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Judentum und Israel
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Stellungnahme von Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Eine Frage von Anstand und Moral

 

Die enge Verflechtung zwischen der Stadt Hamburg und dem KZ Neuengamme ist in der Geschichte der Konzentrationslager beispiellos. Schon die Gründung dieses nach dem Prinzip "Vernichtung durch Arbeit" von der SS in den Hamburger Landgebieten 1938 eingerichteten Lagers geht auf die Initiative der Hansestadt zurück, die sich von dem Häftlingseinsatz den billigen Bezug von Klinkersteinen für die beabsichtigte Umgestaltung zur "Führerstadt" versprach. Während des Krieges mussten viele Tausende KZ-Häftlinge in städtischem Auftrag Aufräumungsarbeiten leisten oder in Rüstungsbetrieben und auf den Hamburger Werften für die Kriegswirtschaft schuften.

Auch für die Ereignisse bei der Auflösung des Lagers trägt die Stadt ein hohes Maß an Verantwortung. Für die aus berechtigter Sorge vor weiterer Zerstörung beabsichtigte kampflose Übergabe an die Briten wollte man die Stadt frei von "KZ-Elendsgestalten" wissen. Die Folgen waren Todesmärsche und die vom Hamburger Gauleiter initiierte Verbringung der letzten 10.000 Neuengammer Häftlinge auf als "schwimmende Konzentrationslager" dienende Schiffe (darunter das ehemalige Renommierschiff der Hamburg-Süd, die "Cap Arcona"). Das Kalkül ist aufgegangen: Britische Soldaten betraten am 5. Mai in Neuengamme ein menschenleeres Lager, das die dort begangenen Verbrechen weitgehend verbarg, während die Bilder, die u.a. zu Tode gemarterten Häftlinge des KZ Neuengamme zeigten, von Bergen-Belsen, Sandbostel und Wöbbelin aus in die Welt gingen und bis heute von den Schrecken der Konzentrationslager und der Shoah zeugen.

Von Hamburg ging hingegen die - erst in den 80er Jahren vollends als Lüge entlarvte - Legende aus, in der sich weltoffen gebenden Hansestadt sei es während der Nazi-Zeit weitaus gemäßigter zugegangen als anderswo. 

Dem Vergessen leistete auch die Nachkriegsnutzung des KZs zunächst als britisches Internierungslagers, ab 1948 als Hamburger Gefängnis Vorschub. Erst auf Drängen der in der "Amicale Internationale" zusammengeschlossenen Überlebenden wurden 1953 und 1965 - allerdings außerhalb des eigentlichen Lagergeländes - Mahnmale errichtet, die 1981 um ein erstes Ausstellungsgebäude ergänzt wurden. 

Nach langen und schmerzhaften Auseinandersetzungen beschloss der Hamburger Senat 1989 die Gefängnisverlagerung, damit die Würde des historischen Ortes, der einem großen Friedhof gleichkommt, nicht weiter durch die Nutzung für Vollzugszwecke überschattet bleibt. Hamburgs Bürgermeister Voscherau sprach angesichts der von einem sozialdemokratisch geführten Senat 1948 getroffenen Entscheidung von einem schweren Fehler und gestand "Unzumutbarkeit" ein. 

Anschließend waren über zehn Jahre notwendig, um mit dem Neubau einer Haftanstalt in Hamburg-Billwerder die Voraussetzung für die Verlagerung zu schaffen. Am Ende dieses schwierigen Entscheidungsprozesses zeigte sich über alle Parteigrenzen hinweg Einvernehmen: Am 5. September diesen Jahres beschloss die Hamburgische Bürgerschaft einstimmig, d.h. mit den Stimmen der CDU, die seit 1948 zu Haftzwecken genutzten KZ-Gebäude nach Fertigstellung des Gefängnisneubaus in die Gedenkstätte einzubeziehen und diese in drei Schritten mit Hilfe des Bundes in den Jahren 2002 bis 2006 zu einem "Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum" zu entwickeln. 

Nur einen Monat später droht diese Entscheidung und der 20jährige Diskussionsprozess Makulatur zu werden. Sind die drei Parteien, die in den Wahlen am 23. September die Mehrheit in der Bürgerschaft erreichten, wirklich willens, den in dieser – für Hamburgs historisches Selbstverständnis zentralen - Frage erreichten demokratischen Konsensus aufzukündigen? Will Herr von Beust, der als Erster Bürgermeister ab dem 31. Oktober die Verantwortung für die Stadt als Ganze tragen möchte, tatsächlich zulassen, dass die noch vor einem Monat von der von ihm geführten Fraktion in der Opposition einmütig eingenommene Position nun angesichts der von ihm gesuchten Koalition in der Regierung nichts mehr gilt? 

Will Herr von Beust seine Partei, die Stadt Hamburg und unser ganzes Land damit der Gefahr aussetzen, dass dies als Signal in der Welt missverstanden werden könnte, in Deutschland sei man heute unter dem Eindruck neuer politischer Strömungen bereit, die erreichten hohen moralischen Standards im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit einer Revision zu unterziehen? Mit der Frage steht nicht nur die Reputation Hamburgs, sondern auch die Glaubwürdigkeit deutscher Vergangenheitspolitik auf dem Spiel.

Wie kann in Berlin ein Mahnmal zur Erinnerung an den Judenmord in Europa entstehen, wenn in Hamburg weiterhin in KZ-Häftlingsunterkünften und auf dem Appellplatz, wo Menschen erschlagen, erhängt und auch vergast wurden, Strafvollzug praktiziert wird? Die neue Regierung muss sich fragen lassen, ob Hamburg weitere 50 Jahre Nutzen aus dem einstigen KZ ziehen will. Dies ist keine Frage in diffamierender Absicht, sondern eine Frage von Anstand und Moral. 

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird den ihr obliegenden Bildungsauftrag auch ohne Gefängnisverlagerung wahrnehmen. Sollten diejenigen, in deren Händen demnächst die Verantwortung für die Stadt liegt, aber bei ihrer Absicht des Weiterbetriebes des Gefängnisses im ehemaligen KZ verbleiben - was ich immer noch nicht glauben kann -, so stehen sie in der Pflicht, den Wortbruch der Stadt den heute noch ca. 1.000 in Ost- und Westeuropa, in den USA und in Israel lebenden ehemaligen Häftlingen des KZ Neuengamme, den vielen Zehntausenden Angehörigen der 55.000 Opfer und der internationalen Öffentlichkeit zu erklären.

Dr. Detlef Garbe, 17.10.2001

hagalil.com 23-10-01

 


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