Image ist alles:
Sachsens Innenminister hat die militante Nazigruppe
Skinheads Sächsische Schweiz verbotenVon
Heike Kleffner (Ersterscheinung: Jungle World Nr. 16/2001)
Der Hamburger Sturm ist es, Blood & Honour ist es,
und die NPD könnte es auch bald sein: eine vom Staat verbotene
rechtsextreme Organisation. Vorige Woche traf es die Skinheads
Sächsische Schweiz (SSS). Am Donnerstag hat der sächsische Innenminister
Klaus Hardraht (CDU) die Neonazigruppierung verboten. Da »sich Zweck und
Tätigkeit der SSS gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten«, so
Hardrath, seien die Voraussetzungen für ein Verbot nach dem
Vereinsgesetz erfüllt.
Auch der Nationale Widerstand Pirna (NWP), der als
Nachfolgeorganisation der SSS gilt, wurde verboten. »Wir sind an der
Szene dran und werden alle Neugründungs- versuche unterbinden«, beeilte
sich Hardraht zu versichern. Der NWP war erstmals zu Jahresbeginn auf
der Bildfläche erschienen, kurz zuvor hatte die SSS via Internet ihre
Auflösung bekannt gegeben, um das Verbot zu umgehen. Damals schon
ermittelte die Dresdner Staatsanwaltschft zur Vorbereitung des Verbots
gegen 65 SSS-Glatzen nach Paragraf 129 StGB.
Nun habe man gegen sechs Männer Anklage wegen der
»Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben«, erklärte Claus Bogner,
Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, am Donnerstag. Das
Ermittlungsverfahren war allerdings schon im vergangenen Jahr
eingeleitet worden. Im Juni 2000 hatten rund 200 Beamte des sächsischen
Landeskriminalamtes die Wohnungen von Neonazis in Städten und Gemeinden
südöstlich von Dresden durchsucht; Polizeibeamte aus der Region waren
von der Aktion weder vorher informiert worden, noch waren sie an den
Durch- suchungen beteiligt. Zu eng sind die Verbindungen zwischen der
Bevölkerung und den Neonazis.
So wundert es kaum, dass sich die Pirnaer
Polizeidirektion zunächst überrascht gab, als bekannt wurde, dass bei
den Razzien neben der üblichen Nazi-Propaganda über zwei Kilogramm
Sprengstoff sowie Granaten, Gewehre, Pistolen und scharfe
Zündvorrichtungen gefunden worden waren. Schließlich habe man sich nur
wenige Monate zuvor mit den Anführern der SSS an einen Tisch gesetzt, wo
diese versprachen, sich an die Gesetze zu halten. AnitifaschistInnen
kritisierten die polizeilichen Maßnahmen deswegen zu Recht als
Imagepflege.
So konnte die rund 120 Mitglieder zählende
Neonazi-Gruppe ihre Aktivitäten auch nach der Polizeiaktion fortsetzen;
noch im Dezember organisierte sie eine Wintersonnwendfeier in Sachsen
mit 250 Teilnehmern. Derartige Veranstaltungen beweisen den hohen
Organisationsgrad der Gruppe. Seit ihrer Gründung 1997 durch ehemalige
Mitglieder der verbotenen Wiking-Jugend konnte sie »über Jahre ungestört
eine rechte Hegemonie in der Region aufbauen«, sagt der PDS-Landtags-
abgeordnete Falk Neubert. Nicht zuletzt »weil sie teilweise auf
schweigende Zustimmung und auf Rückhalt in den Dorfgemeinschaften bauen
konnte«.
In Pirna zum Beispiel, der größten Stadt der Region,
war SSS-Gründer Thomas Sattelberg als Sozialarbeiter bei der
Arbeiterwohlfahrt angestellt, ein weiteres SSS-Mitglied arbeitete bei
der örtlichen Sparkasse. Viele SSSler sind Söhne von Kaufleuten, von
Polizei- und Justizbeamten oder von Kommunalpolitikern. So fand das LKA
bei der Razzia im Juni ausgerechnet auf dem Grundstück eines Gemeinde-
ratsmitglieds des Dorfes Kleingießhübel den Sprengstoff. Der 46jährige
Michael Jacobi und seine beiden 18 und 21 Jahre alten Söhne wurden
daraufhin in Untersuchungshaft genommen.
Nach einer zweiten Razzia im September begann die
Staatsanwaltschaft Dresden auch gegen den 33jährigen Uwe Leichsenring
aus Königstein wegen »Unterstützung einer kriminellen Vereinigung« zu
ermitteln. Leichsenring ist NPD-Kreisgeschäfts- führer der Sächsischen
Schweiz und war bei den Kommunalwahlen mit 11,8 Prozent ins
Stadtparlament gewählt worden. Nach der letzten Bundestagswahl hatte er
sich in einem Brief bei »den Kameraden der SSS und der SSS/AO für die
hervorragende Absicherung unserer Veranstaltungen und Infotische«
bedankt.
Die SSS hat sich in der Vergangenheit jedoch nicht nur
als Saalschutz der NPD hervorgetan. In vielen Städten und Gemeinden war
die Gruppierung maßgeblich für den Terror gegen Ausländer und
Nicht-Rechte verantwortlich - oft unter den wohlwollenden Blicken der
Polizei. »In den vergangenen Jahren ist unser Geschäft siebenmal von
Rechten angegriffen worden«, sagt etwa die 19 jährige Recep Sendilmen,
deren Familie vor knapp zwei Jahren einen Imbiss-Stand in der
Fußgängerzone von Pirna eröffnet hatte (Jungle World, 8/00). So
versammelten sich im Februar letzten Jahres rund 70 Skinheads vor dem
Antalya Grill. »Immer wieder schrien sie ihre Parolen 'Ausländer raus'
und 'Scheißtürken'«, sagt Recep. »Wir haben die Polizei gerufen und
gewartet.« Doch »die Polizei kam einfach nicht«.
Auch am 4. November 2000, als eine größere Gruppe
Skinheads am Rande einer Demonstration gegen Rechts vor den Imbiss
gezogen war, hielt sich die Polizei im Hintergrund. »Als ich die Glatzen
wieder vor unserem Laden sah, waren meine Nerven am Ende«, sagt die
47jährige Selda Sendilmen. Mit einem Axtstiel sei sie »vor die Tür
gegangen, um die zu vertreiben«, berichtet sie. Ihre Tochter zeigt einen
Artikel aus der Pirnaer Rundschau. Darin wird behauptet, Selda Sendlimen
sei mit »einem Dönermesser« auf die Anhänger der rechten Szene
losgerannt. Noch immer läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Frau
Sendilmen.
Es versteht sich fast von selbst, dass zumindest die
örtlichen Behörden bisher gegen keinen der Angreifer ermittelt haben.
Pirna schützt seine Nazis, da helfen auch keine Verbote. Denn »solange
Rechtsextreme Rückhalt in der Bevölkerung finden«, sagt etwa Markus
Richter, der Sprecher der Pirnaer Aktion Zivilcourage, »wird sich im
Alltag kaum etwas ändern.« Vielmehr befürchtet er, mit dem Verbot der
SSS würden »die Themen Rechtsextremismus und Rassismus eher unter den
Teppich gekehrt«.
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12.04.2001 |