antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
Nazis in München:
Nur Gewalt wird zum Problem

von Thies Marsen
(aus: jungle world 29)

München toleriert seine Rechtsextremen, solange sie nicht prügelnd durch die Straßen ziehen. Denn das passt nicht ins Bild der weltoffenen Metropole. 

Glaubt man der lokalen Presse und den hiesigen Politikern, dann ist in München seit der Nacht auf den 13. Januar 2001 alles anders. Damals prügelten rund 50 Skinheads einen 31jährigen Griechen halb tot und damit die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf. Dass das Opfer überlebte, ist dem beherzten Eingreifen von fünf Türken zu verdanken.

Die Männer griffen die Nazis an und lenkten die Schläger dadurch so lange ab, bis die von den Anwohnern verständigte Polizei eintraf. Derzeit stehen drei der Täter vor dem Münchner Landgericht. Je länger der Prozess dauert, desto mehr Details über das braune Netzwerk in München kommen ans Licht. Bis zu dem Überfall war man sich in der bayerischen Landeshauptstadt stets sicher, dass es dort mit dem Rechtsextremismus gar nicht so schlimm sei.

Als 1999 einem Italiener von Nazis die Schädeldecke zertrümmert wurde, war das ein bedauerlicher Einzelfall und galt als Streit unter Jugendlichen. Als sich rechtsextreme Übergriffe häuften, wurden die Täter von der Lokalpresse und den Behörden schnell als Zugezogene aus Ostdeutschland identifiziert. Und als 1997 anlässlich der Wehrmachtsausstellung über 6 000 militante Neonazis durch die Stadt marschierten, versicherte der SPD-Oberbürgermeister Christian Ude sich und seinen Münchnern, dass die Nazis schließlich Auswärtige und die linken Gegendemonstranten mindestens genauso schlimm seien. 

In München zeigt man sich gegenüber allem, was rechts ist, besonders tolerant, jedenfalls solange es nicht allzu sehr lärmt und schmutzt. Für die Nadelstreifen-Nazis ist die Stadt schon lange ein beliebter Rückzugsort, wo man in Ruhe seinen Geschäften nachgehen kann. Der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey hat dort seine Parteizentrale samt Verlagsimperium angesiedelt und die Stille Hilfe - eine Hilfsorganisation für einstige SS-Leute, die von Gudrun Burwitz, einer Tochter Heinrich Himmlers, geführt wird - unterstützt von München aus Kriegsverbrecher und Massenmörder mit Geld und Anwälten.

Und im Voralpenland, direkt vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt, zwischen Ammersee und Starnberger See, sind gleich mehrere rechtsextreme Verlage ansässig. So richtig gestört hat das bisher kaum jemanden. Doch kahlrasierte Neonazis, die Ausländer durch die Straßen prügeln, möchte man im ach so weltoffenen München nicht haben. So war die Aufregung über den Nazi-Überfall im Januar dann auch groß.

Die 50 bis 60 Skinheads aus ganz Deutschland hatten in der Gaststätte Burg Trausnitz in der Münchner Zenettistraße eine Geburtstagsparty gefeiert. Unter ihnen war auch Marie-Anna von Papen, eine Nachfahrin von Adolf Hitlers Steigbügelhalter Franz von Papen. Kurz nach Mitternacht pöbelte die 17jährige vor dem Lokal den zufällig vorbei kommenden Griechen Artemios T. an und beschimpfte ihn als »Ausländer-Arschloch«. Binnen kürzester Zeit war der 31jährige von Nazi-Skins umringt, die ihn zu Boden prügelten und auf ihn eintraten.

»Heute ist der Tag, an dem du sterben musst«, drohten sie. Als dem Griechen fünf Türken zur Hilfe eilten, stürmten die restlichen Nazis aus der Gaststätte. Erst das Eintreffen der Polizei stoppte  die braune Hetzjagd. Doch so zufällig und spontan, wie der Vorfall auf den ersten Blick erscheint, war er beileibe nicht. Die Burg Trausnitz ist schon lange als Neonazi-Treffpunkt bekannt. Der rechtsextreme Freizeitverein Isar 96 hielt hier regelmäßig seinen Stammtisch ab - unter den Augen des bayerischen Verfassungsschutzes, der auch in der fraglichen Nacht vor Ort war. Statt jedoch die Polizei über die Nazi-Party zu informieren, blieben die Verfassungsschützer lieber still am Nebentisch sitzen. 

Inkompetent bis skandalös war auch das Verhalten der Münchner Polizei. Der mutmaßliche Haupttäter, der 19jährige Nazi-Skin Christoph Schulte, war längst schon zur Fahndung ausgeschrieben, als er am Morgen nach dem Überfall im Münchner Polizeipräsidium auftauchte, um seine Freundin Marie-Anna von Papen zu besuchen. Die Beamten nahmen seine Personalien auf und ließen ihn wieder laufen. Kurz darauf tauchte Schulte unter. Erst drei Wochen nach der Tat verhaftete ihn ein Sondereinsatzkommando der niederländischen Polizei in Rotterdam, als er gerade dabei war, sich ins belgische Antwerpen abzusetzen. 

Dass es Schulte, der als brutaler Schläger bekannt ist, gelingen konnte, sich so lange zu verbergen und ins Ausland zu fliehen, verdankt er seinen guten Verbindungen zur nationalen und internationalen Nazi-Szene. Schulte ist mutmaßlicher Anführer der Iserlohner Kameradschaft, für die NPD trat er bei den Kommunalwahlen 1999 im Märkischen Kreis an. Nach Angaben der Antifa-Zeitschrift Der rechte Rand verfügt er über beste Kontakte zur militanten Sauerländischen Aktionsfront und zu der rechtsextremen niederländischen Partei Nederlandse Volks-Unie. Im vergangenen Jahr trat Schulte zudem als Ordner bei Demonstrationen der Freien Kameradschaften auf, er gehörte bei zwei Aufmärschen im Herbst in Dortmund zum Organisatorenkreis um den norddeutschen Neonazi-Anführer Christian Worch. 

Der Vorfall vor der Burg Trausnitz und Schultes anschließende Flucht werfen jedoch nicht nur ein Schlaglicht auf das engmaschige Netz militanter Neonazis, sie zeigen auch, wie eng die Verbindung zwischen der intellektuell ausgerichteten so genannten Neuen Rechten und ihren prügelnden Hilfstruppen längst ist. Denn einer der Veranstalter der Geburtstagsparty war Reinhard Mehr, Mitglied der Münchner Burschenschaft Danubia, einer Korporation, die seit langem eine zentrale Rolle bei der Formierung der Neuen Rechten spielt. 

Im Haus der Danubia wurde 1961 die Burschenschaftliche Gemeinschaft gegründet, die vor Jahren schon die Meinungsführerschaft innerhalb des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft übernommen hat und die inzwischen rund 40 rechtsextreme Verbindungen aus Deutschland und Österreich umfasst, wie zum Beispiel die Burschenschaft Olympia Wien, die in den sechziger Jahren wegen ihrer Verbindungen zu separatistischen Terroristen in Südtirol zeitweilig verboten war. 

Im Danubenhaus in der Münchner Möhlstraße wurde zudem 1989 der Republikanische Hochschulverband gegründet, als dessen Vorsitzender der Danube Hans-Ulrich Knopp fungierte. Knopp war Chefredakteur der Witiko-Briefe und Mitinitiator der Wochenzeitung Junge Freiheit. Und erst kürzlich entdeckte ein Fernsehteam bei Dreharbeiten in der Danubia-Zentrale in einem Bücherregal ein druckfrisches Exemplar von Hitlers »Mein Kampf«. Der Korporierte Reinhard Mehr wollte sich offenbar nicht mit der Rolle als Schreibtischtäter zufrieden geben. Bei dem Überfall auf den Griechen soll er selbst Hand angelegt haben, weshalb er derzeit mit zwei bekannten Nazi-Skinheads vor dem Münchner Landgericht steht.

Inzwischen wurde bekannt, dass der mutmaßliche Haupttäter Schulte die Nacht nach der Prügelorgie im Haus der Danubia verbracht hat. Ein Mitglied der Prager Burschenschaft Teutonia in Regensburg lieferte den blutenden Schulte in der Nacht zum 13. Januar gegen drei Uhr morgens im Danubenhaus ab, wo dieser die Nacht im so genannten »Leichenkeller« verbrachte, wo besoffene Burschenschaftler gemeinhin ihren Rausch ausschlafen. Während Schulte nun in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet, der am 27. September beginnen soll, müssen die türkischen Helfer, die dem 31jährigen Griechen das Leben retteten, um ihre Existenz und ihre Gesundheit fürchten. 

Schon im Januar hatten Neonazis Fotografien von den Helfern ins Internet gestellt. Einer der fünf Türken hat inzwischen sein Geschäft für Handys und Lottoscheine aufgegeben, aus Angst um seine Familie. Einem anderen wurde sein Job als Mechaniker fristlos gekündigt. Ein dritter ist seit Januar insgesamt dreimal umgezogen, ebenfalls aus Furcht vor Rache. Und als einer der türkischen Helfer jetzt im laufenden Verfahren gegen Reinhard Mehr und die beiden anderen Skins als Zeuge aussagte, wurde er anschließend auf der Straße von Naziglatzen angepöbelt.

Klick-nach-rechts.de

18.07.2001

 


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved