Militante Nazis werden verharmlost
Leichter Beute machen
Berlins Sicherheitsbehörden verharmlosen
Anti-Antifa-Aktivitäten, während rechtsextreme Datensammler mobil
machen.
Mariella Schwertmüller aus:
Jungle World Nr. 25/2001
Eckart Werthebach ist besorgt. Als der noch amtierende Berliner
Innensenator vor zwei Wochen den Verfassungsschutzbericht für die
Hauptstadt vorstellte, sagte er, dass sich immer mehr Neonazis in
Berlins City tummeln. Schlimm. Noch schlimmer aber sind die vielen
Linken, die in den Innenstadtbezirken leben. »Eine gesteigerte Militanz
von Rechtsextremen« könne »vergleichbare Reaktionen in der
gewaltbereiten linksextremen Szene auslösen«, argumentierte der
CDU-Politiker im Jargon bürgerlicher Totalitarismustheoretiker. So
entstehe »ein Prozess des gegenseitigen Hochschaukelns extremistischer
Gewalt«. Dass er die »linksextreme Gewalt« besonders »erschreckend«
findet, muss nicht extra betont werden.
Nun könnte man glauben, Werthebach würde zumindest so
tun, als verfolge er extreme Rechte genauso wie Linke. Doch weit
gefehlt, Berlins Nazis können sich sicher fühlen. Erst kürzlich hat die
Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129
gegen rund ein Dutzend einschlägig bekannter Anti-Antifa-Aktivisten
eingestellt. Es handelte sich um einen Landtagskandidaten der NPD und
einen Führungskader der JN aus Brandenburg sowie um den ehemaligen
FAP-Aktivisten Casjen Bayen aus Oldenburg. Doch der Großteil der Nazis,
gegen die wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« ermittelt wurde,
kommt aus Berlin. So befanden sich etwa der Neonazi Oliver Schweigert,
einige Blood & Honour-Aktivisten und Andreas Tews, ein enger Freund des
Polizistenmörders Kay Diesner, unter den Verdächtigen.
Die Ermittlungen waren im Oktober 1999 bekannt
geworden, als in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen
Wohnungen durchsucht wurden. Den Gegenstand der Ermittlungen bildeten
umfangreiche Foto-, Namens- und Datensammlungen, die von den Neonazis
angelegt worden waren. Beschlagnahmt wurden damals unter anderem mehrere
Hundert digitalisierte Fotos. Auf den so genannten Feindlisten standen
auch Namen von Staatsanwälten, Richtern und Journalisten.
Aus diesen Ermittlungen haben sich zwar einige
separate Verfahren wegen Propagandadelikten ergeben. Doch die
Einstellung des Verfahrens nach dem Paragrafen 129 deutet darauf hin,
dass die Berliner Justiz- und Sicherheitsbehörden gegen
Anti-Antifa-Aktivisten wie schon so oft behutsam vorgehen. Schon bei den
Ermittlungen gegen jene Neonazis, die im September 1999 eine Feindliste
mit 40 Namen und Adressen von Antifas, aber auch von Politikern
veröffentlicht hatten, zeigte die Staatsanwaltschaft mehr Interesse an
den Betroffenen als an der Suche nach den rechten Datensammlern.
Aber nicht nur in Berlin versuchen die
Sicherheitsbehörden, die Bedrohung durch Anti-Antifa-Kampagnen
herunterzuspielen. Als im November 1999 die einschlägige Liste namens
»Wehrwolf« mit extrem antisemitischer Ausrichtung und rund 150 Namen und
Adressen an die Öffentlichkeit gelangt war, wusste das Bundeskriminalamt
(BKA), es lägen »keine Erkenntnisse vor, dass es im Zusammenhang mit
derartigen Schriften bzw. Sammlungen von Daten potenzieller Gegner der
rechtsextremistischen Szene zur Verübung von schweren Straftaten
gekommen ist«. Nur einen Satz später relativierte der Analytiker diese
Aussage: »Die seit einigen Jahren immer wieder erschienenen Sammlungen«
hätten lediglich »zu Straftaten auf lokaler Ebene zum Nachteil von
Personen des linken Spektrums geführt, die wiederum im Zusammenhang mit
entsprechenden linksextremistischen Aktionen (...) stehen.«
Diese Ausrichtung an der Totalitarismustheorie ist ein Jahr nach dem
»Aufstand der Anständigen« auch bei den meisten lokalen
Sicherheitsbehörden noch immer üblich, wenn es um Anti-Antifa-Delikte
geht.
Dabei hat sich in den letzten Monaten gezeigt, dass
den Datensammlungen der Neonazis immer mehr Drohungen, Angriffe und
Übergriffe folgen. Im gewerkschaftlichen Spektrum etwa traf es nicht nur
den Elmshorner IG Metall-Vertreter Uwe Zabel, auf den bereits 1999 ein
Kopfgeld ausgesetzt wurde, sondern auch engagierte thüringische
Gewerkschafter, die von Neonazis per Internet oder mit Flugblättern, die
man in ihrer Nachbarschaft verteilte, denunziert und bedroht wurden.
Gleichzeitig nimmt auch die Bedrohung für linke Jugendliche und Antifas
zu. Nachdem beispielsweise die fränkische Neonazipostille Landser über
Monate Schüler und Lehrer, die sich gegen Rechts engagierten, mit
seitenlangen Artikeln und Fotoserien bedacht hatte, wurden im April
einem Betroffenen aus der Kleinstadt Herzogenaurach die Autoreifen
zerschnitten. Wenige Wochen später folgten eine groß angelegte
Flugblattkampagne und ein Neonaziaufmarsch gegen den 19jährigen.
Noch unterscheiden sich Anti-Antifa-Aktivitäten im
Ergebnis meist kaum vom rechtsextremen Alltagsterror, dem etwa nicht
rechte Jugendliche in ostdeutschen Kleinstädten ausgeliefert sind.
Besorgnis erregend ist jedoch, dass sich die Linie der militanten Freien
Kameradschaften, die sich hauptsächlich auf Anti-Antifa-Aktivitäten
konzentrieren, mittlerweile bundesweit durchgesetzt hat.
An den Handlungsanweisungen, die von Neonazipostillen
wie dem Zentralorgan aus dem Umfeld des verbotenen Hamburger Sturms und
des Norddeutschen Aktionsbüros oder im Internet ausgegeben werden,
orientieren sich inzwischen viele lokale Kameradschaften. So wird heute
fast jeder Nazi-Aufmarsch von einem Trupp unauffällig gekleideter
Anti-Antifa-Fotografen begleitet, die Gegendemonstranten und
Polizeibeamte fotografieren sollen. Später werden »Feinddateien«
angelegt und die Daten bundesweit ausgetauscht. Kameradschaften
veröffentlichen ihre eigenen Listen im Internet oder schicken ihre
»Beute« an bekannte Anti-Antifa-Aktivisten.
Dass der Schritt von der Datensammlung zur
Vorbereitung militanter Anschläge nicht groß ist, zeigte sich im letzten
Frühjahr in Königs Wusterhausen bei Berlin. Dort bastelte eine
Nationalrevolutionäre Zelle an Rohrbomben herum, um sie unter Autos von
linken Jugendlichen zu legen.
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22.06.2001 |