Wahlen in Hamburg
Der Sieg des kleinen Mannes
Die Wahlen in der Hansestadt sind entschieden; Gewinner und Verlierer
stehen fest. Mit nahezu 20% der Wählerstimmen wird die “Partei
Rechtsstaatliche Offensive“ (PRO) des Rechtspopulisten Ronald Schill in
die Hamburger Bürgerschaft einziehen, während vor allem CDU und DVU
Stimmen verloren.
Schill, auch bekannt als „Richter Gnadenlos“,
gelang es in seinem Wahlkampf, ohne ein inhaltlich breit
fundiertes Programm, das Thema Sicherheit und die damit verbundenen
Ängste zu besetzen. Aufbauen konnte er dabei auf einen Diskurs, der
nicht nur in Hamburg, seit Jahren das Schreckgespenst einer Republik
zeichnet, welche der Kriminalität hilflos ausgeliefert ist und die
angeblich nur mit härteren Gesetzen, einer verstärkten Überwachung und
zusätzlichen Mitteln für die Polizei in den Griff zu bekommen sei.
Als Stichworte innerhalb dieses Diskurses, der auch von den etablierten
Parteien geführt wird, seien zentral die Begriffe
„Ausländerkriminalität“, „Schlepperbanden“, Drogenhandel und, seit
neuestem, arabisch-islamistische Terroristen genannt.
Die einzelnen Begriffe zeigen eindeutig die rassistische
Richtung der Diskussionen um den Begriff „Sicherheit“ auf.
Stets sind es die Anderen, also ‚die Türken’, ‚die
Schwarzafrikaner’, die Araber’, welche die Sicherheit des Bürgers, bzw.
der Bürgerin bedrohen sollen. Zur Seite stehen diesen phantasierten
Bedrohungen des Sicherheitsgefühls noch wahlweise die Obdachlosen und
die Autonomen.
Dass die Wirklichkeit anders aussieht spielt hierbei keine Rolle.
Sicherheit ist ein subjektiver Begriff und dass in ihrer Thematisierung,
sei es durch Ronald Schill oder auch durch SPD, CDU und FDP, die
Unsicherheit derer, die tagtäglich real in der einen oder anderen Form
bedroht, ausgegrenzt oder gedemütigt werden nicht vorkommt, wirft ein
Licht auf die Befindlichkeit dieser Gesellschaft. Flüchtlinge,
Asylbewerber und Migranten erfahren gewiss mehr Unsicherheit in
Deutschland, als die Wähler und (wenigen) Wählerinnen der Schill-Partei.
Wer nach Deutschland flieht, sieht sich einem Apparat ausgesetzt, dessen
Spielregeln verborgen bleiben. Er muss sich mit Ausländerbehörden,
Bundesgrenzschutz auseinandersetzen, stets in der Furcht abgeschoben zu
werden, weil die Antworten in der fremden Sprache, dem Deutschen, nicht
die Richtigen waren. Wer dann noch das Pech hat in eine
Flüchtlingsunterkunft in einer der ‚national befreiten Zonen’
transportiert zu werden, der oder die merkt sehr schnell wie unsicher
dieses Land sein kann und wie wenig seine Sicherheit denjenigen am
Herzen liegt, die immer wieder von ‚Ausländerkriminalität’ reden.
Sicherheit ist eben auch eine Frage der Definitionsmacht.
Diejenigen, welche einem Rechtspopulisten wie Schill ihre Stimme gaben,
in der Mehrzahl schlecht gebildete Männer über 45 Jahre, fühlen sich
vermutlich, subjektiv, in der Tat unsicher. Häufig arbeitslos oder von
Arbeitslosigkeit bedroht, in unterbezahlten Stellungen und in der
Moderne nicht einmal mehr uneingeschränkter Patriarch der Familie, sind
sie nicht gerade diejenigen, welche im neoliberalen Gefüge Deutschlands
zu den Gewinnern zählen. Ihre gesellschaftliche Stellung stellt eine
einzige narzisstische Kränkung dar. Hinzu kommt eine Unfähigkeit von der
eigenen Lage zu abstrahieren und so Verständnis für die weitaus
prekärere Situation anderer Menschen zu entwickeln.
Hier trifft sich der Rassismus der zu-kurz-gekommenen mit der Struktur
des Antisemitismus. Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten müssen als
Projektionsfläche für die eigenen unterdrückten, weil uneinlösbaren,
Wünsche herhalten. Dies wird im gerne benutzen Bild des ‚Ausländers’
deutlich, der teure Autos fährt, nebenbei kriminelle Geschäfte tätigt
und dabei noch Sozialhilfe erhält. So wenig dieses Bild der Realität
entspricht, um so mehr Anziehungskraft hat es. Hier scheinen welche das
zu verwirklichen, was man sich nicht traut oder wozu man unfähig ist.
Das narzisstisch gekränkte, schwache Ich projiziert den eigenen Wunsch
nach Reichtum ohne Mühe auf, die Ausländer’ und sucht nach autoritären
Lösungen, um wenigstens etwas Teilhabe an der Macht von andren zu haben.
Auch wenn die Misere einer Wählerschaft erklärbar ist, die in ihrer
eigenen Angst andere zur Zielscheibe repressiver Maßnahmen macht, so
wenig kann ist sie akzeptabel. Das Gleiche gilt für jene Politiker, die
wegen des reinen Machterhaltes auf der autoritären Klaviatur spielen. Ob
sich nun Edmund Stoiber oder Otto Schily in der Bundespolitik als die
besseren Schills gerieren ist beinahe zweitrangig. Beide stehen, ebenso
wie die Parteiströmungen die ihnen Rückhalt bieten, für einen
autoritären Ordnungsstaat, für eine Transformation der Demokratie.
Sollte der Trend zur Lösung sozialer Probleme mit den Mitteln eines
hochmodernen Sicherheits- und Justizapparate in die derzeitig sich
andeutende Richtung verstärken, so wäre es in der Tat ein Sieg ‚des
kleinen Mannes’ mit dem kleingeblieben Ich. Ein Sieg, der
sozial-psychologisch einen ähnlichen Hintergrund besitzt wie der
Nationalsozialismus, ohne jedoch auf der Erscheinungsebene mit diesem
vergleichbar zu sein.
IS
klick-nach-rechts.de 30-09-2001 |