Migration in Deutschland
Schilys Zuwanderungsgesetz gehört
ins Altpapier
Die Innenminister und Innensenatoren von Bund und
Ländern haben in Magdeburg auf einem Sondertreffen auch über die
Zuwanderungsfrage diskutiert. Grundlage war der von Bundesinnenminister
Otto Schily Anfang August vorgelegte Referentenentwurf für ein
Zuwanderungsgesetz.
Die Union hat inzwischen angekündigt, Zuwanderung zum
Wahlkampfthema machen zu wollen. Roland Koch tönte: „Das ist unsere
Chance“, der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm stößt in
dasselbe Horn. Man muss also ein Aufleben rassistischer Wahlkampagnen
erwarten – und kann nicht damit rechnen, dass SPD und Grüne dem wirklich
etwas entgegen setzen. Denn denjenigen, die aus „Angst vor Überfremdung“
Einwanderung nur in krassen Ausnahmefällen zulassen wollen, gibt der
Gesetzestext aus dem Hause Schily eine Steilvorlage.
Der 252 Seiten starke Entwurf gestaltet das
Zuwanderungsgesetz als ein „Artikelgesetz“. Dieses umfasst als Artikel 1
das neu gefasste Aufenthaltsgesetz,
welches das bisherige Ausländergesetz ablösen und auch Fragen des
Arbeitsgenehmigungsrechts neu regeln soll. Artikel 2 sieht ein neu
formuliertes
Freizügigkeitsgesetz/EU
vor. In Artikel 3 bis 12 sind umfangreiche Änderungen des Asylverfahrensgesetzes, des
Ausländerzentralregistergesetzes,
sozial- und leistungsrechtlicher Gesetze sowie anderer Vorschriften
enthalten.
Die erste Reaktion in der Öffentlichkeit war positiv.
Schily habe sich damit ein Denkmal gesetzt, schrieb die Süddeutsche
Zeitung. Inzwischen haben jedoch die Fachleute den Gesetzentwurf
durchgearbeitet und die Kritik von Menschenrechtsorganisationen,
Kirchen, Verbänden und anderen Experten wird immer schärfer.
Zu Recht. Denn was als großer Wurf angekündigt war,
entpuppt sich bei näherem Hinsehen als schlechter Aufguss der alten
Gastarbeiterpolitik unseligen Angedenkens, ja sogar als gravierender
Rückschritt gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage. Das Konzept des
Ministers ist der Auswahl nach Nützlichkeit für die Wirtschaft und der
polizeirechtlichen Gefahrenabwehr verhaftet. Zum Beleg hierfür aus der
langen Liste der Kritikpunkte nur eine kurze unvollständige Aufzählung:
Einwandern darf nur, wer als „nützlich“ gilt. Über
einen Einwanderungsantrag sollen im Standardverfahren die Arbeitsämter
auf der Grundlage der Entscheidung einer „Gesamtschau der regionalen
Arbeitsmarktlage und der sonstigen Rahmenbedingungen“ (zum Beispiel des
Wohnungsangebots in der jeweiligen Region) entscheiden. Wer diese Hürde
genommen hat, erhält zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis.
Für die Zuwanderung besonders „qualifizierter
Erwerbspersonen, von denen ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung
(...) der Bundesrepublik Deutschland erwartet wird“, soll es daneben
eine Auswahl durch ein Punktesystem im Rahmen einer jährlichen Quote
geben.
Beide Auswahlverfahren sind alles andere als offen und
nachvollziehbar. Die Ermessenswillkür aus dem bisherigen Ausländerrecht
wird unter anderem Etikett fortgeführt.
Beim Familiennachzug gilt: Im Regelfall sollen Kinder
zu ihren hier lebenden Eltern nur bis zum Alter von 12 Jahren nachziehen
können; wenn sie älter sind, hängt neuerdings der Schutz der Familie vor
allem von den Sprachkenntnissen der Kinder ab.
Beim Flüchtlingsschutz blockt das
Bundesinnenministerium weiterhin jede Verbesserung ab und führt neue
Schikanen ein:
-
Erlittene Verfolgung durch nichtstaatliche Täter (zum
Beispiel Clans) und Menschenrechtsverletzungen, die an das
Geschlecht des Opfers oder dessen sexuelle Orientierung anknüpfen,
sollen auch in Zukunft nicht zur Flüchtlingsanerkennung führen.
Durch den Wegfall der bisherigen „Duldung“ wird im Gegenteil die
Schutzlücke für die Opfer weitaus größer
-
Durch die restriktive
Ausgestaltung der Regelungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln
drohen noch mehr Menschen als bisher drohen in die vollständige
Illegalität abgedrängt zu werden. Nach Angaben von Pro Asyl können
rund 250.000 Personen betroffen sein. Wer den deutschen Behörden
nicht in den Kram passt, wird zum Untertauchen gezwungen und kann
jederzeit abgeschoben werden.
-
Beim einjährigen
Arbeitsverbot für Asylsuchende soll es bleiben; die soziale
Ausgrenzung in Gestalt des Asylbewerberleistungsgesetzes soll nicht
mehr auf 36 Monate begrenzt sein, sondern während des gesamten
Asylverfahrens andauern.
-
Die Residenzpflicht und
weitere offiziell als „flankierende Maßnahmen“ bezeichnete andere
Schikanen werden erweitert.
-
Die Abschiebehaft wird
nicht abgeschafft, sondern sogar durch „Ausreisezentren“ erweitert.
-
Eine Härtefallregelung,
die von vielen gefordert worden war, soll es nicht geben.
Stattdessen wird die Verantwortung anderen übergestülpt:
Ausnahmsweise soll ein Mensch nicht abgeschoben werden, wenn
„internationale Organisationen“, vor allem Kirchen, sämtliche Kosten
für seine Versorgung übernehmen. Der Schutz bedrohter Menschen wird
damit „privatisiert“, zu Lasten engagierter Personen stiehlt sich
der Staat aus der Verantwortung.
-
Für anerkannte Asylberechtigte soll es erst einmal nur ein
befristetes Bleiberecht geben. Nach drei Jahren soll die
Anerkennungsentscheidung noch einmal überprüft werden. Diese
unhaltbare Regelung führt dazu, dass selbst anerkannte Flüchtlinge
auf Jahre hinaus in Unsicherheit gehalten werden, ohne eine
wirkliche Lebensperspektive in Deutschland entwickeln zu können.
Ein wichtiger Gesichtspunkt wird meines Erachtens in
der Diskussion zur Zeit nur unzureichend beachtet: Der Gesetzentwurf
steht in klarem Widerspruch zum Völkerrecht. Die flüchtlingspolitischen
Regelungen verletzen in mehreren Punkten die Genfer
Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention.
Andere internationale Abkommen wie die Wanderarbeiterkonventionen der
Vereinten Nationen und des Europarates werden noch nicht einmal im
Ansatz aufgegriffen.
Deshalb weigert sich die Bundesregierung auch
beharrlich, diese Verträge zu unterzeichnen und dem Parlament zur
Ratifikation vorzulegen. Gleichzeitig steht das Bundesinnenministerium
mit diesem Gesetzentwurf auch quer zur Entwicklung innerhalb der
Europäischen Union. Dort hat die Kommission damit begonnen, das
Arbeitsprogramm umzusetzen, das im Amsterdamer Vertrag vorgeschrieben
ist. Wichtige Richtlinienentwürfe im Migrations- und Flüchtlingsbereich
liegen inzwischen vor. Sie sind nicht alle uneingeschränkt zu begrüßen.
Aber die Bundesregierung verweigert sich der sachlichen und
konstruktiven Diskussion hierüber. Im Gesetzentwurf taucht nur die
bereits verabschiedete Richtlinie über den zeitweiligen Schutz für
Bürgerkriegsflüchtlinge auf, alle anderen Dokumente fallen unter den
Tisch.
Die massive Kritik, die die Organisationen und
Fachleute an dem Schily-Entwurf geübt haben, scheint allerdings
inzwischen zu wirken. In der SPD regt sich Kritik und auch der grüne
Koalitionspartner wird nervös. Ganz so schnell wie geplant wird der
Minister sein Vorhaben nicht durchpeitschen können. Aber die Freude ist
getrübt. Denn schon haben die Grünen wieder signalisiert, dass sie zum
Einknicken bereit sind. Volker Beck erklärt, man wolle "auf der
Grundlage des Schily-Entwurfs" Verhandlungen führen. Und wenn Claudia
Roth meint, jetzt müsse der Entwurf des Innenministers "Punkt für Punkt"
durchgegangen werden, um "den Dissens herauszukristallisieren", dann
will sie offenbar nicht verstehen, worum es hier geht: Die Dissenspunkte
sind nämlich bereits glasklar. Schily will Ausländer nach "Nützlichkeit"
sortieren und zum Spielball wirtschaftlicher und staatlicher Interessen
machen. Die engagierte Zivilgesellschaft setzt dagegen auf
Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Die Koalition sollte den Schily-Entwurf endlich
komplett in den Altpapiercontainer werfen. Notwendig ist statt dessen
ein menschenrechtlicher Ausbau des Flüchtlingsschutzes und ein Konzept,
das die völkerrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland
endlich sauber im innerstaatlichen Recht umsetzt.
Ulla
Jelpke
Die Verfasserin ist innenpolitische Sprecherin der
PDS-Bundestagsfraktion.
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12.09.2001 |