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An das schwere Stahlgitter rund um ihre Schule hat Miriam sich
gewöhnt. Die achtzehnjährige Schülerin weiß, solcher Schutz ist
notwendig. Miriam ist Jüdin und besucht die jüdische Oberschule
in Berlin. Im nächsten Jahr wird die junge Frau ihr Abitur
machen.
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"Das ist eine Beleidigung"
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Die Äußerungen vom Jürgen Möllemann und das Rumlavieren der
FDP-Spitze haben bei Miriam, wie auch bei den nichtjüdischen
Mitschüler, zu Diskussionen geführt. Miriam: "Was jetzt gerade
diese FDP-Diskussion angeht, hat mich das sehr erschreckt, weil
zum Beispiel der ehemalige Chef des Zentralrats, Ignaz Bubis,
als er noch gelebt hat, ein sehr gutes Verhältnis zur FDP hatte.
Und überhaupt hat die FDP ein sehr freundliches Verhältnis zu
Israel gehabt. Und dass Herr Möllemann jetzt auf einmal in
dieser Politik so ausschweift ins antisemitische Lager und auch
versucht, scheinbar dadurch rechte Stimmen zu gewinnen, das
finde ich sehr erschreckend."
Ihr Mitschüler Jakob: "Ich weiß nicht, ob du da mit
einstimmst, dass, wenn manche Leute einfach eine anders
sensibilisierte Haltung haben als unsere Generation heutzutage,
sie manchmal irgendwelche Dinge sagen, die streitbar sind und
vielleicht auch antisemitischen Charakter haben. Das
entschuldigt schon, dass man das ganze nicht so dramatisch als
antisemitisch sehen sollte." Miriam: "Ich finde eine Äußerung
wie 'Scharon mit seiner Politik und Friedman mit seiner Haltung
seien schuld am Antisemitismus' ganz schön heftig. Das finde ich
vollkommen unangebracht, das ist eine Beleidigung."
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Protest gegen die einseitige Kritik an Israel
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Heftige Diskussionen auch in Düsseldorf. Die jüdischen
Studenten protestieren am Wochenende gegen die, wie sie finden,
einseitige Kritik an der israelischen Regierung. Sie sind keine
vorbehaltlosen Anhänger der Scharon-Regierung, aber viele von
ihnen haben Verwandte in Israel, um die sie sich wegen der
Selbstmordattentate große Sorgen machen. Dabei kommt es auch zu
Konfrontationen. Passant: "Wer mit schweren Waffen gegen
wehrlose Leute vorgeht, das sind Verbrecher." Angi: "Wehrlose
Leute? Ich bitte Sie, wehrlose Leute, das können Sie doch nicht
wirklich glauben, dass das wehrlose Leute sind, die mit Bomben
um ihren Körper auf die Straßen gehen und sich in die Luft
sprengen. Das nennen Sie wehrlose Leute? Ich bitte Sie! Die
wehrlosen Leute sind die, die in meinem Alter im Cafe sitzen, in
die Diskothek abends gehen, das sind wehrlose Leute, und die
dann sterben müssen."
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Am nächsten Tag treffen sich die jüdischen
Studenten am Rhein, sicherheitshalber in der Nähe einer
Polizeistation. Mancher überlegt, was man jetzt noch tun kann.
Für diesen Mittwoch ist eine Pro-Israel-Demonstration in Brüssel
geplant mit Teilnehmern aus ganz Europa.
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Sekundärer Antisemitismus
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Nicht alle denken so, aber antisemitische Anschläge und die
jüngsten Diskussionen haben Spuren hinterlassen. Wissenschaftler
an der Universität Essen haben jetzt eine Studie zum Thema
"Antisemitismus" vorgelegt. Über 2.000 Studenten aller
Fachbereiche wurden befragt. Das Resultat stimmt nachdenklich.
Klaus Ahlheim, Universität Essen: "Die wesentlichen Ergebnisse
sind, dass ein großer Teil der zukünftigen Elite, der
zukünftigen Intelligenz, einen Schlussstrich ziehen will, das
sind nämlich 36 Prozent. Und dieses Schlussstrichdenken, wir
wollen endlich in Ruhe gelassen werden, genug ist genug, ist eng
verbunden mit antisemitischen Vorstellungen, die sich mit der
Geschichte und der Geschichtspolitik auseinandersetzen, mit
sekundärem Antisemitismus."
Frontal21: "Was ist sekundärer Antisemitismus?" Ahlheim: "Das
ist die Meinung, die Juden würden es ganz gut verstehen, den
Holocaust zu ihrem Vorteil und zu unserem Nachteil auszunutzen
und uns dafür zahlen zu lassen." Laut der Studie will jeder
fünfte Student an der Uni Essen einen Schlussstrich und ist
gleichzeitig latent antisemitisch.
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Das Thema FDP wird heftig diskutiert
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Zurück in Berlin: Miriam und ihre Schwester Ruth sprechen und
schreiben beide Hebräisch und Deutsch, denn ihre Mutter kommt
aus Israel, der Vater ist deutscher Jude. Das Thema FDP und
Antisemitismus wird in der Familie heftig diskutiert. Und auch
den Bericht über den Besuch des FDP-Vorsitzenden Guido
Westerwelle in Israel schauen die fünf mit Spannung. Miriams
Vater: "Ich bin ein wenig enttäuscht von Herrn Westerwelle. Ich
hätte gehofft, dass er sich da etwas mehr durchsetzen kann. Wenn
jetzt ein Politiker einer großen deutschen Partei letzten Endes
solchen Tendenzen freien Lauf lässt, dann sage ich mal, machen
sich viele Gedanken und sagen, es ist nur noch eine Frage der
Zeit, weil wir letzten Endes vielleicht doch wieder dran sind.
Ich habe im Moment nicht das Gefühl, ich glaube durchaus, wir
leben in einem Rechtsstaat, wir leben in einem demokratischen
Staat und ich bin mir sicher, dass die Masse unserer Bevölkerung
auf demokratischer Basis hier fußt."
Miriam: "Also ich persönlich sehe die Lage hier vielleicht
ein bisschen kritischer als meine Eltern. Vielleicht leben meine
Eltern einfach schon so lange hier, um sich an das bisschen
feindliche Klima hier schon gewöhnt zu haben. Aber für mich ist
es immer wieder erschreckend, wenn ich von Anschlägen auf
jüdische Einrichtungen in Deutschland höre oder wenn ich so
Aussprüche von Möllemann oder anderen Politikern höre. Mein Ziel
ist es eigentlich nach Israel auszuwandern und das hier nicht
mitzumachen." Unmittelbar nach dem Abitur will Miriam nach
Israel übersiedeln, trotz Krieg und Terror. Eltern und
Geschwister aber werden hier bleiben. Sie sind sich sicher, dass
Juden in Deutschland auch in Zukunft ihren Platz haben werden.
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hagalil.com 10-06-02 |
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