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Judentum und Israel
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Buchbesprechung

Kritische Theorie über den Antisemitismus

Bereits im Jahr 1998 erschien „Kritische Theorie über den Antisemitismus“ von Lars Rensmann, mit welchem der Berliner Wissenschaftler einen wichtigen Beitrag zur neueren Rezeption der Antisemitismustheorie derjenigen leistete, die gemeinhin unter den Begriff Frankfurter Schule eingeordnet werden.

Antisemitismus wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung allgemein empirisch-beschreibend untersucht. Dabei begleiten theoretische Annahmen lediglich die Untersuchungen, haben folglich eher den Charakter des Zweitrangigen. Rensmann versucht entgegen diesem Trend an das Denkgebäude der Kritischen Theorie anzuknüpfen, die wohl das komplexeste Instrument bietet den modernen Antisemitismus in seiner Genese und seinen Wurzeln zu theoretisch zu erklären.

Vor allem von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Leo Löwenthal, aber auch der frühe Erich Fromm versuchten in ihren Arbeiten die Vorstellung „eines „ewigen Antisemitismus“ zu widerlegen. Stattdessen galt ihnen der Antisemitismus als „...eine politisch-psychologische Form des sozialen ‚Kitts’ der modernen kapitalistischen Gesellschaft...“ der sie sich ...“mit Kategorien psychoanalytischer und kritisch-dialektischer Theorie nach Freud und Marx zu nähern suchen...“ (Rensmann).

Seinem selbst gesetzten  Anspruch folgend, referiert Lars Rensmann nicht ausschließlich die Kernstücke der Kritischen Theorie und deren zentralen Bezugspunkt, die Freudsche Psychoanalyse. Rensmann problematisiert beispielsweise die Position, welche Freud in seinen Schriften den Frauen zuweist und weist, unter Bezug auf die feministische Psychoanalyse,  auf die Notwendigkeit hin die Kategorien „Vater und Mutter im Wesen als soziale wie sozial gewordene Funktionen/Rollen zu verstehen“ (Rensmann ).

Im Zentrum des ersten Teils der „Kritischen Theorie über Antisemitismus“ steht die Analyse der psychologischen und gesellschaftlichen Bedingungen zur Entstehung des autoritären Charakters. Jenen, mit Ich-Schwäche und mangelnder Integration des Über-Ich, behafteten Typus und seine Entstehung gilt es zu verstehen, wenn man die Grundlagen des antisemitischen Wahns sucht.

In das antisemitische Bild vom Juden werden vom autoritären Individuum „verdrängte, verhasste und destruktiv verzerrte Wünsche nach Macht- und Triebentfesselung einerseits, Glück und Freiheit andererseits ebenso projiziert wie die Verantwortung für all diejenigen widersprüchlichen Elemente der Moderne, die in durch die Moderne autoritär zugerichteten Subjekten mit Aggression besetzt werden. Juden fungieren insofern sowohl als Exponenten der Zivilisation als auch dessen, was in der Zivilisationsgeschichte ausgegrenzt und unterworfen wurde.“ (Rensmann). Oder mit den Worten von Adorno und Horkheimer aus der „Dialektik der Aufklärung“: Die Juden...“gelten (...) der fortgeschrittenen Zivilisation für dumm und zurüchgeblieben und allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für gescheit und dumm.“

In diesem ersten Kapitel werden von Rensmann  ausschließlich jene Teile der Kritische Theorie behandelt, die dem Autor für eine Erklärung gegenwärtiger Zusammenhänge als theoretisch relevant erscheinen.

Das zweite Kapitel von Lars Rensmanns Arbeit rekonstruiert die theoretischen Reflexionen der ‚Frankfurter Schule’ zum modernen Antisemitismus. Hier wird vor allem auf die Dialektik individueller und gesellschaftlicher Prozesse verwiesen: „Nationalistische Selbstkonstruktionen und antisemitische Fremdprojektionen sind (...) zu begreifen als autoritäre Rebellion der unterdrückten, von gesellschaftlicher Herrschaft entstellten Natur im Dienste noch autoritärer Herrschaft und der (selbst)zerstörerischen Verfolgung von all denjenigen ‚Anderen’, die sich vermeintlich oder real dem sozialen Konformitätsdruck entziehen.“ (Rensmann)

Wie weit die Kritische Theorie einen Beitrag für eine aktuelle politische Theorie zu leisten vermag wird im dritten Teil des Buches diskutiert. Der Autor geht hier vom sekundären Antisemitismus aus, jener spezifisch deutschen Form des Antisemitismus ‚wegen Auschwitz’. Hier steht die nicht erfolgte Aufarbeitung der narzisstischen und autoritaristischen Beschädigungen der Deutschen im Mittelpunkt, die sie für eine Identifizierung mit der vermeintlichen Allmacht von Führer, Vaterland und ‚arischer Rasse’ überhaupt erst anfällig machte. Nach Rensmann scheinen im  sekundären Antisemitismus die alten Vorurteile durch, wie auch die gleichen gesellschaftlichen und individuellen Herleitungen. Dies gilt nicht zuletzt für das Bedürfnis des beschädigten Individuums „...nach einer kollektiv-narzisstischen Erhöhung durch die Identifikation mit der deutschen Nation“ (Rensmann).

In seiner Schlussbetrachtung plädiert Lars Rensmann für eine Ergänzung, Revision und Aktualisierung der Kritischen Theorie. Dies gilt ihm zufolge vor allem für die Freudschen Annahmen der Triebstruktur, aber auch für die Untersuchung historischer Besonderheiten einer nationalstaatlichen politischen Kultur, welche eine Leerstelle in der Kritischen Theorie darstellt.

Lars Rensmann ist es sicherlich gelungen ein wissenschaftliches Standardwerk zum Thema zu verfassen. Es ist sicherlich kein Buch für diejenigen, welche nach einfachen, dualistischen Betrachtungen im Sinne eines ‚Gut und Böse’-Schemas suchen. Eine Handlungsanleitung für einen ‚Aufstand der Anständigen’ kann und will die Kritische Theorie nicht bieten. Zu sehr sind wir alle in gesellschaftliche Strukturen und eine entsprechende Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur verwoben. Will man jedoch die Strukturen des Antisemitismus und damit jene der Moderne, jenseits aller Effekthascherei, verstehen, dann liefert „Kritische Theorie über den Antisemitismus“ dazu einen Ansatzpunkt.

Lars Rensmann: Kritische Theorie über den Antisemitismus; Argument Verlag, 368 Seiten; DM 49,80

Weitere Veröffentlichungen:

Umkämpftes Vergessen von Micha Brumlik, Hajo Funke, Lars Rensmann 2000; Verlag: Das arabische Buch; DM 24,80

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16.09.2001

 


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