmsten Sorte. Jede Abweichung davon gleicht einem Sakrileg, das Strafe
verdient. In zugespitzten Situationen ist Haiders Credo das der unbedingten
Identität zwischen sich und den Seinen, was für ihn heißt: ich und die Meinen.
Wenn »Die Welt « etwa über Susanne Riess-Passer schreibt: »Entgegen aller
Erwartungen (sic!, F.S.) hat sie es nicht vermocht, Haider in seine Schranken zu
weisen«, dann kann man nur festhalten, daß solch Schreiberei von Jörg Haider und
seinen Inszenierungen nichts verstanden hat. Haider hat keine Schranken, es ist
das Schrankenlose, das ihn auszeichnet und das die Beschränkten oftmals in
hilfloses Erstaunen versetzt.
Wo sonst könnte etwa ein einfaches Parteimitglied eine Art Privatparteitag
veranstalten, obwohl die Parteiführung einen von ihm geforderten Sonderparteitag
mit überwältigender Mehrheit abgeschmettert hat. Das hat es bisher nicht
gegeben. Zweifellos. Aber genau das sind die Überraschungen, für die J.H. immer
wieder gut ist, worin er sich seinen Gegnern stets überlegen zeigt. Knittelfeld
wurde zum Knüppelfeld, wo eine wildgewordene Parteibasis unter Jörg Haiders
Augen mit »denen da oben« abrechnete. Auch wenn’s die Eigenen sind.
»Platz!«, »Sitz!«, »Kusch!«, »Na, wirst a Ruh geben!«, schreit das Herrl aus
Kärnten. Notfalls gibt’s den Gnadenschuß. Da bleibt selbst diesen Getreuen nur
die Flucht: Ab durch die Mitte. Wer so kujoniert worden ist, kann nicht mehr
ernst genommen werden. So müssen Haiders treueste Gehilfen nun auf eigener Haut
spüren, was eine Häutung ist. Es ist eine bittere Erfahrung, die sie da machen,
aber sie können einem nicht einmal leid tun. Der Container für erledigte
Funktionäre ist groß, aber noch nicht voll: Haider ist, was die Parteispitze
betrifft, die einzige Kontinuität. Von den engeren Kampfgefährten aus dem Herbst
1986, als er die Partei übernommen hat, dürfte nur noch der F-Führer selbst
übrig sein.
Dieser konkurrenzistische Killerinstinkt ist geradezu süchtig auf die Produktion
politischer Leichen. Die Folge sind kulturindustrielle »Röhm-Festspiele«,
mediale Schlachtfeste, wo Haider den unbesiegbaren Gladiator in der Arena gibt.
Er ist dabei weder zimperlich noch wählerisch: Die Eigenen werden da ebensowenig
geschont wie die politischen Gegner. Zusagen gelten solange, bis sie gebrochen
werden. Jeder Schlag ist erlaubt, soferne er sitzt.
Was wir erleben, ist eine Verwilderung der Sitten und Gebräuche. Die Opferung
ist der Nektar dieser Politik. Das ideelle Schlachten ist notwendig, um diese
schrägen freiheitlichen Gemüter zu befriedigen. In einem Fall ist das Ideelle
sogar schon in das Reelle gekippt, und zwar als eine Nummer Zwei eine Nummer
Drei (oder umgekehrt) ermordete, wie beim Südtiroler Ableger der FPÖ.
Kämpen gegen Buben
Eine entscheidende Frage bleibt, warum die Röhm-Serie der FPÖ so viele
begeisterte Zuschauer findet. Warum die freiheitlichen Schlachtfeste der
Funktionärsopferung unter reger Teilnahme der Parteibasis und vor allem der
nachdrängenden Funktionärsschicht ablaufen. Natürlich, wo es Leichen gibt,
werden auch Posten frei. Aber das alleine kann es nicht sein. Das Johlen,
Stampfen, Kreischen, Hetzen basiert auf einer spezifischen mentalen Haltung, ist
kein gewöhnliches Interesse.
Natürlich sind seine Anhänger die ständig Verarschten. Zur Verarschung gehört
aber nicht nur der Verarscher, sondern Verarschte, die sich gern verarschen
lassen, denen gar nicht auffällt, was da abgeht. Ja, denen wirklich was abginge,
wäre dem nicht so. Eigentlich ist die Haider-Herde ein armseliger Haufen von
(wirklich bis eingebildet) zu kurz gekommenen Leuten, die sich unentwegt als
Horde gebärden und die sich nur als Fan im Führer spüren können. Freilich sollte
man nicht unterschätzen, was sie anrichten könnten, wenn sie wirklich in Fahrt
gekommen sind oder ihr Meister sie aufwiegelt.
Riess-Passers Sturz war nicht auf Haiders Drehbuch zurückzuführen. Aber der
Tumult der Einfältigen sah die Sprüche aus Kärnten als Aufforderung. Die
Dynamik, die Haider zwar nicht entfachen wollte, mit der er aber gedroht hat,
hat sich im konkreten Fall wenig um ihren Herrn geschert. Er zündelte, aber es
waren die Seinen, die gleich ungefragt mit vollen Benzinkanistern nach
Knittelfeld anrückten, oder besser noch: dort einrückten.
Die FPÖler, Mitglieder wie Wähler, sind schwer krank. Ihre pathogene Wirkung zu
leugnen, zeugt von Gesundbeterei. Sie sind tickende Ressentiment-Koffer der
übelsten Sorte. Und das ist hier gar nicht als Beschimpfung gemeint, sondern als
nüchterne Tatsachenfeststellung eines beklemmenden Zustands. Die Frage, die
allerdings auch die Linke bisher überhaupt nicht beantworten konnte, ist, wie
diesen Leuten zu helfen sei, ohne daß man ihnen opportunistisch nachgibt. Denn
geholfen werden muß, die blanke Denunziation hilft ja wenig weiter, befriedigt
lediglich die eigene Abscheu, so verständlich diese auch ist.
Beim Kampf der Haiderschen Offiziere gegen die Haidersche Buberlpartie (so die
Bezeichnung für die Westerwelles der FPÖ) haben vorerst jene wieder an Terrain
gewonnen. Freilich riechen Haiders Mannen um den FP-Rechtsaußen Ewald Stadler
mehr nach Kaserne als nach Disco; mehr als den zeitgeistigen Unsinn verkörpern
sie das geistlose Ressentiment. Diese Anmache des borniert nationalistischen
Klüngels wird der FPÖ in der Wählerschaft nicht gut tun, wenngleich Jörg Haider
diese Kader unmittelbar braucht. Notfalls wird er sie aber auch wieder
degradieren, wie das übrigens schon vor einigen Jahren gerade mit Hilfe der nun
abservierten Buberlpartie geschehen ist.
Haider selbst ist der unangreifbare Bonaparte, der über allen Flügeln steht, mal
auf diese, mal auf jene setzt, er ist kein Fraktionsführer, er führt alle
Fraktionen. Keine dieser Strömungen ist Anti-Haider. Beide wollen nur »ihren
Haider«. Man höre genau hin, wie die jetzt Eliminierten über Stadler schimpfen
und wie sie über Haider reden. Der Vergleich zeigt alles. Bezüglich Stadler gibt
es sogar prominente Stimmen, die den Rücktritt bzw. den Parteiausschluß fordern.
Haider wird auch jetzt nicht auf Stadler setzen, er hat ihn nur in diesen
Knittelfelder Tagen benötigt. Was schon ein Unterschied ist. Es ist eher
anzunehmen, daß Stadler über kurz und lang von Haider neuerlich geopfert wird.
Das würde nicht wenige in der Freiheitlichen Partei zufriedenstellen. Denn eines
ist klar: Mit der völkischen Brut wird die FPÖ nicht fett. Für die Wählerbasis
der Freiheitlichen gilt nämlich folgendes: In Westenthaler, Grasser und
Riess-Passer kann sie sich wiedererkennen, in Stadler hingegen erkennt man
höchstens Großvatern. Wer jetzt glaubt, die FPÖ würde sich als eindeutig
faschistische Partei entpuppen, wird sich einmal mehr täuschen.
Haiders Parallelprogramm, was Regieren und Opponieren auf Dauer meint, läuft
nicht, auch wenn es als mediales Zappen eine Zeitlang funktionieren kann. Was
also tun? Der faschistische Durchmarsch ist ebensowenig möglich wie die ordinäre
Anpassung. In diesem Dilemma steckt die FPÖ; es war immer vorhanden, nur hat es
sich erst jetzt, nachdem sie auf Bundesebene regiert, manifestiert.
Wüten und toben
Die Erklärung, die wir anbieten könnten, wäre folgende: Die Krise der Politik
zappelt und zuckelt sich an einem ihrer deformiertesten, weil
»fortgeschrittensten« Experimente aus. Das klingt vorerst abwegig. Der Wille zur
Macht prägt zwar die FPÖ, dabei gilt es aber zu differenzieren: Es ist der
Wille, der Drang, aber eben nicht die Macht, die diesem Gepräge Charakter
verleiht. Die permanente Absicht, die gar nicht wahr werden will, weil kann.
Jörg Haider scheint das instinktiv begriffen zu haben. Die Macht ist nicht mehr
machbar; was in der Politik machbar ist, ist marktwirtschaftskonforme
Verwaltung. Politiker werden so zu Exekutoren der Ohnmacht. Nur ein gezieltes
Marketing läßt sie überleben. Es ist der lose, weil losgelöste Drang, den
Potemkin Haider als Felsen in der Brandung so überzeugend fiktionalisiert.
Der Wille freilich ist blank. Dieses objektive Unvermögen inszeniert Haider dann
stets als infame Verschwörung, es gilt, schuldige Subjekte in und außerhalb der
Partei auszumachen. Irgend jemand hintertreibt was, verrät was, läßt sich
kaufen. Anprangerung und Skandalisierung, Hetze und Kriminalisierung sind
angesagt. Diesbezüglich ist Haider ein, nein: der Großmeister der medialen
Inquisition, da mag ihn diese auch selbst verfolgen.
Wohin nur will Haider mit dem unzweifelhaften Sieg? Was kann da Perspektive
sein? Vor allem langfristig: Die biedere Republik des kleinen Mannes, die faire
Marktwirtschaft des schaffenden Kapitals, das Heimatland aller Volkszugehörigen,
die Befreiung der Welt von Bürokraten und Schmarotzern?
Es ist unmöglich. Auch wenn es drangsaliert, marodiert, es ist aussichtsloser
Irrsinn. Aber je aussichtsloser das erscheint, desto mehr werden irgendwelche
dunklen Mächte angeprangert, die da verhindern, was die sogenannte schweigende
Menge, eine Multitude der besonderen Art, sich als Glück vorstellt. Dieses
kleine Glück ist in seiner Verwirklichung nur als ein großes Unglück zu haben.
Doch der Hasardeur aus Kärnten kann nur nachlegen oder verlieren. Also lädt er
nach. Der nicht dumme Haider weiß, daß er nicht weiter weiß, daher tobt er sich
aus.
Real oder Reality?
Die wahre Sendung des Jörg Haider ist die Soap Opera ohne Ende mit ihm als
Titelhelden, der alles überlebt, und als Regisseur, der alles bestimmt. Je nach
Lust und Laune will er Figuren reinnehmen und rausschmeißen. Realer als jedes
Reality-TV ist diese von allen Medien abgespulte freiheitliche Belangsendung, in
der gar vieles Platz hat: der Musikantenstadel, die Disko, Hollywood, das
Abendland, Saddam Hussein, die Kriegsteilnehmer, alle Anständigen, alle
Fleißigen, die Nazis, österreichische Skirennläufer, das Bundesheer ohne
Abfangjäger, die Kronen Zeitung, der Standort, Bungle jumping u.v.m.
Es ist wie ein Maskenball ohne Ende, wenngleich die Maskenbildner beim
Serienstar immer mehr zu tun haben, den J.H. so hinzukriegen, daß er noch was
gleich schaut. Die Zeiten der Lockerheit sind vorbei. Hier liegt gegenwärtig
sein schwächster Punkt. Aber seien wir sicher: Jörg Haider ist noch nicht am
Ende. Er ist nicht entzaubert, es zaubert ihn nur. Vergessen wir nicht, daß ihm
die gegenwärtige Niederlage nicht von außen versetzt wurde, sondern daß sie
inneren Entwicklungen entsprungen ist.
Daß J.H. diese parteiinterne Auseinandersetzung schlußendlich gewinnt, war
(trotz des medialen Getrommels für Riess-Passer) anzunehmen, daß es so schnell
gehen würde, freilich nicht. Die Kräfte, die er rief, konnte er nicht mehr
lenken. Kurzfristig hat er in einem entscheidenden Moment die Führerschaft über
die Gefolgschaft verloren. Der, der mit der Herde der Parteifunktionäre drohte,
hat eine Horde in Rage versetzt. Die Regie ist ihm gerade ob seiner
Mobilisierungspotenz entglitten. Die, die ihren Jörg retten wollten, haben ihn
beim Sturm auf die Parteizentrale einfach überrannt.
Die unmittelbare Absicht Jörg Haiders bestand »bloß« darin, daß die sich in Wien
wieder fürchten und fortan spuren. Den Zeitpunkt ihres (zweifellos geplanten)
Sturzes wollte er sich gefälligst selbst aussuchen. Wahrscheinlich hätte er
gerne noch einige Wahlniederlagen seiner Partei abgewartet. Wollte Haider seine
Parteiführung langsam zu Tode foltern (und einige großzügigerweise am
politischen Leben lassen), so haben seine Anhänger, angeführt von den
nationalistischen Kämpen um Ewald Stadler, kurzen Prozeß gemacht.
Haider ist also tatsächlich ramponiert ob des Blitzsieges. Auf jeden Fall hat er
in den kommenden Wochen nicht ausreichend Zeit, die Parteieinheit
wiederherzustellen, geschweige denn die verunsicherten Kader ausreichend zu
motivieren. Die Zerwürfnisse sind überall, nicht wie bisher sektoral beschränkt.
So geht ein Riß durch alle Parteiformationen und -gliederungen. Der
Hauptunterschied der jetzigen FPÖ-Krise zu allen vorhergehenden ist die
Dimension. Jede Bezirksorganisation, ja jeder freiheitliche Stammtisch
veranstaltet gegenwärtig eigene Röhm-Spiele. Dieses Hauen und Stechen wird nicht
so rasch abstellbar sein.
Alles ist möglich
Es wird also für die Haider-Partei außerordentlich schwer sein, ein halbwegs
akzeptables Ergebnis einzufahren. Die freiheitlichen Wähler vergeben und
vergessen gern, aber nicht so schnell. Auch die Funktionäre sind auf ihren Punkt
gebracht: Sie sind völlig durcheinander. Bei den kommenden Nationalratswahlen
gibt es für die FPÖ nichts zu gewinnen. Daher war es nur logisch, daß Haider
sich um den Spitzenkandidaten, ja sogar um den Parteiobmann drückt, um ja nicht
den persönlichen Nimbus des ewigen Siegers zu beschädigen.
Mit dem nun ernannten Listenführer, dem glücklosen Sozialminister Herbert Haupt,
hat man bloß vorsorglich den Hauptschuldigen der Wahlniederlage im Herbst
installiert. Haupt ist aber keine Verlegenheitslösung, sondern das
Gelegenheitslos. Auch so eine Art Opfer. Fast hat man das Gefühl, daß Haider mit
dessen Nominierung folgendes bezweckt: Wenn wir schon verlieren, dann bin ich
für einen deutlichen Aderlaß. Der Hochstapler wird in den nächsten Wochen
tiefstapeln. Aber wer weiß, was der selbsternannte Robin Hood noch alles im
Köcher hat. Vorgestern designiert, gestern resigniert, heute explodiert, morgen
installiert. Alles ist möglich. Vielleicht tritt er sogar mal kurz aus der FPÖ
aus. Warum nicht? Zur Zeit wirkt er freilich schwer angeschlagen, geschlagen ist
er noch nicht.
hagalil.com
18-09-02 |