Brandanschläge in
Rostock-Lichtenhagen
Deutsche Kontinuitäten
Nur einige Wochen
vor dem 10. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen
verübten Unbekannte in der Nacht zum vergangenen Samstag Anschläge mit
Brandsätzen auf ein Büro der Arbeiterwohlfahrt im so genannten
Sonnenblumenhaus und auf einen Asia-Laden nahe des Hauses. Die Brände
wurden von der Feuerwehr gelöscht.
Die Unbekannten hatten
anfänglich gegen ein Uhr nachts die Fensterscheiben des asiatischen
Lebensmittelgeschäftes zerstört, woraufhin Augenzeugen die Polizei
alarmierten. Nur eine Stunde, nachdem die Beamten den Tatort inspiziert
hatten, kehrten die Täter zurück und warfen Brandsätze auf den Laden.
Die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung, allerdings
anscheinend nicht nur in Neo-Nazi-Kreisen. Ein Polizeisprecher äußerte,
man ermittle „in alle Richtungen“.
Vor dem
Sonnenblumenhaus kam es im August 1992 zu rassistischen Ausschreitungen
gegen die damals dort untergebrachte Zentrale Aufnahmestelle für
Asylbewerber und gegen ein Wohnheim für ehemalige Vertragsarbeiter aus
Vietnam. Die Angreifer, ein Mob von
Nazis und Anwohnern, warfen Steine und Brandsätze mit denen sie am 24.
August das Haus in Brand setzten. Nur knapp entrannen 150
VietnamesInnen, ein Kamerateam des ZDF, der damalige Rostocker
Ausländerbeauftragte und einige wenige deutsche Unterstützer dem
Flammentod. Möglich geworden waren diese pogromartigen Angriffe auch
deshalb, weil sich die Polizei zurückgezogen hatte und den völkischen
Mob in Ruhe agieren ließ.
Die jüngsten Anschläge
zeigen wie brüchig die von der Landesregierung immer wieder vorgezeigten
„Erfolge“ im Kampf gegen Rechtsextremismus sind. Welchen Charakter diese
Erfolge haben zeigt ein Satz aus der Schweriner Volkszeitung vom 22.
Juli: „Zehn Jahre haben wir gekämpft, damit der Ruf von Lichtenhagen
besser wird, jetzt ist die alte wunde wieder aufgebrochen“, So werden
Lichtenhagener Bürger zitiert. Es geht jenen also nicht darum, begangene
Verbrechen einzusehen und eine rassistische Grundeinstellung zu ändern,
sondern um den Ruf von Rostock-Lichtenhagen. Verräterisch ist auch das
Bild von der aufbrechenden Wunde. Wurde sie von anderen beigebracht?
Wenn ja, dann von wem? Die Deutung, dass es die ‚Anderen’ gewesen seien,
wer auch immer damit gemeint ist, liegt nahe. Solche Sätze ziehen keine
Verbindung zwischen dem Pogrom und einer möglichen eigenen Verstrickung
darin.
Auch der folgende Satz
des Sprechers des Schweriner Innenministeriums, Christian Lorenz,
entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: „Sollte es sich bewahrheiten,
dass die Anschläge vom Wochenende durch Rechte verübt wurden, hätte das
eine fatale Symbolwirkung“. Welche Täterkreise hat Lorenz noch im Auge?
Linke Gruppen oder „Ausländer“ etwa? Zumindest naiv ist ein solches
Statement zu nennen vor dem Hintergrund, dass im zweiten Quartal dieses
Jahres sich die Zahl rechtsextremer Straftaten im Vergleich zum
Jahresanfang mehr als verdoppelt hat. Aus der Antwort auf eine
PDS-Anfrage geht hervor, dass die Polizei im Juni bundesweit 398
nazistisch motivierte Straftaten registrierte, darunter 27
Körperverletzungen und eine Brandstiftung.
Die
Betroffenheitsrituale, die nach den zahllosen rassistischen und
antisemitischen Angriffen im vereinigten Deutschland immer wieder
aufkommen, dienen mehr zur Beruhigung des Gewissens der
Mehrheitsbevölkerung, denn zur Solidarisierung mit den Opfern.
Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus sind die ideologischen
Grundbausteine einer „selbstbewussten Nation“, die unter ihre
Vergangenheit am liebsten einen Schlussstrich ziehen würde. Genau jene
Bausteine sind es aber, die das Deutschland von heute eng an die nie
aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit der deutschen Bevölkerung bindet.
hagalil.com 23-07-02 |