Bis heute ist nicht klar, auf welcher Rechtsgrundlage
die Polizeirazzia in den Morgenstunden des 22. Juli auf das Sozialforum
und die gegenüberliegende Schule in Genua erfolgte. Unübersehbar dagegen
sind die Hinweise auf schwerste Übergriffe im Zusammenhang mit dieser
Aktion.
93 Personen sollen bei dieser Aktion verhaftet worden
sein, darunter 42 Deutsche. 50 der Verhafteten wurden dabei verletzt.
Teilnehmer berichten, die Polizisten hätten "die jungen Leute im Schlaf
überrascht und sofort ohne Grund losgeprügelt. Die eingesetzten Beamten
seien Mitglieder gefürchteter Sondereinheiten gewesen, die vermummt und
mit Schlagknüppeln bewaffnet die Schule stürmten. ... Journalisten
wurden nicht hineingelassen. Doch die am Ausgang aufgenommenen
Fotografien sprechen eine deutliche Sprache: Kaum einer der Abgeführten
kam ohne blutende Wunden aus dem Haus, viele mussten auf Tragen hinaus
gebracht werden... Auf Bildern sind große Blutlachen auf dem Boden und
an Heizkörpern zu erkennen. Die Inneneinrichtung ist komplett zerstört.
Augenzeugen berichten, Polizisten hätten die jungen Leute mit dem Kopf
gegen die Wand gestoßen, bis die Opfer am Boden lagen und sich nicht
mehr bewegten." (Spiegel online, 23.7.2001)
Ein junger Mann aus Stuttgart, der bei der Festnahme
einen Kieferbruch erlitt, erklärte gegenüber der Presse, die Polizisten
hätten "auf alles eingeschlagen, was sich bewegte" (Spiegel online,
25.7.2001). Einer Frau, der die Zähne ausgeschlagen wurden, wurde erst
nach Intervention des deutschen Konsulats ärztliche Hilfe zugebilligt.
(ebenda)
Die italienische Zeitung "La Repubblica" berichtet, von
einem angeblichen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" der Opfer des
Überfalls habe niemand, auch kein Anwohner etwas bemerkt.
Der italienische Journalistenverband hat gegen die
Polizeiaktion Beschwerde eingelegt. Von seiten der Polizei wurden nach
der Aktion auf einer Pressekonferenz als angebliche "Waffen", die
beschlagnahmt worden seien, neben zwei Molotow-Cocktails und zwei
Maurerhämmern 25 Messer, darunter etliche Küchenmesser, ein Stock,
Taucherbrillen, Verbandszeug, Latex-Handschuhe, Fotoapparate und
Damenbinden vorgeführt. (Spiegel online, 23.7.2001) Opfer des Angriffs
bezeichneten die Vorlage dieser "Waffen" als Verhöhnung, das
Schulgebäude werde gerade renoviert, dass die Polizei dann zum Beispiel
Maurerhämmer finde, sei da wohl nicht verwunderlich.
Ein 21jähriger Berliner wurde bei dem Überfall so
schwer verletzt, daß er vorübergehend ins Koma fiel und längere Zeit in
Lebensgefahr schwebte. Sein Zustand ist weiter ernst.
Auf den Polizeiwachen sollen die Quälereien und
Mißhandlungen weiter gegangen sein, berichten Opfer und sprechen von
Nazi-Symbolen, die auf den Wachen an den Wänden hingen. In der
italienischen Zeitung "La Repubblica" (25.7. und 26.7.2001), in der
französischen Zeitung "Le Monde" und der spanischen Zeitung "El Pais"
erschienen Berichte, in denen Anwälte der Inhaftierten und Inhaftierte,
die in der Kaserne der mobilen Einheit Bolzaneto inhaftiert waren, sogar
von "Folter" sprechen. Ähnliche Berichte sind inzwischen auch in der
deutschen Presse erschienen, u.a. im Berliner "Tagesspiegel" vom
27.7.2001.
Die meisten, eventuell sogar alle der bei dem Überfall
auf die Schule und das Sozialforum Festgenommenen wurden wenige Tage
später wieder freigelassen.
Gleichzeitig häufen sich auch die Hinweise auf den
Einsatz staatlicher Provokateure bei den Ausschreitungen. Das
italienische Fernsehen RAI 3 zeigte am Sonntag, dem 22. Juli 2001,
zahlreiche Aufnahmen von Polizisten in "Demo-Zivil" - mit Helmen und
Eisenstangen - mitten im "Schwarzen Block". Mehrere Videoaufnahmen
wurden gezeigt, bei denen vermummte und behelmte "Demonstranten" mit
Eisenstangen aus den Kasernen der Polizei und der Karabinieri hinein und
heraus laufen, in Polizeifahrzeuge ein- und aussteigen und sich zum Teil
in aller Öffentlichkeit länger mit höheren Polizeibeamten unterhalten
(El Pais, 23.7.2001)
"Der schwarze Block agierte fast ungestört, während wir
mit roher Gewalt vertrieben wurden", zitiert "Spiegel online"
(24.7.2001) einen Berliner Teilnehmer der Demonstrationen. Die von den
Organisatoren erhobenen Vorwürfe über eine angebliche Kooperation
zwischen den Gewalttätern des schwarzen Blocks und der Polizei
erscheinen dieser Zeitung "nicht völlig abwegig". Weiter heißt es:
"Italienische Zeitungen veröffentlichten am Dienstag (also am 24. Juli
2001) Fotos von Vermummten, die bewaffnet aus einer Polizeiwache
kommen."
Die italienische Zeitung "Secolo XIX" veröffentlichte
laut dpa (26.7.2001) darüber hinaus Auszüge aus einem Geheimdossier der
italienischen Polizei, wonach etwa 25 bis 30 bewaffnete
Rechtsextremisten, Mitglieder der Gruppe "Forza Nuova", in die Reihen
der Globalisierungsgegner eingeschleust wurden, um die Sicherheitskräfte
anzugreifen und damit die Globalisierungsgegner in Verruf zu bringen.
Seitens der Bundesregierung waren im Vorfeld lediglich
diffamierende Warnungen vor "Krawalltouristen" zu hören. Mehrere
Personen, darunter auch solche, die wegen keiner einzigen Straftat
rechtskräftig verurteilt worden sind, erhielten Meldeauflagen und damit
faktisch Ausreiseverbote, die Außerkraftsetzung des "Schengener
Abkommens" durch die italienische Regierung wurde offiziell begrüßt und
unterstützt. Nach Bekanntwerden des Todesopfers und den Berichten über
zahlreiche Übergriffe hüllt sich die Bundesregierung dagegen in
Schweigen, als gingen sie diese Hinweise auf schwere
Menschenrechtsverletzungen und Polizeiübergriffe nichts an.
Demgegenüber hat die griechische Regierung bei der
italienischen Regierung bereits offiziell Protest wegen der
Einreiseverbote und Übergriffe auf griechische Demonstranten eingereicht
und von der italienischen Regierung Unterlagen zur Rechtfertigung ihres
Vorgehens verlangt. (Neue Zürcher Zeitung, 23.7.2001)
Kleine Anfrage an die Bundesregierung:
Ulla Jelpke, Carsten Hübner, Roland Claus und die Fraktion der PDS
Wir fragen die Bundesregierung: