Nazi-Bands:
V-Leute und kein Ende
Nach den V-Leuten in der NPD fliegen nun kriminelle V-Leute in
Nazi-Musikbands auf
Von Ulla Jelpke
Junge Welt, 15.08.2002
Die Kette der Enthüllungen über V-Leute bei der NPD ist jetzt bei der
neonazistischen Musikszene angekommen. Am 20. Juli nahm die Berliner Polizei bei
der Verfolgung der Skinhead-Band "White Aryan Rebels" (Weiße Arische Rebellen)
den Vertriebschef der Band, den 27-jährigen Toni St., fest. Die "Weißen Arischen
Rebellen" rufen auf ihren CDs unter anderem zum Mord an den Brandenburger
Generalstaatsanwalt Erarto Rautenberg und an Manfred Biolek und Michel Friedmann
auf. Kaum festgenommen, kam heraus, dass dieser Toni St. seit langem V-Mann des
Brandenburger Verfassungsschutzes ist.
Nachdem sich Brandenburgs Innenminister Schönbohm und seine
CDU-Freunde erst lauthals beschwerten über die Berliner Staatsanwaltschaft, die
ihre wertvollen V-Leute auffliegen lasse, sind sie inzwischen merklich kleinlaut
geworden. Immer mehr Enthüllungen kommen heraus. So soll der Brandenburger
Verfassungsschutz seinem V-Mann kurz vor einer Polizeirazzia extra einen neuen
Computer ausgehändigt haben, mit der Folge, dass der PC mit den Dateien über die
kriminellen Vertriebsaktivitäten des V-Manns bei der Polizeirazzia nicht
auffindbar war. Im Strafrecht nennt man so etwas Beihilfe zur Vertuschung von
Straftaten.
Nach anderen Berichten soll Toni St. sogar Gelder des Landesamtes Brandenburg
für den Vertrieb der kriminellen Hetz-CDs genutzt haben. In der neuen Ausgabe
des "Spiegel" werden nun Telefonate geschildert, in denen sich der V-Mann bei
seinem Brandenburger V-Mann Führer über seine ständige Observierung durch
Berliner Beamte beklagt. Der V-Mann-Führer sichert ihm darin zu, sein "Chef"
(der Brandenburger VS-Landeschef Wegesin) werde dafür sorgen, dass das aufhöre.
Inzwischen ist noch ein neuer Skandal hinzugekommen. Der V-Mann Toni St. hatte
nämlich am Rande auch zu tun mit der Skinhead-Band "Landser". Die "Landser"
gehören zur internationalen Skinhead-Vereinigung "Hammerskins". In ihrer CD "Ran
an den Feind" rufen sie u.a. dazu auf, Israel zu bombardieren, "Nigger"
aufzuhängen und zu erschießen sowie die Mitglieder von Bundesregierung und
Bundestag zu massakrieren - "Stürmt den Reichstag, räuchert sie aus, macht der
Rattenbande den Garaus" (zit. nach "Tagesspiegel", 11.8.2002).
Der Brandenburger V-Mann Toni St. soll, so die Ermittlungen der
Bundesanwaltschaft, die seit zwei Jahren gegen die Band als "kriminelle
Vereinigung (§129 StGB) ermittelt, bei der Produktion des Booklets zur CD "Ran
an den Feind" mitgewirkt haben.
Aber der Skandal ist größer. Denn der sächsische Anführer der "Hammerskins",
Mirko H., soll einer der Verantwortlichen für den Vertrieb der CDs dieser
brutalen Nazi-Band gewesen sein. Dieser Mirko H., seit Dezember 2001 wegen
anderer Straftaten in Haft, soll, so jetzt der "Spiegel" und andere
Zeitungsberichte, seit längerem ein gut bezahlter V-Mann des Bundesamtes für
Verfassungsschutz gewesen sein.
Bereits im Sommer 2001 war die Wohnung dieses Mirko H. im sächsischen
Langburkersdorf von der Polizei gestürmt worden. Hesse führte dort die von ihm
1997 gegründete Firma H.A. Records (H.A. = Hass Atttacke, Hitler Adolf), seine
Email-Adresse lautete auf den Namen des Hitler-Leibwächters Julius Schreck. Die
Beamten fanden knapp 10.000 CDs, Laptops und Computer, eine halbautomatische
Selbstladepistole, das Imitat eines Maschinengewehrs, einen Schlagring mit Adler
und Hakenkreuz sowie mehrere hundert Patronen verschiedenen Kalibers.
Laut Ermittlungen der Polizei soll dieser Mirko H. die Produktion der CDs von
"Landser" persönlich organisiert und auch den Vertrieb abgewickelt haben. Am 21.
Dezember 2001 verurteilte ihn das Gericht wegen Volksverhetzung mit
Propagandamitteln verbotener verfassungswidriger Organisationen in drei Fällen,
Aufforderungen zu Straftaten und verbotenem Waffenbesitz zu zwei Jahren Haft.
"Die Dienste haben offenbar über Jahre hinweg beste Informationen über die
gefährlichsten Bands der radikalen Rechten zusammengetragen - ohne sie den
Strafverfolgern zu melden", berichtet der "Spiegel" (12.8.2002) Sollte sich das
bestätigen, so hätte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen neuen
Großskandal. Wenn Beamte dieser Behörde V-Leute zu Mord und Totschlag gegen die
Bundesregierung und den Bundestag aufrufen lassen, dann ist mehr fällig als ein
Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die Band und ihren Vertriebschef. Dann
sind Schily und der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Fromm, direkt
verantwortlich.
Die PDS, die FDP und die CDU/CSU haben nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe
eine Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses verlangt. Noch mauert
Innenminister Schily und seine Geheimdienste. Sie wollen über ihre V-Leute nur
dem geheim tagenden "Parlamentarischen Kontrollgremium" (PKG) des Bundestags,
dem die PDS nicht angehört, Auskunft geben. Aber angesichts der immer weiter
gehenden Vorwürfe dürften sie ihre Vertuschungslinie nicht mehr lange
durchhalten können.
Eine Konsequenz auch aus diesem neuen Skandal steht für mich schon lange fest:
Das V-Leute Netz in der Nazi-Szene muss restlos aufgedeckt und dann abgeschaltet
werden.
Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion
hagalil.com
15-08-02 |