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Judentum und Israel
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Frankreich:
Zuviel Schweigen angesichts des antisemitischen Ausbruchs

Von Marc Knobel, Forschungsbeauftragter im Simon-Wiesenthal Zentrum, stellvertretender Vorsitzender der LICRA (Ligue contre le racisme et l'antisémitisme)

(Libération, 12.11.2001, in Auszügen)

Seit nunmehr über einem Jahr haben 200 Überfälle die jüdische Gemeinde punktuell und regelmäßig aufgerüttelt... Am 22. Oktober 2000 erklärte der Innenminister seit Beginn der Aggressionen die Personalien von 55 Personen überprüft zu haben, von denen 38 Gegenstand gerichtlicher Verfahren wären. In allen Fällen handelte es sich um Jugendlichen aus den "banlieues" (Vororte)... Sechs von ihnen hatten die Inbrandsetzung der Synagogue von Trappes in dem Département Yvelines (um Paris) zu verantworten, zwölf wurden wegen Brandstiftungen gegen Läden, welche jüdische Besitzer haben, und vier wegen Gewalt gegen Personen jüdischer Herkunft verfolgt.

Damals war der Druck groß... Dieser Druck scheint später abgenommen zu haben, die Ermittlungen sind weniger geworden...

Im vergangenen Jahr haben wenige Politiker reagiert, als wären sie verlegen oder wenig geneigt... Hingegen ist es interessant, dieses zumindest verwirrende Schweigen der Anhäufung von Appellen nach den Attentaten vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten entgegenzustellen. Diesmal haben zahlreiche Politiker - und ich finde zurecht - unsere Mitbürger gewarnt, die Republik würde nicht zulassen, dass Muslime Rassismus oder Diskriminierungen erfahren und dass zwischen Islam einerseits und Islamisten andererseits keine Gleichsetzung erlaubt sei. Selbstredend hatten die Bürgermeister die Gemüter zu beruhigen und mussten dafür sorgen, dass die Sicherheit der jüdischen Institutionen und religiösen Stätten gewährleistet wird. Die öffentliche Meinung hat den schauderhaften antisemitischen Ausbruch zunächst ausschließlich der endemischen Gewalt, die häufig in den banlieues herrscht, zugeordnet. Von Mitte Oktober an hat sich die Lage jedoch verändert, nunmehr begreift man, dass es sich um bewusste Zielscheiben handelt.

Da die zweite Intifada auch ein Krieg der Bilder und der Symbole ist, wird die Macht der Bilder ihre Spuren hinterlassen. Diese Bilder prägen das Bewusstsein und diabolisieren den einen oder den anderen... Der Analyse von Smain Laacher zufolge, Soziologe an der École des hautes études en sciences sociales, über das Profil der Jugendlichen, die zur Tat übergeschritten sind, waren die im Fernsehen gesehene Bilder ausschlagebend. Laut Mehdi Lalloui, eine der Hauptfiguren des Marsches für die Gleichheit 1983, sehen diese Jugendliche äußerst gewaltsame Konfrontationen in Fernsehen, sie fühlen sich solidarisch, und, über den Weg der Gleichsetzung, greifen sie jüdische Symbole, mangels israelischer Zielscheiben, an.

Die Macht der Bilder wird von jungen muslimischen Bürgerinitiativlern, wie Ali Rahmi, von Rencontres et Dialogues in Roubaix (Nordfrankreich) ebenfalls herausgestellt. Der Regisseur Mehdi Lalloui, der seit über 20 Jahren in den banlieues arbeitet, erklärt: "Wir, die seit Jahren den Rassismus bekämpfen... hören in manchen Vereine inakzeptablen Reden. Die von manchen Bildern ausgelösten Gefühlen rechtfertigen keinerlei Entgleisung. Wir schulden es uns, die Dinge beim Namen zu nennen. Sicher sind diese Entgleisungen minoritär, doch wenn wir nichts sagen, ist das eine Botschaft, die wir den organisierteren Gruppen senden, die darunter verstehen: "wir können es machen". Eine bestimmte Form intellektuellen Komforts besteht darin, die Augen zu verschließen. Während des Golfkriegs haben wir sowas nicht erlebt. Es war uns gelungen, die Wut zu kanalisieren. Das müssen wir wieder schaffen..."

Am 18 Oktober 2001 hat der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Bourbakeur - der wegen seiner Gemäßigtheit und seiner Beteiligung am interreligiösen Dialog bekannt ist- im Radiosender RTL versichert, in der muslimischen Gemeinde Frankreichs sei die Stimmung "überhaupt nicht auf Aggression" ausgerichtet, während er zugleich zurecht ironisierte: "Sollte die muslimische Gemeinde Frankreichs propalästinensischer sein als selbst die Araber?". Gewiß. Doch die Solidarität dieser jungen Generation mit den Palästinensern, wenn es nicht gar Mimikry ist -Tragen des keffieh, Gleichsetzung der banlieues mit den besetzten Gebieten - ist heute unvergleichlich stärker als seinerzeit die Identifikation mit den bosnischen Moslems oder den Tschetschenen. Das ist die Generation der um Integration oder Wachstum Betrogenen. Diese Jugendlichen, verloren oder verlassen, suchen sich einen Standort zwischen der Alptraumwelt ihrer Trabantenstadt und dem "bled" (Dorf) einem imaginären oder realen Heimatort igendwo (Marokko, Tunesien, Algerien...), in einem Land, dem sie nicht mehr oder überhaupt nicht physisch angehören. Diese Identifikation geht jedoch noch tiefer. Ihrer Meinung nach herrscht auch eine Ungleichheit in dem eingräumten Statuten: "Die Juden sind immer die Opfer, die Araber sind immer diejenigen, die schlecht gemacht werden, ob hier oder dort."

....Diese Folge von Drohungen und Aggressionen, diese Radikalisierung, diese judenfeindlichen Reden sind eine Warnung. Es steht einigermaßen außer Frage, dass die Gewalt weitergehen wird. Niemand kann vorhersagen, was passieren wird, wenn die Militäroperationen in Afghanistan sich in die Länge ziehen oder sich festfahren. Niemand kann einschätzen, wie es um die verschiedenen Gemeinden bestellt sein wird, wenn im Nahen Osten sich die Situation brutal verschlechtert. Die Identifikation und die Spannung sind derart groß, dass die antijüdischen Taten und Überfälle, oder umgekehrt die antimuslimischen - denn die Gefahr ist genauso groß, dass es zu untolerierbarer antimuslimischer Gewalt kommt - sich zumindest fortsetzen oder sogar verschärfen werden.

Was werden unsere Politiker tun?

(...) Ich wette, dass solange kein Öl aufs Feuer gegossen werden wird, bis zu dem Augenblick an dem aus den Parolen Leiden wird, bis zu dem Moment, an dem Überfälle Tote nach sich ziehen werden. Wird es dann nicht zu spät sein?

Wir müssen an das fundamentale Prinzip erinnern: wir müssen alle voneinander lernen, miteinander leben, dieselben Rechte und dieselben Pflichten teilen und die Würde jedes einzelnen respektieren.

hagalil.com 14-11-01


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