Dieser Artikel erschien
bereits im September 2001 in der
taz, aber das macht
ihn heute umso lesenswerter: "NPD-Verbot
kaschiert Untätigkeit"
Neonazi-Aussteiger Jörg Fischer warnt: Kein
Allheilmittel gegen Rechtsextremismus. Auch der "Aufstand der
Anständigen" habe wenig gebracht. Dagegen wäre die Auflösung des
Verfassungsschutzes ein "schwerer Schlag für die rechte Szene"
Interview PASCAL BEUCKER
taz: Herr Fischer, vor knapp einem Jahr rief Gerhard
Schröder zum "Aufstand der Anständigen" auf. Was ist davon aus Ihrer
Sicht geblieben?
Jörg Fischer: Ein gutes
Gewissen der Politik und eine Beruhigung der Bevölkerung, die sich
wieder mit anderem beschäftigt. Und geblieben sind die rechtsextremen
Anschläge, die keine große Aufmerksamkeit mehr erregen.
Mehr nicht?
Es gibt auch noch die uneffektiven und sonderbaren
Aussteigerprogramme der Bundes- und der Länderregierungen. Außerdem
natürlich das Verbotsverfahren gegen die NPD.
Das kritisieren Sie auch?
Nein, ich bin für ein Verbot der NPD. Allerdings ist das
kein Allheilmittel. Man darf nicht so tun, als ob ein Verbot dieser
Partei das Problem des Rechtsextremismus lösen würde. Man sollte das
Verbot nicht vor sich her tragen wie die Monstranz bei der katholischen
Prozession.
Auch Ihnen ist das Thema ein ganzes Buch wert.
Mir geht es um eine Repolitisierung der Diskussion, weil
ich die zurzeit für außerordentlich oberflächlich und unpolitisch halte.
Außerdem weise ich auf ein Versäumnis hin: Die NPD hätte längst verboten
sein müssen. 36 Jahre lang hat man nichts gegen sie unternommen, obwohl
seit ihrer Gründung 1964 eigentlich die Kriterien für ein Verbot erfüllt
sind. Denn sie ist eine Fortsetzung der NSDAP, das ergibt sich aus der
personellen Kontinuität und auch aus der Ideologie heraus. Nun
argumentiert die Bundesregierung, die NPD habe in den letzten zwei, drei
Jahren eine signifikante Veränderung durchlaufen, sei militanter und
neonazistischer geworden. Doch diese Argumentation dient nur dazu,
jahrzehntelange Untätigkeit zu kaschieren.
Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Ist es
nicht verständlich, wenn es nur mit großer Vorsicht angepackt wird?
Es ist nahezu ausgeschlossen, dass der Verbotsantrag
scheitert. Spätestens wenn der NPD-Verteidiger Horst Mahler sein
Plädoyer hält, ist klar, dass die Partei verboten wird. Da mache ich mir
keine Sorgen. Bei dem Antisemitismus, den er so von sich gibt, erinnert
er mich immer stärker an Julius Streicher. Aber ich sehe das NPD-Verbot
nur als ein Mosaiksteinchen, das in einen Katalog verschiedener
Initiativen und Aktionen eingebaut sein muss.
Woran denken Sie da?
An eine verstärkte Präventionsarbeit - und zwar nicht
nur dann, wenn das Thema Rechtsextremismus gerade in den Medien aktuell
ist. Außerdem wäre eine etwas schärfere Abgrenzung gegen rechts nicht
schlecht. So gibt es etwa in meinem früherem Wohnort Nürnberg eine
gemeinsame Anwaltskanzlei von Rolf Hartmann und der
CSU-Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl. Herr Hartmann ist jemand, der
die NPD schon sehr oft, sehr engagiert und sehr überzeugt vor Gerichten
vertreten hat. Ich kannte ihn aus meiner NPD-Zeit sehr gut, wir waren
oft in der Kanzlei. Ich konnte mich damals nicht beklagen: Er hat seine
Arbeit - vorsichtig formuliert - mit einem weit über das Normalmaß
reichenden Grad an Begeisterung gemacht, den man gewöhnlich für einen
Beruf hat, den man gerne ausübt.
Was sollte sonst noch getan werden?
Eine andere Maßnahme wäre der sinnvollere Einsatz von
staatlichen Geldern: für verstärkte Bildungsarbeit, für die
Förderung alternativer Jugendprojekte und zur Unterstützung von
Menschen, die sich gegen rechts engagieren. Das ist wesentlich besser,
als das Geld weiter in den Verfassungsschutz zu pumpen, dessen Auflösung
ohne Zweifel ein schwerer Schlag für die rechtsradikale Szene wäre, weil
dann ihr größter Arbeit- und Geldgeber auf einmal weg wäre.
taz Nr. 6541 vom 5.9.2001, Seite 8, 121 Interview PASCAL
BEUCKER
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