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Judentum und Israel
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[RealVideo]
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rontal 21 - Sendung vom 28. Mai 2002
Neue Verbitterung:
Juden und die FDP
Sicherheitskräfte vor jüdischen Schulen, extremistische Anschläge, abgesperrte Synagogen: Öffentliches jüdisches Leben findet in Deutschland auch in den Wochen vor der Möllemann-Affäre nur unter schwierigsten Bedingungen statt. Die Antisemitismus-Debatte zwischen Möllemann und Friedmann trifft auf stark sensibilisierte Jüdische Gemeinden. Reinhard Laska mit Stimmen und Reaktionen aus den Jüdischen Gemeinden in Berlin, Düsseldorf und Köln - bearbeitet für ZDFonline.

An das schwere Stahlgitter rund um ihre Schule hat Miriam sich gewöhnt. Die achtzehnjährige Schülerin weiß, solcher Schutz ist notwendig. Miriam ist Jüdin und besucht die jüdische Oberschule in Berlin. Im nächsten Jahr wird die junge Frau ihr Abitur machen.
"Das ist eine Beleidigung"
Schülerin Miriam

Die Äußerungen vom Jürgen Möllemann und das Rumlavieren der FDP-Spitze haben bei Miriam, wie auch bei den nichtjüdischen Mitschüler, zu Diskussionen geführt. Miriam: "Was jetzt gerade diese FDP-Diskussion angeht, hat mich das sehr erschreckt, weil zum Beispiel der ehemalige Chef des Zentralrats, Ignaz Bubis, als er noch gelebt hat, ein sehr gutes Verhältnis zur FDP hatte. Und überhaupt hat die FDP ein sehr freundliches Verhältnis zu Israel gehabt. Und dass Herr Möllemann jetzt auf einmal in dieser Politik so ausschweift ins antisemitische Lager und auch versucht, scheinbar dadurch rechte Stimmen zu gewinnen, das finde ich sehr erschreckend."

Ihr Mitschüler Jakob: "Ich weiß nicht, ob du da mit einstimmst, dass, wenn manche Leute einfach eine anders sensibilisierte Haltung haben als unsere Generation heutzutage, sie manchmal irgendwelche Dinge sagen, die streitbar sind und vielleicht auch antisemitischen Charakter haben. Das entschuldigt schon, dass man das ganze nicht so dramatisch als antisemitisch sehen sollte." Miriam: "Ich finde eine Äußerung wie 'Scharon mit seiner Politik und Friedman mit seiner Haltung seien schuld am Antisemitismus' ganz schön heftig. Das finde ich vollkommen unangebracht, das ist eine Beleidigung."

Die Atmosphäre ist gespannt
Barbara Witting

Die Stimmung an der Schule ist kühl, viele Schüler sind verärgert, als wir sie im Speisesaal besuchen. Nur wenige sind bereit, sich filmen zu lassen. Beim Mittagessen müssen wir ausdrücklich versichern, dass wir die Gesichter der Schüler nicht zeigen werden. Sie wollen in der Öffentlichkeit nicht als Juden erkannt werden. Solche Ängste gibt es immer mal wieder, doch selten war die Atmosphäre so gespannt. Bitterkeit auch bei der jüdischen Schulleiterin, die seit 26 Jahren in der FDP aktiv ist. Barbara Witting, Direktorin Jüdische Oberschule Berlin: "Ich bin sehr enttäuscht darüber, ich habe mich eigentlich immer wohl gefühlt in dieser Partei. Ich habe auch zum Teil sehr aktiv in dieser Partei mitgearbeitet und ich sehe für mich eigentlich keine Heimat mehr in dieser Partei."

Protest gegen die einseitige Kritik an Israel
Diskussion mit Passanten

Heftige Diskussionen auch in Düsseldorf. Die jüdischen Studenten protestieren am Wochenende gegen die, wie sie finden, einseitige Kritik an der israelischen Regierung. Sie sind keine vorbehaltlosen Anhänger der Scharon-Regierung, aber viele von ihnen haben Verwandte in Israel, um die sie sich wegen der Selbstmordattentate große Sorgen machen. Dabei kommt es auch zu Konfrontationen. Passant: "Wer mit schweren Waffen gegen wehrlose Leute vorgeht, das sind Verbrecher." Angi: "Wehrlose Leute? Ich bitte Sie, wehrlose Leute, das können Sie doch nicht wirklich glauben, dass das wehrlose Leute sind, die mit Bomben um ihren Körper auf die Straßen gehen und sich in die Luft sprengen. Das nennen Sie wehrlose Leute? Ich bitte Sie! Die wehrlosen Leute sind die, die in meinem Alter im Cafe sitzen, in die Diskothek abends gehen, das sind wehrlose Leute, und die dann sterben müssen."

 
Am nächsten Tag treffen sich die jüdischen Studenten am Rhein, sicherheitshalber in der Nähe einer Polizeistation. Mancher überlegt, was man jetzt noch tun kann. Für diesen Mittwoch ist eine Pro-Israel-Demonstration in Brüssel geplant mit Teilnehmern aus ganz Europa.
"Auswandern ist ein Thema"
Studentin Angi

Die anhaltende Kritik an der israelischen Politik stimmt viele misstrauisch. Andreas: "Auch Leute in Deutschland verstehen nicht ganz den Unterschied. Viele Deutsche unterscheiden nicht richtig zwischen Israelis und Juden. Die Linien sind da sehr dünn. Das heißt: Jemand, der scharfe Kritik an Israel übt, ist auch möglicherweise antisemitisch motiviert." Frontal21: "Auswandern, ist das bei Ihnen im Kopf?" Angi: "Auswandern ist ein Thema, auf jeden Fall. Wobei man sich jetzt auch überlegt, ob man wirklich nach Israel auswandern würde. Ich kuck eher in Richtung USA. Aber Auswandern ist auf jeden Fall ein Thema und ich glaube nicht, dass ich wirklich mein Leben in Deutschland verbringen werde. Man sitzt, so traurig das klingt, auf gepackten Koffern irgendwie."

Sekundärer Antisemitismus
Klaus Ahlheim

Nicht alle denken so, aber antisemitische Anschläge und die jüngsten Diskussionen haben Spuren hinterlassen. Wissenschaftler an der Universität Essen haben jetzt eine Studie zum Thema "Antisemitismus" vorgelegt. Über 2.000 Studenten aller Fachbereiche wurden befragt. Das Resultat stimmt nachdenklich. Klaus Ahlheim, Universität Essen: "Die wesentlichen Ergebnisse sind, dass ein großer Teil der zukünftigen Elite, der zukünftigen Intelligenz, einen Schlussstrich ziehen will, das sind nämlich 36 Prozent. Und dieses Schlussstrichdenken, wir wollen endlich in Ruhe gelassen werden, genug ist genug, ist eng verbunden mit antisemitischen Vorstellungen, die sich mit der Geschichte und der Geschichtspolitik auseinandersetzen, mit sekundärem Antisemitismus."

Frontal21: "Was ist sekundärer Antisemitismus?" Ahlheim: "Das ist die Meinung, die Juden würden es ganz gut verstehen, den Holocaust zu ihrem Vorteil und zu unserem Nachteil auszunutzen und uns dafür zahlen zu lassen." Laut der Studie will jeder fünfte Student an der Uni Essen einen Schlussstrich und ist gleichzeitig latent antisemitisch.

Das Thema FDP wird heftig diskutiert
Miriams Familie

Zurück in Berlin: Miriam und ihre Schwester Ruth sprechen und schreiben beide Hebräisch und Deutsch, denn ihre Mutter kommt aus Israel, der Vater ist deutscher Jude. Das Thema FDP und Antisemitismus wird in der Familie heftig diskutiert. Und auch den Bericht über den Besuch des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle in Israel schauen die fünf mit Spannung. Miriams Vater: "Ich bin ein wenig enttäuscht von Herrn Westerwelle. Ich hätte gehofft, dass er sich da etwas mehr durchsetzen kann. Wenn jetzt ein Politiker einer großen deutschen Partei letzten Endes solchen Tendenzen freien Lauf lässt, dann sage ich mal, machen sich viele Gedanken und sagen, es ist nur noch eine Frage der Zeit, weil wir letzten Endes vielleicht doch wieder dran sind. Ich habe im Moment nicht das Gefühl, ich glaube durchaus, wir leben in einem Rechtsstaat, wir leben in einem demokratischen Staat und ich bin mir sicher, dass die Masse unserer Bevölkerung auf demokratischer Basis hier fußt."

Miriam: "Also ich persönlich sehe die Lage hier vielleicht ein bisschen kritischer als meine Eltern. Vielleicht leben meine Eltern einfach schon so lange hier, um sich an das bisschen feindliche Klima hier schon gewöhnt zu haben. Aber für mich ist es immer wieder erschreckend, wenn ich von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Deutschland höre oder wenn ich so Aussprüche von Möllemann oder anderen Politikern höre. Mein Ziel ist es eigentlich nach Israel auszuwandern und das hier nicht mitzumachen." Unmittelbar nach dem Abitur will Miriam nach Israel übersiedeln, trotz Krieg und Terror. Eltern und Geschwister aber werden hier bleiben. Sie sind sich sicher, dass Juden in Deutschland auch in Zukunft ihren Platz haben werden.

hagalil.com 10-06-02

 


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