"Kein politisches Konzept"
Rechtsextremismus-Experte Burkhard Schröder über
Aussteigerprogramme: "Nur Freunde können beim Aussteigen helfen, keine
Organisationen"
taz: Herr Schröder, was haben Sie gegen
Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten? Ist doch eine gute Sache.
Burkhard Schröder:
Aussteigerprogramme suggerieren, dass es Randgruppen gibt, die nach dem
Schema innen/außen funktionieren. Die da drinnen, wir hier draußen. Und
die Programme suggerieren auch, dass es schwierig sei, aus diesen
Gruppen auszusteigen. Das bestreite ich.
Aber so heißt es doch immer wieder: Die rechte Szene
ist wie eine Sekte, und wer da raus will, braucht Hilfe.
Wer in rechten Sekten drin ist, ist psychisch so
disponiert, dass Hilfe von außen das Letzte wäre, was er annähme. Meine
Erfahrung mit Aussteigern ist, dass nur Freunde ihnen helfen konnten
durch Zuhören, Diskutieren, Wohnungs- und Jobsuche - und keine
Organisation.
Vielleicht erreicht man nicht die Führungskader, aber
doch sicherlich Mitläufer.
Jugendliche Mitläufer steigen oft aus, indem sie sich
ins Privatleben zurückziehen. Ihre Meinung ändert sich nur marginal.
Aber wie kann etwa Exit die politische Überzeugung von Neonazis ändern?
Solange kein politisches Konzept vorliegt, betreuen sie die Leute wie
bei der klassischen akzeptierenden Sozialarbeit. Das ist unpolitisch,
und es gibt weder klare Konzepte, noch sind die Mitarbeiter
qualifiziert.
Und was ist mit dem Verfassungsschutzprogramm?
Weder das Programm noch den Verfassungsschutz nehme ich
ernst. Fakten, die die angeblichen Erfolge der Aussteigerprogramme des
VS belegen, hat noch niemand gesehen. Man nennt eine dubiose Zahl von
170 Leuten, mit denen man prima telefoniert habe. Telefonieren kann ich
auch. Der Verfassungsschutz ist in der Szene kein Ansprechpartner. Wer
sich bei der Behörde meldet, weiß nicht, ob das nicht am nächsten Tag
jeder zweite V-Mann weitererzählt.
Richten Aussteigerprogramme also mehr Schaden als
Nutzen an?
Risiken und Nebenwirkungen der Programme sind: Die
Propagandisten der rechten Szene behaupteten, dass die Aussteiger vom
"System" herausgekauft worden wären. Das schweißt die anderen umso mehr
zusammen. Außerdem suggerieren die Programme der Bevölkerung, die
Neonazis seien das Problem. In Wahrheit sind sie nur ein Symptom. Warum
fordert man nicht, wenn man gegen Antisemitismus vorgehen will, ein
Aussteigerprogramm für Möllemann? Das Geld, das Aussteigerprogramme
verbrauchen, sollte man besser in Projekte stecken, die gezielt und
politisch gegen rassistische Vorurteile angehen. Das meiste Geld
geht doch in die Außendarstellung. Man will einen Markt bedienen, auf
dem man mit der sinnfreien Zeichenfolge "gegen rechts" Geld verdienen
kann.
Auf dem Markt sind Sie selbst auch ganz gut
vertreten.
Stimmt. Man muss aber wenigstens die Debatte führen, was
diese "Gegen rechts"- und "Für Toleranz"-Veranstaltungen von
Volkshochschulen und Kirchengemeinden bringen außer dem Gefühl, zu den
Guten zu gehören.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN
taz Nr. 6767 vom 6.6.2002, Seite 4, 101
Interview ULRIKE WINKELMANN
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