Vorgeschmack auf den 22.September?
Ende eines Erfolgsprojekts:
Sachsen-Anhalt stoppt vorbildliche
Anti-Rechts-Initiative
Dort wo es die wenigsten Fremden gibt - ist die
Fremdenfeindlichkeit am höchsten! Ein Widerspruch? Nur auf den ersten
Blick.
Wer nur unter seinesgleichen bleibt, tut sich leichter:
die Verantwortung für alles, was schief läuft im Leben, bei den
"anderen" abzuladen. Bei denen, die nicht von hier sind.
Zum Beispiel Sachsen Anhalt: Kein Bundesland hat weniger
Fremde - aber es liegt ganz weit vorn in der Statistik Rechtsextremismus
und rassistische Gewalt. Chefsache für die Landesregierung - sollte man
meinen.
Nicht in Sachsen-Anhalt. Der Aufstand der Zuständigen
findet nicht statt. Im Gegenteil: Die frisch gewählte CDU-FDP-Regierung
will jetzt einen Verein an die Kandare nehmen, der seit vier Jahren
engagiert gegen den Rassismus im Land arbeitet.
Für diese Entscheidung bekommt die Regierung viel Beifall.
Im ard-Magazin Kontraste
zeigten Claudia Schefke und Caroline Walter, aus welcher Ecke:
(Als
Video) Magdeburg,
letzten Samstag. Neonazis demonstrieren gegen den Verein Miteinander.
Ein Verein, der sich in Sachsen-Anhalt gegen Rechtsextremismus
engagiert.
Demonstrant:
"Wir wollen, dass der Verein Miteinander aufgelöst wird und diese
Steuergelder für vernünftige Projekte verwendet werden."
Den Neonazis paßt der Verein Miteinander nicht. Denn er arbeitet
erfolgreich gegen sie.
Versammlungsleiter:
"Ja, dass er Jugendliche in Schulen und anderswo politisch beeinflusst.
Und ihnen keine freie Meinungsbildung zusagt."
Die Rechtsextremen finden sich in guter Gesellschaft. Auch die neue
Landesregierung aus CDU und FDP hat etwas gegen den Verein Miteinander.
Er sei "politisch einseitig". Markus Kurze ist in der CDU-Fraktion
zuständig für Familie und Jugend.
Markus Kurze, CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt:
"Also, ich denke, dass wir in Sachsen-Anhalt kein Sonderproblem mit
Rechtsextremismus haben. Wir haben sicherlich, wie in allen anderen
Bundesländern auch, Jugendliche, die ja in einem gewissen Alter auch mal
in die verschiedensten Richtungen ausschlagen, sag ich mal, in
Anführungsstrichen, oder tendieren."
Doch laut neuestem Bericht vom Verfassungsschutz hat Sachsen-Anhalt
durchaus ein Sonderproblem Rechts. Der Verein Miteinander kämpft seit
Jahren gegen die rechte Stimmung im Land. Deshalb förderte die alte
Regierung ihn mit 1 Mio. Euro im Jahr. Gegründet wurde Miteinander 1999.
Der Anlaß: die rechte DVU holte bei den Wahlen über 12 Prozent der
Stimmen.
Ohne den Verein Miteinander hätte Heide Dannenberg nicht weiter gewußt.
Ihr Lebenspartner zeigte die Zivilcourage, zu der Politiker immer
auffordern. Der 60jährige Helmut Sackers drohte seinem rechtsradikalen
Nachbarn mit einer Strafanzeige.
Heide Dannenberg:
"Dort in der sechsten Etage hat der Täter gewohnt. Und von dort aus haben
wir auch ganz massiv die Nazi-Musik gehört, unter anderem auch das
Horst-Wessel Lied, und auch Feiern, wo es abging mit "Sieg Heil für
Führer, Volk und Vaterland" und wo kräftig mitgesungen worden ist."
Als der Rechtsradikale im Hausflur auf Helmut Sackers trifft, greift er
ihn an, und tötet ihn mit vier Messerstichen.
Heide Dannenberg:
"Dann kam mein Sohn rein, und der sagte mir dann, dass Helmut verstorben
ist."
Keiner kümmerte sich um Heide Dannenberg. Hilfe und Beistand fand sie nur
beim Verein Miteinander, der sie bis heute betreut.
Heide Dannenberg:
"Er hat mir Adressen von Psychologen gegeben und hat mich auch immer
wieder zwischendurch angerufen, ob ich das schon in Angriff genommen
habe. Und ist nicht müde geworden, mir zuzuhören oder wenn es mir
schlecht ging, hier anzureisen und da zu sein."
Der Verein Miteinander hat Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in
ganz Sachsen-Anhalt. Sie helfen bei Gerichtsprozessen, übernehmen
Behördengänge.
Damit Jugendliche erst gar nicht zu rechten Tätern werden, setzt der
Verein auf Aufklärung. Wie hier an der Berufsschule in Leuna. Hier
bestimmen rechtsradikale Schüler den Alltag. Die Lehrer bekommen es
nicht in den Griff.
Jetzt ist der Verein gekommen, zwei Tage intensive Arbeit mit den
Schülern.
Schülerinnen, Berufsschule Leuna:
"Hier kommen die ganzen Ausländer rein, die gehen für 50 Cent arbeiten,
nehmen allen die Arbeitsplätze weg, kriegen alles finanziert, das ist
so. Die laufen nur in Markenklamotten rum, nur."
"Und wenn welche rumfahren irgendwie mit fetten Auto, dann auf der Straße
stehen, tausend verschiedene Goldketten um, da fragst dich auch."
"Und dann dealen sie überall rum. Die quatschen dich auf der Straße an."
Die Pädagogen von "Miteinander" versuchen bei so viel Emotionen mit
Argumenten dagegen zu halten.
Torsten Hahnel, Verein Miteinander:
"Es heißt doch nicht, dass irgendwo steht, Deutsche dürfen keine Laden
aufmachen, sondern es ist doch oft so, daß Deutsche sagen, unter den
Bedingungen will ich nicht, ich hab´ keine Lust so viel zu arbeiten,
soll´n se machen, aber soll'n dann nicht sagen, die und die sind schuld,
sondern sollen dann sagen, o.k. ich hab´ keine Lust unter den
Bedingungen zu arbeiten, dann nehme ich lieber Sozialhilfe oder gehe
lieber in den Westen oder mach, was weiß ich."
Ben Mansur, HipHop Produzent:
"Was leistet Ihr denn, was leistest Du, um eine Arbeit zu bekommen?"
"Das Problem ist bei Euch, ganz ehrlich, muß ich ganz ehrlich sagen, das
sehe ich überall, Wissen fehlt. Ihr habt alle keine richtige Peilung.
Aber ihr werdet aufgefüllt mit irgendwelchen Statements, aber ihr
forscht nicht nach."
Wo Argumente nicht reichen, überzeugen Sport oder Musik. Einen Nachmittag,
den Hass, den Neid vergessen. Der Verein Miteinander sucht den Kontakt
zu den Jugendlichen in ihrer Sprache, ohne erhobenen Zeigefinger.
Gabriele Schrimpf, Lehrerin Berufsschule Leuna:
"Wenn ich mir so einige meiner Schüler angeguckt habe, denke ich mir doch,
dass einige ins Grübeln gekommen sind. Und das hat mich eigentlich ein
bisschen gefreut."
Vom Problem mit Rechtsradikalen an Schulen will der CDU-Jugendexperte
allerdings noch nichts gehört haben.
Markus Kurze, CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt:
"Man hat ja so einen Wirkungskreis, und zumindest aus meinem Wirkungskreis
ist mir das nicht bekannt. Und wenn Sie an einer Schule recherchiert
haben, dann wird es sicherlich so gewesen sein. Aber das ist wiederum
nun kein Sonderproblem, was wir hier bei uns haben."
Auch nicht bekannt sind dem CDU-"Jugendexperten" wohl die Probleme im
Kindergarten von Stendhal. Früher spielten die deutschen Kinder in einer
Ecke, die ausländischen in einer anderen.
Ute Brüggemann, Leiterin Kindergarten Stendal:
"Wie jetzt diese Fortbildung angeboten war mit diesem Verein Miteinander,
hat uns dieser Verein aufgezeigt, wie man die Kinder zusammenführt, wie
man sie miteinander beschäftigt, wie man die Kulturen untereinander
kennenlernt, wie man die Eltern begrüßen sollte, wenn sie das erste Mal
bei uns sind."
Die Leiterin stellte die Irakerin Iman El-Dor ein. Seit sie da ist, sind
die Kinder dicke Freunde, singen gemeinsam deutsche und arabische
Lieder.
Ute Brüggemann, Leiterin Kindergarten Stendal:
"Ich hoffe ja, was von klein auf gut beigebracht wird, dass sich das dann
im Alter nachher fortsetzt. Und das ist eigentlich das größte Problem,
damit kein Rassismus, irgend so etwas im späteren Zeitpunkt entsteht."
Das hält die neue CDU/FDP-Landesregierung für politisch einseitige Arbeit.
In ihrem Koalitionsvertrag hat sie beschlossen:"...die einseitige
Förderung politisch motivierter Vereine (z.B. Miteinander e.V.)
einstellen..."
Hans-Jochen Tschiche ist Vorsitzender von Miteinander. Zu DDR-Zeiten war
er einer der aktivsten Bürgerrechtler, kämpfte für Demokratie und
Meinungsfreiheit. Den Beschluß der neuen Landesregierung hält er für
gefährlich.
Hans-Jochen Tschiche, Vorsitzender Verein Miteinander:
"Wenn man also zulässt, dass Rechtsextremismus hier weiter wächst, und
wenn man zulässt, dass rechtes Gedankengut verstärkt wird, und wenn die
alten autoritären Traditionen nicht abgebaut werden, wenn man sozusagen
aus Machtkalkül sagt, den Verein den schaffen wir ab, dann halte ich das
ingesamt für verhängnisvoll."
Weil der öffentliche Druck auf die Regierung wächst, rudert diese
scheinbar zurück. Sie hat sich einen anderen Weg zum Abwickeln
ausgedacht: Jetzt soll der Verein jedes einzelne Projekt genehmigen
lassen.
Wir fragen bei der Landesregierung nach, was das genau bedeutet. Wir
erfahren nichts Konkretes.
Rainer Robra, Chef Staatskanzlei Sachsen-Anhalt:
"Wenn der Verein vernünftige, in sich konsistente Projekte präsentiert,
kann er auch mit weiterer Förderung rechnen."
Hans-Jochen Tschiche, Vorsitzender Verein Miteinander:
"Die Beurteilung der Landesregierung bei unseren Projekten ist ja abhängig
von der Einstellung der Landesregierung. Und meine Befürchtung ist, dass
die sagen werden, wir finden die Projekte nicht so interessant wie sie
selber, das heißt wir sind der Willkür ausgeliefert."
Projekte wie dieses wären dann nicht mehr möglich: ein Wochenende für
Jugendliche, unter dem Motto "Toleranz". Eine Kolumbianerin erzählt den
Jugendlichen über ihr Land. Nebenan lernen sie, wie man in Mosambique
trommelt. Und ein Zimmer weiter schlüpfen sie in eine andere Kultur.
Amira Karim:
"Wenn die tragen jetzt meine Kleid, das bedeutet, sie hat keine Angst vor
mir. Das ist auch wichtig. Das bedeutet, der beste Freund auch zu sein."
Auch die Jugendlichen sind begeistert von dem Wochenende.
Jugendliche:
"Ich finde, dass es schon ziemlich faszinierend ist, wenn man jetzt über
die Länder erfährt, dann überlegt man auch, wenn man so hört, also eben
wie die Religionen sind, die Kulturen, warum dann manche eben diese
extreme rechtsradikale Meinung haben. Das ist eben bei uns im Dorf auch
vertreten, die rechtsradikale Meinung."
"Von dem Seminar, muss ich sagen, hab ich auch viel gelernt halt, mit
Ausländern auszukommen, mit denen umzugehen, und deren Religion
kennenzulernen, deren Länder, deren Sitten."
Solche Einblicke würden auch ihnen gut tun. Doch die Neonazis fühlen sich
ja durch den Streit um den Verein im Aufwind, weil
Neonazi:
"wie die CDU-Regierung jetzt schon sagte, einseitig politisch motiviert
ist. Und das ist für uns Grund genug."
Die CDU im Landtag hat kein Problem damit, dass ihr die Rechtsradikalen im
Lande zujubeln.
Markus Kurze, CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt:
"Tja, ich sag mal, da können wir halt nichts dran ändern, wenn
irgendwelche Gruppierung, das bejubeln oder nicht. Ich sag mal, meine
Partei steht auch zum Koalitionsvertrag und auch die FDP. Und wir haben
beide, also beide Parteien, das in einem Parteitag beschlossen, in einem
Sonderparteitag, nachdem wir die Regierung hier übernehmen konnten, und
wir stehen zu unserem Papier."
Und die Rechtsextremen sind ja angeblich auch kein Problem in
Sachsen-Anhalt.
Da können wir halt nichts dran ändern - Sie haben's eben selber gehört.
Bundestagspräsident Thierse hat die Landesregierung in Sachsen-Anhalt
davor gewarnt, das Problem des Rechtsextremismus zu verharmlosen.
Der Verein Miteinander, schreibt Thierse, trage zur "Stärkung unserer
Demokratie" bei. Genau.
hagalil.com 18-07-02 |