Vor zehn Jahren:
Pogrome in Rostock-Lichtenhagen
Von Ulla Jelpke (innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion)
Die Bilder gehen nicht aus dem Kopf: Menschen, die sich in Todesangst auf dem
Dach ihrer Unterkunft zusammenkauern. Wütender Mob, der auf Wehrlose losgeht.
Und eine Polizei, die tatenlos daneben steht.
Eine Woche lang, vom 22. bis zum 26. August 1992, griffen mehrere hundert
Rechtsradikale eine Unterkunft von Flüchtlingen und ein Haus in
Rostock-Lichtenhagen an, das von vietnamesischen Vertragsarbeitnehmern bewohnt
war. Die Schläger wurden unterstützt und angefeuert von „ganz normalen“
Deutschen. Und die Polizei stand lange daneben und schaute zu.
Die Prozesse gegen die Täter wurden lange verschleppt. Erst in diesem Sommer kam
es zu Verurteilungen – meist zu eher geringfügigen Strafen. Aus den über 400
staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren resultierten 34 Prozesse, die mit 35
Verurteilungen und drei Strafbefehlen endeten. Die höchste verhängte Strafe:
Drei Jahre Jugendhaft.
In einer Dokumentation belegt der Norddeutsche Rundfunk mit internen
Polizeidokumenten und Aussagen von Zeitzeugen, dass die Gewalttaten nicht
verhindert, sondern im Gegenteil als Argument zur Verschärfung des Asylrechts
herangezogen wurden, wie sie ein Jahr später mit dem berüchtigten
„Asylkompromiss“ erfolgte.
Die offizielle Politik reagierte auf diese und andere Gewalttaten mit
Krokodilstränen. Bis heute, zehn Jahre nach Rostock, haben die
aufeinanderfolgenden Bundesregierungen keine Konsequenzen gezogen. Rassismus
reicht weit in die Mitte der Gesellschaft. Dies ist das Ergebnis jahrelanger
falscher Politik, für die sowohl CDU/CSU als auch SPD und Grüne die
Verantwortung tragen. Wer Menschen, die zum Teil seit Generationen hier leben,
als Menschen zweiter Klasse behandelt, ihnen nicht einmal das kommunale
Wahlrecht einräumt, wer Flüchtlinge als „Asylanten“ herabsetzt und das Asylrecht
so restriktiv wie möglich handhabt, wer Schutzsuchenden das Leben so schwer wie
möglich macht und sie für alle sichtbar aus der deutschen Gesellschaft ausgrenzt
– der darf sich nicht wundern, wenn braune Täter gerade gegen diese Menschen
Gewalt anwenden.
Rechtsextremismus bekämpfen heißt Abschaffung fremdenfeindlicher Politik. Im
Kampf gegen Rechts ist nicht der Abbau, sondern ein Ausbau von Bürgerrechten
notwendig, gerade für die Opfer rechtsextremer Gewalt, für Migranten und
Flüchtlinge.
hagalil.com
22-08-02 |