Die Stille Hilfe
Püppis Kameraden
Von Andrea Röpke
Seit 50 Jahren sorgt sich der SS-Veteranenverein
Stille Hilfe um das Wohl von NS-Kriegsverbrechern. Prominentestes
Mitglied: Gudrun Burwitz, Tochter Heinrich Himmlers. Jetzt hat die
Organisation offenbar eine neue Klientel entdeckt: junge
Rechtsextremisten.
"Wo waren Sie im Krieg? Bei welcher Einheit haben Sie
gedient?", fragt sie streng. "5. SS-Panzer-Division Wiking", antwortet
Vagner Kristensen zackig. "Freiwilliger in der Dänischen Waffen-SS?"
"Jawoll!" Die Frau verzieht keine Miene. Ihre grauen Haare sind zu einem
Dutt geformt; an ihrer Bluse haftet eine große silberne Brosche, auf der
vier Pferdeköpfe im Kreis angeordnet sind. Sie ergeben ein Hakenkreuz.
Vagner Kristensen nimmt Haltung an. Ihm ist nicht entgangen, dass sie
die gleichen eisblauen Augen hat wie ihr Vater. Die Frau, die vor ihm im
Hotel Rosenheim in Krumpendorf in Kärnten sitzt, ist Gudrun Burwitz. Die
Tochter des früheren Reichsführers SS, Heinrich Himmler.
Für "Püppi", wie Himmler seine Tochter gern nannte,
ist der Vater noch heute ein Held - auch wenn er Millionen Morde zu
verantworten hat. Und Heinrich Himmler wiederum wäre vermutlich mächtig
stolz auf seine "Püppi", wüsste er, wie engagiert sie sich um diejenigen
kümmert, die für ihn damals gemordet haben. Denn Gudrun Burwitz ist eine
der tragenden Säulen des Vereins Stille Hilfe für Kriegsgefangene und
Internierte e.V.. Hinter dem anrührenden Namen verbirgt sich eine
verschworene Gemeinschaft von früheren Nationalsozialisten und
ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, die gemäß des Wahlspruchs der SS,
"Unsere Ehre heißt Treue", nach Kriegsende halfen, gesuchte SS-Schergen
ins Ausland zu schleusen.
Heute kümmert sich der Verein, dessen Mitgliederzahl
unbekannt ist, um inhaftierte NS-Kriegsverbrecher, besorgt Anwälte und
Geld für die Angehörigen. So auch im Fall des früheren SS-Manns Anton
Malloth, der gerade in München vor Gericht stand und sich seit seiner
Abschiebung nach Deutschland vor über zehn Jahren der persönlichen
Unterstützung der Himmler-Tochter erfreut. Sie verschaffte ihm sogar
einen Platz in einem Altenheim in bester Münchner Lage. Zum Dank hat
Malloth die Himmler-Tochter in seinem Testament bedacht.
Obwohl Gudrun Burwitz nur einfaches Mitglied ist,
regiert sie den SS-Verein sozusagen per Ahnenrecht. Standesgemäß wird
sie bei den Veranstaltungen der Alt- und Jungnazis behandelt, so bei der
alljährlich im Frühjahr stattfindenden Gedenkfeier der Kameradschaft
Freikorps und Bund Oberland auf dem Annaberg bei Schliersee oder beim
jährlichen Treffen der SS-Veteranen im österreichischen Krumpendorf bei
Klagenfurt am Wörthersee. Nach dem offiziellen Teil wird hier bei Bier
und Blasmusik in geselliger Runde am rechten Netzwerk gesponnen. Die
Himmler-Tochter ist die Prinzessin dieser Gesellschaft. Manchmal hält
sie regelrecht Hof.
Nur handverlesene Kameraden werden zu ihr vorgelassen.
Darauf achten alte Kameraden wie der frühere SS-Hauptsturmführer Sören
Kam. Bereits als 20-Jähriger meldete sich der Däne 1941 freiwillig zur
Waffen-SS und kämpfte dann für Hitler-Deutschland an der Ostfront. In
dem Verherrlichungsbuch Die SS-Panzerdivision Wiking wurde ihm später
ein Denkmal gesetzt. Der blonde 1,90-Meter-Hüne mit der SS-Nr. 456059
wird darin als großes Vorbild geschildert: "Die Männer unter
SS-Obersturmführer Sören Kam durchkämmen das Gebiet. Wo immer seine
Norweger, Dänen und Finnen durchgezogen sind, gibt es keine Sowjets
mehr."
Aber auch auf Heimaturlaub ließ Kam das Morden nicht
sein. 1944 erschoss er in Kopenhagen einen missliebigen Journalisten,
weshalb er ab 1945 in Dänemark weit oben auf der Liste der gesuchten
Kriegsverbrecher stand. Kam setzte sich nach Deutschland ab, wo er
jahrelang unter falschem Namen lebte und es ihm sogar gelang, die
deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, die ihn fortan vor der
Auslieferung nach Dänemark schützte. Kritisch mustert Kam, der stolz
sein Ritterkreuz trägt, die jungen und alten Kameraden, bevor er
entscheidet, wer zur Audienz bei der Tochter Himmlers vorgelassen wird.
Vagner Kristensen, ebenfalls ehemaliger Freiwilliger
in der SS-Division Wiking, bekommt problemlos Zugang, schließlich hat er
sich auch nach Kriegsende als treuer Kamerad erwiesen. Der Däne half
damals, untergetauchte SS-Schergen und gesuchte Kriegsverbrecher über
Dänemark nach Schweden zu schleusen, von wo aus sie sich per Schiff nach
Südamerika absetzen konnten. Kristensen arbeitete in einer Gärtnerei,
nahe der deutsch-dänischen Grenze. Wenn ein Kunde dort eine Phalaenopsis
verlangte, wusste er, dass es sich um einen Kameraden handelte. Der Name
dieser Orchideen war das Kodewort. Auf diese Weise hat Kristensen im
Herbst 1946 beispielsweise Johannes von Leers, Chefideologe des
Reichspropaganda-Ministeriums und zuständig für "Rassenfragen", kennen
gelernt und ihm zur Flucht verholfen.
Aus dieser organisierten Fluchthilfe, die auch
SS-Schergen wie Erich Priebke oder Klaus Barbie nutzten, um sich nach
Südamerika abzusetzen, ist die Stille Hilfe für Kriegsgefangene und
Internierte e.V. hervorgegangen. Unter diesem Namen wurde die
Organisation erstmals am 15. November 1951 in das Vereinsregister
Wolfratshausen unter Nr. VR 43/51 eingetragen. Wenige Wochen zuvor, am
7. Oktober 1951, hatten sich ehemalige hochrangige SS-Offiziere mit
Würdenträgern der evangelischen und katholischen Kirche zur
Gründungsversammlung getroffen. Laut Satzung verfolgt der Verein das
Ziel, "in stiller tätiger Hilfe allen denjenigen (zu) helfen, die
infolge der Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit durch
Gefangennahme, Internierung oder ähnliche, von ihnen persönlich nicht zu
vertretende Umstände ihre Freiheit verloren haben".
Von dieser Fürsorge profitierten Kriegsverbrecher wie
Gottfried Weise, der im Konzentrationslager in Auschwitz gemordet hat,
oder Josef Schwammberger, der als Lagerleiter in den polnischen Städten
Rozwadow und Mielec sowie als Kommandant des Ghettos Przemysl
verantwortlich für zahllose Morde gewesen ist. Die Stille Hilfe hat aus
diesen Tätern Opfer gemacht. Im Vereinsjargon heißen NS-Massenmörder
stets nur "Kriegsverurteilte", für die alles unternommen wird, um
Begnadigungen durchzusetzen.
Dazu nutzen die "Stillen Helfer" auch ihre teils engen
Kontakte zu prominenten Mitgliedern der Unionsparteien. Franz Josef
Strauß war ein guter Bekannter des rechtsextremen Rechtsanwalts Rudolf
Aschenauer. Zu Alfred Dregger, von 1982 bis 1991 CDU-Fraktionschef im
Bundestag, hat der Verein offensichtlich einen guten Draht. Am 20.
Februar 1989 jedenfalls Dregger schreibt an die "Stillen Helfer": "Sie
haben mich in der Vergangenheit um Unterstützung der Bemühungen zur
Freilassung der beiden letzten deutschen Kriegsverurteilten in Breda
gebeten." Und weiter: "Ich begrüße ausdrücklich die Freilassung der
beiden Männer." Bei den beiden "Kriegsverurteilten", wie sich Dregger
ganz im Stile der Stillen Hilfe ausdrückte, handelte es sich um
SS-Hauptsturmführer Ferdinand Hugo aus der Fünten, verantwortlich für
die Deportation von mehr als 100 000 Juden aus den Niederlanden, sowie
um Franz Fischer, einen für seinen Sadismus berüchtigten
SS-Sturmbannführer.
Doch die Stille Hilfe kümmert sich nicht nur um
ehemalige Nationalsozialisten, sondern sammelt auch Geld für die braune
Bewegung und betreibt systematisch Nachwuchsarbeit - weitgehend
unbeachtet von der Öffentlichkeit und unbehelligt von den
Verfassungsschutz-Behörden. Die Organisation, die über 40 Jahre als
gemeinnütziger Verein eingetragen war, hat in dieser Zeit ein kleines
Vermögen angesammelt. Neben Erbschaften stammt das Geld überwiegend aus
Spenden, wobei ein jährliches Spendenaufkommen von über 150 000 Mark
nicht selten ist. Geld, das potenziell nicht nur alten, sondern auch
jungen Nazis zur Verfügung steht.
"Für den Fall, dass einmal die Aufgabe der Stillen
Hilfe beendet sein sollte, was augenblicklich allerdings noch nicht
abzusehen ist, haben wir dafür gesorgt, dass auch dann unser
Restvermögen in die richtigen Hände gelangt", schreibt der
Vereinsvorsitzende Horst Janzen jedenfalls in einem vertraulichen Brief.
Und manche Mitglieder der Stillen Hilfe kümmern sich persönlich um den
braunen Nachwuchs. Der rechtsextreme Anwalt und braune Multifunktionär
Jürgen Rieger etwa ist ein politischer Ziehsohn des
Stille-Hilfe-Mitglieds Gertrud Herr.
Herr, die frühere Funktionärin im Bund Deutscher Mädel
(BDM), referiert gerne bei Schulungsveranstaltungen von
Neonazi-Organisationen: "Ich habe einen Verwandten gehabt, der ist
Vertrauensarzt gewesen in Auschwitz. Und den haben wir ja auch genügend
bekniet. Und er sagte, ach, gar kein Gedanke daran. Er sagte auch warum:
Wir haben doch die Hände dieser Menschen gebraucht. Von welcher Rasse
die waren, war uns doch egal. Es ging um unsere Rüstung und um weiter
nichts und damit die die Rüstung leisten konnten, sind sie so gut
behandelt worden, wie es die Kriegsverhältnisse nur zuließen. Sie haben
eine bessere Verpflegung gehabt als das Zivil. Die haben alles gehabt,
was zur leiblichen und körperlichen Notdurft von Menschen gehört, um
leistungsfähig zu bleiben für den Krieg. Weiter hat uns nichts
interessiert."
In Auschwitz, erzählt Gertrud Herr, habe kein "Mensch
einen Menschen absichtlich umgebracht". Sie wisse, was ein KZ war,
versichert Gertrud Herr ihren jungen Zuhörern. "Das, was in Deutschland
war, mein Gott, das ist direkt albern, darüber zu reden." Tote habe es
mitunter auch gegeben, denn "die brachten Seuchen mit rein von draußen".
Wegen dieser Seuchengefahr habe man die Leichen verbrennen müssen.
"Weiter ist da wirklich nichts gewesen ..."
"Die Stille Hilfe hatte immer eine Vorbildfunktion für
die rechte Szene", sagt einer, der es wissen muss: Christian Worch,
mehrfach vorbestrafter Neonazi, Anführer des militanten Flügels der
rechtsextremen Bewegung. Der gelernte Notargehilfe koordiniert
bundesweit Aufmärsche und Veranstaltungen. Worch, der schon
Gefängnisstrafen absitzen musste, war vor allem berüchtigt als
Rädelsführer der so genannten Anti-Antifa-Kampagne, bei der missliebige
Gegner, etwa Politiker, Journalisten aber auch Richter, Staatsanwälte
und Polizisten, observiert und deren Adressen und sonstige Angaben
gesammelt wurden. Die Daten veröffentlichte Worch anschließend in der
von ihm herausgegebenen rechtsextremen Zeitschrift Index.
Die Stille Hilfe dient auch als Modell für die
Gründung jüngerer brauner Gruppen. Beispiel: die Hilfsorganisation für
nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG), mit
vermutlich über 1000 Mitgliedern die größte Neonazi-Organisation
Deutschlands. Seit dem Verbot einiger Nazi-Parteien und -Organisationen
im Jahre 1995 versammelt sich die braune Szene verstärkt unter dem Dach
der seit 1979 bestehenden HNG. Wie die Gründer der Stillen Hilfe haben
auch die HNG-Aktivisten die Vereinsstruktur als Organisationsform
gewählt. Schließlich hat laut Artikel 9 des Grundgesetzes in der
Bundesrepublik jeder das Recht, einen Verein zu gründen.
Die Vereinsform hat Vorteile: Über ihr
Spendenaufkommen muss die HNG - wie ihr Vorbild Stille Hilfe - der
Öffentlichkeit keine Rechenschaft ablegen, im Gegensatz zu Parteien ihre
Großspender nicht nennen. Für die Eintragung ins Vereinsregister hat
deshalb die HNG ihre Satzung entsprechend frisiert und ihre eigentliche
Gesinnung hinter einem karitativen Anstrich versteckt: "Die HNG verfolgt
ausschließlich und unmittelbar karitative Zwecke, indem sie nationale
politische Gefangene und deren Angehörige im Rahmen der ihr zur
Verfügung stehenden Mittel unterstützt."
Was das in der Praxis bedeutete, demonstriert die HNG
mit ihrer Unterstützung für die "Kameraden aus dem nationalen
Widerstand", wie die inhaftierten Neonazis bei ihnen heißen, die nach
dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen 1992
festgenommen worden sind. Der Verein betreut ausdrücklich Häftlinge, die
"Brandanschläge auf Asylantenunterkünfte, Körperverletzung und andere
Straftaten aus ihrer politischen Überzeugung heraus begangen haben", wie
der Verfassungsschutz Hamburg feststellt.
"1945 hätte ich nicht gedacht", sagt die "Stille
Helferin" Gertrud Herr heute, "dass es noch einmal so gut für uns laufen
würde."
Von Andrea Röpke und Oliver Schröm erschien in diesem
Jahr im Berliner
Christoph-Links-Verlag das Buch
Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und
Neonazis. Ein Inside-Report.
klick-nach-rechts.de
08.08.2001 |