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Notausgang für Rechtsaußen

Exit, ein Aussteigerprogramm für Rechtsradikale, gibt es seit zwei Jahren. Methode und Erfolgsbilanz des Projekts sind umstritten

von ULRIKE WINKELMANN

"Ich habe einfach nur Bock, ein normales Leben zu führen. Was ich von diesem Staat und von den Nazis erlebt habe, da stinkt jedes Wort nach Lüge. Ich habe einfach nur Interesse daran, ein Leben zu führen ohne Staatsanwaltschaft, Knast, politischen Extremismus." So weit die Auskunft von Stefan Michael Bar, ehemals bekennender "Nationalsozialist", der auch schon mit einer Schnellfeuerwaffe auf einen türkischen Imbiss geschossen hat, über seinen Abgang aus der rechten Szene.

Nachzulesen sind diese und andere Bekenntnisse so genannter Aussteiger im morgen erscheinenden Bulletin der Berliner Initiative Exit, die Rechten den Ausstieg ermöglichen will. Heute und morgen will Exit auf einer Tagung öffentlich Bilanz seiner Arbeit ziehen: Wen haben die Mitarbeiter des ehemaligen Kriminalpolizisten Bernd Wagner erreicht? Wie hilft man Eltern von Neonazis, wie kommt man in die Knäste? Ein Drittel der zurzeit Betreuten, 20 junge Männer, sitzt im Strafvollzug.

Mit Zahlen tut man sich schwer bei Exit. Über den Daumen geschätzt, sagt Wagner, hätten sich knapp über hundert Leute seit Beginn der Arbeit von Exit gemeldet. Allen habe man helfen können, "bis auf zwei, die mussten wir abklemmen. Der eine hatte in seiner neuen Wohnung Nazipartys gegeben, der andere hatte sich bei seiner Kameradschaft zurückgemeldet." Gut 70 Prozent der Fälle seien Wessis, und nur fünf Mädchen oder Frauen seien bislang darunter gewesen. Durchschnittsalter ist Mitte zwanzig - wenn die meisten beschließen, dass ihnen ein bürgerliches Leben lieber ist.

Wie Exit genau hilft, gibt die Initiative nicht preis. Klar ist jedoch, dass die Ausstiegswilligen erst für sich entscheiden, dass sie nun lange genug rechts waren, und danach dann anrufen, weil sie Unterstützung dabei brauchen, sich ein neues Leben zu organisieren.

Den ersten Fall für Exit bearbeitete Wagner selbst im August 2000: Ein hessischer Funktionär der Jungen Nationalsozialisten rief an, Wagner fuhr zu ihm hin und versuchte herauszufinden: "Ist der Wille zum Ausstieg echt?" Der Mann hatte Angst vor seinen "Kameraden", also half Exit beim Umzug und dabei, den Abgang zu "verschleiern". "Er hat auch ein paar Mark Überbrückungsgeld gekriegt", sagt Wagner. Nein, die Aussteiger würden nicht fürs Demokratischwerden belohnt, sondern bekämen nur zinslose Kredite, wenn sie in Not seien.

Das Geld dazu kommt aus der Amadeu-Antonio-Stiftung. Deren Jahresetat beträgt 128.000 Euro. Zusammen mit der Stiftung startete der Stern mit seiner Kampagne "Mut gegen rechte Gewalt" das Projekt Exit im Sommer 2000, als die Rechtsextremismusdebatte ihre höchsten Wellen schlug. Das Bundesjugendministerium und das von Regierung und Europäischer Union finanzierte "Xenos"-Programm finanzieren Stellen plus Sachkosten.

Der Hype um das Thema Rechtsextremismus, sagt Wagner, ist "längst zusammengebrochen, die Probleme bleiben bestehen." Beziehungsweise: werden größer. "Der Teppich von völkisch-rassistischer Ideologie, der sich über die gesamte Landschaft breitet, wird dichter", erklärt Wagner. "Jugendliche fühlen sich unpolitisch, sind es aber faktisch nicht" - sie redeten antisemitisch daher.

Als Aussteiger gilt, wer erstens die Freunde wechselt und zweitens begründen kann, wie er überhaupt in die Szene reingekommen ist. Wie die Leute sich weiterentwickeln, wenn sie erst einmal eine neue Wohnung und vielleicht einen Job haben, ob sie nicht weitere Gesinnungswandel durchmachen, verfolgt Exit freilich nur über wenige Monate. Man habe noch keine negativen Rückmeldungen aus der Szene bekommen, heißt es bloß.

In noch wesentlich dichteren Dunst hüllt sich das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes. 170 intensive Kontakte habe man schon gehabt, mit 70 Leuten stecke man in einem "engen Arbeitsprozess", sagt eine Sprecherin. Auch hier geht es vornehmlich um Job und Wohnung und Behördengänge, und auch das Stichwort "Hilfe zur Selbsthilfe" fehlt nicht. Von den "bis zu 100.000 Mark" pro Nase, die beim Start im April 2001 erwähnt wurden, ist mittlerweile keine Rede mehr. War wohl doch zu hoch gegriffen. "Wir schlüsseln unsere Ausgaben nicht auf", so die Sprecherin.

taz Nr. 6767 vom 6.6.2002, Seite 4, 141 TAZ-Bericht ULRIKE WINKELMANN
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hagalil.com 07-06-02

 


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