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Konservative Geschichtspolitik
vor und nach 1989/90

Wendungen und Wandlungen

Von Gerd Wiegel

"Der Weg zur Selbstfindung der Deutschen geht über die Trümmer der KZ-Gedenkstätten" – diese martialische Formulierung der "Deutschen Monatshefte" aus den achtziger Jahren verdeutlicht trefflich die geschichtspolitische Zielsetzung einer konservativen und extremen Rechten bezüglich des Umgangs mit der faschistischen deutschen Vergangenheit.

"Selbstfindung der Deutschen" heißt hier eindeutig ein Zurück zur deutschen Großmachtrolle, die 1945 verloren ging und deren Renaissance immer zum Kernbestand konservativer Geschichtspolitik gehört. Eine "Vergangenheit, die nicht vergehen will", so eine bekannte Formulierung Ernst Noltes, ist es, die sich diesem Zurück zur deutschen Großmachtrolle immer wieder in den Weg stellte, zumindest bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die Beseitigung der herausgehobenen Bedeutung der NS-Vergangenheit für die Politik der Bundesrepublik, die Entkoppelung von Vergangenheit und Gegenwart ist das einigende Band konservativer Geschichtspolitik der letzten zwanzig Jahre.

Hier soll einigen Etappen dieser Geschichtspolitik nachgegangen werden, um zu verdeutlichen, wie diese Entkoppelung vorangeschritten ist. Unterscheiden lassen sich hier die Vorstöße konservativer und neurechter Geschichtspolitiker, wie sie vor allem für die erste Hälfte der neunziger Jahre kennzeichnend sind, und die Ablösung der Vergangenheit für die Gegenwart, wie sie sich in den großen geschichtspolitischen Debatten der neunziger Jahre, etwa der Goldhagendebatte, der Diskussion um die Wehrmachtsausstellung und schließlich das Schwarzbuch des Kommunismus gezeigt haben.

Neubestimmung der deutschen Rolle in Europa
Aus konservativer und rechter Sicht waren die sechziger und siebziger Jahre, gerade in bezug auf geschichtspolitische Entwicklungen, eine deutliche Niederlage, fand doch jetzt
eine Auseinandersetzung mit den faschistischen Verbrechen statt, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte. Auch die wissenschaftlichen Deutungsmuster wurden mittels faschismustheoretischer Ansätze zunehmend links dominiert. Dennoch bereitete sich in genau dieser Phase die konservative Gegenbewegung vor, die dann im Historikerstreit der achtziger Jahre ihren ersten Höhepunkt fand. Interpretationen der NS-Vergangenheit, wie sie sich bis dahin nur auf Seiten der extremen Rechten finden ließen, hielten nun Einzug ins etablierte Lager des Konservatismus. 

Die verkündete ideologische Reetablierung der Nation, verbunden mit der angekündigten "geistig-moralischen Wende" der konservativ-liberalen Regierung, schaffte ein Klima, in dem solche Deutungen auf fruchtbaren Boden fielen. Im Gegensatz zu den neunziger Jahren ist der Historikerstreit noch ganz gefangen im Gefüge der Blockkonfrontation. Alle konservativen Revisionsversuche richten sich auf den selben Gegner: die Sowjetunion. Werden bei Nolte die Verbrechen des deutschen Faschismus, insbesondere die Vernichtung der europäischen Juden, zu einer aus Angst geborenen Reaktion auf vorangegangene Verbrechen des Bolschewismus, so fordert der Historiker Hillgruber eine Identifikation mit dem Abwehrkampf der deutschen Wehrmacht im Osten, gegen die heranrückenden Truppen der Roten Armee.

Beseitigt werden sollte im Historikerstreit die herausgehobene Bedeutung der NS-Vergangenheit, weshalb sich die Revisionsversuche von Nolte, Hillgruber und anderen auf
die Punkte richteten, die für diese Herausgehobenheit am bedeutendsten sind: die Shoah und den Vernichtungskrieg. Geschichtspolitisches Ziel dieser Vorstöße war es, einen
wieder positiven Bezug zur Nation herzustellen, eine emotional positiv besetzte nationale Identität zu ermöglichen, die auf konservativer Seite als unerlässlicher ideologischer Kitt für einen weiteren Ausbau deutscher Machtpolitik begriffen wurde.

Mit der deutsch-deutschen Vereinigung 1990 wurde dieser ideologische Bezug auf die Nation enorm verstärkt und erfasste jetzt auch die Teile der Intellektuellen und Eliten, die im Historikerstreit noch Gegner der Konservativen waren. Die Neubestimmung der deutschen Rolle in Europa war nun in aller Munde, um so drängender galt es jetzt, der negativ besetzten Vergangenheit zu begegnen.

Auf konservativer Seite lassen sich zu Beginn der neunziger Jahre zwei Richtungen ausmachen, die für unterschiedliche Varianten der deutschen Hegemonialansprüche stehen. Dem etablierten Konservatismus, seinen Vordenkern und Eliten, gesellte sich eine neue (alte) Variante einer Rechten hinzu, die unter dem täuschenden Signet "Neue Rechte" an Vorstellungen der "Konservativen Revolution" aus den 1920er Jahren anknüpfte. Gemein war beiden Ausrichtungen nach der überraschenden Vereinigung beider deutscher Staaten das Bewusstsein, dass eine Neubestimmung der machtpolitischen Rolle Deutschlands nötig sei und zwar losgelöst von jeder Beschränkung durch die deutsche Vergangenheit.

Für den etablierten Konservatismus reklamierten Autoren wie Hans-Peter Schwarz, Gregor Schöllgen oder Arnulf Baring für Deutschland jetzt die Rolle als Zentralmacht Europas, ausgestattet mit den dazugehörigen Machtattributen. Angesichts der neuen deutschen Rolle sei etwa der "Verzicht" auf Atomwaffen 1949 ein schwerer Fehler gewesen. Der Osten wird als natürlicher Vorhof der Bundesrepublik angesehen und Baring behauptet, die osteuropäischen Staaten erwarteten von Deutschland "die Regelung ihrer Angelegenheiten."

Aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannte geopolitische Argumentationsmuster bilden die Begründung für die unvermeidliche Hegemonialrolle. Allerdings, und hier liegt der entscheidende Unterschied zur neurechten Variante, gehen alle Autoren von einer Wahrnehmung dieser Hegemonialrolle im Rahmen des westlichen
Bündnisses aus, möglichst in gleichberechtigter Partnerschaft mit den USA. Die NS-Vergangenheit wird in diesem Zusammenhang nur noch als störend empfunden. 

Vor allem dem Ausland diene sie als Waffe gegen Deutschland. Zum positiven historischen Bezugspunkt könne etwa die Reichsgründung 1871 werden, deren verhängnisvoller Weg in den Ersten Weltkrieg und den Faschismus damit umgedeutet wird. Sicher sind sich jedenfalls alle Autoren, dass "uns diese zwölf Jahre auf die Dauer (nicht) wirklich lähmen dürfen."

Diese Einschätzung wird auch von den Vertretern einer "Neuen Rechten" geteilt, die mit dem nationalen Aufschwung 1990 ihre Stunde gekommen sieht. In der Artikelserie der FAZ "What’s right?" reklamiert Karlheinz Weißmann für diese Ausrichtung des Rechtskonservatismus, das erste Meinungslager im frisch vereinten
Deutschland darzustellen. Zumindest für die erste Hälfte der neunziger Jahre gelingt es dieser Ausrichtung auch, ihren Positionen im etablierten Spektrum des Konservatismus Gehör zu verschaffen, dies nicht zuletzt deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt die neue Rollenbestimmung Deutschlands noch nicht festgelegt war.

Mit den Bänden "Westbindung" und "Die selbstbewusste Nation" legen die Autoren um Rainer Zitelmann, Karlheinz Weißmann und Heimo Schwilk politische Positionsbestimmungen vor, die deutlich an die konservative und faschistische Rechte in den zwanziger Jahren anknüpfen. Ergänzt werden diese politische Stellungnahmen durch historische Arbeiten zum deutschen Faschismus, die eine spezifische und funktional nutzbare Interpretation des Faschismus liefern.

Die bundesdeutsche Geschichte nach 1945 bzw. 1949 wird von Zitelmann, Weißmann und ihren Mistreitern als "Sonderweg", als Abirrung von einem natürlichen und autonomen nationalen Weg gesehen. Unverkennbar ist die Umkehrung des "Sonderweg- Begriffs", der hier nicht länger zur Beschreibung und Erklärung des deutschen Wegs in den Faschismus herangezogen wird, sondern als fataler Weg der Verwestlichung und Aufgabe eines autonomen nationalen Machtverständnisses. Eine eigenständige nationale Machtpolitik und die Lösung von Westbindung und Verwestlichung sind die Optionen dieser Ausrichtung. Erforderlich für diesen Weg ist eine Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins, und hier liegt die Hauptaufgabe der geschichtspolitischen Vorstöße dieser Gruppe.

"Reeducation" und "Umerziehung" durch die Alliierten nach 1945 verbunden mit der "Vergangenheitsbewältigung" von links
gelten als die größten Hypotheken der selbstbewussten Nation. Das zentrale Opfer vor und nach 1945 ist für die "Neue Rechte" das deutsche Volk, habe dieses doch bis 1945 unter der "Konzeption eines Vernichtungskrieges gegen die deutsche Zivilbevölkerung" und danach der politisch-ideologischen Neukonditionierung durch
die Alliierten gelitten.

Historisierung und Modernisierung
Dem geschichtspolitischen Thema der Faschismusinterpretation nähern sich die Autoren dieser Ausrichtung mittels dreier Topoi: Historisierung, Faschismus als soziale Revolution und Faschismus als Ausdruck der Moderne. Das Historisierungspostulat übernehmen die neurechten Geschichtspolitiker von Martin Broszat, spitzen es jedoch in einer Weise zu, die ihren apologetischen Absichten gemäss ist.

In dem Band "Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus" (1992) offenbaren Zitelmann, Backes und Jesse als Herausgeber ihr Verständnis einer Historisierung. Die bisherigen Forschungen zum Faschismus werden
mit dem Verdikt "volkspädagogisch" als wissenschaftlich untauglich beiseite geschoben. Mangelnde Objektivität und die Weigerung, sich dem Gegenstand mit der nötigen Einfühlung zu nähern, sind die Vorwürfe.

Zitelmann, Backes und Jesse dagegen wollen ganz nüchtern nach den Vor- und Nachteilen des Regimes fragen, wollen eine emotionslose Betrachtung und neben Richter und Ankläger auch den Verteidigern des Faschismus Raum geben. An den Vorbildern Hillguber und Nolte orientiert wird die Einfühlung jedoch sehr
spezifisch eingesetzt, wie sich an einer von Zitelmann, als zeitweiliger Cheflektor bei "Ullstein", in der "Propyläen"-Reihe platzierten Gesamtdarstellung des deutschen Faschismus durch seinen Freund Weißmann ablesen lässt. Während Weißmann
äußerst nüchtern und sachlich davon berichtet, dass in Belzec etwa 600.000 Menschen "starben" (nicht etwa ermordet wurden) wird der Ton bei den Leiden der deutschen Bevölkerung sehr viel einfühlender.

Der "Spannungszustand" und die "Hysterie" im Bunker wird anschaulich beschrieben, und Hitlers Zustand angesichts der Einkesselung Berlins geradezu Mitleid erregend geschildert:
"Weinkrämpfe schüttelten seinen Körper, dann sackte er in sich zusammen." Empathie und Distanz werden bei dieser Art der Historisierung offensichtlich ganz nach "Volkszugehörigkeit" verteilt, mithin eine deutliche "Volkspädagogik" von rechts.

Der Akzent der inhaltlichen Darstellung des Faschismus besteht in einer Verschiebung von seiner verbrecherischen hin zu seiner vermeintlich positiven Seite. Während über Holocaust und Vernichtungskrieg in den Arbeiten von Weißmann, Zitelmann, Hornung u.a. nur wenig zu erfahren ist, werden die angeblichen sozialpolitischen Leistungen des Regimes über ganze Bücher ausgebreitet. Bei Zitelmann erscheint Hitler als sozialer
Revolutionär, der eine soziale Revolution in Deutschland bewirkt habe. Profiteure des Regimes seien vor allem die Arbeiter gewesen, für die Hitler Politik gemacht hätte, wohingegen er sich deutlich gegen Kapital und Bürgertum gewandt habe. Hitler sei es um
eine allgemeine Chancengleichheit gegangen, er sei, so Zitelmann, ein überzeugter Revolutionär gewesen.

Dass diese Behauptungen mit der Realität nichts zu tun haben ficht Zitelmann und seine Mitstreiter nicht weiter an, interessieren sie sich doch weniger für die soziale Realität des Regimes als für dessen ideologisches Selbstverständnis, womit Zitelmann genau an Noltes Methode anknüpft. Deutlich wird jedoch die völlige Umkehrung der Interpretation Noltes. War bei diesem der Faschismus eine verständliche und aus Angst geborene Reaktion des Bürgertums auf die Bedrohung durch den Bolschewismus, so wird er bei Zitelmann, Weißmann u.a. zu einem Ausdruck der politischen Linken, gerichtet vor allem gegen das Bürgertum.

Dieser Verschiebung der ideologischen Bezugspunkte des Faschismus nach links dient auch dessen Interpretation im Rahmen der europäischen Moderne. Die neurechten Autoren stellen
den deutschen Faschismus in die Tradition der europäischen Moderne, die 1789 ihren Ausgang nahm und bescheinigen ihm, in Deutschland den Durchbruch zu Moderne bewirkt zu haben. Eingereiht wird er damit in die allgemeine europäische Entwicklung, womit die These vom Sonderweg beseitigt ist und sich die deutsche Geschichte nicht länger von der anderer Länder unterscheidet.

Gründe der Umkehr

Wie kann es aber zu einer völligen Umkehr der Einordnung des deutschen Faschismus bei Nolte und Zitelmann, Weißmann u.a. kommen, gehen doch beide vom selben Material aus und
mit der selben Methode (Phänomenologie) vor?

Der Grund ist offensichtlich ein geschichtspolitischer und lässt sich nur mit den veränderten Bedingungen von der Mitte der achtziger zu den neunziger Jahren erklären. Während die konservativen Autoren im Historikerstreit noch ganz in der Blockkonfrontation
gefangen waren und alle Revisionsversuche auf den historischen wie aktuellen (1986) Gegner, nämlich die Sowjetunion gerichtet waren, hat sich diese Frontlinie mit der welthistorischen Zäsur von 1989/90 verschoben. Für Zitelmann, Weißmann, Hornung und
andere Autoren ging es jetzt darum Platz zu schaffen für ein neues/altes national-konservatives Projekt.

Noltes Rechtfertigung der faschistischen Option des deutschen Bürgertums schien ihnen hierfür offensichtlich nicht tauglich. Statt dessen sollte die ideologische Verbindung des Faschismus mit dem Konservatismus negiert und der Linken zugeschoben werden. Das Ziel der eigenen Geschichtspolitik wird von Zitelmann im Band "Die selbstbewußte Nation" beschrieben: "Im allgemeinen Bewußtsein gilt der Nationalsozialismus jedoch nach wie vor als rechtsextreme Erscheinung, aber dieses allgemeine Bewußtsein ist von der Definitionsmacht der Linke bestimmt, die ein politisches Interesse daran hat, daß der Begriff ‘rechts’ untrennbar mit den nationalsozialistischen Verbrechen verbunden bleibt. (...) Will die demokratische Rechte in Deutschland erfolgreich sein, dann muß sie vor allem zu einem Selbstbewußtsein gelangen, an dem es ihr bislang so sehr mangelt."

Die geschichtspolitischen Vorstöße dieser Gruppe waren ein Versuch, dieses neue rechte Selbstbewusstsein auch historisch abzusichern. Der Erfolg dieser Operation muss aus heutiger Sicht jedoch zwiespältig bewertet werden. Die geschichtspolitische Meinungsführerschaft konnte nicht erreicht werden, der Einfluss auf das etablierte Spektrum des Konservatismus wurde in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wesentlich geringer. Die im öffentlichen Bewusstsein anhaltende Reduzierung des deutschen Faschismus auf die Person Hitlers setzt sich fort, ist aber keine Erfindung der "Neuen Rechten".

Ist die Bilanz auf ideologischem Gebiet also mager, so fällt sie für die Realpolitik weitaus positiver aus. Das wichtigste Ziel des gesamten Konservatismus, die Beseitigung der machtpolitischen Beschränkungen Deutschlands aus der Vergangenheit ist
erreicht. Die konservativen und neurechten Vorstöße seit den achtziger Jahren waren eine Etappe auf diesem Weg, die geschichtspolitischen Debatten in der zweiten Hälfte der
neunziger Jahre haben die Durchsetzung dieser Entkoppelung auch in der politischen Mitte ermöglicht.

Vom Autor erscheint in Kürze eine umfassende Untersuchung konservativer Faschismusdarstellungen: Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie, PapyRossa Verlag 2001

aus: DER RECHTE RAND Nr. 71 vom Juli / August 2001

klick-nach-recht.de

26.07.2001

 


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