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Ns-Kriegsverbrecher

Der Druck wächst

Seit über 30 Jahren ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen einen NS-Kriegsverbrecher. Ob es zu einem Prozess kommt, ist unklar.

von Andreas Speit


Die Erben der Partisanengruppen verfolgen mich«, sagte der frühere Gestapo- und SS-Kommandant von Genua, Friedrich Engel, im April dieses Jahres der römischen Zeitung La Repubblica. Im November 1999 war Engel vom Militärgericht Turin wegen 246-fachen Mordes in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der heute 92jährige Engel von 1944 bis 1945 in Genua drei Massaker an der Zivilbevölkerung, als so genannte Vergeltungsmaßnahmen für die Tötung deutscher Soldaten durch Partisanen in Ligurien und im südlichen Piemont, zu verantworten hat.

Am vergangenen Dienstag, also über 55 Jahre nach den Gräueltaten, gab der Hamburger Oberstaatsanwalt Martin Köhnke bekannt, dass ein hierzulande gegen den »mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrecher« laufendes Ermittlungsverfahren in »drei bis sechs Monaten« abgeschlossen sein könne. Reichlich spät, will man meinen. Immerhin ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft bereits seit 1969 gegen Engel.

Das Engagement der damaligen Ermittler währte jedoch nicht allzu lange. Noch im selben Jahr wurde das Verfahren »provisorisch eingestellt«, obwohl den bundesdeutschen Behörden Engels Vergangenheit damals schon bekannt gewesen sein dürfte. In den sechziger Jahren war er mehrere Male vernommen worden, erklärt das Bundesarchiv, das die Akten der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen aufbereitet. Engel habe demnach unter anderem in einem Verfahren gegen ehemalige Angehörige des Reichssicherheitshauptamtes ausgesagt, er selbst stand früher auf einer Fahndungsliste der Vereinten Nationen. Warum das Verfahren damals eingestellt wurde, vermag Rüdiger Bagger, der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, nicht zu erklären. Weder seien die Akten von damals auffindbar, noch könne der Sachbearbeiter sich erinnern.

Jetzt aber, mit 32 Jahren Verspätung, will die Hamburger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den »Schlächter von Genua« rasch beenden, dann soll darüber entschieden werden, ob Anklage erhoben wird. Man stehe kurz vor dem Abschluss der Auswertung, sagt Köhnke, als ob die italienische Justiz nicht schon genügend Vorarbeit geleistet hätte. Die Turiner Richter sahen es als erwiesen an, dass der frühere SS-Oberstleutnant im April 1944 die »Bandenaktionen« gegen Partisanen im Kloster Benedicta befohlen hat. Damals wurden 147 Zivilisten erschossen. Ebenso soll er im März 1945 an der Erschießung von 18 Geiseln in dem Dorf Cravasco bei Genua beteiligt gewesen sein.

Nach Kriegsende kam Engel in ein US-amerikanisches Lager, und die amerikanischen Behörden boten Italien die Auslieferung des »Kriegsverbrechers« an. Aber in den Nachkriegswirren kam kein solcher Antrag aus Rom. 1947 floh Engel dann aus der Gefangenschaft, kehrte nach Hamburg zurück und arbeitete dort als Holzkaufmann. 

Für den Militärhistoriker Gerhard Schreiber gehört Engel zu den »Gewinnern des Kalten Kriegs«. Anfang dieses Jahres berichtete das ARD-Magazin »Kontraste« über Engel, der seit 56 Jahren unbehelligt in Hamburg-Lokstedt lebt. Wohl auch deshalb musste Oberstaatsanwalt Köhnke kürzlich eingestehen: »Wir merken, dass der Druck wächst.« Von einem »mangelnden Strafverfolgungsinteresse« möchte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Bagger, immer noch nicht reden. Wegen Presseberichten über die von der Militärstaatsanwaltschaft Turin geführten Ermittlungen habe ein Sonderdezernat bereits im Oktober 1998 zu ermitteln begonnen und die italienischen Behörden um Rechtshilfe ersucht. Allerdings räumt Bagger ein, bei der von der italienischen Justiz gewünschten Amtshilfe zum Prozess habe die zuständige deutsche Staatsanwaltschaft »nicht alles getan, was man hätte tun sollen«.

Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft bei Engel eine Hausdurchsuchung durchgeführt, wobei »zahlreiche Unterlagen sichergestellt« wurden, und ihn zu fünf Vernehmungen vorgeladen. Über die Ergebnisse macht die Staatsanwaltschaft keine Angaben. »Der Beschuldigte verhielt sich kooperativ«, erklärte Bagger, er sei »klar bei Verstand«.

Engel, dem die »Säuberungsaktionen« den Beinamen »Henker von Genua« eingebracht haben, will von den Vorwürfen nichts wissen. Nach dem Turiner Urteil erklärte er, dass »die Italiener erst mal vor ihrer eigenen Tür kehren« sollten und dass der Vorwurf, 246 Italiener getötet zu haben, eine Lüge sei. Nur an die »Turchino-Aktion« erinnere er sich. »Die Maßnahme« sei »eine Reaktion auf einen Anschlag auf das deutsche Soldatenkino in Genua« gewesen, wobei »sechs deutsche Marinesoldaten getötet« wurden, erzählt Engel.

Als »Vergeltung« führte die SS 59 Zivilisten, die wegen anderer Straftaten oder Aktionen verhaftet worden waren, aus dem Stadtgefängnis von Marassi in die Schlucht von Torchino, wo sie von SS- und Marineeinheiten erschossen wurden. »Ich möchte betonen«, führt Engel aus, »dass diese 59 Italiener Märtyrer waren. Sie weinten nicht, sie schrieen nicht, sie flehten nicht um Gnade.« Engel gibt zwar zu, für die »Turchino-Aktion« »mitverantwortlich« gewesen zu sein, aber nicht »mitschuldig«. Es tue ihm leid, betonte er immer wieder gegenüber der Presse, aber zu bereuen habe er nichts: »Ich bin einem Befehl gefolgt.«

Die jüdische Gemeinde Italiens fordert derweil Engels Auslieferung, und die italienische Regierung hofft zumindest auf seine Festnahme in Deutschland. »Die Verbrechen dürfen nicht unbestraft bleiben«, sagt Italiens Justizminister Piero Fassino. Ob Engel in Deutschland jemals verurteilt wird, ist wegen seines hohen Alters ungewiss. Sicher ist nur, dass er trotz der Verurteilung zu lebenslanger Haft nicht nach Italien ausgeliefert wird.

Das Grundgesetz untersagt die Auslieferung Deutscher, die im Ausland wegen Straftaten verurteilt wurden. Eine Verdunklungs-, Wiederholungs- oder Fluchtgefahr als Haftgrund sei auch nicht gegeben. »In Deutschland ist er am sichersten, warum sollte er fliehen?« fragt Bagger. »Jedes andere Land könnte ihn bei einem Haftbefehl Italiens dorthin ausliefern.«

 hagalil.com 31-10-01

 


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